Archiv für den Monat: April 2021

StPO III: Bildaufnahmen in der HV gemacht?, oder: Darf der Vorsitzende das Handy sicher stellen?

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Und zum Tagesschluss dann noch ein Beschluss des OLG Oldenburg. Das hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.03.2021 – 1 Ws 81/21 – zur Sicherstellung eines Mobiletelefons in der Hauptverhandlung Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„Durch sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 2021 wurde das Mobiltelefon des Angeklagten sichergestellt, nachdem sich nach Urteilsverkündung und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung ein Zuschauer gemeldet und mitgeteilt hatte, dass der Angeklagte zuvor mit seinem Mobiltelefon Aufnahmen im Sitzungssaal gefertigt habe. Der Vorsitzende hat seine Anordnung damit begründet, dass überprüft werden solle, ob der Angeklagte Bild-, Audio- und/oder Videoaufnahmen von der Hauptverhandlung und daran Beteiligter gefertigt habe. Der Angeklagte händigte sein Mobiltelefon aus, erklärte aber, den Entsperrcode jetzt nicht angeben zu können.

Mit Verfügung vom gleichen Tag leitete der Vorsitzende der Berufungskammer das Mobiltelefon an die Staatsanwaltschaft weiter mit der Bitte um Auswertung dahingehend, ob sich Bild-, Video- und/oder Audiodateien der Hauptverhandlung darauf befinden. Die Auswertung ist zwischenzeitlich erfolgt.

Gegen die Sicherstellung richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 15. Februar 2021 eingelegte Beschwerde des Angeklagten, auf deren Ausführungen verwiesen wird. Mit Beschluss vom 18. Februar 2021 hat der Vorsitzende der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung ist zulässig und begründet.

Zwar können sitzungspolizeiliche Maßnahmen grundsätzlich nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Ausnahmsweise ist die Beschwerde aber zulässig, wenn die Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung zukommt und Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Betroffenen beeinträchtigt werden(KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, GVG § 176 Rn. 7 m.w.N.). Dies ist hier angesichts der erst zum Ende der Hauptverhandlung nach der Urteilsverkündung erfolgten Sicherstellung des Mobiltelefons, das zur weiteren Auswertung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde, der Fall.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die sitzungspolizeiliche Gewalt des Vorsitzenden nach § 176 GVG bezweckt die Wahrung der Ordnung in der Sitzung und ermächtigt ihn zu Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern (KK-StPO/Diemer a.a.O. Rn. 1). Sie erfasst in zeitlicher Hinsicht über die eigentliche Hauptverhandlung im Sinne von § 169 GVG hinaus auch die Zeitspannen davor und danach, in denen mit der Sache zusammenhängende Angelegenheiten abgewickelt werden sowie die Verfahrensbeteiligten und Zuhörer üblicherweise den Sitzungssaal betreten oder verlassen, einschließlich der Sitzungspausen (BeckOK GVG/Allgayer, 9. Ed. 15.11.2020 Rn. 1, GVG § 176 Rn. 1).

Danach kann im Rahmen der sitzungspolizeilichen Anordnung beispielsweise einem Störer das Fotografieren untersagt und erforderlichenfalls der Fotoapparat bis zum Schluss der Sitzung weggenommen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., GVG § 176 Rn. 7 m.w.N.). Die Sicherstellung eines Mobiltelefons über das Ende der Hauptverhandlung hinaus stellt demgegenüber keine sitzungspolizeiliche Maßnahme mehr da, da diese nicht dem Zweck dient, einen störungsfreien und gesetzmäßigen Sitzungsablauf zu gewährleisten (so auch: LG Landau, Beschluss vom 14. November 2017 – 5 Qs 19/17, juris).

So verhält es sich jedoch im vorliegenden Fall. Die Maßnahme diente erkennbar dem Zweck, das Speichermedium des Mobiltelefons nach Schluss der Hauptverhandlung daraufhin auswerten zu lassen, ob der Angeklagte verbotene und gegebenenfalls etwa nach §§ 33 Abs. 1, 22 KunstUrhG strafbare Aufnahmen gefertigt hat, und war demzufolge durch die sitzungspolizeilichen Befugnisse nicht gedeckt. Eine Beschlagnahmeanordnung nach § 94 Abs. 1 StPO kommt als Grundlage der Sicherstellung ebenfalls nicht in Betracht, da der Vorsitzende der Berufungskammer zu einer solchen nicht befugt war; die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichtes zur Beschlagnahme gemäß § 98 Abs. 1 StPO beschränkt sich auf Beweisgegenstände, die das anhängige Strafverfahren betreffen (KK-StPO/Greven, 8. Aufl. 2019, StPO § 98 Rn. 7).

