Archiv für den Monat: August 2020

BVerfG II: Frist zum Stellen von Beweisanträgen, oder: Das BVerfG zweifelt

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Die zweite BVerfG-Entscheidung, der BVerfG, Beschl. v. 08.05.2020 – 2 BvR 1905/19 -, betrifft due Frist zum Stellen von Beweisanträgen (§ 244 Abs. 6 StPO).

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen – leider 🙂 – macht aber eine ganz interessante „Anmerkung“ zu § 244 Abs. 6 StPO:

„Zwar erscheint es zweifelhaft, ob die Auslegung des § 244 Abs. 6 StPO in den angegriffenen Entscheidungen, wonach eine Frist zum Stellen von Beweisanträgen wirksam bleibt, wenn das Gericht – wie im vorliegenden Fall – nach der Fristsetzung erneut in die Beweisaufnahme eintritt, dem Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) genügt (vgl. auch BT-Drucks 18/11277, S. 35; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 244 Rn. 99; Krehl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 87e; Börner, JZ 2018, S. 232 <239>).

Jedoch hätte die Beschwerdeführerin im Wege der Glaubhaftmachung nach § 244 Abs. 6 Satz 4 StPO a.F. (§ 244 Abs. 6 Satz 5 StPO n.F.) vorbringen können und müssen, dass zum einen die Stellung des Beweisantrags vom 15. Juni 2018 vor der Fristsetzung vom 15. Februar 2018 nicht möglich war, weil er sich auf die Einlassung des Mitangeklagten in den Hauptverhandlungsterminen vom Mai 2018 bezog, und dass zum anderen die Fristsetzung mit dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme gegenstandlos geworden ist. Hierdurch hätte eine Zurückweisung des Beweisantrags erst im Urteil möglicherweise verhindert werden können.

Darüber hinaus hätte die Beschwerdeführerin die dargelegte Verletzung ihres Rechts auf ein faires und rechtstaatliches Verfahren mit der Einlegung des Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO gegen das Unterlassen der Bescheidung des Beweisantrages im Hauptverhandlungstermin vom 15. Juni 2018 verhindern können (vgl. Schneider, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 238 Rn. 12; Becker, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2020, § 238 Rn. 18, jeweils m.w.N.).

Schließlich hat es die Beschwerdeführerin versäumt, das Anhörungsrügeverfahren nach § 356a Satz 1 StPO durchzuführen, soweit der Bundesgerichtshof – insoweit dem Generalbundesanwalt folgend – angenommen hat, die Beschwerdeführerin hätte mit dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO bereits gegen die Fristsetzung vom 15. Februar 2018 vorgehen müssen. Eine solche Anhörungsrüge wäre nicht offensichtlich aussichtslos gewesen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>; BVerfGK 11, 390 <393>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Oktober 2014 – 2 BvR 1569/12 -, Rn. 9 f.).“

BVerfG I: Klageerzwingungsverfahren, oder: Nicht mehr nachvollziehbare Beweiswürdigung

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Die 34. KW. eröffne ich mit zwei BVerfG-Entscheidungen.

Die erste, der BVerfG, Beschl. v. 23.03.2020 – 2 BvR 1615/16 – betrifft das Klageerzwingungsverfahren. Dort war eine Verfassungsbeschwerde gegen die Einstellung von Ermittlungen wegen des Todes eines Kindes nach einer Operation erfolgreich. Das BVerfG „beanstandet“ die Beweiswürdigung:

„Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 30. Mai 2016 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausformung als Willkürverbot (a), da die Beweiswürdigung wesentliche Aspekte der zur Verfügung stehenden Beweismittel unberücksichtigt lässt und hierfür ein vernünftiger Grund nicht erkennbar ist (b).

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind zwar Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt jedoch unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. August 1996 – 2 BvR 1304/96 -, NJW 1997, S. 999 <1000>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2017 – 2 BvR 2584/12 -, Rn. 27).

b) Ein solcher Verstoß gegen Art. 31 GG liegt dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 30. Mai 2016 zugrunde. Soweit das Oberlandesgericht zu der Annahme gelangt ist, dass allein die Anästhesistin für die postoperative Überwachung verantwortlich und damit nur sie verpflichtet war, im Vorfeld der Operation über die sich hieraus ergebenden Risiken aufzuklären, ist die Beweiswürdigung nicht mehr nachvollziehbar und willkürlich.“

„Nicht mehr nachvollziehbar und willkürlich“ liest sich nicht so schön für das OLG. 🙂 .

