Archiv für den Monat: Oktober 2019

Strafzumessung III: Religiös motivierte Körperverletzung, oder: Bewährung?

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Und als dritte Entscheidung stelle ich dann das KG, Urt. v. 04.02.2019 – (3) 161 Ss 4/19 (5/19)  – vor. Schon etwas älter, aber passt dann heute (endlich) ganz gut.

Das KG hat das landgerichtliche Urteil, das die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten verurteilt hat, aufgehoben. Das LG hatte das Urteil nämlich abgekürzt abgesetzt , und zwar so „kurz“, dass es für die abgeurteilten Taten der gefährlichen Körperverletzung keine Einzelstrafen festgesetzt hatte. Allein das führte bereits zur Aufhebung.

Und für die neue Hauptverhandlung hat das KG dem LG dann „mit auf den Weg gegeben“ – hier die Leitsätze: 

  1. Bei einem Täter, der wiederholt und auch einschlägig straffällig geworden ist, kann die Vollstreckung einer erneuten Freiheitsstrafe nur dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn spezifische Umstände vorliegen, die erwarten lassen, dass er sich in Zukunft straffrei führen wird.

  2. Eine den Rechtsfrieden bedrohende Häufung von Straftaten kann ebenso Anlass zu einer Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB geben wie der Gedanke der Abschreckung anderer Straftäter. Prägt gerade die religiöse Motivation die Tat (hier: „Abstrafung“ eines Konvertiten zum Christentum), so verstieße es gegen Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, hiervor die Augen zu verschließen.

Strafzumessung II: Körperverletzung, oder: „für Zwecke der Strafzumessung dem oberen Bereich zuzuordnen“

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Die zweite Strafzumessungsentscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 05.09.2019 – 4 StR 178/19 – auch vom 4. Strafsenat des BGH. Erlassen worden ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem der Angeklagte wegen einer Körperverletzung verurteilt worden ist. Auch hier hat der BGH „Bedenken“, die allerdings nicht durchgreifen:

„1. Allerdings ist die strafschärfende Erwägung, die „Erfüllung des subjektiven Tatbestandes der vorsätzlichen Körperverletzung“ sei „für Zwecke der Strafzumessung dem oberen Bereich“ zugeordnet worden, weil es dem Angeklagten darauf angekommen sei, das Tatopfer durch den kraftvoll ausgeführten Stich erheblich zu verletzen, unter den hier gegebenen besonderen Umständen rechtlich nicht unbedenklich. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte mit Verletzungsabsicht handelte. Bei der Einordnung dieses Gesichtspunkts als strafschärfend hätte jedoch das konkrete Handlungsmotiv des Angeklagten in die Bewertung eingestellt werden müssen. Der Angeklagte handelte, wie das Landgericht an anderer Stelle festgestellt und tragfähig belegt hat, mit Verteidigungswillen; er wollte sich gegen das Tatopfer, das ihn angegriffen und seinen Hals umfasst hatte, zur Wehr setzen. Dieses konkrete Handlungsmotiv des Angeklagten hätte im Rahmen der Bewertung der subjektiven Tatseite berücksichtigt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 150/15, BGHSt 63, 54, 61 ff.; Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 ARs 22/16, NStZ-RR 2017, 238). Der Senat versteht die Formulierung unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe jedoch dahin, dass es nicht dem Vorsatzgrad als solchem, sondern – rechtlich unbedenklich – dem Umstand strafschärfende Bedeutung beigemessen hat, dass das Handeln des Angeklagten auf eine erhebliche Verletzung seines Kontrahenten abzielte.“

Strafzumessung I: „kein enger Kontakt zu den Abnehmern“, oder: Keine durchgreifenden Bedenken

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Hier „oben“ ist heute Feiertag, muss man sich auch erst mal dran gewöhnen 🙂 . Und da im Rest der Republik gearbeitet wird, gibt es hier das normale Programm. Der erste Beitrag kommt nur etwas später 🙂 .

Und es ist heute dann ein Strafzumessungstag, den ich mit dem BGH, Beschl. v.  28.08.2019 – 4 StR 93/19 – eröffne. Thematik: Strafzumessung im BTM-Bereich.

