Archiv für den Monat: Oktober 2019

Bewährung I: Günstige Sozialprognose?, oder: Führt ein Rücktritt zu einem Verwertungsverbot?

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Vor dem Feiertag morgen – zumindest in einigen Bundesländern – dann zunächst noch drei Entscheidungen, die sich mit Bewährungsfragen befassen.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.04.2019 – 3 StR 64/19. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegenstand der Verurteilung ist der Übergriff des Angeklagten auf eine Prostituierte. Von einer Verurteilung wegen des Versuchs der besonders schweren Vergewaltigung und des Totschlags hat es abgesehen, weil der Angeklagte von der weiteren Ausführung dieser Delikte strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB zurückgetreten sei. Bei der Prüfung, ob die Vollstreckung der auf zwei Jahre zugemessenen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, hat das LG aber im Rahmen der Entscheidung über die Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Nachteil des Angeklagten in die Gesamtwürdigung eingestellt, dass er bereit gewesen sei, „seine sexuellen Bedürfnisse unter Anwendung erheblicher – mit großen Gefahren für das Opfer verbundener – Gewalt zwangsweise durchzusetzen“.

Der BGH beanstandet das in der Revision nicht.

„…Insbesondere ist es hier von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht zu Lasten des Angeklagten Umstände und Motive in die Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB eingestellt hat, die mit der versuchten besonders schweren Vergewaltigung und dem versuchten Totschlag Delikte betreffen, von denen der Angeklagte nach der rechtlichen Würdigung der Strafkammer gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist.

1. Das Landgericht hat diese Umstände rechtsfehlerfrei für die Beurteilung der nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Erwartung, dass der Angeklagte sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde, herangezogen, da sie für diese Entscheidung von erheblicher Bedeutung waren.

a) Die Prognose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Tatgericht auf Grund einer umfassenden Würdigung aller Gesichtspunkte zu treffen, die Rückschlüsse auf ein künftiges Legalverhalten des Angeklagten zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 – 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 208). Hierzu zählen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB insbesondere die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. In diesem Rahmen können die Umstände der Tat zum einen insofern Bedeutung erlangen, als die inneren Beweggründe, die den Täter zu der Tat veranlasst haben, ebenso wie die von ihm bei und mit der Tatverwirklichung verfolgten Ziele Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit und damit auf die Gefahr weiterer Straftaten zulassen (vgl. LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 25; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56 Rn. 29); zum anderen können auch äußere Umstände wie die Vorbereitung der Tat oder die Art und Weise des Tatablaufs entsprechende Anknüpfungspunkte bieten.

b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem von der Strafkammer in die Gesamtwürdigung eingestellten Motiv des Angeklagten, mittels der abgeurteilten Tat seine sexuellen Bedürfnisse – gegebenenfalls unter Anwendung erheblicher Gewalt – durchzusetzen, um einen für die Legalprognose relevanten Umstand, da dieses Vorhaben Anlass für die Tatbegehung und insbesondere auch die massive Gewaltanwendung zum Nachteil der Geschädigten war. Aus diesem Beweggrund und dem Tatablauf hat die Strafkammer den möglichen und für die Entscheidung bedeutsamen Schluss gezogen, dass in dem Verhalten des Angeklagten – trotz der freiwilligen Abstandnahme von der weiteren Tatausführung und des Nachtatverhaltens – erhebliche Persönlichkeitsdefizite zum Ausdruck kommen, die mit Blick auf die Unsicherheiten hinsichtlich der Triebstruktur des Angeklagten die Gefahr begründen, er könne in Zukunft in ähnlichen Situationen in gleicher Weise handeln.

2. Das Landgericht war im vorliegenden Fall auch nicht aus rechtlichen Gründen daran gehindert, das Tatmotiv und den Tatablauf sowie die daraus abgeleiteten Erwägungen im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zu berücksichtigen. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Angeklagte nach der rechtlichen Würdigung der Strafkammer vom Versuch der besonders schweren Vergewaltigung und des Totschlags nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten und ausschließlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist.

