Archiv für den Monat: April 2018

Trunkenheitsfahrt, oder: 0,64 BAK und Unfall beim Ausparken reichen nicht….

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Ich hatte neulich über den LG Darmstadt, Beschl. v. 12.03.2018 – 3 Qs 112/18 berichtet (vgl. dazu: Trunkenheitsfahrt, oder: 0,54 BAK, Vorfahrtsverstoß und Nervosität reichen nicht….). Dazu passt ganz gut der AG Mönchengladbach, Beschluss vom 19.02.2018 – 59 Gs 151/18

„Die für die beantragte Entscheidung erforderliche Voraussetzung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit ist nicht ausreichend dargelegt oder aus dem Sachverhalt ersichtlich:

Die Höhe der BAK lag wurde mit 0,60 o/oo ermittelt. Der Beschuldigte hat allerdings bereits bei seiner ersten Befragung angegeben, ein Bier gegen Mittag und ein Bier nach der Rückkehr vom Bäcker gegen 16.00 Uhr getrunken zu haben; Nachtrunk kann insoweit nicht ausgeschlossen werden.

Die ärztlichen Feststellungen ergaben keine Auffälligkeiten. Allein der Hinweis darauf, dass der Beschuldigte einen Unfall verursacht hat, reicht zur Begründung seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit nicht aus. Der Unfall ereignete sich beim rückwärtigen Ausparken. Dass eine dabei erfolgte Kollision auf die – eher geringgradige – Alkoholisierung zurückzuführen ist, kann nicht festgestellt werden.“

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Unfallflucht, oder: Der Beschuldigte muss nicht schlauer als die Polizei sein

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Heute dann „Thementag“ Verkehrsrecht. Und ich starte mit einem kleinen, aber feinen Beschluss, und zwar dem AG Tiergarten, Beschl. v. 05.12.2017 – (311 Gs) 3041 Js 12898/17 (202/17). Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Das AG hat (s)einen Beschluss betreffend vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte bei der Halterüberprüfung durch die Polizeibeamten nicht ausreichend belehrt worden ist.

Auch besteht hinreichender Tatverdacht dahin gehend, dass der Beschuldigte den Unfall wahrgenommen hat und sich in Kenntnis des Unfalls vom Unfallort entfernt hat.

Da aber selbst die Polizeibeamten vor Ort den Fremdsachschaden auf lediglich 500,00 € geschätzt haben, liegt kein dringender Tatverdacht dahingehend vor, dass der Beschuldigte wusste oder nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten wissen konnte, dass ein bedeutender Fremdsachschaden eingetreten ist.“

Klein, aber fein ist der Beschluss wegen des letzten Satzes. Etwas Besseres als ein Verschätzen – was hier offenbar geschehen ist – durch die Polizeibeamten, die den Fremdschaden aufgenommen haben, kann dem Beschuldigten im Hinblcik auf den für die Regelentziehung nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB gar nicht passieren. Denn der Beschuldigte muss ja nicht schlauer als die Polizei sein 🙂 .

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie wird der Zeitaufwand beim Selbstleseverfahren vergütet?

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Ich hatte am Freitag die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Wie wird der Zeitaufwand beim Selbstleseverfahren vergütet?,  hier zur Diskussion gestellt. Und darauf sind dann auch drei Antworten gekommen, die den richtigen Ansatz gefunden haben. Nämlich den KG, Beschl. v. 07.05.2012 – 1 Ws 31/12, der (natürlich) auch hier bei den RVG-Entscheidungen steht. Der hat die Frage verneint.

Ich habe zu der Entscheidung, die auch im RVGreport 2014 veröffentlicht ist, dort wie folgt Stellung genommen:

„Nicht unstreitig in der Rechtsprechung ist die Frage und/oder die Abgrenzung des Abgeltungsbereichs von Terminsgebühr und Verfahrensgebühr. Die wohl h.M. geht zutreffend davon aus, dass die Verfahrensgebühr (nur) die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung abgilt, während die konkrete Vorbereitung des einzelnen Hauptverhandlungstermins von der jeweiligen Terminsgebühr erfasst wird (vgl OLG Hamm, AGS 2006, 498 = JurBüro 2006, 591; OLG Hamm RVGreport 2009, 309 = StRR 2009, 438; OLG Jena StV 2006, 204 = RVGreport 2006, 423 = JurBüro 2005, 470; OLG Oldenburg JurBüro 2007, 528; OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32 = Rpfleger 2006, 36; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 439 = NJW 2008, 2935 = JurBüro 2008, 586 = RVGreport 2009, 19 = StRR 2009, 11; OLG Köln, AGS 2008, 447 = StRR 2008, 323 [Ls.]; LG Dessau-Roßlau, JurBüro 2009, 427 [für OWi-Verfahren]; AG Tiergarten StraFo 2012, 117; s. inzidenter u.a. auch NJW 2012, 167 = StRR 2012, 77 = RVGreport 2012, 101; a.A. OLG Bremen RVGreport 2012, 63 = StraFo 2012, 39 = StRR 2012, 278; LG Detmold,  03.02.2009 – 4 Qs 172/08; LG Hannover Nds.Rpfl. 2005, 327; LG Magdeburg, StRR 2008, 480; AG Koblenz AGS 2008, 346 = VRR 2008, 319 = RVGreport 2009, 340; AG Marburg, Beschl. v. 24.06.2011 – 55 Ds 3 Js 14334/10). Der Auffassung scheint auch das KG zu sein. Dann ist es aber nur konsequent, wenn das Lesen/Auswerten von Urkunden, für die nach § 249 Abs. 2 StPO das Selbstleseverfahren angeordnet worden ist, nicht der Terminsgebühr des Termins, in dem die Anordnung des Selbstleseverfahrens ergangen ist, zugerechnet wird, sondern als allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung angesehen wird. denn abgesehen davon, dass das Lesen dieser Urkunden der Anordnung des Selbstleseverfahrens im Termin nachfolgt, handelt es sich dabei nicht um Vorbereitung eines konkreten Termins, sondern um Tätigkeit, die dem allgemeinen Aktenlesen zuzurechnen ist. Das KG hat also zutreffend entschieden.“

Also, wenn gebührenerhöhend nicht bei der Terminsgebühr, sondern bei der (gerichtlichen) Verfahrensgebühr. Und natürlich ist das (Selbst)Lesen von Urkunden auch ein Aufwand, der ggf. im Rahmen der Pauschgebührbewilligung (§§ 42, 51 RVG) eine Rolle spielen kann.