Bedenken hat der BGH in einem BTM-Verfahren gehabt, nur nicht „durchgreifend“:

„Die Erwägung der Strafkammer bei der Strafrahmenwahl, es sei nicht ersichtlich, dass „der Angeklagte durch das Vorliegen besonderer Härten zu seinem Tun motiviert wurde“, und die weitere Erwägung, der Kontakt des Angeklagten zu seinen Abnehmern sei nicht so eng gewesen, dass er sich „dem Ansinnen seiner Kunden nicht ohne Weiteres hätte entziehen können“, erweisen sich vorliegend als nicht durchgreifend rechtlich bedenklich. Denn der Senat kann dem Zusammenhang der Ausführungen zur Strafzumessung entnehmen, dass diese Erwägungen lediglich zur Bekräftigung der aufgrund anderer Strafzumessungserwägungen getroffenen Entscheidung dienten, einen minder schweren Fall des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils zu verneinen; eigenständiges strafschärfendes Gewicht kam ihnen nicht zu.“

Bewährung III: Widerruf der Bewährung, oder: Kein Kontakt zum Bewährungshelfer

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In der letzten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Koblenz, Beschl. v. 09.07.2019 – 4 Ws 407/19 – geht es um einen Bewährungswiderruf wegen Weisungsverstosses (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB).

Der Verurteilte ist wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzt worden ist, verurteilt worden. Der Verurteilte wurde angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel unaufgefordert mitzuteilen, darüber hinaus wurde ihm auferlegt, binnen 6 Monaten nach Rechtskraft des Urteils 100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung des Bewährungshelfers abzuleisten.

Der Verurteilte befand sich vom 09.08.2018 bis Anfang September 2018 in stationärer Behandlung in der Fachklinik Alzey. Grund war eine drogeninduzierte Psychose, die der Verurteilte darauf zurückführte, dass er etwa im April 2018 begonnen habe, Crack zu rauchen.

Bis zum 30.10.2018 nahm der Verurteilte aufgrund dieses Umstands lediglich zwei Termine bei seiner Bewährungshelferin wahr, Anlässlich des letzten Gesprächstermins teilte der Verurteilte der Bewährungshelferin mit, dass er im Oktober einen Besuch bei seiner an einem Hirntumor erkrankten Mutter in Italien plane. Die Ehefrau des Verurteilten erklärte gegenüber der Bewährungshelferin am 19.11.2018, dass der Verurteilte sich in Italien aufhalte und in den nächsten Tagen wieder nach Deutschland zurückkehre. Es wurde vereinbart, dass der Verurteilte sich umgehend bei der Bewährungshelferin melden werde. Dies geschah jedoch nicht. Einladungen zu Gesprächsterminen nahm der Verurteilte nicht wahr. Nachdem er seitens des LG mit Schreiben vom 22.01.2019 erfolglos aufgefordert worden war, Nachweise über die Erfüllung der Arbeitsauflagen zu erbringen und die Bewährungshelferin mit Schreiben vom 01.03.2019 mitgeteilt hatte, dass der Verurteilte keinen Kontakt zu ihr aufgenommen habe, bestimmte die Kammer Termin zur Anhörung des Verurteilten auf den 08.04.2019. Der Verteidiger des Angeklagten, den dieser vom Anhörungstermin unterrichtet hatte, teilte unter dem 22.03.2019 mit, dass der Verurteilte in Italien seinen Pass verloren habe und daher nicht erscheinen könne. Eine Glaubhaftmachung erfolgte trotz Aufforderung durch das LG nicht. Im Anhörungstermin erschien der Verurteilte nicht. Mit Beschluss vom 08.04. 2019 widerrief das Landgericht die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, da der Verurteilte die ihm erteilte Auflage nicht erfüllt habe und darüber hinaus im Hinblick auf den Crackkonsum des Verurteilten der Abbruch des Kontakts zur Bewährungshelferin Anlass zu der Besorgnis gebe, dass der Verurteilte erneut Straftaten begehen werde.

Das OLG hat auf die Beschwerde aufgehoben:

„…Widerrufsgründe liegen nicht vor.

1. Der Angeklagte hat nicht dadurch gröblich und beharrlich gegen ihm erteilte Auflagen verstoßen, § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, weil er die ihm erteilte Arbeitsauflage nicht innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist erfüllt hat. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, dass er innerhalb dieser Frist von 6 Monaten nach Rechtskraft entsprechende Weisungen seiner Bewährungshelferin erhalten hätte. Eine andere Frist hat das Landgericht nicht gesetzt, so dass der Verurteilte davon ausgehen konnte, die Auflage (nunmehr) bis zum Ablauf der Bewährungszeit erfüllen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 BvR 2343/14 -, juris).

