Archiv für den Monat: Juli 2020

Terminsgebühr für den „geplatzten Termin“, oder: Telefonische Terminsabstimmung ohne Ladung

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Heute ist „Gebührenfriday“. Ich stelle an ihm dann zwei AG-Entscheidungen zum Gebührenrecht vor, beide positiv, was dann ja mal erfreut.

Ich starte mit dem AG Hamburg-Harburg, Beschl. v. 03.04.2020 – 620 Ls 192/18 6106 Js 650/17.

Der UdG hatte zugunsten des Kollegen  Ebrahim-Nesbat aus Hamburg, der als Pflichtverteidiger in der Sache tätig war, eine Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG i.V.m. Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG festgesetzt. Das hatte der Bezirksrevisor mit der Erinnerung beanstandet. Die Erinnerung hatte beim AG keinen Erfolg:

„Der Bezirksrevisor beanstandet mit der Erinnerung allein die Festsetzung der Terminsgebühr (VV 4108 RVG) für den abgerechneten – nicht durchgeführten/entstandenen – Verhandlungstermin am 13.03.2019.

Die Erinnerung ist unbegründet.

Gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 3 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG entsteht die Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Der Rechtsanwalt erhält die Terminsgebühr demnach allerdings auch, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet. Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist.

Hier erschien der Verteidiger zu einem anberaumten Termin, der nicht stattfand, ohne dass er rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt worden wäre. Denn am 23.01.2019 stimmte der Unterzeichner als Vorsitzender in hiesiger Strafsache mit dem Verteidiger telefonisch einen Hauptverhandlungstermin für den 13.03.2019 in der Zeit von 9:45 bis 12:00 Uhr ab. Damit war ein Termin im Verhältnis zum Verteidiger im Sinne von § 213 StPO anberaumt worden. Dass es zur Durchführung dieses Termins nicht kam und dazu auch nicht geladen wurde, steht dieser Anberaumung des Termins nicht entgegen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verteidiger zuvor Kenntnis davon erlangt hätte, dass am 13.03.2019 kein Hauptverhandlungstermin durchgeführt werden würde. Eine Kommunikation darüber hat zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden oder einem anderen Mitarbeiter des Gerichts nach dem – den Termin anberaumenden – Telefonat vom 23.01.2019 bis zum Erscheinen des Verteidigers am 13.03.2019 nicht stattgefunden.2

Die Entscheidung ist zutreffend. Ich frage mich bei solchen Entscheidungen dann immer, ob Bezirksrevisoren eigentlich nichts anderes zu tun haben, als solche Fragen zu problematisieren. Warum soll ein „nur“ telefonisch abgesprochener Termin kein „anberaumter Termin“ sein? Das kann man dann doch auch mal schlucken….

Beweisantrag III: Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages wegen Prozessverschleppung, oder: Nicht erst im Urteil

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Die dritte und letzte Entscheidung des Tages enthält dann etwas Neues. Der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.07.2020 – 1 Ss 90/20, den mir der Kollege Koop aus Lingen geschickt hat, ist nämlich, soweit ich das sehen, die erste Entscheidung die sich mit der Einfügung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“, BGBl I, S. 2121, befasst. Stichwort: Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung. Von daher also etwas Neues.

In der Sache ein im Grunde ganz einfacher Sachverhalt: Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung im Rahmen einer Auseinandersetzung zweier verfeindeter Familien verurteilt. Er hat bestritten, den Geschädigten geschlagen zu haben. Der Schlag wird aber von einem Polizeibeamten, der mit einer Kollegin zu der Schlägerei hinzu gerufenen worden ist, bekundet. Der Verteidiger stellt dann im Plädoyer einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Kollegin. Den lehnt  das Gericht (erst) im Urteil wegen Prozessverschleppung ab. Dagegen die Revision, die beim OLG Erfolg hatte:

„Der Senat kann nicht ausschließen, dass diese Feststellungen auf den mit der Revision geltend gemachten Verfahrensfehlern beruhen.

1. Zu Recht rügt die Revision, das Landgericht habe einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Polizeianwärterin pp. zu Unrecht wegen Prozessverschleppung abgelehnt.

a) Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

In seinem Schlussvortrag vor dem Landgericht beantragte der Verteidiger des Angeklagten, für den Fall, dass die Kammer die Schuld des Angeklagten so festzustellen beabsichtige, wie es das Amtsgericht getan habe, die PKA’in pp. PK Nordhorn, als Zeugin zu laden. Diese werde bekunden, dass sie den Angeklagten nicht als Person erkannt habe, die auf den Zeugen pp. einwirkte, sondern dass er in deutlicher Entfernung vom Pkw des pp. an der dort befindlichen Tankstelle gewesen sei, und zwar während des Zeitraums, in dem der Zeuge pp., an seinem Fahrzeug sich befunden habe.

