Archiv für den Monat: November 2019

OWi III: Zulassungsrechtsbeschwerde, oder: „mit zum Teil nicht nachvollziehbaren Erwägungen contra legem“

entnommen openclipart.org

Und als letzte Entscheidung kommt mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.05.2019 – IV 4 RBs 10/19, den ich von dem Kollegen Brüntrup aus Minden erhalten habe, eine Entscheidung, der man mal wieder anmerkt, dass das OLG über den Amtsrichter „not amused“ war. In der Sache hat es der Betroffenen jedoch nichts gebracht, da das OLG die eingelegte Rechtsbeschwerde gegen das AG-Urteil nicht zulassen konnte bzw. nicht zugelassen hat.

Verurteilt worden ist die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 80,00 EUR. Das AG-Urteil enthält keine Gründe. So weit, so gut (?). Ist unschön, führt aber eben nicht zur Zulassung. Auch die anderen von der Betroffenen angeführten Gründe – fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags – haben keinen Erfolg.

Und dann noch 🙂 :

4. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung stellt keinen Zulassungsgrund dar.

Der Senat nimmt die Entscheidung aber zum Anlass, den Tatrichter ausdrücklich auf die gesetzliche Regelung der §§ 77 b Abs. 2 Alt. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 3, 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG hinzuweisen. Danach ist bei der Rechtsbeschwerde eines Betroffenen (der Antrag auf Zulassung gilt nach § 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde), der nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen, jedoch durch einen Rechtsanwalt vertreten worden ist, die nachträgliche Urteilsbegründung innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m § 71 Abs.. 1 OWiG zu den Akten zu bringen. Der vom Tatrichter im vorliegenden Fall betriebene Aufwand, um mit zum Teil nicht nachvollziehbaren Erwägungen contra legem ein (zumindest vorläufiges) Absehen von der Urteilsbegründung zu rechtfertigen, hätte nach Eingang des Rechtsmittels sinnvollerweise direkt für die Urteilsabfassung verwendet werden können und müssen.2

Ob der Amtsrichter – „mit zum Teil nicht nachvollziehbaren Erwägungen contra legem“ gern liest? Ich glaube nicht. Schade, dass das OLG zu den „nicht nachvollziehbaren Erwägungen contra legem“ nichts näher ausführt. Mich hätten die „Erwägungen“ interessiert.

OWi II: Absehen vom Fahrverbot bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß, oder: Urteilsgründe

© sablin – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 01.07.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 353/19 (210/19) – ist dann noch mal eine „Fahrverbotsentscheidung“. Das AG hat den Betroffenen wegen eines sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes verurteilt, von der Verhängung des an sich verwikten Regelfahrverbotes aber abgesehen.

Dagegen die Rechtsbeschwerde der StA, die unzureichende Urteilsgründe rügt. Und Sie hatte damit Erfolg:

2. Das Absehen von dem indizierten Fahrverbot hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 12. Juni 2019 wie folgt aus:

„Zum unverzichtbaren Inhalt eines bußgeldrichterlichen Urteils gehört unter anderem die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gesehen werden (§§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) und außerdem wenn – wie hier – der Sachverhalt Anlass dafür bietet, die Mitteilung derjenigen tatrichterlichen, auf nachvollziehbaren Anknüpfungstatsachen beruhenden Erwägungen, aufgrund derer ein [S. 2] den Verzicht auf das Fahrverbot rechtfertigender Ausnahmefall angenommen worden ist. Diesen Begründungserfordernissen wird die angefochtene Entscheidung nicht hinreichend gerecht.

Hier hat das Gericht das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes in Form des so genannten Augenblicksversagens nicht ausreichend begründet. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. der BKatV und dem Bußgeldkatalog kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht, wenn – wie hier – der Kraftfahrzeugführer ein rotes Wechsellichtzeichen bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase nicht befolgt hat. Die Erfüllung des Tatbestandes weist auf das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hin, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf.

Dass sich die vorliegende Tat in einem solchen Maße zugunsten des Betroffenen von den Regelfällen unterscheidet, dass das Absehen von der Anordnung des Fahrverbotes – etwa wegen eines Augenblicksversagens – gerechtfertigt wäre, lassen die tatrichterlichen Feststellungen nicht mit der erforderlichen Klarheit erkennen.

