Archiv für den Monat: September 2020

Wochenspiegel für die 39. KW., das war ein wenig Corona, Atemalkohol, Dummschwätzer, krimminelle Probefahrt und Rennen

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Und dann zum Ausklang der 39. KW. der Wochenspiegel mit den Hinweisen auf Beiträge aus anderen Blogs. Da sind/waren.

  1. Kommt der Corona-Immunitätsausweis?,
  2. COVID-19-Pandemie: Flugreise bedarf Zustimmung des anderen Elternteils,

  3. Richterin schmeißt hin,

  4. OVG Saarland zur Atemalkoholmessung: Hohes Ergebnis trotz fehlender Anzeichen für Alkoholisierung spricht für Messfehler,

  5. BGH: Unterschlagung eines Autos während Probefahrt durch vermeintlichen Kaufinteressenten ,

  6. Dummschwätzige Experten,

  7. Regierungsentwurf zum Verbandssanktionengesetz: Doch keine Ablehnung durch den Bundesrat,

  8. OLG Brandenburg: Schild kann von überholtem Lkw verdeckt gewesen sein, selbst wenn dieser nicht auf dem Messfoto ist,

  9. Durfte die BamS Bild & Namen von Traumschiff-Kapitän abdrucken?,

  10. und aus meinem Blog: Verkehrsrecht II: Alleinrennen, oder: Höchst mögliche Geschwindigkeit

Haushaltsführungsschaden, oder: Nicht Tabellenwerk, sondern „individuelle Lebensumstände“ als Grundlage

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Urt. v. 22.05.2020 – 22 U 699/19 – zur Bemessung und zum Prozessvortrag für die Bemessung eines Haushaltsführungsschadens Stellung genommen:

2. Im Ergebnis des Verfahrens sind genügten Anknüpfungstatsachen für eine gerichtliche Schadensschätzung (§ 287 ZPO) festgestellt.

a) Darlegung- und beweisbelastet für Grund und Höhe des Anspruchs ist die Klägerin. An deren Vortrag sind jedoch keine überspannten Anforderungen zu stellen (BGH, Urteil vom 19. September 2017 – VI ZR 530/16 –, NJW 2018, 864 Rn. 20; Seiler, in: Thomas/Putzo, 40. Aufl. 2019, § 287 Rn. 5, 9). Werden keine konkreten Umstände vorgetragen, muss sich die Klägerin als Anspruchsteller allerdings mit einer Mindestschätzung zufriedengeben (Pardey, Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl. 2018, S. 52; Schah Sedi, Praxishandbuch Haushaltsführungsschaden, 2017, Rn. 16; Abschlag von 10 % auf die Tabellenwerte OLG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2018 – 12 U 223/17 –, juris Rn. 4).

aa) Der Haushaltsführungsschaden kann nicht anhand von Tabellenwerken in entindividualisierter Weise berechnet werden. Er muss vielmehr stets bei der konkreten Lage der individuell betroffenen Person und deren individuellen Lebensumständen ansetzen. Eine Berechnung allein anhand statistischer Durchschnitte zu den Arbeitszeiten und ohne Reflexion zu den einzelnen Arbeitsbereichen und mit abstrakten Behinderungsgraden ist nicht möglich. Eine Berechnung allein anhand der Tabelle würde den hier relevanten Vermögensschaden unzulässigerweise dem immateriellen Schaden nach § 253 BGB annähern (Pardey, a.a.O, S. 53 f.; zur Relevanz einer rein tabellengestützten Schadensberechnung in der außergerichtlichen Regulierungspraxis Schah Sedi, a.a.O., Rn. 13). Über diese rechtsdogmatische Erwägung hinaus ist dies auch Folge fehlender systematischer und nachvollziehbarer Tabellenwerke, die jenseits eines konkreten Sachverhalts zuverlässige Anhaltspunkte für eine tatrichterliches Schätzung (§ 287 ZPO) oder Berechnung des Haushaltsführungsschadens bieten würden.

