Archiv für den Monat: Juni 2021

Teilnahme an einer Videovernehmung, oder: Vernehmungsterminsgebühr?

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Dehani bandara – Eigenes Werk

Die zweite RVG-Entscheidung stammt heute vom LG Osnabrück. Das hat im LG Osnabrück, Beschl. v. 17.06.2021 – 2 Qs 34/21 – eine Frage entschieden, zu der bisher keine Rechtsprechung vorgelegen hat. Nämlich die Frage, ob die Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG auch dann entsteht, wenn der Rechtsanwalt „nur“ an einer Videovernehmung teilgenommen hat. So war es hier. Der Rechtsanwalt hat sich während der richterlichen Vernehmung in einem Nebenraum aufgehalten, in dem eine Videoübertragung der Vernehmung gezeigt wurde. Das LG hat das Entstehen der Gebühr bejaht:

„Die vom Amtsgericht ausdrücklich zugelassene Beschwerde ist begründet.

Die Gebühr nach Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG ist angefallen. Nach Nr. 4102 Ziff. 1 VV RVG entsteht die Gebühr für die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen. Unerheblich ist dabei, in welcher Funktion der Rechtsanwalt an der richterlichen Vernehmung teilnimmt, ob als Vertreter des Beschuldigten oder als Beistand eines Zeugen und auch, ob der Verteidiger an der Vernehmung aktiv teilgenommen hat, also z.B. Fragen gestellt oder sonst auf den Gang der Vernehmung Einfluss genommen hat. Zwar ergibt sich die Anwesenheit des Verteidigers nicht aus dem Protokoll. Indessen hat der Beschwerdeführer durch seine eigene anwaltliche Versicherung, insbesondere durch die anwaltliche Versicherung von Frau Rechtsanwältin pp. hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beschwerdeführer bei dem Vernehmungstermin in einem Nebenraum, in dem eine Videoübertragung der Vernehmung gezeigt wurde, zumindest zeitweise – zum Ende der Vernehmung hin -anwesend war. Dem steht die vage dienstliche Stellungnahme der vernehmenden Richterin — die sich zum anwaltlich versicherten späteren Erscheinen des Verteidigers nur allgemein äußert — nicht entgegen. Entsprechend waren die geltend gemachten Gebühren und die Umsatzsteuer — der Höhe nach begrenzt auf den Festsetzungsantrag —abweichend in der beantragten Höhe festzusetzen.“

M.E. richtig. So auch <<Werbemodus an >> Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4102 VV Rn. 11, zur Bestellung hier. <<Werbemodus aus>>

Die „Fortentwicklung“ der StPO ist durch den Bundesrat, oder: Demnächst gibt es dann ein Ebook…

Ich habe ja schon mehrfach über das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ berichtet (zuletzt hier: Die “Fortentwicklung der StPO” im Bundestag, oder: Nachts um 00.20 Uhr in Berlin, früher dann schon Nach der “Effektivierung” und der “Modernisierung” kommt die “Fortentwicklung” der StPO, oder: Warum? und Aktueller Stand der “Fortentwicklung der StPO” oder: “Mehr, mehr, mehr schrie der kleine Häwelmann”).

Den Bundestag hat das Gesetz am 10./11.06.2021 passiert (anders kann man das Gesetzgebungsverfahren nicht bezeichnen). Das Gesetz musste dann, da es zustimmungsbedürftig ist, noch durch den Bundesrat. Das ist gerade passiert. Der Bundesrat hat zugestimmt, ohne Aussprache usw. – wie nicht anders zu erwarten.

Damit werden dann in Kürze die Änderungen in der StPO in Kraft treten, wobei ich hier nur auf folgende wesentliche Neuerungen hinweise:

  • Es wird einen neuen § 95a StPO geben, der eine „heimliche Beschlagnahme“ erlauben wird.
  • In § 99 Abs. 2 StPo wird ein neues „Auskunftsverlangen“ eingeführt.
  • Durchsuchungen (§ 104 StPO) zur Nachtzeit werden erleichtert/erweitert.
  • Der Tatbestandskatalog bei der Telefonüberwachung (100a StPO) und der Onlinedurchsuchung (§ 100b StPO) ist erweitert/verschärft worden.
  • Als neue Fahndungsmaßnahme wurde ein neuer § 163g StPO eingeführt, der eine „Automatische Kennzeichenerfassung“ vorsieht.
  • Die Revsionsbegründungsfrist des § 345 StPO wird in Verfahren, in denen die Urteilsabsetzung lange gedauert hat, verlängert.