Diesen Antrag hat die Strafkammer im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt.

Unabhängig davon, dass der Antrag keine Angaben darüber enthalte, weshalb die Polizeianwärterin pp. dieses Geschehen wahrgenommen haben solle (§ 244 Abs. 3 a.E StPO), würde diese Beweisaufnahme nicht Sachdienliches zu Gunsten des Angeklagten erbringen. Denn der Zeuge pp. habe bekundet, seine Kollegin pp sei nach dem Einsatz nichtmals in der Lage gewesen, einen Einsatzbericht zu verfassen. Es sei ihr erster Einsatz im Polizeidienst gewesen und sie sei von der Situation völlig überwältigt und überfordert gewesen. Tatsächlich befinde sich kein Bericht von Frau pp- in der Akte. Da der Zeuge pp. diese Erklärung auf Nachfrage des Verteidigers abgegeben habe, sei dem Verteidiger auch bewusst gewesen, dass sein Antrag nichts Sachdienliches würde erbringen können. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte in seiner Einlassung gerade in Abrede genommen habe, bei der Tankstelle gewesen zu sein, sondern sich vielmehr so eingelassen habe, sich von seiner Wohnanschrift direkt ins Getümmel zu seinem Bruder begeben zu haben und dort festgenommen worden zu sein. Der Zeuge pp. habe erklärt, sich völlig sicher zu sein, dass der Angeklagte auf pp. eingeschlagen habe. In einer Gesamtschau habe der Antrag damit allein den Zweck der Verschleppung des Verfahrens gedient, § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO.

b) Die Vorgehensweise des Landgerichts erweist sich bereits deshalb als unzulässig, weil eine Ablehnung des Beweisantrags erst im Urteil unzulässig war.

Zwar bedarf regelmäßig ein vom Angeklagten oder seinem Verteidiger im Rahmen der Schlussausführungen gestellter Hilfsbeweisantrag, den das Gericht für unbegründet hält, keiner gesonderten Bescheidung durch besonderen Beschluss; er kann vielmehr in den Urteilsgründen behandelt und abgelehnt werden.

Für das bis zur Änderung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. 1, S. 2121) geltende Recht sollte dieses nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber nicht gelten, wenn ein Hilfsbeweisantrag wegen Verschleppungsabsicht des Antragstellers abgelehnt werden sollte. Denn dem Antragsteller müsse Gelegenheit gegeben werden, den Vorwurf, er habe den Beweisantrag nur in Verschleppungsabsicht gestellt, zu entkräften oder die ihm sonst infolge der Ablehnung des Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen. Das könne er z.B. dadurch tun, dass er den abgelehnten Beweisantrag mit neuer, umfassenderer oder genauerer Begründung wiederhole oder dass er mit entsprechender Begründung einen anderen Beweisantrag stelle, so dass dann das Gericht genötigt sei, sachlich auf den neuen Beweisantrag einzugehen, nämlich entweder durch Erhebung des Beweises oder durch Wahrunterstellung bestimmter für den Angeklagten günstiger Tatsachen oder aber auch durch Ablehnung aus anderen, im Gesetz vorgesehenen Gründen (vgl. schon BGH, Beschluss v. 08,05.1968, 4 StR 326167, BGHSt 22, 124; so auch BGH, Urteil v. 26.08.1982, 4 StR 357/82, NJW 1983, 54, sowie Beschluss v. 21.08.1997, 5 StR 312/97, NStZ-RR 1998, 14; vgl. auch Senatsentscheidung v. 23.01.1979, Ss 621/78, Nds.Rpfl 1979, 110).

Die mit der durch die seit dem 13. Dezember 2019 gültigen Gesetzesänderung in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nunmehr gegebene Möglichkeit, einen Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht nicht durch Beschluss des Gerichts, sondern durch den Vorsitzenden zurückzuweisen, hat hieran nichts geändert. Denn die Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht beinhaltet auch nach neuer Rechtslage einen Missbrauchsvorwurf, zu dem dem Antragsteller aus Gründen der Verfahrensfairness und zur Verhinderung von Überraschungsentscheidungen rechtliches Gehör zu gewähren ist (vgl. Meyer-Goßner /Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rz. 90b). Hinzu kommt, dass nur so dem Antragsteller die – angesichts der nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit (dazu sogleich c.) umso bedeutsamere – Möglichkeit eröffnet wird, eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen.

c) Im Übrigen ist die Behandlung des Beweisantrags als in Prozessverschleppungsabsicht gestellt auch in der Sache zu Unrecht erfolgt.