Der Bundesgerichtshof hat es zwar in der Vergangenheit unbeanstandet gelassen, wenn sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Schätzung mangels konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung auf ein anerkanntes Tabellenwerk und die dort angegebenen Erfahrungswerte, namentlich auf das Werk von Pardey, stützt (BGH, Urteile vom 29. März 1988 – VI ZR 87/87 –, juris Rn. 13; und vom 3. Februar 2009 – VI ZR 183/08 –, juris Rn. 5). Diese Rechtsprechung erlaubt aber nicht, auf die Geltendmachung einzelfallbezogener Tatsachen ganz zu verzichten (OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2019 – I-9 U 102/18 –, juris Rn. 36).

Inzwischen sind die verfügbaren Tabellenwerke überdies intensiver Kritik ausgesetzt. Sie bieten aus sich heraus keine hinreichende Grundlage für eine Schadensschätzung (§ 287 ZPO). Sie mögen Erfahrungssätze bilden, die ein Tatgericht nicht unberücksichtigt lassen kann. Die etwa im Werk von Pardey (Haushaltsführungsschaden) angegebenen Arbeitszeiten sind aber oft willkürlich gewählt, nicht empirisch abgesichert und werden der heutigen Lebenswirklichkeit oft nicht gerecht (zur Kritik an den verfügbaren Tabellenwerken OLG Celle, Urteil vom 26. Juni 2019 – 14 U 154/18 –, juris Rn. 162-170, zu den Tabellen von Pardey Rn. 163-168, zu den Tabellen von Schah Sedi Rn. 170; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 41-44). Die Tabellenwerke können daher nicht zur Begründung des Ersatzanspruchs der Höhe nach herangezogen werden, sondern lediglich zur Prüfung der Plausibilität der Angaben der Geschädigten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Januar 2019 – 1 U 158/16 –, juris Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 40, 45; OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2019 – I-9 U 102/18 –, juris Rn. 36; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juni 2017 – 1 W 23/17 (PKH) –, juris Rn. 22; vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, juris Rn. 2; HansOLG Hamburg, Urteil vom 8. November 2019 – 1 U 155/18 –, juris Rn. 85) und sind vom Tatgericht in jedem Einzelfall kritisch zu hinterfragen.

bb) Für die gerichtliche Geltendmachung eines Haushaltsführungsschadens ist daher es erforderlich, die Größe des Haushalts und die Dauer der betroffenen Tätigkeiten anzuführen, die der Geschädigte durch seine Verletzung nicht mehr ausführen konnte oder worin er beeinträchtigt war (OLG Dresden, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, juris Rn. 2; OLG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2018 – 12 U 223/17 –, juris Rn. 4; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02. Januar 2019 – 1 U 158/16 –, juris Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 37). Vorzutragen sind die konkrete Arbeitsleistung des Geschädigten vor dem Schadensereignis einschließlich der verwendeten Zeit, welche konkreten Tätigkeiten nach dem Schadensereignis nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeführt werden können, die zeitliche Differenz für die Tätigkeit nach dem Schadensereignis, die Umverteilung der Arbeit in der Familie und Angaben zu Größe und Ausstattung des Haushalts sowie zum Familieneinkommen (Schah Sedi, a.a.O.; Pardey, a.a.O., S. 52).

Dieser Umfang der notwendigen Darlegungen folgt aus den gerichtlichen Bemessungsmethoden für den Haushaltsführungsschaden. Hierfür stehen grundsätzlich gleichwertig die Differenz- und die Quotenmethode zur Verfügung (zu diesen beiden Berechnungsmethoden Pardey, Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl., S. 98 ff.; Schah Sedi, a.a.O., § 2 Rn. 9). Nach der Differenzmethode ergibt sich der Haushaltsführungsschaden aus der Differenz zwischen der vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandten Zeit und entweder dem nach dem Schadensereignis für das gleiche Ergebnis erforderlichen Zeitaufwand (Mehrbedarf) oder der nach dem Schadensereignis noch zumutbaren Zeit für die Haushaltsführung. Nach der Quotenmethode ergibt er sich ausgehend von der vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandten Zeit aus dem Verhältnis, in dem die Fähigkeit zur Haushaltsführung durch das Schadensereignis gemindert ist.

