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OWi III: Vorbeifahren an drei Verkehrsbeschränkungen, oder: Erhöhung der Regelgeldbuße=

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zur Gledbußenhöhe. Das AG hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h eine gegenüber dem Regelsatz von 70 EUR erhöhte Geldbuße von 85 EUR festgesetzt. Die Erhöhung hatte das AG damit begründet, dass die die Beschränkung anordnenden Verkehrszeichen vor der Messstelle dreimal beidseitig wiederholt aufgestellt waren. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 08. 03.2021 – 4 OWi 6 SsRs 26/21 –  hatte keinen Erfolg:

„Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern.

Insbesondere ist ein sachlich-rechtlicher Verstoß nicht darin zu sehen, dass das Amtsgericht die Regelgeldbuße gemäß BKatV von 70,- Euro um 15,- Euro erhöht hat, weil es dem Betroffenen eine erhöhte Fahrlässigkeit angelastet hat.

In der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz wird die Frage, ob der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit handelt, wenn er mehrere beidseitig aufgestellte Verkehrszeichen ignoriert, ohne sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen, unterschiedlich beantwortet, wobei bislang – soweit ersichtlich – hierzu eine Senatsentscheidung noch nicht vorliegt.

Dies wird in einigen Entscheidungen des 1. und 2. Bußgeldsenats bejaht (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 1 OWi 6 SsRs 361/20 v. 25.11.2020; 1 OWi 6 SsRs 253/30 v. 02.10.2020; 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020; 1 OWi 6 SsBs 11/18 v. 08.06.2018). Demgegenüber ist in einer Entscheidung des links unterzeichnenden Einzelrichters des 3. Bußgeldsenats die Auffassung vertreten worden, dass durch ein solches Fehlverhalten der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht erhöht wird und deshalb eine darauf gestützte Erhöhung der Regelgeldbuße zu unterbleiben hat (OLG Koblenz, Beschl. 3 OWi 6 SsRs 299/20 v. 26.10.2020).

Der Senat entscheidet die Rechtsfrage jetzt dahingehend, dass in den besagten Fällen ein gegenüber dem Regelfall – dem achtlosen Vorbeifahren an nur einem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen – der Fahrlässigkeitsvorwurf als erhöht anzusehen ist, was es rechtfertigt, die Regelgeldbuße entsprechend zu erhöhen. An der anderslautenden Rechtsprechung des Einzelrichters des Senats vom 26. Oktober 2020 wird nicht mehr festgehalten.

Grundsätzlich sind die Regelsätze der BKatV für die Gerichte verbindlich, da sie Rechtssatzqualität haben (vgl. BeckOK-OWiG/Sackreuther, § 17 Rn. 111; KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 103). Dabei gehen die Bußgeldregelsätze für fahrlässiges Handeln von gewöhnlichen Fällen aus; ein Abweichen hiervon ist nur dann angezeigt, wenn außergewöhnliche, besondere Umstände vorliegen, die nicht dem durchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad entsprechen. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 3 OWiG, wonach Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf sind, der den Täter trifft.

Der individuelle Sorgfaltsverstoß, der dem Betroffenen hier anlastet, ist nach den Urteilsgründen des Amtsgerichts darin zu sehen, dass er trotz Kenntnis der im Messstellenbereich durch Zeichen 274 angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h sein Fahrverhalten sorgfaltswidrig nicht angepasst hat, obwohl er zuvor wiederholt durch die mehrfache Beschilderung mit dem gleichen Zeichen dazu angehalten worden ist. Diesem Verhalten liegt eine gegenüber dem Regelfall, der Nichtbeachtung nur eines Schildes, eine erhöhte Sorgfaltspflichtverletzung zugrunde.

Für einen erhöhten Sorgfaltsverstoß und die damit einhergehende besondere individuelle Vorwerfbarkeit sprechen zunächst Sinn und Zweck der Mehrfachbeschilderung. Nach Ziffer I. zu Zeichen 274 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) v. 26. Januar 2001 sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind. Dies gilt jedoch nur dann, wenn festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten wird. Im anderen Fall muss die geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit durchgesetzt werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen können sich im Einzelfall schon dann empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Maßgabe der voranstehenden Erwägungen der VwV-StVO angeordnet werden, wo Fahrzeugführer insbesondere in Kurven, auf Gefällstrecken und an Stellen mit besonders unebener Fahrbahn ihre Geschwindigkeit nicht den jeweiligen Straßenverhältnissen anpassen; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 % der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde.