a) Die Rücktrittsregelung des § 24 StGB vermittelt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188 Rn. 10; LK/Lilie/Albrecht, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 50) mit der Folge, dass der wirksam vom Versuch zurückgetretene Täter wegen dieses Versuchs nicht mehr schuldig gesprochen werden darf (vgl. NKStGB/Zaczyk, 5. Aufl., § 24 Rn. 124; SSWStGB/Kudlich/Schuhr, 4. Aufl., § 24 Rn. 78). Um die privilegierende Wirkung des Rücktritts zu sichern, entspricht es zudem sowohl ständiger Rechtsprechung als auch der herrschenden Meinung im Schrifttum, dass in denjenigen Fällen, in denen der Täter zwar vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten, jedoch wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten Delikts zu bestrafen ist, der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz sowie ausschließlich darauf bezogene Umstände für die Strafzumessung bei dem verbliebenen Delikt grundsätzlich nicht herangezogen werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44; Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202; LK/Lilie/Albrecht, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 498; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 24 Rn. 114). Durch diese Erstreckung der Rücktrittswirkung soll verhindert werden, dass sich der Tatbestand, den man mit der Privilegierung der Straffreiheit bedacht hat, über die Höhe der übriggebliebenen Gesetzesverletzung, sozusagen „durch die Hintertür“, wieder einschleichen und im Ergebnis auswirken kann (Dallinger, MDR 1966, 726).

Ein darüber hinausgehendes allgemeines Verwertungsverbot, das die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vom Rücktritt erfassten Strafvorwurfs hinsichtlich der verbleibenden Delikte sperren würde, ist der Vorschrift des § 24 Abs. 1 StGB indes nicht zu entnehmen. Insoweit unterscheidet sie sich etwa von der Regelung des § 51 BZRG, der zufolge getilgte oder tilgungsreife Eintragungen im Bundeszentralregister dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil – etwa im Rahmen einer Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. hierzu BeckOK StPO/ Bücherl, § 51 BZRG Rn. 27) – verwendet werden dürfen (BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 45).

Demgemäß ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn in die Zumessung der wegen des verbliebenen vollendeten Delikts zu verhängenden Strafe jedenfalls diejenigen äußeren Umstände eingestellt werden, die sich auf das Tatgeschehen insgesamt beziehen und den Unrechts- und Schuldgehalt sowohl des vom Rücktritt erfassten als auch des verbliebenen vollendeten Delikts charakterisieren (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44; Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144; die Berücksichtigung der inneren Tatumstände ablehnend BGH, Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202 mwN; dagegen ausdrücklich offen gelassen in BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144).

b) Bei sachgerechter Übertragung dieser Maßgaben auf die hiesige Fallgestaltung begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, auch bei der Prognosebildung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB jedenfalls diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die sowohl das vom Rücktritt vom Versuch erfasste als auch das verbliebene vollendete Delikt betreffen, wenn und soweit sie Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Legalverhaltens des Angeklagten zulassen. In diesem Rahmen können neben den äußeren auch innere Tatumstände, namentlich die Motive und Ziele des Täters, herangezogen werden.

Voraussetzung für die tragfähige Beurteilung der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist eine vollständige und belastbare Entscheidungsgrundlage, die das Tatgericht durch die umfassende und bestmögliche Aufklärung aller für die Prognosebildung relevanten Umstände herzustellen hat (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56 Rn. 24; für die Vorschrift des § 57a StGB vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1992 – 2 BvR 1041/88 u.a., BVerfGE 86, 288, 326 f.). Nur so kann den prognostischen Unwägbarkeiten Rechnung getragen werden, die sich aus dem weit gefassten Begriff der künftigen Straffreiheit, der alle Arten von Straftaten unabhängig von ihrer Schwere einschließt (vgl. LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 15) und nicht auf die Bewährungszeit beschränkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 1992 – 1 StR 599/91, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 22), ergeben. Dies gilt umso mehr, als der Grundsatz „in dubio pro reo“ hier nicht eingreift und das erkennende Gericht zu einer positiven Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit gelangen muss (vgl. BayObLG, Urteil vom 29. Februar 1988 – RReg. 5 St 17/88, BayObLGSt 1988, 32, 34; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 12).

Die Handlungsmotive und Beweggründe, die den Angeklagten zu der Tat veranlasst haben, bilden dabei als „psychische Wurzel der Tat“ regelmäßig einen wesentlichen Bestandteil der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 – 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1). Ihr besonderes Gewicht beziehen sie daraus, dass sie im Unterschied zu anderen Prognosekriterien – wie etwa den Lebensverhältnissen des Angeklagten – an ein konkretes strafrechtlich relevantes Handeln des Angeklagten anknüpfen und jedenfalls für diesen Fall Aufschluss darüber geben können, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen er sich zu einem strafbaren Verhalten hat verleiten lassen (vgl. für die Strafzumessung Dreher, MDR 1965, 839, 840). Dies kann Anknüpfungspunkte für die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten in der Zukunft bieten. So wird die Gefahr etwa geringer zu bewerten sein, wenn es sich bei der Tat um eine einmalige Entgleisung handelte, als wenn der Täter eine zielgerichtete Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter unter Ausnutzung einer Gelegenheit verfolgte, die sich jederzeit wieder ergeben kann (vgl. MüKoStGB/Groß, 3. Aufl., § 56 Rn. 32; SSWStGB/Claus, 4. Aufl., § 56 Rn. 18).

