Archiv für den Monat: Oktober 2017

OLG Bamberg II: Wir halten daran fest, oder: Wie gehabt bei der Einsicht in Messunterlagen

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Zu den „neuen“ Beschlüssen des OLG Bamberg zur (Akten)Einsicht, die gerade übersandt worden sind, gehört auch der OLG Bamberg, Beschl. v. 24.08.2017 – 3 Ss 1162/17. Er ist zeitlich vor dem vorhin vorgestellten der OLG Bamberg, Beschl. v. 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 ergangen (vgl. dazu: OLG Bamberg I: Wir zementieren den Teufelskreis, und/oder: Herr Cierniak kann es auch nicht.), liegt aber auf der Linie bzw. bereitet den Beschluss vor.

Es geht um die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen abgelehnter Einsicht in Messdateien und Rohmessdaten. Dazu heißt es:

„1. Die Rüge, das AG habe den in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen und damit rechtliches Gehör verletzt, greift nicht durch. Zwar ist es richtig, dass der Beschluss des AG dahin lautet, dass der mit „Anlage 2“ und nicht der mit „Anlage 3“ bezeichnete Antrag zurückgewiesen wird. Insoweit handelt es sich jedoch schon angesichts des Umstands, dass das AG dem in Anlage 2 niedergelegten Akteneinsichtsantrag zuvor nachgekommen war, um ein offensichtliches redaktionelles Versehen. Ausweislich der Urteilsgründe hat sich das AG zudem mit den seitens der Verteidigung im Antrag geäußerten Zweifeln an der korrekten Durchführung der Messung inhaltlich auseinandergesetzt und schon damit dokumentiert, dass es sich vom Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens überzeugt und die dagegen erhobenen Einwendungen nicht übergangen hatte. Anhaltspunkte für eine willkürliche Vorgehensweise des Gerichts bestehen insoweit nicht.

2. Das AG hat auch nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, als es den als Antrag auf Akteneinsicht bezeichneten und in Anlage 1 zum Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Antrag der Verteidigung auf Beiziehung des Rohdatensatzes der Messung und der Statistikdatei abgelehnt hat. Es entspricht insoweit gefestigter Rspr. des Senats (OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 = DAR 2016, 337 = StRR 2016, Nr 8, 16 = OLGSt StPO § 147 Nr 10 und vom 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 = StraFo 2016, 461 = ZD 2017, 80), der sich mittlerweile auch andere Oberlandesgerichte – teilweise sogar unter ausdrücklicher Aufgabe ihrer bisherigen entgegengesetzten Rechtsprechung – angeschlossen haben (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss (OWi) 40/17 = ZfS 2017, 469; OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2017 – 2 RBs 202/16 [bei juris]), dass die Nichtüberlassung der Messdatei keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör darstellt.

3. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt auch unter den Gesichtspunkten der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht in Betracht. Unbeschadet des Umstands, dass das AG den Antrag auf Beiziehung der Rohmessdaten und der Statistikdatei fälschlich als Beweisantrag angesehen hat, ist obergerichtlich geklärt, dass die Nichtüberlassung von Messdaten nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt, wenn sich der Tatrichter – wie hier – aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt hat, dass die Voraussetzungen eines sog. standardisierten Messverfahrens eingehalten wurden (OLG Bamberg, OLG Oldenburg und OLG Hamm, jeweils a.a.O.). Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird daher nach § 80 Abs. 4 Sätze 1 und 3 OWiG verworfen. Damit gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 OWiG). […]“

Wie gehabt: Wir halten daran fest….

OLG Bamberg I: Wir zementieren den Teufelskreis, und/oder: Herr Cierniak kann es auch nicht.

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Vor einigen Tagen hat das OLG Bamberg über seinen Fachpressereferent einige OLG-Beschlüsse zum Straf- und Bußgeldrecht versandt, die man als veröffentlichwürdig ansieht. Darunter waren auch mehrere Entscheidungen zur (Akten)Einsicht in Messdaten pp. im Bußgeldverfahren, so u.a. der OLG Bamberg, Beschl. v. 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17. Über den hat der Kollege Gratz ja schon berichtet. Ich habe den Beschluss lieber erst an die Seite gelegt. Ich wollte mich wieder „abregen“, bevor ich ihn hier poste.

Es geht mal wieder um die Frage der Verletzung des Grundsatzes fairen Verfahrens bei verweigerter Beiziehung von nicht bei den Bußgeldakten befindlicher potentieller Beweisunterlagen. Der Klassiker und der Dauerbrenner in der OLG-Rechtsprechung der letzten Zeit. Und ich denke, es wird niemanden überraschen, wenn er bei der Lektüre des Beschlusses feststellt: Das OLG Bamberg hält an seiner (falschen) Rechtsprechung fest und zementiert die. Wie gehabt: Alle anderen haben Unrecht, wir wissen es (besser). Vor allem hat auch Cierniak – immerhin Richter am BGH – Unrecht, der kann es auch nicht. Und: Es gibt natürlich keinen Teufelskreis.

