Archiv für den Monat: Juni 2018

Erzwingungshaft, oder: Um zahlungsfähig zu werden, muss man sich nicht prostituieren

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Und dann noch mal etwas mit/zur Prostitution, und zwar der AG Dortmund, Beschl. v. 22.05.2018 – 729 OWi 49/18 [b]. Das AG hat einen Antrag auf Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) abgelehnt:

„Die Stadt B betreibt gegen die Betroffene die Vollstreckung eines Bußgeldes i.H.v. 75 € wegen einer von ihr begangenen grob ungehörigen Handlung, nachdem sich die Betroffene am 06.01.2018 mittags mit einer männlichen Person am Nordmarkt in B auf einer öffentlichen Damentoilette aufgehalten hat. Ausweislich des Akteninhaltes ist die Betroffene „Wiederholungstäterin“. Es steht zu vermuten, dass sie sich dort prostituiert, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Sie ist Osteuropäerin ohne festen Wohnsitz und  erhält ausweislich der vorgelegten „Niederschrift über einen fruchtlosen Pfändungsversuch“ vom 31.01.2018 keinerlei Sozialleistungen. Aus diesen Umständen ergibt sich zwanglos, dass sie gem. § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG zahlungsunfähig ist bzw. sich allenfalls zahlungsfähig machen könnte, indem sie sich weiterhin prostituiert. Letzteres will und kann das Gericht jedoch nicht durch Androhung von Erzwingungshaft fordern.“

Die vom AG vorgschlagenen Leitsätze:

Bei einer obdachlosen Person, die keine Sozialleistungen erhält, bei der Pfändungsversuche fruchtlos verliefen und die offenbar lediglich Einnahmen durch Prostitution in öffentlichen Toiletten hat, kann Zahlungsunfähigkeit angenommen werden.

Die Möglichkeit sich weiter zu prostituieren, um hierdurch zahlungsfähig zu werden, führt nicht zu einer anzunehmenden Zahlungsfähigkeit.

Wenn die Prostituierte die zugesagte Leistung nicht erbringt, oder: Erfüllungsbetrug?

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Ich eröffne die Woche dann mit einem Beschluss aus dem „wilden Süden“, und zwar mit dem AG Reutlingen, Beschl. v. 03.04.2018 – 5 Cs 24 Js 4686/18. Das AG hat den Erlass eines Strafbefehls gegen die Beschuldigte abgelehnt, den die StA auf der Grundlage folgenden Sachverhalts beantragt hatte

„Am 10. Februar 2018 zwischen 08,30 und 14.00 Uhr habe die Angeschuldigte, eine ungarische Staatsbürgerin, unter Vorspiegelung ihrer vollen Leistungswilligkeit per WhatsApp dem Anzeigeerstatter angedient, ihm ab 21.30 Uhr zwei Stunden lang „full service“ und „ohne Tabus“ sexuelle Dienstleistungen für 350,– € zu erbringen. Bereits bei Vertragsschluss habe sie zumindest billigend in Kauf genommen, nicht die volle Leistung erbringen zu wollen oder können. Im Vertrauen auf ihre Leistungswilligkeit habe der Anzeigeerstatter – vor Aufnahme der sexuellen Handlungen – nach deren Erscheinen in dessen Wohnung gegen 21.45 Uhr die verlangten 350.- EUR in bar übergeben. Vorgefasster Absicht entsprechend habe die Angeschuldigte sich gegen 22.00 Uhr nach dem ersten geschlechtlichen Verkehr wieder angekleidet und habe die Örtlichkeit verlassen, ohne zu weiteren sexuellen Handlungen bereit zu sein. Dem Anzeigeerstatter sei hierdurch ein entsprechender Schaden in Höhe von etwa 300 EUR entstanden.“

Das AG lehnt aus tatsächlichen Gründen ab, und zwar:

„In tatsächlicher Sicht steht dem Erlass eines Strafbefehls entgegen, dass ein hinreichender Tatverdacht zweifelhaft ist. Es handelt sich um eine Konstellation Aussage-gegen-Aussage, wobei überdies eine Vernehmung der Angeschuldigten mit einem Dolmetscher unterlassen wurde. Mit dem „WhatsApp“-Chat, gar in einer Übersetzung, wurde die Angeschuldigte im Ermittlungsverfahren schon nicht konfrontiert, was freilich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1, 3 lit. d) EMRK vor Erlass eines Strafbefehls unerlässlich erscheint. Dass eine Übersetzung des Chats und dessen Vorhalt in ungarischer Sprache notwendig gewesen wäre, folgt schon aus dem Umstand, dass die Polizei Belehrungsformulare in ungarischer Sprache verwendet hat. Die datentechnische Integrität des vom Anzeigeerstatter vorgelegten Chat-Protokolls ist nicht überprüft.