Grundlage der Schadensermittlung ist damit unabhängig von der Berechnungsmethode die vom Geschädigten vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandte Zeit. Diese wird von den individuellen Verhältnissen geprägt. Namentlich kommt es auf die Größe des Haushalts nach Anzahl, Alter und Anwesenheit der zum Haushalt gehörenden Personen und der Wohn- und ggfs. der zugehörigen Gartenfläche, auf das Haushaltseinkommen, auf die Verteilung der Hausarbeit zwischen den zum Haushalt gehörenden Personen, auf die technische Ausstattung des Haushalts einschließlich des Maßes, in dem vorhandene technische Geräte (z.B. Kaffeemaschine, Mikrowelle, Thermomix, Brotbackautomat, Geschirrspüler, Waschmaschine, Trockner, Bügelautomat, Nähmaschine, Staubsauger, Saugroboter) tatsächlich genutzt werden, auf die Ernährungsgewohnheiten nach Anzahl und Ausführung der Mahlzeiten einschließlich der Zahl der teilnehmenden Haushaltsangehörigen und den Umfang der unentgeltlichen Hilfe zugunsten Dritter an. Die Substantiierung dieser Angaben erfordert zudem Ausführungen dazu, wie sich die Zeiten der Hausarbeit unter Berücksichtigung weiterer Aktivitäten (Schlaf, Erwerbsarbeit, Pausen, Hobbys, Sport, Entspannung, soziale Kontakte, Ehrenämter) in den Tagesablauf des Geschädigten einfügen.

b) Diesen Anforderungen genügte die Klägerin zunächst nicht vollauf. Im Ergebnis der Vernehmung der Geschädigten und ihres Ehemannes durch das Landgericht kann die Höhe des Haushaltführungsschadens allerdings geschätzt werden…..“

Corona: Fahrzeugdesinfektion nach Unfallreparatur, oder: Kostenerstattung?

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Heute dann zwei Entscheidungen zur Unfallschadenabwicklung.

Und in dem Kontext stelle ich zunächst das AG Heinsberg, Urt. v. 04.09.2020 – 18 C 161/20 – vor, das der Kollege Frese aus Heinsberg erstritten hat. Der Kollege hat das Urteil ja auch schon auf seiner Homepage vorgestellt. Da habe ich es mir „geklaut“ 🙂 .

Gestritten worden ist um die Kosten einer Fahrzeugdesinfektion. Die waren nach der Reparatur eines Unfallschadens von dem Autohaus, das die Reparatur ausgeführt hatte, in Rechnung gestellt worden. Das AG sagt – anders als die Versicherung: Diese Kosten sind zu zahlen:

Es ist unstreitig, dass der klägerische Pkw am 09.06.2020 bei einem allein schuldhaft durch den Fahrer eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw verursachten Verkehrsunfall beschädigt worden ist.

Der Höhe nach hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Betrags von 60,87 €. Der Kläger hat die unfallbedingten Schäden seines Pkw von der Autohaus GmbH reparieren lassen. Für die Reparatur sind ihm Kosten von insgesamt 3.262,39 € brutto in Rechnung gestellt worden. Die Beklagte hat diese Rechnung um einen Betrag von 60,87 € gekürzt und lediglich den Restbetrag an den Kläger erstattet. Es besteht jedoch ein Anspruch des Klägers auf Vollständigen Ausgleich der Reparaturkostenrechnung der Fa. GmbH. Es sind auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Eine solche ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig. Der Betrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, sondern für den anfallenden Materialund Arbeitseinsatz angemessen (§ 287 ZPO).“

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das „Zusammenspiel“ von Beratungshilfe und Grundgebühr?

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Und zum Tagesschluss dann die Gebührenfrage, die sich heute mit der Beratungshilfe und/oder der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG befasst. Es geht um Folgendes:

Sehr geehrter Herr Burhoff,

zu o.g. Problematik bitten wir um Ihre Mithilfe.

Kann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entstehen, wenn der Rechtsanwalt zunächst im Rahmen der Beratungshilfe (Akteneinsicht + Beratung) tätig war?

Im konkreten Fall war der Rechtsanwalt im Ermittlungsverfahren im Rahmen der Beratungshilfe beauftragt, Akteneinsicht zu nehmen und den Mandanten zu beraten. Da zwischenzeitlich Anklage erhoben worden war, erhielten wir die Akteneinsicht vom Gericht I. Instanz. Danach war kein Verteidigungsauftrag erteilt worden.