Die Anordnung war daher aufzuheben.

Soweit Verdacht einer Straftat besteht, bleibt es der Staatsanwaltschaft unbenommen, einen Beschlagnahmebeschluss des zuständigen Ermittlungsrichters zu beantragen.“

StPO II: Schein- oder Sachverhandlung, oder: Schluss der Beweisaufnahme

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Und die zweite StPO-Entscheidung kommt ebenfalls vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 5 StR 496/20 – u.a. noch einmal zur Frage der Sachverhandlung i.S. von § 229 Abs. 1 StPO Stellung genommen, also auch ein „Dauerbrenner“:

„1. Die vom Angeklagten M.     T.  erhobene Rüge einer Verletzung von § 229 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 StPO erweist sich auf der Grundlage des Revisionsvortrages jedenfalls als unbegründet.

Die Hauptverhandlung ist nicht mehr als drei Wochen – zwischen dem 5. und dem 30. März 2020 – unterbrochen gewesen, sondern am 9. März 2020 mit fristwahrender Wirkung fortgesetzt worden. Hierbei handelte es sich entgegen der Ansicht der Revision nicht nur um einen – insoweit unbeachtlichen – sogenannten „Schiebetermin“ bzw. eine Scheinverhandlung (BGH, Beschlüsse vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07; vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11).

a) Eine Hauptverhandlung gilt im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO als fortgesetzt und muss demgemäß nicht ausgesetzt werden, wenn in einem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt wird. Das ist der Fall, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob er noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können. Gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin daneben auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient (BGH, Beschlüsse vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11; vom 22. Juni 2011 – 5 StR 190/11).

b) Nach dieser Maßgabe hat am 9. März 2020 eine Verhandlung im Sinne des § 229 Abs. 1 StPO stattgefunden.

Dies folgt bereits aus den vom Beschwerdeführer mitgeteilten und protokollierten Vorgängen der Hauptverhandlung vom 9. März 2020. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Umstand zu, dass die Vorsitzende an diesem Sitzungstag den Schluss der Beweisaufnahme angeordnet hatte, § 258 Abs. 1 StPO. Der Schluss der Beweisaufnahme selbst kann als „geradezu intensivste“ Form der substanziellen Verfahrensförderung auf ein Urteil hin angesehen werden. Denn die Anordnung beinhaltet nicht nur die Feststellung eines status quo, sondern hat eigenständiges Gewicht, da zugleich unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass keine Beweise mehr erhoben oder sonstige Prozesshandlungen durchgeführt werden und nunmehr die Schlussvorträge gehalten werden sollen (KK-Gmel, 8. Aufl., § 229 Rn. 6). Letzteres hatte die Strafkammer auch ersichtlich ins Auge gefasst. Der Beschwerdeführer hat insoweit mitgeteilt, der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe nach Abschluss der Beweisaufnahme seinen Schlussvortrag halten sollen. Dass die Hauptverhandlung gleichwohl noch weiter fortgesetzt werden musste, steht der Bedeutung der Anordnung nicht entgegen.

Auch im Übrigen verhandelten die Verfahrensbeteiligten unter Leitung der Vorsitzenden zur Sache. Denn zwischen ihnen und dem Gericht wurde erörtert, ob weitere Beweisanträge gestellt werden sollen. Die Strafkammer hatte darauf hingewiesen, dass die Akte eines anderen Ermittlungsverfahrens – wie beantragt – beigezogen worden sei, der Inhalt aber nicht von Amts wegen in die Hauptverhandlung eingeführt werden solle. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger bezogen hierzu Stellung. Diese Tatsachen stellen ein Verhandeln im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO dar (vgl. BGH, Urteile vom 19. August 2010 – 3 StR 98/10 [Mitteilung des Strafkammervorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag benannten Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sollen]; vom 16. November 2017 – 3 StR 262/17 [Befassung mit Verfahrensfragen]). Die relativ kurze Dauer des Termins von nur einer Viertelstunde ist dabei ohne Belang.“