Die Anordnung eines Fahrverbotes ist auch dann nicht angezeigt, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unachtsamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann (grundlegend BGHSt 43, 241 ff.; OLG Hamm NZV 2005, 489). In solchen Fällen des Augenblicksversagens indiziert zwar der in der Bußgeldkatalogverordnung beschriebene Regelfall das Vorliegen einer groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 StVG, es fehlt jedoch an einer ausreichenden individuellen Vorwerfbarkeit.

Nach den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Betroffene hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren ist, das kurz zuvor auf seinem Fahrstreifen gewechselt war, und das Rotlicht nicht rechtzeitig wahrgenommen hat. Ob dieser Wahrnehmungsfehler den Betroffenen entlastet, kann anhand der Urteilsfeststellungen jedoch nicht abschließend festgestellt werden. Der Wahrnehmungsfehler könnte nämlich seinerseits als grob pflichtwidrig angesehen werden. Auf nur einfache Fahrlässigkeit kann sich derjenige nicht berufen, welcher die an sich gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise unterlassen hat (BGHSt 43, 241; OLG Karlsruhe VRs 111, 489). Vorliegend müsste der Betroffene zusätzlich zur Rotphase auch die vorherige 3 Sekunden dauernde Gelbphase der Lichtzeichenanlage über-[S.3]sehen haben, was sich durch den einfachen Spurwechsel eines voranfahrenden Fahrzeugs ohne weitere Feststellungen nicht erklären lässt. Dem Betroffenen könnte insoweit zum Vorwurf gemacht werden, dass er keine hinreichenden Anstrengungen unternommen hat, sich selbst von der Ampelschaltung in Kenntnis zu setzen.

Da Fahrverbot und Geldbuße in einer Wechselwirkung zueinanderstehen (vgl. BbgOLG Beschluss vom 02.03.2016 – (1B) 53 Ss-OWi 44/18 (30/16)) ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Tatgericht keine eigenen, die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigenden Feststellungen getroffen, sondern im Wesentlichen die Ausführungen des Betroffenen repliziert hat, ohne diese in das Zeitfenster von 4,1 Sekunden zu stellen, in denen der Betroffene auf die Lichtzeichenanlage infolge des Farbenwechsels hätte aufmerksam geworden sein müssen. Die Überschreitung des Schwellenwertes von 0,1 Sekunden kann hierbei keine besondere Bedeutung erlangen.“

OWi I: Geldbußenbemessung, oder: Gute wirtschaftliche Verhältnisse

© Andrey Popov – Fotolia.com

Nach dem gestrigen OWi-Tag heute dann gleich noch einmal drei OWi-Entscheidungen

Ich starte mit dem OLG Hamm, Beschl. v. III 3 RBs 82/19, den mir der Kollege Bruch aus Wilnsdorf geschickt hat. Thematik: Bemessung der Geldbuße bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen.

Verurteilt worden ist der Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 210,00 EU. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das AG die (guten) wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen berücksichtigt und hat darauf basierend eine Erhöhung der Regelgeldbuße von 120,00 EUR um 75 % auf eben 210,00 Euro vorgenommen. Dagegen die Rechtsbeschwere, die das OLG zugelassen aber als unbegründet angesehen hat:

„b) Auch der von dem Betroffenen gerügte Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung Stand.

aa) Das Amtsgericht hat sich bei der Bemessung der Geldbuße rechtlich zutreffend an Nr. 11.3.6 der Tabelle 1c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu 1 Abs. 1 BKatV orientiert und ist von der dort vorgesehenen Regelgeldbuße von 120,00 EUR abgewichen, weil es rechtsfehlerfrei außergewöhnlich gute wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen festgestellt hat.