Durch das Gericht II. Instanz wurde der Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt. Abgerechnet wurden die Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr unter Anrechnung der Beratungshilfegebühr (35,- €).

Das Gericht schreibt nunmehr:

„Im vorliegenden Verfahren wurden Sie vom Landgericht Zwickau in 2. Instanz als Pflichtverteidiger bestellt. Die Beiordnung gern. § 48 Abs. 6 Satz 2 RVG bezieht sich nur auf die Tätigkeit in diesem Rechtszug. Gem. Kommentar Burhoff 5. Auflage Rn. 13, 15, 16 zu § 48 Abs. 6 RVG sind da­her nur die Gebühren und Auslagen des Berufungsverfahrens erstattungsfähig. Die Grundge­bühr VV 4100 RVG kann nicht erstattet werden, vgl. Burhoff 5. Auflage Rn. 14, 15, 16 + Hin­weis zu § 48 Abs. 6 RVG.“

(In einem Telefonat äußerte die Rechtspflegerin ergänzend, dass bei Beratungshilfe die Grundgebühr nicht entstehen könne.)

In Ihrem Kommentar schreiben Sie zu Nr. 4100 VV, Rn. 22, dass für das Entstehen der Grundgebühr die Übernahme des (Voll-)Mandats Voraussetzung ist. Daher kann die Gebühr m.E. unter Anrechnung der Beratungshilfe anfallen. Oder steht dem die Vorbefassung / erstmalige Einarbeitung entgegen? (Wenn dem so wäre, würden wir uns mit Beratungshilfe selbst um die Grundgebühr beschneiden?)“

Aktenversendungspauschale, oder: Wie ist das bei elektronischer Aktenführung?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den AG Rottweil, Beschl. v. 27.08.2020 – 5 OWi 259/20. Die habe ich mir beim Kollegen Gratz vom VerkehrsrechtsBlog „geklaut“. Das AG nimmt zum Anfall der Aktenversendungspauschale (§ 107 Abs. 5 OWiG) in den Fällen der elektronischen Aktenführung gemäß § 110a Abs. 1 OWiG Stellung. Deren Anfall hatten die meisten AG, die sich mit der Frage befasst haben, in der letzten Zeit verneint. Das AG Rottweil sieht das für Baden-Württemberg anders:

„Der nach § 108 Abs. 1 Nr. 3 OWiG zulässig erhobene Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet abgewiesen.

1. Nach § 107 Abs. 5 OWiG kann von demjenigen, der – wie der Rechtsanwalt des Betroffenen mit Schreiben vom 08.07.2020 – die Versendung einer Akte beantragt, eine Auslagenpauschale in Höhe von 12,00 € erhoben werden. Hierbei ist die Akteneinsicht in der durch § 32f StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG vorgeschriebenen Form zu gewähren.

2. In der Rechtsprechung etlicher Amtsgerichte ist insoweit anerkannt. dass bei mangelhafter oder unvollständiger Aktenführung die Auslagenpauschale nicht zu erstatten bzw. erst dann fällig wird, wenn Akteneinsicht im Rechtssinne gewährt worden ist (Vgl. Hierzu beispielsweise: AG Eutin Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09 und AG Soest. Beschl. vom 14.09.2016 – 21 OWi 295/16).

Die Versendung eines Aktenauszugs, d.h. eines Teils der Akte, hat daher nicht das Entstehen der Aktenversendungspauschale zur Folge, da diese nur entsteht, wenn das Begehren auf Akteneinsicht vollständig gewährt worden ist (AG Gelnhausen, Beschl. v. 5.3.2018 – 44 OWi 57/17).

In diesem Zusammenhang ist weiterhin anerkannt, dass die Erhebung der Aktenversendungspauschale bei einer elektronisch geführten Akte zwingend voraussetzt, dass der Aktenauszug den von § 110 d OWiG a.F. aufgestellten Voraussetzungen genügt und einen zusätzlichen Vermerk betreffend die qualifizierte Signatur des elektronischen Dokuments aufweisen muss (AG Lüdinghausen NStZ 2016, 163, beck-online ). Als zwingend wurde es insoweit insbesondere angesehen, dass das elektronische Dokument nach § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. den Vermerk enthält, wann und durch wen die Unterschrift übertragen worden ist (AG Eutin Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09).