StPO I: Entfernung des Angeklagten aus der HV, oder: Keine Augenscheinseinnahme von Lichtbildern

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Und im Programm dann heute: StPO-Entscheidungen

Den Reigen eröffne ich mit einem Dauerbrenner aus der Rechtsprechung des BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 533/20 – noch einmal zur Frage der Augenscheinseinnahme, wenn der Angeklagte gemäß § 247 StPO aus der Hauptverhandlung entfernt worden ist, Stellung genommen.

Verurteilt worden ist der Angeklagte u.a, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen. Der Angeklagte hatte mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, die Einnahme eines Augenscheins von mehreren Lichtbildern . in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 230 Abs. 1 StPO). Der BGH meint: Zu Recht:

„a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung am 10. Juni 2020 ordnete die Strafkammer gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer an. Während der anschließenden in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin wurden mehrere vom Verteidiger überreichte Lichtbilder in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Befragung unterrichtete der Vorsitzende den wieder anwesenden Angeklagten über die Aussage der Nebenklägerin.

b) Aufgrund der Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls gemäß § 274 StPO steht fest, dass die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf Verwendung fanden, sondern Gegenstand einer förmlichen Beweiserhebung durch Einnahme eines Augenscheins waren. Nach dem im Regelungszusammenhang des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2010 . GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 90 mwN) ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises, selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 . 4 StR 529/13, NStZ 2014, 223; vom 5. Oktober 2010 . 1 StR 264/10, NStZ 2011, 51). Die Inaugenscheinnahme hätte daher nach § 230 Abs. 1 StPO nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen dürfen.

c) Der Verfahrensverstoß ist nicht durch eine Wiederholung des Augenscheins in Anwesenheit des Angeklagten geheilt worden. Eine Verfahrenskonstellation, in welcher ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 . 4 StR 131/06, StV 2007, 20; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 21 mwN), liegt ebenfalls nicht vor. Selbst wenn . was allerdings angesichts der unterbliebenen Mitwirkung des Angeklagten an und seiner fehlenden Kenntnis von der Beweiserhebung zweifelhaft erscheint . ein denkgesetzlicher Ausschluss des Beruhens in Betracht zu ziehen wäre, falls dem Angeklagten das Augenscheinsobjekt in einer nicht hinter der Augenscheinseinnahme zurückbleibenden Weise bekannt ist (offengelassen in BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 . 1 StR 264/10, aaO), lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Denn es steht weder . entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts . zweifelsfrei fest, dass die vom Verteidiger vorgelegten Lichtbilder vom Angeklagten stammen, noch besteht vor dem Hintergrund der Gegenerklärung des Verteidigers eine erfolgsversprechende Möglichkeit, die Herkunft der Bilder freibeweislich zu klären.

2. In Folge der Aufhebung des angefochtenen Urteils auf Grund der Verfahrensrüge kommt es nicht mehr darauf an, dass die Urteilsformel hinsichtlich der Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei der ausgeurteilten Fälle nicht mit der von den Feststellungen getragenen rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen in Einklang zu bringen ist.

Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung ferner darauf hin, dass die Strafbarkeit wegen Herstellens einer kinderpornographischen Schrift nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung eine auf die Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung der Schrift gerichtete Verwendungsabsicht des Täters voraussetzt. Der neue Tatrichter wird hinsichtlich dieses Tatvorwurfs gegebenenfalls auch die Frage der Verfolgungsverjährung zu prüfen haben.“

Außer der Reihe zu Corona: VG Weimar zur Maskenpflicht an Schulen, oder: „ausbrechender Rechtsakt“

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Vor dem eigentlichen Tagesprogramm ein „Abrundungspost“, und zwar zu dem Beitrag betreffend den AG Weimar, Beschl. v. 08.04.2021 – 9 WF 148/21 (vgl. hier: Corona I: AG Weimar und AG Wuppertal melden sich, oder: Zwei etwas “ungewöhnliche” Entscheidungen). Ich erinnere: Das ist die Entscheidung, die im familiengerichtlichen Verfahren zwei Schulen in Weimar untersagt hat, die Maskenpflicht anzuordnen, weil damit das Kindeswohl von zwei Schülern gefährdet sei.