(1) Grundlage der Bußgeldbemessung bleiben auch im Anwendungsbereich eines Bußgeldkataloges die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG (KG Berlin, Beschluss vom 10. März 2014 – 3 Ws (B) 78/14, juris). Die Zumessung der Geldbuße gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist zuvorderst an der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Täter trifft, ausgerichtet. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen kommen bei der Bemessung der Geldbuße gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur „in Betracht“, spielen also hierbei nur eine untergeordnete Bedeutung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss OWi 1029/16, juris, Rdnr. 12). Aus Gründen der Vereinfachung und der Anwendungsgleichheit enthält der Bußgeldkatalog als Anlage der BKatV Bußgeldregelsätze für im Einzelnen aufgelistete Verstöße. Systematisch stellen die Regelsätze des Bußgeldkatalogs Zumessungsrichtlinien im Rahmen von § 17 Abs. 3 OWiG dar (Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, OWiG – Bezüge zum Straßenverkehrsrecht, Rdnr. 28), die für die Gerichte grundsätzlich Bindungswirkung entfalten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 1 Ss 82/06, juris, Rdnr. 6). Ein Regelfall i.S.d. BKatV setzt voraus, dass die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder objektiv noch subjektiv Besonderheiten aufweist; besondere Umstände, die zur Verneinung eines Regelfalles führen, können dabei auch in der Person des Betroffenen liegen (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 24 StVG, Rdnr. 64a; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juni 2013 – III-1 RBs 72/13, juris, Rdnr. 18). Die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung gehen dabei von. durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus (Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Auflage, § 17 Rdnr. 29; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 100; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss OWi 1029/16, juris, Rdnr. 12).

(2) Die Berücksichtigung außergewöhnlich guter wirtschaftlicher Verhältnisse ist im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz OWiG ohne weiteres zulässig (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 2001 – 2b Ss (OWi) 265/01 – (OWi) 64/01 IV, juris, Rdnr. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 1 Ss 82/06, juris, Rdnr. 7, 8; OLG Bamberg, Beschluss vom 10. Februar 2010 – 2 Ss OWi 1575/09, juris, Rdnr. 31, 32; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 90, 92; Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 17, Rdnr. 24 unter Hinweis auf die Regelung des § 28a Abs. 1 StVG). Allerdings hat das Gericht im Hinblick auf die Vorgaben des § 17 Abs. 3 OWiG Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung erlauben, ob das Tatgericht rechtsfehlerfrei von dem Regelsatz der BKatV abgewichen ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 2001 – 2b Ss (OWi) 265/01 – (OWi) 64/01 IV, juris, Rdnr. 6, 10; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 92).

(3) Soweit der Betroffene, gestützt auf die Kommentierung von Gürtler in Göhler (§ 17, Rdnr. 23), meint, bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG dürften die außergewöhnlich gute wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht berücksichtigt werden (s. dazu auch Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 90 a.E.), kann dahin stehen, ob diese Auffassung zutrifft, da sie für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich ist. Denn der maßgebliche Schwellenwert für eine geringfügige Ordnungswidrigkeit liegt, anders als der Betroffene meint, nicht bei 250,00 EUR, sondern seit dem 1. Mai 2014 bei 55,00 EUR (zuvor bei 35,00 EUR). Die Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG ist im Zusammenhang mit § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG zu sehen; in beiden Vorschriften wird vorausgesetzt, dass eine „geringfügige Ordnungswidrigkeit“ vorliegt. Ausweislich der Gesetzebegründung zur Neufassung des § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG geht der Gesetzgeber davon aus, dass durch die in § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG geregelte Höhe des Verwarnungsgeldes die Grenze dieses Bereichs konkretisiert wird (BT-Drs. 10/2652, S. 12). Der von der Rechtsprechung unter Bezugnahme auf § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG gezogene Schwellenwert von 250,00 EUR betrifft jedoch nicht die Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG, sondern verhält sich zu der Frage, ob es zulässig ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bei der Bemessung einer Geldbuße außer Betracht zu lassen; umgekehrt postuliert diese Rechtsprechung aber kein Verbot der Berücksichtigung besonders guter oder schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse, sofern sie in ausreichender Weise aufgeklärt wurden. Insofern ist zu unterscheiden zwischen „geringfügigen Ordnungswidrigkeiten“ im Bereich zwischen 55,00 und 250,00 EUR, bei denen die wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt werden können, aber nicht müssen, und solchen im Bereich bis zu 55,00 EUR, bei denen eine Berücksichtigung wegen der Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG in der Regel untersagt ist (so bereits OLG Köln, VRS 74, 372). Die Auffassung des in der Kommentarliteratur zitierten Thüringer Oberlandesgerichts steht daher bei näherer Betrachtung nicht im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung und auch nicht im Einklang mit der dort zitierten Literatur. Das Thüringer Oberlandesgericht geht nämlich davon aus, dass Geringfügigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit anzunehmen sei, wenn sie im konkreten Fall mit einer Geldbuße von nicht mehr als 250,00 EUR geahndet wird (Beschluss vom 22. Mai 2007 – 1 Ss 346/06, juris, Rdnr. 9). In dem vom Thüringer Oberlandesgericht entschiedenen Verfahren war wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vom 13. Juni 2005 eine Regelgeldbuße von 40,00 EUR auf einen Betrag von 75,00 EUR erhöht worden; eine Regelgeldbuße von 40,00 EUR war in der bis zum 30. April 2014 gültigen Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG nicht geringfügig.