2. Auch ein Widerruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. StGB kommt nicht in Betracht. Dieser setzt voraus, dass der Verurteilte sich beharrlich der Aufsicht und Leitung seines Bewährungshelfers entzieht. Erforderlich ist darüber hinaus, dass deshalb Anlass zu der Besorgnis besteht, er werde erneut Straftaten begehen, denn der Widerruf dient nicht der Ahndung nachlässigen und weisungswidrigen Verhaltens im Bewährungsverfahren (st. Rspr.). Der Verstoß muss somit durch Art, Gewicht oder Häufigkeit Anlass zur Neubewertung der ursprünglich positiven Sozialprognose geben: Das Gericht hat insoweit unter Würdigung der Verstöße in ihrer konkreten Bedeutung und unter Berücksichtigung des gesamten Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit eine erneute Prognose zu stellen. Nur wenn die Verstöße zu krimineller Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in Beziehung stehen, dass hierdurch weitere Straftaten zu befürchten sind, kommt ein hierauf gestützter Widerruf in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2007 – 2 BvR 1046/07 -, juris Rn. 19; OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 2013 – III-1 Ws 124/13 -, juris). Der Verstoß gegen Weisungen für sich allein trägt eine negative Prognose daher nicht. Der weisungswidrige Abbruch des Kontakts zum Bewährungshelfer lässt nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu; erforderlich sind vielmehr stets weitere konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte dafür, der Verurteilte werde weitere Straftaten begehen (BVerfG a.a.O.).

Solche konkreten Anhaltspunkte sind vorliegend nicht zu erkennen. Der Verurteilte ist nach den Feststellungen des Urteils vom 19. April 2018 strafrechtlich sonst nicht in Erscheinung getreten. Zwar hat er, wie er gegenüber der Bewährungshelferin eingeräumt hat, etwa Ende April 2018 begonnen, Crack zu rauchen. Nachdem der Verurteilte sich wegen einer drogeninduzierten Psychose in stationärer Behandlung befand, den Aufenthalt in Alzey als sehr positiv beschrieb und sich sichtlich beeindruckt von den Auswirkungen des Crackrauchens zeigte, vermag der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung des mehrmonatigen Drogenmissbrauchs nicht zu erkennen, dass der Verurteilte durch den Kontaktabbruch Anlass zu der Besorgnis böte, dass er erneut Straftaten begehen werde. Dies gilt umso mehr, als der Verurteilte sich seit Anfang Juni wieder in Deutschland aufhält, Kontakt mit seiner Bewährungshelferin aufgenommen und sich mittlerweile bei der Stadtverwaltung vorgestellt hat, bei der er die Arbeitsstunden ableisten soll.

Der Senat weist den Verurteilten aber darauf hin, dass der Erfolg seines Rechtsmittels für ihn kein Freibrief ist. Er hat vielmehr den ihm erteilten Weisungen und Ladungen der Strafkammer nachzukommen, andernfalls er wiederum mit einem Widerrufsverfahren rechnen muss.

Bewährung II: Nachträgliche Gesamtstrafenbildung, oder: Anrechnung von Auflagen zwingend

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Der BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – 1 StR 192/19 – befasst sich mit einem Fall der nachträglichen Gesamtstrafenbildung. Dazu ist in § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB ein Verweis auf 3 56f StGB vorgesehen. Der regelt – für den Fall des Bewährungswiderrufs – die Anrechnung erfüllter Bewährungsauflagen. Die Regelung gilt bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung entsprechend.

Die Strafkammer hatte nun in dem der Revisionsentscheidung des BGH zugrunde liegenden Urteil die Anrechnung unterlassen. Das rügt der BGH und reapriert den Fehler des LG:

Die von der Strafkammer unterlassene Anrechnung der erfüllten Bewährungsauflage steht in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB, anders als in denen des § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB, nicht im Ermessen des Gerichts, sondern hat in der Regel zu erfolgen (BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381; Beschlüsse vom 2. April 2009 – 2 StR 11/09 und vom 18. Juli 2007 – 2 StR 256/07). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahme von diesem Grundsatz sind hier nicht ersichtlich. Da alle erforderlichen Tatsachen im angefochtenen Urteil mitgeteilt werden, hat der Senat den Rechtsfehler auf die Sachrüge zu berücksichtigen und kann die Anrechnungsentscheidung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst nachholen (BGH, Urteil vom 3. November 2000 – 2 StR 274/00, NStZ 2001, 163, 164 mwN). Er bemisst den Anrechnungsmaßstab in Orientierung an § 7 Abs. 1 Satz 1 der Baden-Württembergischen Landesverordnung des Justizministeriums über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit vom 30. Juni 2009 (GBl 2009, S. 338). Es ist auszuschließen, dass das Landgericht zu einem für den Angeklagten günstigeren Anrechnungsmaßstab gelangt wäre, zumal da die erbrachten Arbeitsstunden bereits bei der Gesamtstrafenbemessung strafmildernd berücksichtigt wurden.2

Der BGH hat die vom Angeklagten auf die Bewährungsauflage aus dem (einbezogenen) Urteil erbrachten 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren mit 30 Tagen angerechnet werden. Nicht viel, aber immerhin…