Einem Beweisantrag braucht das Gericht wegen Prozessverschleppungsabsicht nur dann nicht nachzugehen, wenn die begehrte Beweiserhebung den Abschluss des Verfahrens erheblich hinauszögern kann, sie nach Überzeugung des Gerichts – dem insoweit eine Vorauswürdigung gestattet ist – nichts Sachdienliches zu erbringen vermag und wenn der Antragsteller sich dieser Umstände bewusst ist und er deshalb mit seinem Verlangen ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckt (vgl. BGH, Beschluss v. 03.07.1990, 1 StR 340/90, NJW 1990, 2328). Dabei steht dem Tatrichter bei der anhand von Indizien vorzunehmenden Würdigung, ob Verschleppungsabsicht vorliegt, ein vom Revisionsgericht hinzunehmendes Ermessen zu. Trotz des dem Gericht zustehenden Ermessens ist durch das Revisionsgericht aber zu prüfen, ob der Tatrichter seiner Entscheidung für die Annahme von Verschleppungsabsicht diese stützenden Beweisanzeichen zu Grunde gelegt und er sich bei seiner Gesamtwürdigung der Indizien im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rz. 103a).

Diese Prüfung lässt vorliegend ausreichende Indizien für die Annahme einer Verschleppungsabsicht nicht erkennen. Das Gericht kann die Annahme von Verschleppungsabsicht nicht darauf stützen, dass das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache schon bewiesen sei (vgl. BGH, Beschluss v. 03.07. 1990, 1 StR 340/90, NJW 1990, 2328) oder dass sich bislang keine Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt der jetzt erhobenen Beweisbehauptung ergeben hätten (vgl. BGH, Urteil v. 03.02. 1982, 2 StR 374/81, NStZ 1982, 291).

Ohne hinreichende Aussagekraft ist es auch, dass die Beweisbehauptung des Verteidigers nicht in jedem Punkt mit den Angaben des Angeklagten sachlich übereinstimmt (vgl. schon BGH, Urteil v. 03.08.1966, 2 StR 242/66, BGHSt 21, 118).

Die seitens des Landgerichts für die Annahme einer Verschleppungsabsicht herangezogenen Gesichtspunkte, nämlich die Angabe des Zeugen pp. die Polizeianwärterin pp. sei nicht in der Lage gewesen, einen Einsatzbericht zu verfassen, und die Einlassung des Angeklagten, er habe sich von seiner Wohnanschrift aus direkt in Getümmel begeben, sind daher nicht geeignet, die Annahme von Verschleppungsabsicht zu stützen. Hinzu kommt noch, dass es, was die Strafkammer in ihre Erwägungen nicht eingestellt hat, um den ersten im einzigen Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag gehandelt hat.“

Ein schöner Erfolg für den Kollegen, den ich auch gar nicht schmälern will, Aber ich frage mich: Kam es auf die Frage der Prozessverschleppung, die das OLG m.E. richtig entschieden hat, überhaupt an? Oder anders gefragt: Hätte das OLG nicht etwas dazu sagen müssen, dass es sich bei dem Antrag des Kollegen um einen „Beweisantrag“ i.S. des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPo gehandelt hat, woran das LG ja wohl Zweifel hatte. Denn nur, wenn es sich um einen „Beweisantrag“ i.e.S. gehandelt hat, war das LG an die Gründe des § 244 StPO gebunden. Was damit ist, erfährt man nicht bzw. kann es auch nicht beurteilen, da der genaue Wortlaut des Antrags nicht mitgeteilt wird. Man muss also davon ausgehen, dass das OLG inzidenter die Beweisantragseigenschaft bejaht hat. Dann passt es 🙂 .