Dieser Rechtsprechung ist insoweit zuzustimmen, als dass durch § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. nachträglich die Feststellung ermöglicht werden sollte, wann und durch wen die Urschrift in elektronische Form übertragen worden ist (BeckOK OWiG/Valerius, OWiG § 110b Rn. 4). Zweck dieser Rechtsprechung war es demnach die Behörden dazu anzuhalten, die Vorgaben zu der Führung einer elektronischen Akte zu beachten. Gerade mit Blick auf den Zweck des § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F., der dazu diente die Korrespondenz zwischen Urschrift und Scan – der letztlich Gegenstand des nachfolgenden Verfahrens werden wird – sicherzustellen.

Die zu § 110b OWiG aF und § 110d OWiG aF ergangene Rechtsprechung , die die Pflicht zur Zahlung der Gebühr bei mangelhafter oder unvollständiger Aktenführung verneinten, ist dem Grunde- auch nach der Novellierung der Normen weiterhin anwendbar (Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 110c Rn. 15).

3. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch insoweit von der zuvor zitierten Rechtsprechung, als dass weder eine Verfahrensvorschrift verletzt wurde, der eine dem § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F vergleichbare Bedeutung zukommt, noch dass die Aktenausdrucke lückenhaft übersendet worden sind.

a) Auch wenn in Baden-Württemberg noch keine Rechtsgrundlage für die elektronische Führung von Akten erlassen worden ist (AG Bühl, Beschl vom 31.07.2020 – 1 OWi 41 /20, das i.E. allerdings anderer Ansicht ist), führt dies – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht zu dem Entfallen der Aktenversendungspauschale.

b) Das OLG Koblenz Beschl. v. 6.9.2016 – 1 OWi 3 SsRs 93/16 stelle für das Bundesland Rheinland-Pfalz fest, dass die Zentrale Bußgeldstelle die digitale Aktenführung ohne Rechtsgrundlage betreibt, da die nach jetziger Rechtslage gem. § 110a OWiG erforderliche Rechtsverordnung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erlassen worden ist.

Allerdings stellte das OLG Koblenz ebenfalls fest, dass diese Feststellung nicht dazu führt, dass ein Bußgeldbescheid, der seine Grundlage in einer elektronisch geführten Akte hat, und der mit der dortigen EDV-Anlage in Papierform hergestellt worden ist, alleine deshalb unwirksam ist bzw. alleine deshalb nicht Grundlage einer Verurteilung auf Grundlage des OWiG sein kann.

Nichts anderes kann in dem Ergebnis gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall kein Bußgeldbescheid, sondern ein selbstständiger Kostenbescheid seine Grundlage in einer elektronisch geführten Akte findet. Ebenso wie ein derartiger Bußgeldbescheid Grundlage einer bußgeldrechtlichen Ahndung sein kann, kann ein selbstständiger Kostenbescheid Grundlage für die Anforderung der Aktenversendungspauschale sein und führt nicht pauschal zu der Unwirksamkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Kostenbescheids.

c) In Anwendung der zuvor entwickelten Grundsätze, ist maßgeblich für die Abweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, dass die elektronische Akte weder mangelhaft geführt noch unvollständig übermittelt worden ist.

Auch von Seiten des Antragstellers werden keine diesbezüglichen Mängel an der Aktenführung vorgebracht. Insbesondere wurde gegen keine Norm verstoßen, der eine ähnlich hohe Bedeutung wie § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F zukommen würde, dessen Aufgabe es war die Integrität der elektronisch geführten Akte sicherzustellen.

Gerügt wird einzig das Fehlen der gem. § 110a OWiG erforderlichen Rechtsverordnung. Sofern von Teilen der Rechtsprechung die Anforderung an die elektronische Führung von Akten nun dahingehend verschärft wird, dass eine Aktenverendungspauschale nur gefordert werden können soll, wenn die Akte zulässigerweise, d.h. auf Grundlage einer Rechtsverordnung geführt wird, folgt das erkennende Gericht dieser Auffassung – aus den zuvor genannten Gründen- nicht (a.A. bspw. AG Pirmasens Beschl. v. 13.4.2017- 1 OWi 424/16).“