Mit der Frage hatte sich nun auch das VG Weimar im VG Weimar, Beschl. v. 20.04.2021 – 8 E 416/21 We – zu befassen. Und das VG rückt die Stühle wieder an die richtige Stelle:

„1. Vorausgeschickt sei, dass für die gerichtliche Überprüfung der Allgemeinverfügung ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 Abs. 1 VwGO). Der die Antragsteller zu 1. und 2. betreffende Beschluss des Amtsgerichts Weimar vom 8. April 2021 (Az. 9 F 148/21) steht dem nicht entgegen. Der Beschluss ist als ausbrechender Rechtsakt (VGH München, Beschluss vom 16.04.2021, 10 CS 21.1113) offensichtlich rechtswidrig.

Insbesondere fehlt dem Familiengericht eine Rechtsgrundlage für seine Entscheidung. In dem Beschluss werden im Weg der einstweiligen Anordnung einzelne Gebote gegenüber „den Leitungen und Lehrern […] sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen“ ausgesprochen. Dem Familiengericht steht aber eine Befugnis, Anordnungen gegenüber Behörden und Vertretern von Behörden zu treffen, nicht zu. Für eine solche Anordnungskompetenz fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage (Lugani in Münchner Kommentar BGB, 8. Auflage 2020, Rdnr. 181 zu § 1666). § 1666 BGB scheidet als Grundlage aus, denn bei den in § 1666 Abs. 4 BGB genannten Dritten handelt es sich um private Personen, nicht um Träger öffentlicher Gewalt. Dies ist für das Verhältnis zwischen Familiengerichten und den Behörden der Kinder- und Jugendhilfe anerkannt (z. B. OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.11.2007, 4 WF 240/07, Juris-Rdnr. 2; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 29.07.2015, 1 BvR 1468/15, Juris-Rdnr. 5; Lugani, a.a.O., Rdnr. 180 ff zu § 1666; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Auflage 2019, Rdnr. 16 vor §§ 50-52). Gegenüber den Schulbehörden gilt nichts anderes. Im Rahmen des schulrechtlichen Sonderstatusverhältnisses sind die zuständigen Behörden an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns auch hinsichtlich von Gesundheitsschutzmaßnahmen in den Schulen obliegt allein den Verwaltungsgerichten (so auch die aktuelle familiengerichtliche Rechtsprechung, z. B. zuletzt – unter ausdrücklicher Ablehnung der Auffassung des AG Weimar – AG Waldshut-Tiengen, Beschluss vom 13.04.2021, 306 Ar 6/21, Juris-Rdnr. 8).

Weiterer Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts Weimar bedarf es an dieser Stelle nicht. Sie sind dem Thüringer Oberlandesgericht als Rechtsmittelinstanz vorbehalten.“

Genaus das hat in einem Rechtsstaat zu passieren: Jeder entscheidet über das, für das er zuständig ist.

Ach so: In der Sache hat das VG den Antrag zurückgewiesen. Er sieht die Thüringer CoronaVO als wirksam an. Und:

„6.2. Bei der Auswahl der zu ergreifenden Maßnahme durfte der Antragsgegner das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung für Grundschüler (hier der Antragsteller zu 2.) und der medizinischen Gesichtsmaske für Schüler an der Klassenstufe 7 (hier der Antragsteller zu 1.) anordnen. Der Antragsgegner hält sich mit seiner Entscheidung im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens. Diese vom Antragsgegner gewählte Handlungsalternative ist vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis vertretbar und liegt deshalb innerhalb seines Einschätzungsspielraums (vgl. OVG Weimar, Beschluss vom 25.11. 2020, 3 EN 746/20, Juris-Rdnr. 53).“

OWi III: Vorbeifahren an drei Verkehrsbeschränkungen, oder: Erhöhung der Regelgeldbuße=

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zur Gledbußenhöhe. Das AG hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h eine gegenüber dem Regelsatz von 70 EUR erhöhte Geldbuße von 85 EUR festgesetzt. Die Erhöhung hatte das AG damit begründet, dass die die Beschränkung anordnenden Verkehrszeichen vor der Messstelle dreimal beidseitig wiederholt aufgestellt waren. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 08. 03.2021 – 4 OWi 6 SsRs 26/21 –  hatte keinen Erfolg:

„Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern.