Beweisantrag II: Wahrunterstellung, oder: So geht man damit um

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Die zweite Entscheidung zu § 244 StPO kommt mit dem BGH, Beschl. v. 04.02.2020 – 3 StR 313/19 – auch vom BGH. Es geht noch einmal um die Wahrunterstellung:

Das LG hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Hehlerei verurteilt. „Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte, ein Apotheker und Großhändler für Arzneiprodukte, von dem Mitangeklagten C. in fünf Fällen größere Mengen an Blutzuckerteststreifen, insgesamt 2.673 Packungen. Für 2.627 Packungen stellte C. dem Angeklagten einen Einzelpreis von 13,85 € netto in Rechnung, für 46 weitere („Reimporte“) einen solchen von 11,85 € netto. „Allen diesen Lieferungen lagen Teststreifen zugrunde“, die C. betrügerisch erlangt hatte. Entweder hatten seine Komplizen in Ausführung eines gemeinsam mit ihm gefassten Tatplans Vertragsärzte durch Vorspiegelung eines nicht vorhandenen medizinischen Bedarfs dazu veranlasst, Rezepte über Blutzuckerteststreifen auszustellen, die sie sodann in Apotheken kostenfrei eingelöst hatten, oder sie hatten dort entsprechende von C. gefälschte Rezepte vorgelegt, oder er hatte die Ware bei einem Unternehmen unter Angabe einer falschen Identität und Vorspiegelung der Zahlungswilligkeit bestellt. Für den Angeklagten war offenkundig, dass sich C. die Teststreifen durch rechtswidrige Taten verschafft haben könnte. „Wegen der erheblichen Gewinnspanne und der zu erwartenden beträchtlichen Erlöse aus dem Weiterverkauf … schob der Angeklagte … diese Bedenken beiseite“ und „fand sich mit ihnen ab“.

Dagegen die Revision des Angeklagten, mit der beanstandet wird, das LG habe im Rahmen der Beweiswürdigung eine gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 7 StPO aF als wahr unterstellte Beweistatsache rechtsfehlerhaft missachtet. Der BGH sagt: Mit Recht:

a) Nach dem Revisionsvorbringen beantragte der Angeklagte in der Hauptverhandlung, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, „dass Blutzuckerteststreifen der (an ihn gelieferten, bestimmt bezeichneten) Marke … über die Internetplattform ebay oder sonstige Auktionsplattformen in Einzelgrößen von je 50 Teststreifen zu einem Preis von unter 14 € je Packung zu erhalten“ seien. Die Strafkammer wies den Antrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 7 StPO aF als unbegründet zurück, weil die behauptete Tatsache so behandelt werden könne, als wäre sie wahr. In dem Beschluss machte sie deutlich, sie gehe entsprechend der Antragsbegründung davon aus, dass es sich bei dem alternativen Bezug der Teststreifen über das Internet um einen Erwerb aus legalen Quellen handele.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt im Fall der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Wahrunterstellung:

Das Tatgericht muss bei der Urteilsfindung die Zusage einlösen, eine bestimmte Behauptung zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln. Die Urteilsgründe dürfen sich mit einer – bis zum Schluss der Hauptverhandlung unwiderrufen gebliebenen – Wahrunterstellung nicht in Widerspruch setzen. Denn der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung einrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Gericht von der Wahrunterstellung abrückt (s. BGH, Urteil vom 6. Juli 1983 – 2 StR 222/83 , BGHSt 32, 44, 46 f. ; Beschlüsse vom 28. August 2002 – 1 StR 277/02 , NStZ 2003, 101; vom 13. Juni 2017 – 3 StR 48/17 , NStZ 2018, 48; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 317 mwN).

Stehen die Urteilsgründe nicht in Widerspruch zu der als wahr unterstellten Tatsache, so müssen sie sich grundsätzlich nicht explizit zu ihr verhalten. Im Einzelfall kann die in der Wahrunterstellung liegende Zusage es allerdings ausnahmsweise weitergehend gebieten, die Tatsache im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich mit zu erwägen. Das ist dann der Fall, wenn sich dies angesichts der im Übrigen gegebenen Beweislage aufdrängt und die Beweiswürdigung sich sonst als lückenhaft erwiese (s. BGH, Urteil vom 21. Februar 1979 – 2 StR 749/78 , BGHSt 28, 310, 311 f. ; Beschlüsse vom 7. November 2000 – 1 StR 303/00 , BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 36 ; vom 16. November 2010 – 4 StR 530/10 , NStZ 2011, 231; vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 , juris Rn. 7; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 317 mwN)c) Gemessen an diesen Maßstäben begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die als wahr unterstellte Tatsache – die legale Bezugsquelle für die bezeichneten Blutzuckerteststreifen zu einem Preis von unter 14 € je Packung – nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat. Vielmehr befassen sich die Urteilsgründe mit dieser Tatsache allein im Rahmen der rechtlichen Würdigung unter dem Gesichtspunkt der vom Tatbestand der Hehlerei vorausgesetzten Bereicherungsabsicht……“

Auch nichts Neues, aber wes wird immer wieder falsch gemacht.