Vor diesem Hintergrund sind auch diejenigen Beweggründe des Angeklagten in die Prognoseentscheidung einzubeziehen, die die Verwirklichung sowohl des vom Rücktritt umfassten als auch des verbliebenen vollendeten Delikts betreffen. Blieben diese Umstände in solchen Fällen ausgeklammert und der Blick auf die Motive beschränkt, die ausschließlich das vollendete Delikt betreffen, würde – ungeachtet der Frage, ob eine trennscharfe Aufspaltung der Motive überhaupt möglich ist (vgl. für die Strafzumessung Dallinger, MDR 1966, 726) – die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit maßgebliche Tatsachengrundlage um einen wesentlichen Aspekt verkürzt. Besonders deutlich wird dies in der – auch hier vorliegenden – Fallkonstellation, in der ausschließlich Beweggründe vorliegen, die beide Delikte gleichermaßen tragen. Hier hätte das Ausblenden der subjektiven Tatsachen nämlich zur Folge, dass eine „gewissermaßen motivlose, im luftleeren Raum schwebende Straftat“ zurückbliebe (vgl. für die Strafzumessung BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144 unter Verweis auf Dallinger, MDR 1966, 726). Damit wäre der Prognoseentscheidung ein wesentlicher tatsächlicher Umstand gänzlich entzogen.“

U-Haft III: Überhaftbefehl, oder: Aufhebung wegen Verfahrensverzögerung

entnommen wikimedia.org
Author Denis Barthel

Die dritte Haftentscheidung kommt dann mit dem LG Leipzig, Beschl. v. 26.09.2019 – 5 KLs 300 Js 42438/18 – aus dem Osten. Das LG hat einen (Über)Haftbefehl wegen Verfahrensverzögerung aufgehoben:

„2. Auf die (umgedeutete) Beschwerde des Angeschuldigten ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Leipzig vom 12. März 2019 aufzuheben.

Zwar war für den Angeschuldigten im vorliegenden Verfahren im Zeitraum vom 25. Januar 2019 (Eröffnungstermin für den Haftbefehl vom 17. Januar 2019) bis zum 30. August 2019 „nur“ Überhaft notiert, jedoch liegen die den Gegenstand des Haftbefehls bildenden Taten, der identisch ist mit dem Gegenstand des ihn ersetzenden Haftbefehls vom 12. März 2019, ausnahmslos vor den Taten des am 30. August 2019 aufgehobenen Haftbefehls des Amtsgerichts Leipzig vom 24. Juli 2019.

Nach der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung bei der Berechnung der Frist hinsichtlich § 121 StPO ist die durch den Angeschuldigten im Verfahren 856 Js 40032/18 erlittene Freiheitsentziehung (bis zum 30. August 2019) im hiesigen Verfahren mit zu berücksichtigen.

Etwas anderes kann auch nicht für die Prüfung, ob im vorliegenden Verfahren ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen vorliegt, gelten.

Nachdem das forensisch-psychiatrische Gutachten erst am 02.06.2019 bei der Kammer einging, waren in Vorbereitung der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens die formellen und materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung, namentlich die Plauslbilität der Ausführungen des Gutachters zum Hang des Angeschuldigten umfänglich zu überprüfen.

Durch den späten Eingang des Gutachtens und der sich anschließenden notwendigen Prüfungsschritte durch die Kammer ist eine geringfügige Verfahrensverzögerung eingetreten, die dem Angeschuldigten nicht anzulasten ist. Angesichts dessen, dass mit dem Verteidiger und dem Gutachter keine zeitnahen übereinstimmenden Termine gefunden werden konnten, zu denen die Hauptverhandlung – im Falle der Eröffnung – hätte durchgeführt werden können, war der Haftbefehl aufzuheben.

U-Haft II: Wenn sich im Strafausspruch die Straferwartung realisiert, oder. Dennoch Wiederinvollzugsetzung?

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Bei der zweiten vorgestellten Entscheidung handelt es sich um den schon etwas älteren OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.03.2019 – 2 Ws 124/19 – zur erneuten Invollzugsetzung eines Haftbefehls gemäß § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO, den mir der Kollege Loyens aus Nürnberg vor einiger Zeit geschickt hat.