Soweit der Anzeigeerstatter sich betrogen sieht, bleibt festzuhalten, dass die von ihm mitgeteilten Inhalte der Vertragsabsprache sehr wohl der Auslegung, §§ 133, 157 BGB, zugänglich sind. Zwar mögen im Bereich der gewerblichen Prostitution bestimmte Bezeichnungen und Szene-Abkürzungen („Full Service“) üblich sein, zum Beispiel in Zeitungsannoncen oder bei der Geschäfts- bzw. Verkehrsanbahnung. Doch kann hier den vagen Angaben des Anzeigeerstatters nicht sicher entnommen werden, was rein tatsächlich zum Leistungsinhalt gemacht werden sollte, worin mithin die Täuschung liegen könnte. Zum Online-Profil der Beschuldigten – zur Tatzeit – sind keine Ermittlungen getätigt. Aus diesem könnten sich Auslegungshinweise ergeben.

Auch bekundet der Anzeigeerstatter umfangreiche Nachverhandlungen in seiner Wohnung, die nicht mehr durch Chatverläufe dokumentiert sind.

Beruht die Annahme von der Täterschaft des Angeschuldigten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an den hinreichenden Tatverdacht strenge Anforderungen zu stellen. Dabei ist berücksichtigt, dass bei dem im Rahmen der Entscheidung nach § 408 Il StPO zu fällenden Wahrscheinlichkeitsurteil für in dubio pro reo noch kein Raum ist. Jedoch kann der hinreichende Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

Da drei weitere mögliche (Entlastungs-)Zeugen oder gar Beteiligte in der Akte geführt werden, die unvernommen blieben, ist anzumerken, dass eingedenk der strukturellen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nur einzelne ergänzende richterlich veranlasste Beweiserhebungen im späteren Verfahren vorgesehen sind. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung des von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Tatvorwurfs oder zur erstmaligen Abklärung einer Konstellation Aussage-gegen-Aussage sind gesetzlich nicht vorgesehen, Gleichermaßen unstatthaft ist der Erlass eines Strafbefehls unter der Annahme, „erst später“, im Falle eines Einspruches, nachträglich umfangreiche Beweisaufnahmen durchzuführen, wie etwa die Vernehmung zentraler Zeugen zur weiteren Abklärung. Hierin läge ein von Rechts wegen nicht vorgesehene Aufweichung oder Herabsetzung des im (Strafbefehls-)Verfahren für eine Anklage vorausgesetzten Verdachtgrades.“

Abgelehnt hat das AG auch aus rechtlichen Gründen, weil nach seiner Ansicht die Rückforderung des Anzeigeerstatters sittenwidrig sei, jedenfalls aber kein Anspruch bestehe. Ein Erfüllungsbetrug scheide deswegen aus. Insoweit: Selbststudium 🙂 .

Sonntagswitz: Heute zum Sommer und so…

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Nachdem in der vergangenen Woche Sommeranfaag war, bieten sich heute Witze zum Sommer und so 🙂 an. Hoffen wir mal, dass der Sommer 2018 kein Witz wird 🙂 :

Was ist die gefährlichste Jahreszeit?

Der Sommer: Die Sonne sticht, die Salatköpfe schießen, die Bäume schlagen aus und der Rasen wird gesprengt.


Mutti, darf ich in diesem Sommer einen Bikini tragen?“

„Nein, Karl!“


Was versteht man in Polen unter „Triathlon“?

Zum See laufen, eine Runde schwimmen und mit dem Fahrrad nach Hause fahren.


und dann war da noch:

Kommt der Ehemann nach Hause: „Frau, wir haben im Lotto gewonnen! Pack die Koffer!“

Darauf seine Frau: „Sommer oder Winterkleidung“?

Darauf er: „Ist mir scheißegal, hauptsache du bist in 10 Minuten verschwunden!“

Wochenspiegel für die 25. KW. 2015, das war (damals): NSU, Tuğçe, ein frustrierender Einzeiler und der “Coverboy” Gerhard Schröder

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Wenn ich unterwegs ist das mit den Wochenspiegeln immer etwas schwierig. Die kann man schlecht vorbereiten, vor allem, wenn man schon Dienstags den „Laden schließt“. Daher heute kein Wochenspiegel für die ablaufende 25. KW. 2018, sondern ich greife zurück auf die 25. KW. 2015. Also: Ein Blick zurück, aber nicht im Zorn 🙂 . Und in der Woche waren aktuell:

  1. Konflikt um Zschäpe-Verteidigerin spitzt sich zu,
  2. dazu passt: Schweigen als Waffe? ,
  3. den Fall Tugce mit: Urteil im Fall Tugce: 3 Jahre Jugendstrafe für Sanel M. – ein gerechtes Urteil?, oder: Warum ist der Fall Tugce zu dem geworden, was er ist?, oder: Tuğçe: Sanel M. zu 3 Jahren Jugendstrafe verurteilt, und auch: Jeder, der heute 3 Jahre Haft in einem gewissen Urteil skandalisiert….,
  4. OLG Köln: Über­ho­len trotz Gegen­ver­kehr – not­falls muss der Gegen­ver­kehr ausweichen,
  5. Frustrierende Einzeiler, in der Tat ,
  6. Szenetypische Stückelung,
  7. LG Münster: Wenn eine Kanzlei die Andere „vernichten“ will…,
  8. Gerhard Schröder ./. DER SPIEGEL: Coverstory – Update,
  9. Haftung von Forenbetreibern: (k)eine Revolution aus Straßburg, oder auch: “Ihr beschissenen Heuchler” – Verhindert das neue Urteil des EGMR Hasskommentare besser?,
  10. und dann war da noch: Griechenland-Krise gelöst: Merkel und Tsipras einigen sich in persönlichem Telefonat – leider dann wohl doch nicht 🙂 .

Abwägung Tier-/Betriebsgefahr, oder: Welchen Seitenabstand muss ich zu einem Pony einhalten?

entnommen wikimedia.org
Urheber Ganida

Folgender Sachverhalt lag dem OLG Celle, Urt. v. 10.04.2018 – 14 U 147/17 -, in dem das OLG über Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, bei dem das Pony der Klägerin verletzt und infolgedessen eingeschläfert wurde,  zugrunde:

Am 20.04.2011 ritt die damals 13-jährige Tochter der Klägerin, die Zeugin T. M., zwischen 11:00 Uhr und 12:00 Uhr auf der 6-jährigen Ponystute „Sunny Surprise“ der Klägerin auf der rechten Fahrbahnseite der Verlängerung des S.weges in S., OT E. Bei der Verlängerung des S.weges handelt es sich um eine einspurige Fahrbahn mit Randstreifen auf beiden Seiten.
Der Zeugin T. M. kam der Beklagte zu 1 mit einem Lkw (Sattelzugmaschine mit Auflieger) der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, entgegen. Die Zeugin M. parierte ihr Pferd zum Halten durch und stellte es auf dem aus ihrer Sicht rechten Seitenstreifen leicht schräg mit dem Kopf des Pferdes in Richtung Fahrbahn, als sich der Lkw näherte. Dabei blieb sie auf dem Pferd sitzen.

Der Beklagte zu 1 verlangsamte seine Geschwindigkeit und passierte Pferd und Reiterin, wobei er den Lkw ganz nach rechts auf der asphaltierten Fahrbahn lenkte. Als der Lkw Pferd und Reiterin etwa zur Hälfte passiert hatte, scheute das Pferd. Ob es zu einer Berührung mit dem Lkw kam, steht im Streit. Jedenfalls verletzte sich das Pferd schwer, weshalb es in der Folge eingeschläfert wurde.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin neben der Erstattung von Behandlungskosten insbesondere den Wert des Pferdes ersetzt.
Erstinstanzlich hat sie die Ansicht vertreten, der Beklagte zu 1 hätte den Seitenstreifen, der auch befahrbar gewesen sei, nutzen müssen, um ein gefahrloses Passieren durch die Reiterin zu ermöglichen. Stattdessen sei er ohne den notwendigen Mindestabstand von 1,50 bis 2,00 Metern an der Reiterin vorbeigefahren. Außerdem hat die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Vorbeifahren Gas gegeben, wodurch sich das Pferd erschreckt habe. Es sei sodann durch die Berührung mit dem Lkw schwer verletzt worden. Es habe keine Aussicht auf Heilung bestanden, weshalb es tierschutzgerecht zu euthanasieren gewesen sei. Das Pony habe einen Verkehrswert von 10.000 Euro gehabt.“

Das LG ist von einer Haftungsverteilung „halbe/halbe“ ausgegangen. Das OLG hat das gehalten. Es hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Sowohl beim Passieren als auch beim Begegnen eines Reiters sollte ein Fahrzeug – abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls – einen Seitenabstand von wenigstens 1,50 m bis etwa 2,00 m einhalten.

2. Auch wenn das Bankett nicht zur Fahrbahn gehört, kann es die konkrete Verkehrslage als sachgerechte und vernünftige Maßnahme erscheinen lassen, das Bankett mitzubenutzen, um z. B. den gebotenen Seitenabstand zu einem Reiter einhalten zu können.