Das ist m.E. in einem Überblick das Wesentliche aus dieser unnötigen Gesetzesänderung.

Ich hatte ha schon darauf hingewiesen und wiederhole hier noch einmal: Zu den Änderungen wird es – wie auch schon zu den beiden letzten StPO-Änderungen – Effektivierung und Modernisierung – ein Ebook von mir geben, und zwar: „Fortentwicklung der StPO u.a. Die Änderungen in der StPO 2021 – ein erster Überblick. Das wird nach Inkrafttreten des Gesetzes als PDF „ausgeliefert“. Preis: 27 EUR. Man kann das Ebook natürlich jetzt schon auf meiner HP vorbestellen, und zwar hier auf der Bestellseite.

Keine Zustimmung hat es übrigens für für zusätzliche Befugnisse der Bundespolizei gegeben. Der Bundestag hatte zusätzliche Rechtsgrundlagen für Ermittlungsmaßnahmen beschlossen, und zwar Regelungen zur Überwachung der Telekommunikation, zur Identifizierung und Lokalisierung von Mobilfunkkarten und -endgeräten und zum Einsatz technischer Mittel gegen gegen fernmanipulierte Geräte. Die Änderungen werden dann Wahrscheinlich in den Vermittlungsausschuss gehen.

Wenn das Verfassungsgericht zweimal eingreifen muss, oder: Wenn die Pauschgebühr immer noch zu gering ist

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Im RVG-Pool tummelt sich heute zunächst ein Beschluss des VerfGH Berlin.

Bei dem VerfGH Berlin, Beschl. v. 12.05.2020 – VerfGH 175/20 handelt es sich um eine in meinen Augen bemerkenswerte Entscheidung. Der VerfGH Berlin hat nämlich in einem „Kampf“ um eine Pauschgebühr nach § 51 RVG das KG zum zweiten Mal gerügt. Das KG hatte bereits einmal die vom Pflichtverteidiger beantragte Pauschgebühr nicht gewährt. Das hat der VerfGH mit dem VerGH Berlin, Beschl. v. 22.04.2020 – VerfGH 177/19 – als verfassungswidrig beanstandet.

Das Verfahren ist dann fortgesetzt worden. Der Bezirksrevisor hat eine ergänzende Stellungnahme abgegeben und dabei im Wesentlichen an seiner ersten Stellungnahme festgehalten. Der Rechtsanwalt hat nunmehr eine Pauschgebühr nur für das Vorverfahren in Höhe von 25.000,00 EUR beantragt. Das KG hat für das Vorverfahren eine Pauschgebühr in Höhe von 812,50 EUR, 127,50 EUR mehr als die bereits bewilligten Gebühren in Höhe von 685,- EUR bewilligt. Es hat jetzt zwar die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG nach erneuter Prüfung bejaht. Aber: Mehr als diesen Betrag gebe es nach einer Gesamtschau der im Vorverfahren und im Hauptverfahren erworbenen Gebührenansprüche nicht. Im Rahmen einer solchen Gesamtbetrachtung verbleibe ein nicht kompensierter Zeitaufwand für die aufwändigere Tätigkeit des Beschwerdeführers im Vorverfahren. Es sei aber nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer im Vorverfahren in außergewöhnlichem Umfang beansprucht und seine Arbeitskraft überwiegend gebunden gewesen sei.

Das gefällt dem VerfGH erneut nicht:

„Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. Der Beschluss des Kammergerichts verstößt gegen Art. 1 Abs. 2 VvB i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und verletzt dadurch den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 7 VvB (1.). Das Kammergericht hat zudem bei der Bemessung der Pauschgebühr die Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 17 VvB verkannt (2.).