(4) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht Minden die Regelgeldbuße von 120,00 EUR auf 210,00 EUR erhöht. Eine Regelgeldbuße von 120,00 EUR ist, wie sich aus vorstehendem ergibt, nicht geringfügig i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG, so dass das Amtsgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen berücksichtigen durfte.

bb) Das Amtsgericht hat die Abweichung vom Regelsatz auch hinreichend mit den überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen begründet. Die von dem Amtsgericht in diesem Zusammenhang vorgenommene Schätzung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

(1) Sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zur Bemessung des Bußgeldes herangezogen werden sollen, müssen sie gegebenenfalls näher aufgeklärt werden. In diesem Zusammenhang ist es dem Tatrichter erlaubt, das gegenwärtige Einkommen des Betroffenen im Wege der Schätzung zu ermitteln, wenn ihm eine hinreichende Schätzgrundlage zur Verfügung steht. Wesentliches Kriterium ist hier regelmäßig der Beruf des Betroffenen, den er ausübt und der in der Regel eine Schätzung ermöglicht (KG Berlin, Beschluss vom 16. Juni 1997 – 2 Ss 9/975 Ws (B) 41/97, Rdnr. 18; Gürtler in: Gürtler, OWiG, 17. Aufl., § 17, Rdnr. 21).

(2) Vorliegend hat das Gericht auf der Basis des Internetauftritts des Betroffenen den monatlichen Nettoverdienst auf mindestens 4.000,00 EUR geschätzt. Diese Schätzung beruht auf einer hinreichenden Grundlage. Die Feststellungen, dass der Betroffene von Beruf selbständiger Bauunternehmer ist und der von ihm mitgeführte Betrieb einen Umsatz von mindestens 25 Millionen Euro erwirtschaftet sowie 90 gewerbliche Mitarbeiter beschäftigt, geben hinreichende Anhaltspunkte für das monatliche Einkommen als Geschäftsführer. Dabei hat das Amtsgericht erkannt, dass der Umsatz eines Unternehmens nicht dessen Gewinn entspricht. Dennoch kann der Umsatz als Anhaltspunkt für die Schätzung des Geschäftsführergehaltes dienen, da er erkennen lässt, in welcher Größenordnung das Unternehmen am Markt beteiligt ist, so dass ein Vergleich mit anderen Unternehmen möglich ist. Zudem hat das Gericht Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des Betroffenen getroffen und ist soweit zu seinen Gunsten von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und seinen erwachsenen, noch in Ausbildung befindlichen Kindern ausgegangen.

(3) Damit hat das Amtsgericht wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen festgestellt, die von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen deutlich nach oben abweichen und zu einer Erhöhung der Regelgeldbuße berechtigten. Nach den veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 16, Reihe 2.3, Verdienste und Arbeitskosten, Arbeitnehmerverdienste) lag der durchschnittliche Jahresbruttoverdienst eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitsnehmers (produzierendes Gewerbe und Dienstleistungsbereich) in Deutschland im Jahr 2018 bei 3.339,00 EUR, so dass der Nettoverdienst eines Alleinverdieners mit zwei Kindern in der Größenordnung von 2.000,00 EUR liegen dürfte. Dabei ist auch zu beachten, dass die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verdienstangaben arithmetische Mittelwerte sind. Aus der Verdienststrukturerhebung 2014 ist bekannt, dass knapp zwei von drei Vollzeitbeschäftigten (63 %) weniger verdienen als den gesamtwirtschaftlichen Durchschnittswert; nur ein gutes Drittel (37 %) hat höhere Bruttoverdienste. Dieses Drittel hat so hohe Verdienste, dass der Durchschnittswert für alle Beschäftigten „nach oben“ gezogen wird (Quelle: Statistisches Bundesamt, abgerufen am 10. Juli 2019 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/verdienste-branchen.html). Zudem bleiben bei einer Statistik, die auf den durchschnittlichen Arbeitnehmerverdienst abstellt, diejenigen Bevölkerungsteile unberücksichtigt, die BAföG oder Renten beziehen oder von staatlichen Transferleistungen leben. Hieraus ergibt sich, dass der Betroffene über Einkommensverhältnisse verfügt, die mindestens 100 % und damit ganz erheblich über dem Bundesdurchschnitt liegen, was eine Anhebung der Regelgeldbuße zur verkehrserzieherischen Einwirkung rechtfertigt. Was den Umfang der Erhöhung angeht, sind die Wertungen des Tatrichters bei der Rechtsfolgenbemessung vom Rechtsbeschwerdegericht bis zur Grenze des Vertretbaren, die hier nicht überschritten sind, zu respektieren (OLG Hamm, NZV 2008, 306; Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 17, Rdnr. 31).“