Urteilsabsetzungsfrist, oder: Bestimmt behaupten, nur zweifeln reicht nicht.

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Und als zweite Entscheidung heute dann noch einmal der BGH, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 StR 464/17, über den ich ja schon in der vergangenen Woche berichtet hatte (vgl. hier: Tatbegriff im Steuerstrafverfahren, oder: Kein Strafklageverbrauch). 

Der BGH hat in der Entscheidung auch – kurz – zu einer mit der Verfahrensrüge erhobenen Beanstandung Stellung genommen. Gerügt war nämlich wohl eine Verletzung des § 338 Nr. 7 – also Nichteinhaltung der Urteilsabsetzungsfrist. Gerügt war aber nicht ordnungsgemäß:

„2. Die von der Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 1 StPO ist nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt. Entgegen den gesetzlichen Anforderungen wird die Nichteinhaltung der Urteilsabsetzungsfrist nicht mit Bestimmtheit behauptet (zu diesem Erfordernis etwa BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 1 StR 75/14 Rn. 65, StraFo 2015, 70, 72 mwN), sondern die Rechtzeitigkeit lediglich bezweifelt. Zudem teilt die Revision trotz ihr möglichen Zugriffs auf diese Information nicht mit, dass auf Blatt 1 der Niederschrift der Sitzung vom 8. März 2017 ein Vermerk der Geschäftsstelle über den Eingang des Urteils dort (§ 275 Abs. 1 Satz 5 StPO) am 23. Mai 2017 und damit am letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist angebracht ist.“

Daraus zwei Lehren:

1. Bestimmt behaupten = klare Worte sind erforderlich. Nur zweifeln reicht nicht.

2. Und: Zu dem Umstand, dass es einen zeitlich passendenRechtszeitigkeitsvermerk gibt, muss man schon etwas schreiben.

„Richterlicher Vernehmung“, oder: Dann gibt es immer einen Pflichtverteidiger

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Die 5. KW., eröffne ich mit einem Beschluss des LG Halle, nämlich dem LG Halle, Beschl. v. 26.03.2018 – 10a Qs 33/18 -, den mir der Kollege Funck aus Braunschweig übersandt hat. Er behandelt eine mit dem „neuen“ § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO zusammenhängende Frage, nämlich die Problematik, was eigentlich mit richterliche Vernehmung i.S. der Neuregelung gemeint ist. Das LG Halle sieht es richtig, so wie es in der Literatur von Schlothauer und mir auch gesehen wird. „Richterliche Vernehmung“ ist alles bzw. ein Pflichtverteidiger ist immer beizuorden, wenn es um eine richterliche Vernehmung geht, also auch in den Fällen der Haftbefehlseröffnung.  Damit gibt es an der Stelle – nach einer Entscheidung des AG Stuttgart, das die Frage ebenso entschieden hat, – jetzt eine h.M. Die Begründung des LG:

„Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO bestellt das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, dem Beschuldigten einen Verteidiger, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt oder wenn die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Halle erfasst die Vorschrift des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO zur Überzeugung der Kammer auch richterliche Vernehmungen des Beschuldigten im Rahmen einer Haftvorführung wie im vorliegenden Fall. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gibt es keine Einschränkungen, sondern die Vorschrift spricht ganz allgemein von richterlichen Vernehmungen (so auch Prof. Dr. Schlothauer, StV 2017, 557). Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht ebenfalls für die Anwendung auf Fälle der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten im Rahmen der Haftvorführung. Die Vorschrift ist Ausprägung der Richtlinie EU 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016. Danach heißt es unter Art. 4 Abs. 4 a):

„wenn ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person in jeder Phase des Verfahrens im Anwendungsbereich dieser Richtlinie einem zuständigen Gericht oder einem zuständigen Richter zur Entscheidung über eine Haft vorgeführt wird“.

Aber auch die Bedeutung der Vernehmung gebietet hier eine Beiordnung, denn vorliegend geht es um die Frage, ob gegen den Betroffenen Haftbefehl ergeht bzw. die Haft aufrechterhalten oder der Haftbefehl aufgehoben wird, mithin um die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG). Eine richterliche Vernehmung des Beschuldigten im Rahmen eines Haftverkündungstermins hat auch sonst erhebliche Bedeutung für das weitere Verfahren, sodass eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten und erforderlich erscheint, denn nach § 254 StPO können Erklärungen des Angeklagten, die in einem richterlichen Protokoll enthalten sind, zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein Geständnis in der Hauptverhandlung verlesen werden. Erklärungen des Angeklagten gegenüber einem Richter können auch durch Zeugenvernehmung des damals vernehmenden Richters in die Hauptverhandlung eingeführt werden.“

Sollte man als Verteidiger auf den Schirm haben. Denn man merkt schon wieder, dass es offenbar in eine andere Richtung laufen soll. AG sieht es anders und ordnet nichtbei. StA beantragt, der Beschwerde nicht abzuhelfen……