Das LG hatte mit Beschluss vom 21.06.2018 die Untersuchungshaft angeordnet und mit Beschluss vom 14.9.2018 diesen Haftbefehl unter den Auflagen außer Vollzug gesetzt, dass der Angeklagte unverzüglich in pp. unverzüglich Wohnung nimmt, er dem Landgericht unverzüglich jeden Wohnungswechsel mitteilt und sich jeweils mittwochs bei der Polizeiinspektion Nürnberg-West meldet. Ihm wurde aufgegeben, gerichtlichen, polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vorladungen Folge zu leisten und seinen Reisepass beim Landgericht zu hinterlegen.

Der Kollege war dann auch im (Hauptverhandlungs)Fortsetzungstermin am 08.02.2019 erschienen. In dieser Sitzung wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stellte in Ihrem Plädoyer den Antrag, den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren sechs Monaten zu verurteilen, von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB jedoch abzusehen. Der Verteidiger beantragte Freispruch und stellte den Antrag, den Haftbefehl aufzuheben und den Angeklagten zu entschädigen.

Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen und Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf 14.2.2019 bestimmt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls war der Angeklagte zu diesem Termin mit seinem Verteidiger erschienen. Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt. Des Weiteren hat das Landgericht am 14.2.2019 den Haftbefehl der Kammer vom 21.6.2018 nach Maßgabe des Urteils vom 14.2.2019 wieder in Vollzug gesetzt und sämtliche Beschränkungen bezüglich der Vollstreckung der Untersuchungshaft gemäß § 119 StPO aufgehoben, weil wegen der verhängten erheblichen Freiheitsstrafe ein „übersteigerter Fluchtanreiz“ bestehe und der Angeklagte einen „familiären Bezug zum Ausland“ habe. Im Übrigen werde zur Fluchtgefahr auf die Haftbefehlsbegründung vom 21.6.2018 Bezug genommen.

Dagegen dann die Beschwerde des Angeklagten, die  in der Sache Erfolg beim OLG Erfolg hatte.

Das OLG legt seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 01.02.2006 – BvR 2056/05 zugrunde. Und dann:

„3. Neu hervorgetretene Umstände können unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung (vgl. auch BVerfG NStZ 2007, 379 = StV 2008, 25) nach Erlass des Haftverschonungsbeschlusses vom 14.9.2018 bis zur Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls mit Beschluss vom 14.2.2019 jedoch nicht angenommen werden. Es sind keine nachträglich eingetretenen oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordenen Umstände ersichtlich, die die Begründung des Haftverschonungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern würden, dass nach Sachlage keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären.

Der dem Angeklagten im Haftbefehl vom 21.6.2018 zur Last gelegte Sachverhalt entspricht dem, der sowohl von der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift vom 27.4.2018 (ab Bl. 697 d.A. dort unter „B) Gemeinsame Straftaten von … und …“ = Bl. 707 bis 705 d.A.) und vom Landgericht im Urteil vom 14.2.2019 zu Grunde gelegt wurde. Allein auf der Grundlage des Haftbefehle und der Anklage, die noch von unerlaubtem „Handeltreiben“ mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (in einem Fall mit unerlaubten Erwerb, im weiteren Fall mit unerlaubtem Besitz) ausgehen, bestand bei einem Strafrahmen von jeweils einem Jahr bis zu 15 Jahren unter Berücksichtigung der sieben Vorstrafen des Angeklagten, davon zwei wegen einschlägiger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (vgl. Anklage vom 27.4.2018 zum wesentlichen. Ergebnis der Ermittlungen Bl. 709/710 d.A.) eine realistische Straferwartung von mehreren Jahren Freiheitsstrafe.

Auch wenn die Verteidigung für den Angeklagten in der Sitzung vom 8.2.2019 auf Freispruch plädiert hat, bestand für den Angeklagten spätestens seit dem in dieser Sitzung durch die Staatsanwaltschaft gestellten Verurteilungsantrags eine konkrete Strafdrohung von einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren sechs Monaten. Selbst dieser – im Vergleich zur späteren Verurteilung höhere Strafantrag – hat den Angeklagten nicht zu einer Flucht bewegt, sonst hätte er sich der am 14.2.2019 fortgesetzten Hauptverhandlung, in der die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten erfolgte, nicht gestellt. Gelegenheit zu einer Flucht hätte in der Zwischenzeit jedenfalls bestanden. Aufgrund dieses Umstande liegt es näher, dass sich der Angeklagte nach dem Hauptverhandlungstermin vom 8.2.2019 bis zum Fortsetzungstermin am 14.2.2019 trotz des gestellten Antrags auf Freispruch der Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Ausgangs des Strafverfahrens durchaus bewusst war und er dennoch den Auflagen des Haftverschonungsbeschlusses nachkam.