1. Das Kammergericht hat die Bindungswirkung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 22. April 2020 nicht hinreichend berücksichtigt und daher gegen Art. 1 Abs. 2 VvB i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen. Dies stellt eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 7 VvB dar.

Nach § 30 VerfGHG binden die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes die Verfassungsorgane sowie die Gerichte und Behörden des Landes Berlin. Das Bundesverfassungsgericht hat für die vergleichbare Bestimmung in § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht – BVerfGG – entschieden, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung insofern entfalten, als die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten in allen künftigen Fällen beachtet werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2020 – 1 BvR 2838/19 -, juris Rn. 13). Dabei sind die den Tenor tragenden Entscheidungsgründe jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck kommenden Gedankengang entfällt. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs stehen. Bei der Beurteilung, ob ein tragender Grund vorliegt, ist von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006 – 2 BvR 2194/99 -, juris Rn. 31). Die Nichtbeachtung der Bindungswirkung stellt einen Verstoß der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz dar (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 – 2 BvR 1018/74 -, juris Rn. 14).

Ein den Tenor tragender Entscheidungsgrund liegt in der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die weit überdurchschnittliche Inanspruchnahme im vorbereitenden Verfahren nicht durch einen unterdurchschnittlichen Umfang oder eine unterdurchschnittliche Schwierigkeit des Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht kompensiert wurde. Soweit das Kammergericht erklärt, dass die Frage einer Gesamtbetrachtung der im Vorverfahren und im Hauptverfahren erworbenen Gebührenansprüche und die Möglichkeit einer Kompensation neu zu bewerten seien, stellt dies eine Missachtung der Bindungswirkung dar.

Ein weiterer den Tenor tragender Entscheidungsgrund findet sich in der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes, dass die Stellung des Mandanten als Hauptbelastungszeuge im Zusammenhang mit verschiedenen Tatkomplexen bei der Bewertung der weit überdurchschnittlichen Bindung des Beschwerdeführers im vorbereitenden Verfahren zu berücksichtigen war. Soweit das Kammergericht annimmt, die Vernehmung des Mandanten als Zeuge in anderen Verfahren sei keine verfahrensbezogene Tätigkeit und könne daher für die Bewilligung der Pauschgebühr nicht berücksichtigt werden, verletzt es die Bindungswirkung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes.

Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof bindend festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Bearbeitung anderer Mandate durch das Vorverfahren „erheblich eingeschränkt“ und „überdurchschnittlich gebunden“ gewesen ist. Soweit das Kammergericht erklärt, der Beschwerdeführer sei durch seine Inanspruchnahme im Vorverfahren nicht übermäßig belastet gewesen, liegt hierin ein weiterer Verstoß gegen die Bindungswirkung.

Auf diesen gegen die Bindungswirkung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes verstoßenden Feststellungen beruht die Annahme des Kammergerichts, für das Vorverfahren sei keine über den Betrag von 812,50 Euro hinausgehende Pauschgebühr zu bewilligen.

2. Das Kammergericht hat bei der Höhe der Bemessung der Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers verkannt.