Beweisantrag I: Der Inhalt des Beweisantrags, oder: Tatsachen, Tatsachen, Tatsachen

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Heute – man sieht es an der Überschrift – kommen dann drei Entscheidungen zu Beweisanträgen (§ 244 StPO).

Zunächst stelle ich – zum warm werden – den BGH, Beschl. v. 14.05.2020 – 1 StR 147/20 – vor. Nichts Bedeutendes, was der BGH da zum Beweisantrag ausführt, aber immerhin 🙂 :

„Soweit der Angeklagte mit seiner Verfahrensrüge, die Ablehnung seines Beweisantrags auf Vernehmung des Investors J. genüge nicht den Anforderungen des § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO (aF; entspricht § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO nF), die Glaubwürdigkeit der beiden Mitgesellschafter G. und B. sowie die Glaubhaftigkeit ihrer Zeugenaussagen angreift, fehlt es bereits an ausreichend präzisen Tatsachenbehauptungen, welche das Landgericht hätte bescheiden müssen (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO). Denn die „Präsentation“ der „Bestandsobjekte“ in K. , I. und R. schließt nicht die Behauptung ein, die 19 verfahrensgegenständlichen Überweisungen seien im Januar 2017 in China zur Sprache gekommen. Dass sich beide Hauptbelastungszeugen mit den genannten Projekten auch nach dem Januar 2016 beschäftigten, ist vom Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss rechtsfehlerfrei gewürdigt worden. Dies entspricht den Urteilsfeststellungen (insbesondere UA S. 8), wonach die beiden Mitgesellschafter die anderen Bauprojekte erst „angehen“ wollten, nachdem die C. GmbH aus dem Studentenwohnheim in W. Erträge erzielt hätte.

Das Landgericht hat den Vermögensnachteil (§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schadenseinschlags mit der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Investitionen in die Bauobjekte K. , I. und R. für die C. GmbH begründet; dabei hat es auf deren konkrete finanzielle Situation abgestellt. Deren Liquidität entzog der Angeklagte gemäß seinem Tatplan (UA S. 4) vollständig (UA S. 11 f.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 – 3 StR 490/16 Rn. 33 aE mwN), um die laufenden Kosten der allein von ihm betriebenen CE. GmbH zu begleichen (UA S. 12 f.). Seinen Tatplan setzte er mithilfe pauschaler Rechnungsbeträge bei nichtssagenden Rechnungsleistungsinhalten (UA S. 5) um. Die Pflichtwidrigkeit der Überweisungen hat das Landgericht hingegen auf eine andere Tatsachengrundlage, nämlich auf den Verstoß gegen die Gesellschafterabrede aus dem Januar 2016 gestützt (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 1. November 2012 . 2 BvR 1235/11 Rn. 24, BVerfGK 20, 114, 121 f.). Mitnichten hat das Tatgericht damit allein aus dem Pflichtenverstoß auf den Untreueschaden geschlossen.“

Anklage III: Keine Mitteilung der Anklageschrift, oder: Verfahrenshindernis?

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Und zum Tagesschluss dann noch der BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 4 StR 533/19 – zur Frage: Stellt die unterbliebene Mitteilung der Anklageschrift ein Verfahrenshindernis dar? Der BGh sagt nein:

„Ein Verfahrenshindernis besteht – anders als die Beschwerdeführerin meint – nicht. Ein solches ergibt sich nicht daraus, dass der Angeklagten und ihrem damaligen Verteidiger zunächst versehentlich nicht die Anklageschrift vom 5. April 2011 mitgeteilt worden war, sondern Abschriften eines anderslautenden Entwurfs der Anklage, die sich lose in den Akten befunden hatten; dieses Versehen war erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens bemerkt worden. Danach verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Anklage vom 5. April 2011 an die Verfahrensbeteiligten. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde nicht wiederholt.

Die unterbliebene Mitteilung der Anklageschrift begründet kein Verfahrenshindernis und führt insbesondere nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses ( BGH, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 StR 317/84 , BGHSt 33, 183 ; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juli 2003 – III-2 Ss 88/03, NJW 2003, 2766; MK-StPO/Wenske, 1. Aufl., § 201 Rn. 2; LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 201 Rn. 44), da der Verstoß gegen § 201 StPO im weiteren Verfahren durch Nachholung der Mitteilung noch kompensiert werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1981 – 4 StR 564/81 ; KG, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 4 Ws 78/15; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 201 Rn. 11; MK-StPO/Wenske, aaO, Rn. 35). Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.“