Die vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) angesichts der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) als „sehr hoch“ angesetzte Schwelle für eine Widerrufseentscheidung wird vorliegend nicht erreicht.“

U-Haft I: Verfahrensverzögerung, oder: Kein Ersatz für Beisitzerin im Mutterschutz

entnommen wikimedia.org
Autor Irene – original work

Heute dann drei Haftentscheidungen.

Zu der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Frankfurt a. M. , Beschluss vom 10.07.2019 – 1 HEs 215-217/19 – habe ich leider keinen Volltext, sondern nur die PM des OLG. An sich blogge ich ja nicht nur zu Pressemitteilungen, hier mache ich aber mal eine Aussnahme.

In der PM Nr. 39/2019 des OLG heißt es:

„Eine nicht gerechtfertigte und ausschließlich der Justiz zuzurechnende erhebliche Verfahrensverzögerung führt zur Entlassung von drei in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten, weil es an einem wichtigen Grund für die nur ausnahmsweise gerechtfertigte Anordnung der weiteren Haftfortdauer über sechs Monate hinaus fehlt, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) heute.

Das OLG hat im Rahmen eines Haftprüfungsverfahrens den Haftbefehl gegen drei Angeklagte aufgehoben, da das Verfahren beim Landgericht Darmstadt nicht dem Beschleunigungsgebot entsprechend gefördert wurde. Den Angeklagten und zwei weiteren Angeklagten, bei denen der Haftbefehl schon vorher außer Vollzug gesetzt worden war, wird besonders schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen. Nach § 121 Abs. 1 StPO darf Untersuchungshaft über sechs Monate ohne Urteilserlass nur aufrechterhalten werden, wenn „die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen“. Der Haftbefehl „ist“ nach Ablauf von sechs Monaten gem. § 121 Abs. 2 StPO aufzuheben, wenn keine wichtigen Gründe vorliegen. Das OLG betont, für das Vorliegen eines wichtigen Grundes sei maßgeblich, dass „alle zumutbaren Maßnahmen getroffen (wurden), um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen“. Lägen vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen vor, könne das die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr rechtfertigen.

Hier fehle ein wichtiger Grund für die Anordnung der Haftfortdauer über sechs Monate hinaus, da das Verfahren nicht mit der erforderlichen Beschleunigung betrieben worden sei. Die zuständige Jugendkammer habe den fristgemäß anberaumten Hauptverhandlungstermin Mitte Mai nicht durchführen können, da das Präsidium des Landgerichts der Kammer nicht rechtzeitig Ersatz für die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung im Mutterschutz befindliche Beisitzerin zugewiesen habe. Die Kammer sei deshalb zum Zeitpunkt des geplanten Termins nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Ein im Einvernehmen mit den Verteidigern abgestimmter neuer Termin zur Hauptverhandlung könne erst Mitte August stattfinden. Damit liege eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Monaten vor.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist es mit der zusätzlichen VG nach Rücknahme des Rechtsmittels der StA?

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Am Freitag hatte ich gefragt nach: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist es mit der zusätzlichen VG nach Rücknahme des Rechtsmittels der StA?.

Für die Antwort lassen wir mal die Frage, ob nicht bereits durch die Rücknahme der Berufung durch den Mandanten beim Verteidiger die Gebühr Nr. 4141 VV RVG entstanden ist, denn das hängt davon ab, ob und wie der Verteidiger an dieser Rücknahme beteiligt war, also eine Frage der Mitwirkung. Danach hatte ich den Kollegen nicht weiter gefrgat, sondern auf seine eigentliche Frage folgende Antwort gegeben:

„Moin,

wie sollen Sie dazu auch etwas im Kommentar finden 🙂 ? , mal wieder typisch Bayern (?).

Das ist doch letztlich eine Frage der Mitwirkung. M.E. muss die nur grundsätzlich geeignet sein.

Die Argumentation in Ihrem Fall würde ja dazu führen, dass letztlich in den Fällen der Mitwirkung an der Rücknahme des Rechtsmittels des Gegners immer behauptet werden könnte: War eh schon entschlossen, mit der Folge, dass die Nr. 4141 VV RVG dann nie entstehen würde. Im Übrigen Beweislast liegt bei der Staatskasse. Dann mag sie es beweisen 🙂 .“

Die erhaltenen Kommentare gehen also alle in die richtige Richtung.

Im Übrigen: Es ist mal wieder Zeit für: <<Werbemodus an>> einen Hinweis auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., den man hier bestellen kann, und zwar auch als sog. Mängelexemplar. <<Werbemodus aus>>.