Die Pflichtverteidigerbestellung ist ein Eingriff in die durch die Verfassung von Berlin grundrechtlich geschützte Berufsausübung (vgl. zu Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 2005 – 2 BvR 2456/04 -, juris Rn. 4 und vom 28. April 1975 – 2 BvR 207/75 -, juris Rn. 12). Der Eingriff dient der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und damit dem Gemeinwohl. Zweck der Pflichtverteidigung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und das Verfahren ordnungsgemäß abläuft. Der Gesetzgeber hat die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe der Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern dem Pflichtverteidiger eine Vergütung zuerkannt. Dass sein Vergütungsanspruch unter den gesetzlichen Rahmenhöchstgebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. Das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung gebietet in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren, seiner Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG soll dies sicherstellen (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Juni 2011 – 1 BvR 3171/10 -, juris Rn. 17 f. und vom 20. März 2007 – 2 BvR 51/07 -, juris Rn. 3 f. jeweils m. w. N.; s. a. BT-Drs. 15/1971 S. 201). Nach dieser Vorschrift ist in Strafsachen dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. April 2020 ausführlich dargestellt, dass dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer wegen der Zuerkennung einer zu geringen Gebühr für das Vorverfahren auferlegt und sein Grundrecht aus Art. 17 VvB dadurch verletzt wurde. Ein solches Sonderopfer liegt auch nach der nunmehr geringfügig über der Pflichtgebühr liegenden Pauschgebühr von 812,50 Euro vor. Ein Mehrbetrag von lediglich 127,50 Euro ist nicht geeignet, das vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. April 2020 dargestellte unzumutbare Sonderopfer durch den erhöhten Aufwand im Vorverfahren auszugleichen. Hierbei ist zu berücksichtigten, dass die Wahlanwaltshöchstgebühren für das gesamte Verfahren laut der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 9. Juli 2019 84.962,50 Euro und damit mehr als das Doppelte der dem Beschwerdeführer bislang gewährten Gebühren betragen.“

Wie gesagt: Bemerkenswert – gelinde ausgedrückt.

OWi III: Fahrverbot beim „Wiederholungstäter“, oder: Irgendwann ist Schluss, auch nach Zwischenfahrverbot

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Und als letzte und dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 10.05.2021 – 201 ObOWi 445/21 – zum Absehen vom Fahrverbot wegen Vollstreckung eines verfahrensfremden Fahrverbotes zwischen Tat und Urteil bei einem „Wiederholungstäter“. Das AG hatte den Betroffenen wegen eines (wiederholten)  „Handyverstoßes“ (§ 23 Abs. 1a StVO)  zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbotes hat es abgesehen, weil ein solches zur Einwirkung auf den Betroffenen nicht (mehr) geboten sei, nachdem dieser aktuell ein zweimonatiges Fahrverbot aus einem anderen Verfahren verbüße. Das lässt natürlich Bayern die Staatsanwaltschaft nicht durchgehen. Sie hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die dann auch beim BayObLG Erfolg hatte.

Das BayObLG verweist darauf, dass ein beharrlicher Verstoß vorliegt, da gegen den Betroffenen bereits wegen zweier früherer, am 07.05.2018 bzw. am 26.06.2019 begangener „Handyverstöße“‘ die Regelgeldbuße von 100 EUR bzw. eine erhöhte Geldbuße von 150 EUR verhängt worden war. Darüber hinaus war der Betroffene wegen einer am 29.04.2019 als Führer eines PKW außerorts fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h  mit einer erhöhten Geldbuße von 105 Euro belegt worden. Bereits diese drei vorgenannten Verstöße rechtfertigen nach Auffassung des BayObLG im Hinblick auf den weiteren Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO, welcher nicht einmal sieben Monate nach Rechtskraft der letzten Vorahndung begangen worden sei, die Annahme eines beharrlichen Pflichtenverstoßes.

Und weiter:

2. Soweit indes das Amtsgericht besondere Umstände für ein Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Fahrverbotes darin sieht, dass dieses infolge der zeitnahen Verbüßung des zweimonatigen Fahrverbotes aus der vorgenannten Vorahndung zur verkehrserzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen nicht mehr erforderlich sei, begegnet dies vorliegend durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Zwar kann ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes, das vom Gesetz- und Verordnungsgeber als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme ausgestaltet ist, dann berechtigt sein, wenn dieses seinen Zweck verloren hat (zur fehlenden Präventionsnotwendigkeit vgl. etwa MüKo/Asholt StVR § 25 StVG Rn. 26). Ob der Betroffene in diesem Sinne der verkehrs-erzieherischen Einwirkung durch ein Fahrverbot noch oder nicht mehr bedarf, lässt sich nur im Rahmen einer umfassenden Gesamtbetrachtung seines tatsächlichen Verhaltens im Straßen-verkehr zuverlässig beurteilen. So kann ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes etwa dann berechtigt sein, wenn die Tat lange Zeit zurückliegt, der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten und dadurch gezeigt hat, dass er einer weiteren Pflichtenmahnung nicht mehr bedarf (vgl. nur OLG Bamberg DAR 2017, 384 m.w.N.).