OWi III: Abwesenheitsverhandlung, oder: Zulässig nur, wenn der Betroffene entbunden war

© sss78 – Fotolia.com

Und zum Tagesschluss kommt mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.9.2019 – (1 B) 53 Ss OWi 529/19 (314/19) – dann noch ein Klassiker aus dem OWi-Verfahren. Es ist nämlich von den OLG ebenfalls bereits zig-mal entschieden, dass eine sog. Abwesenheitsverhandlung mit Erlass eines Sachurteils gegen den nicht erschienenen und auch nicht von der Pflicht zum Erscheinen befreiten Betroffenen nicht stattfinden kann/darf:

„2. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die von dem Betroffenen erhobene Verfahrensrüge des Verstoßes gegen §§ 73, 74 Abs. 1, 2 OWiG greift durch.

a) Die Rüge, das Amtsgericht hätte nicht durch Sachurteil entscheiden dürfen, da das Amtsgericht zu Unrecht in Abwesenheit des Betroffenen verhandelt habe, genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG.

b) Das angefochtene Urteil unterliegt auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge schon deswegen der Aufhebung, weil den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann, ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten überhaupt vorlagen. Auch für die Hauptverhandlung bei Ordnungswidrigkeiten gilt die grundsätzliche Anwesenheitspflicht des Angeklagten (§ 73 Abs. 1 OWiG), von der nur im geregelten Ausnahmefall abgewichen werden kann (vgl. 73 Abs. 2 OWiG; für das Strafverfahrens siehe auch §§ 231 Abs. 2, 231a, 231b, 231c 232, 233, 247, 329 Abs. 2, 350 Abs. 2, 387 Abs. 1, 411 Abs. 2 Satz 1 StPO). Ebenso wie bei einem Verfahren nach 74 Abs. 2 OWiG müssen bei einem Verfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG die Urteilsgründe die Voraussetzungen für die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten dartun, woran es hier fehlt. Da sich die Urteilsgründe zu den Voraussetzungen eines Sachurteils bei Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht verhalten, leidet das Urteil an einem erheblichem Darstellungsmangel, da dem Senat eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise des Bußgeldgerichts nicht möglich ist.

c) Als Besonderheit des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gilt eine Ausnahme vom Anwesenheitsgrundsatz dann, wenn der Betroffene von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden ist (§ 73 Abs. 2 OWiG). Ist dies nicht der Fall, kann in seiner Abwesenheit kein Sachurteil ergehen, sondern es muss entweder die Verhandlung vertagt werden oder eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG erfolgen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. September 2004, 3 Ss 565/04, zit. n. juris). Das Amtsgericht hätte den Einspruch des nicht von der Pflicht zum Erscheinen entbundenen und ohne genügende Entschuldigung ausgebliebenen Betroffenen deshalb nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen müssen, auch um den Weg eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung zu ermöglichen.