Sonntagswitz: Mal wieder mit/zu/von Kindern

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Und dann heute als Sonntagswitze seit längerem mal wieder etwas zu/von/mit Kindern:

Peter sieht zu, wie seine kleine Schwester aus einer Pfütze Wasser trinkt. „Das darfst du nicht tun. Davon kann man krank werden, weil in der Pfütze Bakterien sind!“

Darauf seine Schwester: „Die sind längst alle tot. Ich bin vorher mir dem Roller durchgefahren!“


Der Fuchs hat ein paar Hühner gestohlen.

„Siehst du Dirk“, sagt die Mutter, „die waren ungezogen und deshalb hat der Fuchs sie gefressen!“

„Ja, und wenn sie brav geblieben wären, dann hätten wir sie gegessen!“


„Papa, warum ist im Ozean soviel Wasser?“

„Ist doch ganz klar: Weil sonst die Schiffe zufiel Staub aufwirbeln würden!“


„Mutti, gib mir bitte einee Euro für den armen alten Mann!“

„Hier hast du einen Euro. Du hast ein gutes Herz. Wo steht denn der Mann?“

„An der Ecke und verkauft Eis.“

Wochenspiegel für die 33. KW., das war Rohmessdaten, FC Köln, VW-Skandal und Verkehrsschild übersehen

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Hier dann am Ende dieser „warmen Woche“, die uns dann wohl den Beginn der sog. „zweiten Welle“ gebracht hat, der allsonntägliche Wochenspiegel mit der Eingangsfrage: Wenn ich die Berichte im TV – Staatsfernsehen natürlich 🙂 – über Spanienurlaube usw. sehe, frage ich mich: Warum muss ich da jetzt eigentlich noch hinfliegen? Gibt es nicht genügend andere Ziele/Möglichkeiten, zumal wenn es eine Reisewarnung für die Zielregion gibt. Und wenn das dicke Ende dann kommt, kann man nur sagen: Selbst schuld.

So, jetzt aber dann die Listung der Beiträge aus der vergangenen Wochen. Und zwar:

  1. Volltext BGH liegt vor: Keine Deliktszinsen Käufer von VW-Schummeldiesel – Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch komplett aufzehren,
  2. AG Schwetzingen: Anwaltskosten für DGSVO-Auskunft auch ohne Verzug zu erstatten,

  3. OLG Zweibrücken befragt PTB zur Aussagekraft von Messreihe und Statistikdatei,

  4. aber : OLG Bremen zum Recht auf Einsicht in (Roh-)Messdaten – sie wollen einfach nicht,

  5. „Verbotene Gegenstände“,

  6. BVerfG: Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit gilt auch im Wettbewerbsrecht,
  7. und für die Fußballfans 🙂 : OLG Köln: FC Köln muss keine Millionnen-Provision für Vermittlung von Anthony Modeste bezahlen ,
  8. Standardvertragsklauseln: Anforderungen an den Datentransfer in die USA,

  9. AG Bühl: Bußgeldakten dürfen in Baden-Württemberg noch nicht elektronisch geführt werden,

  10. und aus meinem Blog: OWi II: “Ich habe das Verkehrsschild übersehen”, oder: Wenn das AG der Einlassung des Betroffenen glaubt.

Was fällt auf? Kein Corona 🙂 .

Fahrtenbuchauflage, oder: War die Feststellung des Fahrers „unmöglich“?

Und als zweite Samstagsentscheidung aus dem Themenkreis Verwaltungsrecht dann der OVG Münster, Beschl. v. 20.05.2020 – 8 A 4299/19. Er hat mal wieder Fragen in Zusammenhang mit einer Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) zum Gegenstand, und zur Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung und zur Mitwirkungsobliegenheit.

Ich beschränke mich hier auf den ausführlichen Leitsatz der Entscheidung

Unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist die Feststellung des verantwortlichen Fahrers dann, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ein Ermittlungsdefizit der Behörde liegt nicht ohne weiteres schon dann vor, wenn die Bußgeldbehörde den Fahrzeughalter über den Misserfolg ihrer bisherigen Ermittlungsbemühungen nicht in Kenntnis gesetzt und zu einer weitergehenden Mitwirkung an der Aufklärung aufgefordert hat. Hierzu kann sie mit Blick auf die Kürze der Verfolgungsverjährungsfrist und das Gebot der Angemessenheit ihrer Ermittlungsbemühungen allenfalls dann gehalten sein, wenn die Gesamtumstände den Schluss zulassen, dass eine erneute Kontaktaufnahme mit dem Fahrzeughalter die Ermittlungen tatsächlich fördern könnte. Allein die – immer gegebene – nur abstrakte Möglichkeit, eine erneute Anhörung oder sonstige Beteiligung des Halters könnte diesen überhaupt oder zu einer weitergehenden Mitwirkung veranlassen, genügt dafür nicht.