Demgegenüber vermag bei einem Wiederholungstäter ein zwischen Tat und Urteil vollstrecktes Fahrverbot aus einem anderen Bußgeldverfahren regelmäßig nicht zum Wegfall eines an sich verwirkten Fahrverbotes zu führen. Insoweit erscheint schon die Annahme eher fernliegend, dass die zeitnahe Vollstreckung des verfahrensfremden Fahrverbotes eine so weitgehende verkehrserzieherische Wirkung entfalten könnte, dass ein weiteres Fahrverbot entbehrlich wird (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 25 Rn. 25; vgl. auch unveröffentlichte Senatsentscheidung vom 09.10.2020 – 201 ObOWi 1159/20; OLG Bamberg a.a.O.; a.A. ohne Begründung Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht 2. Aufl. § 25 StVG Rn. 49).

b) Indes bleibt das angefochtene Urteil eine tragfähige Begründung dafür schuldig, dass weitere gleichgerichtete Maßnahmen vorliegend gegen den Betroffenen mit Blick auf das zeitnah vollstreckte verfahrensfremde Fahrverbot ihren Sinn verloren haben. Insbesondere lässt das Amtsgericht in diesem Zusammenhang völlig unberücksichtigt, dass der Betroffene vor dem verfahrensgegenständlichen Verstoß bereits zweimal einschlägig und darüber hinaus in eben-falls engem zeitlichen Abstand mit einem Geschwindigkeitsverstoß in Erscheinung getreten ist. Zudem geht das Amtsgericht selbst davon aus, ohne seine Feststellungen freilich tragfähig zu belegen (vgl. oben II. 1 b), dass der Betroffene mit dem verfahrensgegenständlichen Verstoß auch die Warnfunktion einer noch nicht rechtskräftigen Vorahndung wegen eines gravierenden Abstandsverstoßes missachtet hat. Ausweislich der Urteilsfeststellungen hat ihn darüber hin-aus auch eine mit Blick auf zahlreiche vorangegangene Geschwindigkeitsverstöße ergangene Abmahnung seines Arbeitgebers vom 15.10.2019 nicht von der Begehung der hier inmitten stehenden, vorsätzlich begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit abzuhalten vermocht. Die Annahme des Amtsgerichts, dass allein die zeitnahe Verbüßung des verfahrensfremden Fahr-verbotes ausreichend auf den Betroffenen einwirkt, um der Gefahr weiterer Verkehrsverstöße wirksam vorzubeugen, erscheint nach alledem nicht vertretbar, selbst wenn der Betroffene geständig war bzw. sonst in der zunächst angesetzten Hauptverhandlung einen günstigen Eindruck hinterlassen haben sollte. Die gegenteilige Auffassung liefe auf eine ungerechtfertigte Privilegierung von sich über wiederholte Warnappelle beharrlich hinwegsetzende „Wiederholungstäter“ hinaus, was mit der vom Verordnungsgeber etwa mit der ausdrücklichen Um-schreibung des Regelfalls eines beharrlichen Pflichtenverstoßes für Geschwindigkeitsverstöße unmissverständlich aus § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV zu entnehmenden Wertung als unvereinbar anzusehen wäre.