d) Der Senat verkennt nicht, dass das Bußgeldgericht bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG hätte erlassen müssen. Sollten diese Voraussetzungen vorgelegen haben, hätte das Berufungsgericht mit der Durchführung der Hauptverhandlung ein „Mehr“ geleistet und das angefochtene Urteil auf eine breitere Grundlage gestellt als dies naturgemäß bei einem Prozessurteil der Fall sein kann. Gleichwohl kann der Senat weder das angefochtene Urteil durch ein Verwerfungsurteil ersetzen noch ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Denn ein aufgrund einer Hauptverhandlung erlassenes Sachurteil ist kein „Mehr“, sondern ein „aliud“ im Verhältnis zum formalen Prozessurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG.“

OWi II: Ablehnung des Entbindungsantrags, oder: Nichts Besonderes bei der Drogenfahrt eines Heranwachsenden

entnommen wikimedia.org
By Dundak – Own work

Die zweite Entscheidung, der OLG Jena, Beschl. v. v. 11.07.209 – 1 OLG 131 SsBs 24/19 – behandelt einen der „Klassiker“ aus dem Bußgeldverfahren, nämlich die Frage der Entscheidung über den sog. Entbindungsantrag. Dazu haben die OLG schon zig-mal entschieden, dass der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht abgelehnt werden kann, wenn der Betroffene in seinem Entbindungsantrag die Fahrereigenschaft einräumt und erklärt, weitere Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung nicht zu machen. Und das – das ist hier dann das Besondere – gilt auch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Heranwachsenden im Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeugs unter Drogen:

„Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, sich in der Haupthandlung nicht zur Sache zu äußern und seine Anwesenheit zur zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt und im Übrigen erklärt hat, sich nicht weiter zur Sache zu äußern. In einem solchen Fall ist seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn — wie hier — über ein Fahrverbot zu entscheiden ist, da der Betroffene zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, an einer weiteren Aufklärung der persönlichen Verhältnisse mitzuwirken (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.11.2012 — 2 Ss-OWi 181/12 —, Rn. 4, juris m.w.N.).

Nach dieser Maßgabe hätte der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom Amtsgericht nicht abgelehnt werden dürfen. Der Betroffene hatte in seinem Entbindungsantrag vom 16.11.2018 die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt, weitere Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung nicht zu machen. Angesichts dessen gab es keinen sachlichen Grund für die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung.

Auch der vom Amtsgericht herangezogene Umstand, dass es sich um ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Heranwachsenden im Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeugs unter Drogen handelt, rechtfertigt eine Ablehnung des Entbindungsantrags nicht. § 50 Abs. 1 JGG findet in Ordnungswidrigkeitenverfahren, in denen Heranwachsende sanktionsrechtlich wie Er-wachsene behandelt werden (KK-OWiG/Rengier, 5. Aufl. 2018, OWiG § 12 Rn. 15, OLG Frankfurt, a.a.O.), keine Anwendung. Bei der Bemessung der gegen einen Heranwachsenden zu verhängen Geldbuße sind allein die nach § 17 Abs. 3 OWiG maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen.

Schließlich trägt auch der Umstand, dass sich das Amtsgericht einen persönlichen Eindruck von dem bereits wegen eines BtMG-Vergehens vorbelasteten Betroffenen verschaffen wollte, die Ab-lehnung des Entbindungsantrags nicht, da das Amtsgericht weder mitteilt noch sich aus den Um-ständen ergibt, welcher weitere Erkenntnisgewinn aus der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung angesichts der bereits vorhandenen Beweismittel zu erwarten sein könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2018 — IV-2 RBs 16/18 —, Rn. 6 – 8, juris). Die Frage, ob ausnahmsweise von der Verhängung einer Fahrverbotes unter angemessener Erhöhung des Bußgeldes nach § 4 Abs. 4 BkatV abgesehen werden kann, rechtfertigt die Ablehnung eines Ent-bindungsantrages ebenfalls nicht, weil es dafür grundsätzlich nicht auf den persönlichen Eindruck von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung ankommt (OLG Hamm, Beschluss vom 01.07.2008 — 5 Ss OWi 415/08 —, Rn. 12, juris).

Vor diesem Hintergrund hätte das Amtsgericht dem Entbindungsbegehren des Betroffenen ent-sprechen müssen, was auch nach der mit Beschluss vom 19.11.2018 erfolgten Ablehnung noch möglich gewesen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 04.01.2006 — 1 Ss 224/05 —, Rn. 19, juris). Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung erweist sich damit als rechtsfehlerhaft, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben (§§ 353 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurück zu verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG) war.“