Insbesondere ist ein sachlich-rechtlicher Verstoß nicht darin zu sehen, dass das Amtsgericht die Regelgeldbuße gemäß BKatV von 70,- Euro um 15,- Euro erhöht hat, weil es dem Betroffenen eine erhöhte Fahrlässigkeit angelastet hat.

In der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz wird die Frage, ob der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit handelt, wenn er mehrere beidseitig aufgestellte Verkehrszeichen ignoriert, ohne sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen, unterschiedlich beantwortet, wobei bislang – soweit ersichtlich – hierzu eine Senatsentscheidung noch nicht vorliegt.

Dies wird in einigen Entscheidungen des 1. und 2. Bußgeldsenats bejaht (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 1 OWi 6 SsRs 361/20 v. 25.11.2020; 1 OWi 6 SsRs 253/30 v. 02.10.2020; 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020; 1 OWi 6 SsBs 11/18 v. 08.06.2018). Demgegenüber ist in einer Entscheidung des links unterzeichnenden Einzelrichters des 3. Bußgeldsenats die Auffassung vertreten worden, dass durch ein solches Fehlverhalten der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht erhöht wird und deshalb eine darauf gestützte Erhöhung der Regelgeldbuße zu unterbleiben hat (OLG Koblenz, Beschl. 3 OWi 6 SsRs 299/20 v. 26.10.2020).

Der Senat entscheidet die Rechtsfrage jetzt dahingehend, dass in den besagten Fällen ein gegenüber dem Regelfall – dem achtlosen Vorbeifahren an nur einem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen – der Fahrlässigkeitsvorwurf als erhöht anzusehen ist, was es rechtfertigt, die Regelgeldbuße entsprechend zu erhöhen. An der anderslautenden Rechtsprechung des Einzelrichters des Senats vom 26. Oktober 2020 wird nicht mehr festgehalten.

Grundsätzlich sind die Regelsätze der BKatV für die Gerichte verbindlich, da sie Rechtssatzqualität haben (vgl. BeckOK-OWiG/Sackreuther, § 17 Rn. 111; KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 103). Dabei gehen die Bußgeldregelsätze für fahrlässiges Handeln von gewöhnlichen Fällen aus; ein Abweichen hiervon ist nur dann angezeigt, wenn außergewöhnliche, besondere Umstände vorliegen, die nicht dem durchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad entsprechen. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 3 OWiG, wonach Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf sind, der den Täter trifft.

Der individuelle Sorgfaltsverstoß, der dem Betroffenen hier anlastet, ist nach den Urteilsgründen des Amtsgerichts darin zu sehen, dass er trotz Kenntnis der im Messstellenbereich durch Zeichen 274 angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h sein Fahrverhalten sorgfaltswidrig nicht angepasst hat, obwohl er zuvor wiederholt durch die mehrfache Beschilderung mit dem gleichen Zeichen dazu angehalten worden ist. Diesem Verhalten liegt eine gegenüber dem Regelfall, der Nichtbeachtung nur eines Schildes, eine erhöhte Sorgfaltspflichtverletzung zugrunde.

Für einen erhöhten Sorgfaltsverstoß und die damit einhergehende besondere individuelle Vorwerfbarkeit sprechen zunächst Sinn und Zweck der Mehrfachbeschilderung. Nach Ziffer I. zu Zeichen 274 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) v. 26. Januar 2001 sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind. Dies gilt jedoch nur dann, wenn festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten wird. Im anderen Fall muss die geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit durchgesetzt werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen können sich im Einzelfall schon dann empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Maßgabe der voranstehenden Erwägungen der VwV-StVO angeordnet werden, wo Fahrzeugführer insbesondere in Kurven, auf Gefällstrecken und an Stellen mit besonders unebener Fahrbahn ihre Geschwindigkeit nicht den jeweiligen Straßenverhältnissen anpassen; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 % der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde.