c) Soweit das Amtsgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass im Falle einer gemeinsamen Aburteilung des verfahrensgegenständlichen Handyverstoßes sowie des voraus-gegangenen Abstandsverstoßes ein einheitliches Fahrverbot zu verhängen gewesen wäre, bei dem die Dauer der einzeln verwirkten Fahrverbote nicht etwa addiert hätte werden dürfen, sondern sich grundsätzlich nach dem höchsten verwirkten Fahrverbot gerichtet hätte, vermag auch dieser Hinweis auf den Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit das Absehen vom Fahrverbot nicht zu rechtfertigen. Denn die unterschiedlichen sanktionsrechtlichen Folgen einer verfahrensmäßig gemeinsamen oder gesonderten Verhandlung mehrerer Ordnungswidrigkeiten sind vom Gesetzgeber ersichtlich so gewollt und stellen keine Besonderheit dar, die allein es rechtfertigen könnte, bei getrennter Aburteilung von der Anordnung eines an sich verwirkten Fahrverbotes abzusehen. Auch im Strafrecht bleibt es bei den in getrennten Verfahren festgelegten Sanktionen, wenn eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 460 StPO) vor der vollständigen Vollstreckung aller für eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommender Straftaten nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus wird der Umstand, ob eine gemeinsame Verhandlung mehrerer Ordnungswidrigkeiten erfolgt oder nicht, häufig nicht lediglich auf Zufall beruhen. Besteht zwischen den Ordnungswidrigkeiten – wie hier allerdings gerade nicht – ein zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang, so wird eine gemeinsame Verhandlung regelmäßig nahe liegen und auch der Sinn und Zweck des § 25 StVG für die Verhängung eines einheitlichen Fahrverbotes sprechen (vgl. nur BGHSt 61, 100). Im Übrigen aber zeigt auch die zum 24.08.2017 in Kraft getretene Neuregelung des § 25 Abs. 2b StVG, dass mehrere Fahrverbote generell nacheinander vollstreckt werden, sich also nach dem Willen des Gesetzgebers nicht etwa „erzieherisch“ gegenseitig „vertreten“ sollen (vgl. König DAR 2018, 361, 364).

 

OWi II: Wer hat den Pkw gefahren?, oder: Anthropologisches Identitätsgutachten im Urteil

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Urheber Dede2

Zu den Klassikern im Owi-Recht gehören Entscheidungen, die sich mit den Anforderungen an die Urteilsgründe in den Fällen der Identifizierung des bestreitenden Betroffenen als Fahrer zum Vorfallszeitpunkt anhand eines von dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes befassen. Das habe ich dann mal wieder eine, nämlich den OLG Koblenz, Beschl. v. 31.05.2021 – 3 OWi 32 SsBs 97/21, der Stellung nimmt zum Umfang der Darlegungspflicht bei Verwertung eines anthropologischem Identitätsgutachten im Urteil. Dem OLG haben die Ausführungen des AG nicht gereicht:

„Zunächst lässt sich vorliegend die Sacheinlassung des Betroffenen dem Urteil noch hinreichend entnehmen. In der Beweiswürdigung wird darauf eingegangen, dass der Betroffene pauschal auf Dritte als potentielle Nutzer verwiesen, mithin die Fahrereigenschaft abgestritten hat.

Mit Blick auf die erfolgte Fahreridentifizierung hat das Tatgericht – insoweit rechtsfehlerfrei – auf das Lichtbild ausdrücklich gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. zwar einen geminderten Schärfe- und Kontrastgrad aufweist, es die einzelnen Gesichtszüge und -konturen der abgebildeten Person aber im Wesentlichen – mit Ausnahme von Haaransatz und Stirn des Fahrers, die nur teilweise zu sehen sind – erkennen lässt. Das Messbild ist daher trotz der benannten Einschränkungen in der Bildqualität zur Fahreridentifizierung geeignet. In Ansehung dieser Einschränkungen hat der Tatrichter sich auch nicht allein auf die Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG beschränkt, sondern daneben Ausführungen dazu getätigt, welche Identifizierungsmerkmale er zur Beurteilung der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer herangezogen hat. Daneben wurde nachvollziehbar zur Haltereigenschaft (Firma, hinter der der Betroffene steht) als hinzutretendes Indiz für die Fahrereigenschaft ausgeführt.