Daraus folgt, dass ein Fahrzeugführer davon auszugehen hat, dass er sich mit seinem Fahrzeug auf einer besonders unfall- oder sonst gefahrenträchtigen Strecke befindet, wenn er ein geschwindigkeitsbeschränkendes Verkehrszeichen passiert. Der Erfolgsunwert seines Handels bzw. der Sorgfaltspflichtverstoß ist darin zu sehen, dass der Verkehrsteilnehmer, der die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht reduziert, die Gefahrenwarnung des Verkehrszeichens ignoriert und deshalb nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Ist eine Unfall- oder Gefahrenstelle – wie vorliegend – nicht durch ein, sondern durch mehrere, mit Abstand hintereinander aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen als solche besonders kenntlich gemacht, so wird dies einen verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer in besonderer Weise dazu veranlassen, vorsichtig zu fahren und sich durch einen Blick auf den Tachometer zu vergewissern, ob er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält bzw. sein Fahrverhalten entsprechend darauf einzustellen. Denn ein solcher Fahrer wird der Mehrfachfachbeschilderung die Warnung vor einer besonders gefährlichen und unfallträchtigen Stelle entnehmen. Ein Fahrer, der eine solche Beschilderungssituation ignoriert, handelt deshalb mit in zweifacher Hinsicht gesteigerter Fahrlässigkeit, denn er ignoriert nicht nur die Botschaft der besonderen Unfall- oder Gefahrenträchtigkeit, sondern dies auch nicht nur in einem kurzen Augenblick, sondern über einen längeren Zeitraum hin.

Der Sinn und Zweck der dreifach hinter einander aufgestellten Schilder ist auch im konkreten Fall darin begründet, dass unmittelbar auf die Messstelle ein Unfallschwerpunkt folgt, zu dessen Entschärfung die Geschwindigkeitsbeschränkung und die zu ihrer Überwachung aufgebaute stationäre Messanlage dienen. Ihr geht über mehrere Kilometer eine Gefällestrecke voraus, aus der die besondere Unfallgefährlichkeit des Streckenabschnitts erwächst. Dies ist dem Senat aus einer Vielzahl von diese Messstelle betreffenden Verfahren, aber auch aus eigener Anschauung bekannt.

Passiert der Betroffene, wie hier, auf einer mehrere Kilometer reichenden Gefällestrecke drei im Abstand hintereinander aufgestellte Verkehrszeichen, die er neben leicht erkennbaren Gegebenheiten wie dem Gefälle vor der Messstelle als Anhaltspunkt zur Überprüfung seiner gefahrenen Geschwindigkeit wahrnehmen muss, dann handelt er mit höherem Unwertgehalt als ein Fahrzeugführer, der lediglich ein die Höchstgeschwindigkeit anordnendes Verkehrsschild passiert, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen. Die Mehrfachbeschilderung in Verbindung mit der Gefällestrecke führt auch deswegen zum erhöhten Sorgfaltsverstoß, weil der betroffenen Fahrzeugführer durch das Gefälle mittels dauerhaften Betätigens der Bremseinrichtung aktiv auf die gefahrene Geschwindigkeit Einfluss nehmen muss (also nicht einfach den Fuß vom Gas nehmen kann).

Somit ist die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Linz am Rhein nicht zu beanstanden, wonach das Fehlverhalten in vorliegendem Fall vom Regelfall nach der BKatV in einem Maße nach oben abweicht, dass es nicht mehr einem mittleren Fahrlässigkeitsgrad zuzuordnen ist, sondern in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit aufrückt. Die Dreifachbeschilderung und die Streckenführung stellen besondere Begleitumstände dar, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen. Unter diesen Umständen belegt die Unkenntnis von der eigenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen gesteigerten Sorgfaltsverstoß des Betroffenen.

In der Erhöhung des Bußgeldes aufgrund der die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden, mehrfach wiederholten Beschilderung ist ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nicht zu sehen (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020). Denn nicht ein mehrfaches Überfahren der Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Messstelle hat das Tatgericht hier zum Anlass für die Erhöhung der Geldbuße genommen, sondern die Fehlleistung des Betroffenen, bei mehreren aufeinander folgenden Schildern die Gelegenheit sorgfaltswidrig versäumt zu haben, sein Fahrverhalten der besonderen Streckengefährlichkeit anzupassen.“