Daraus folgt, dass ein Fahrzeugführer davon auszugehen hat, dass er sich mit seinem Fahrzeug auf einer besonders unfall- oder sonst gefahrenträchtigen Strecke befindet, wenn er ein geschwindigkeitsbeschränkendes Verkehrszeichen passiert. Der Erfolgsunwert seines Handels bzw. der Sorgfaltspflichtverstoß ist darin zu sehen, dass der Verkehrsteilnehmer, der die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht reduziert, die Gefahrenwarnung des Verkehrszeichens ignoriert und deshalb nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Ist eine Unfall- oder Gefahrenstelle – wie vorliegend – nicht durch ein, sondern durch mehrere, mit Abstand hintereinander aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen als solche besonders kenntlich gemacht, so wird dies einen verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer in besonderer Weise dazu veranlassen, vorsichtig zu fahren und sich durch einen Blick auf den Tachometer zu vergewissern, ob er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält bzw. sein Fahrverhalten entsprechend darauf einzustellen. Denn ein solcher Fahrer wird der Mehrfachfachbeschilderung die Warnung vor einer besonders gefährlichen und unfallträchtigen Stelle entnehmen. Ein Fahrer, der eine solche Beschilderungssituation ignoriert, handelt deshalb mit in zweifacher Hinsicht gesteigerter Fahrlässigkeit, denn er ignoriert nicht nur die Botschaft der besonderen Unfall- oder Gefahrenträchtigkeit, sondern dies auch nicht nur in einem kurzen Augenblick, sondern über einen längeren Zeitraum hin.

Der Sinn und Zweck der dreifach hinter einander aufgestellten Schilder ist auch im konkreten Fall darin begründet, dass unmittelbar auf die Messstelle ein Unfallschwerpunkt folgt, zu dessen Entschärfung die Geschwindigkeitsbeschränkung und die zu ihrer Überwachung aufgebaute stationäre Messanlage dienen. Ihr geht über mehrere Kilometer eine Gefällestrecke voraus, aus der die besondere Unfallgefährlichkeit des Streckenabschnitts erwächst. Dies ist dem Senat aus einer Vielzahl von diese Messstelle betreffenden Verfahren, aber auch aus eigener Anschauung bekannt.

Passiert der Betroffene, wie hier, auf einer mehrere Kilometer reichenden Gefällestrecke drei im Abstand hintereinander aufgestellte Verkehrszeichen, die er neben leicht erkennbaren Gegebenheiten wie dem Gefälle vor der Messstelle als Anhaltspunkt zur Überprüfung seiner gefahrenen Geschwindigkeit wahrnehmen muss, dann handelt er mit höherem Unwertgehalt als ein Fahrzeugführer, der lediglich ein die Höchstgeschwindigkeit anordnendes Verkehrsschild passiert, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen. Die Mehrfachbeschilderung in Verbindung mit der Gefällestrecke führt auch deswegen zum erhöhten Sorgfaltsverstoß, weil der betroffenen Fahrzeugführer durch das Gefälle mittels dauerhaften Betätigens der Bremseinrichtung aktiv auf die gefahrene Geschwindigkeit Einfluss nehmen muss (also nicht einfach den Fuß vom Gas nehmen kann).

Somit ist die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Linz am Rhein nicht zu beanstanden, wonach das Fehlverhalten in vorliegendem Fall vom Regelfall nach der BKatV in einem Maße nach oben abweicht, dass es nicht mehr einem mittleren Fahrlässigkeitsgrad zuzuordnen ist, sondern in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit aufrückt. Die Dreifachbeschilderung und die Streckenführung stellen besondere Begleitumstände dar, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen. Unter diesen Umständen belegt die Unkenntnis von der eigenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen gesteigerten Sorgfaltsverstoß des Betroffenen.

In der Erhöhung des Bußgeldes aufgrund der die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden, mehrfach wiederholten Beschilderung ist ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nicht zu sehen (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020). Denn nicht ein mehrfaches Überfahren der Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Messstelle hat das Tatgericht hier zum Anlass für die Erhöhung der Geldbuße genommen, sondern die Fehlleistung des Betroffenen, bei mehreren aufeinander folgenden Schildern die Gelegenheit sorgfaltswidrig versäumt zu haben, sein Fahrverhalten der besonderen Streckengefährlichkeit anzupassen.“