Ergänzend hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob der Betroffene die Person auf dem genannten Messbild ist. Misst das Tatgericht – wie vorliegend – einem Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist. Dies gilt insbesondere, wenn es sich, wie hier bei einem anthropologischen Identitätsgutachten, nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode (vgl. KG Berlin, Beschl. 3 Ws (B) 11/18 v. 26.01.2018 <Rn. 44 n. juris m.w.N.>), bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. 1 OWI 2 Ss Bs 98/17 v. 29.01.2018 – BeckRS 2018, 3979 <Rn. 10 m.w.N.>), handelt. Erforderlich ist in diesem Fall vielmehr eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung; die bloße Aufzählung der mit einem Lichtbild übereinstimmenden morphologischen Merkmalsprägungen eines Betroffenen reicht dagegen nicht aus (vgl. OLG Bamberg, Beschl. 3 Ss OWi 180/08 v. 20.02.2008 <Rn. 10 n. juris>; OLG Celle, Beschl. 222 Ss 124/02 (OWi) v. 17.07.2002 – NZV 2002, 472). Enthält das anthropologisches Sachverständigengutachten – wie im vorliegenden Fall – keine Wahrscheinlichkeitsberechnung, so muss das Urteil, da den einzelnen morphologischen Merkmalen jeweils eine unterschiedliche Beweisbedeutung zukommt, Ausführungen dazu enthalten, welchen der festgestellten Übereinstimmungen – gegebenenfalls in Kombination mit anderen festgestellten Merkmalen – eine besondere Beweisbedeutung zukommt, das heißt, welche Aussagekraft der Sachverständige den Übereinstimmungen zumisst und wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet hat (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 2 OWi 6 SsBs 210/20 v. 31.08.2020; 2 OWi 6 SsBs 67/20 v. 25.03.2020; 1 OWi 6 SsBs 59/19 v. 29.04.2019; KG Berlin, a.a.O. <Rn. 45 n. juris m.w.N.>). Soweit der Sachverständige im Rahmen seiner Gutachtenerstattung zudem (weitere) Lichtbilder in sein Gutachten einbezogen hat, muss prozessordnungsgemäß (auch) auf diese verwiesen werden (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.).

Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht.

Das Amtsgericht beschränkt sich letztlich auf die Bezugnahme einer schlichten Aufzählung derjenigen Merkmale, bezüglich derer es selbst Übereinstimmungen zwischen dem Betroffenen und dem Messbild festgestellt hat. „Auch aufgrund“ dieser Merkmale (“gesamte Kopf- und Gesichtsform, die weit auseinanderstehenden Augen, die relativ breite Nasenwurzel, die insgesamt relativ gerade Nase mit rundlicher Nasenspitze und etwas weiter nach unten gezogener linker Nasenhälfte sowie mittelgroßen, hinten geraden, oben runden Ohren“) soll die Sachverständige nach den Urteilsausführungen zu der Einschätzung gelangt sein, dass die Person auf dem Messbild „sehr wahrscheinlich“ mit dem Betroffenen identisch sei. Hiernach bleibt schon offen, wie viele bzw. ob die Sachverständige weitere Merkmale („auch“) benannt hat und wenn ja welche, die eine – wie hohe (weitere) – Übereinstimmung begründen oder auch solche, die eher dagegen sprechen. Darüber hinaus verhalten sich die Urteilsgründe nicht dazu, mit welchem Gewicht die Sachverständige die einzelnen benannten Merkmale in die Gesamtbewertung der Identitätswahrscheinlichkeit eingestellt hat. Es kann nicht nachvollzogen werden, ob die Sachverständigen das Wahrscheinlichkeitsprädikat allein aufgrund der Anzahl der als übereinstimmend identifizierten Merkmale vergeben hat oder ob und weshalb einzelne Merkmale von besonderer Individualität und damit Aussagekraft gewesen sind. Im Übrigen verhält sich das Urteil zu dem von der Sachverständigen im Rahmen zu Vergleichszwecken gefertigten und im Rahmen ihrer Begutachtung als Anlage zum Protokoll gereichten Lichtbild des Betroffenen nebst digitaler Ausschnittsvergrößerung des Messbildes nicht, insbesondere erfolgt hierauf keine Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Dem Beschwerdegericht ist es nach alledem nicht möglich, die Schlüssigkeit des von der Sachverständigen gefundenen Ergebnisses nachzuprüfen…“