Wer mag, kann den Beschluss lesen. Ich stelle hier nur die amtlichen Leitsätze vor. Wie immer gespickt mit zahlreichen Zitaten/Hinweisen auf andere Entscheidungen, denen man sich anschließt und die die Richtigkeit der eigenen Auffassung schon im Leitsatz untermauern sollen:

1. Die Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von nicht bei den Akten befindlichen Unterlagen (etwa Lebensakte eines Abstands- und Geschwindigkeitsmessgeräts) verletzt nicht den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK); vielmehr handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) gerügt werden kann (Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 – 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548 = EuGRZ 1983, 196; BGH, Urt. v. 26.05.1981 – 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860 ; Beschl. v. 28.03.2017 – 4 StR 614/16 [bei juris]; entgegen: OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss [OWi] 40/17 = ZfS 2017, 469 = NZV 2017, 392; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 08.09.2016 – 53 Ss-OWi 343/16 = StraFo 2017, 31 = VM 2017 Nr. 4; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. vom 01.03.2016 – 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 = NJW 2016, 1457 = NStZ-RR 2016, 186 = DAR 2016, 399 = NJ 2016, 468).

2. Ein Antrag, der auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Behauptung gerichtet ist, dass die dem vorgeworfenen Abstandsverstoß zu Grunde liegende „Messung nicht ordnungsgemäß“ sei und dass die “Vorgaben der PTB nicht eingehalten“ worden seien, stellt mangels hinreichend bestimmter Tatsachenbehauptung keinen Beweisantrag i.S.d. §§ 244 Abs. 3 StPO, 77 Abs. 2 OWiG dar.

3. Die bei einem Abstandsverstoß zu beachtende „Beobachtungsstrecke“ soll gewährleisten, dass der Verstoß auch vorwerfbar begangen wurde, was etwa bei einem plötzlichen Abbremsen oder einem unerwarteten Spurwechsel durch den Vordermann fraglich sein könnte. Aus diesem Grund muss die Beobachtungsstrecke nicht exakt 300 m betragen (Aufrechterhaltung OLG Bamberg, Beschluss vom 25.02.2015 – 3 Ss OWi 160/15 = NJW 2015, 1320 = NZV 2015, 309 = ACE-Verkehrsjurist 2015, Nr. 2, 10 = DAR 2015, 396).

Mir ist das immer ein wenig (?) zu viel.

Vorgelegt zum BGH wird (natürlich) nicht, Warum auch? Man befindet sich ja im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH.

Na ja, wenn man es alles liest: Markig, Aber: So ganz sicher scheint man sich dann doch nicht zu sein. Denn ich frage mich, was soll sonst der letzte Absatz, in dem es heißt:

„Abschließend sieht sich der Senat zu folgendem Hinweis veranlasst: Auch wenn aus den dargelegten Gründen der Grundsatz des fairen Verfahrens durch die Nichtbeiziehung von außerhalb der Akte befindlichen Unterlagen nicht tangiert wird, wäre es jedenfalls bei überschaubaren und leicht zu erlangenden Urkunden, wie etwa der Lebensakte, deren Umfang sich regelmäßig auf ein DIN A4-Blatt beschränkt, von Schulungsnachweisen des Messbeamten und des Eichscheins, schon aus Gründen der Verfahrenseffizienz ratsam, diese rechtzeitig zum Verfahren beizuziehen. Dies gilt umso mehr, als sich hierdurch, insbesondere bei Beachtung der Möglichkeiten zur Einführung solcher Urkunden in die Hauptverhandlung nach §§ 249 II StPO, 78 I OWiG gegebenenfalls eine zeitaufwendige Beweisaufnahme durch Heranziehung personeller Beweismittel erübrigen kann.“

Der ist doch völlig überflüssig, wenn die vertreteten Auffassung in der entschiedenen Frage richtig ist/wäre. Und wie will man reagieren, wenn die Amtsrichter, die entsprechenden Unterlagen, obwohl es „schon aus Gründen der Verfahrenseffizienz ratsam [wäre], diese rechtzeitig zum Verfahren beizuziehen“? Will man dann die Verletzung eines Grundsatzes der Ratsamkeit (kreiert durch das OLG Bamberg) prüfen? Ich bin gespannt.

BTM-Handel, oder: Mit oder ohne Waffe?

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Und die dritte Entscheidung aus dem BtM-Bereich ist dann der BGH, Beschl. v. 21.3.2017 – 1 StR 19/17 -, den ich hier wegen der Waffenproblematik vorstelle. Das LG hatte den Angeklagten nämlich u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM mit Waffen verurteilt. Dagegen hat sich der Angeklagte mit Erfolg gewandt:

„1. Der Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge wird von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht getragen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegen die Voraussetzungen der Qualifikation aus § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG grundsätzlich nicht vor, wenn lediglich eine als Gehilfe am Grunddelikt strafbar beteiligte Person während des Tatzeitraums eine Schusswaffe oder einen sonstigen Gegenstand mit sich führt, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist (BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194 und vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 224/13, StV 2014, 617, 618; siehe auch BGH, Urteil vom 21. März 2000 – 1 StR 441/99, NStZ 2000, 433; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 30a Rn. 106). Ausreichend ist allerdings das Mitsichführen eines von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erfassten Ge-genstandes durch einen Mittäter des betäubungsmittelrechtlichen Grunddelikts, wenn sich der gemeinsame Tatentschluss auf den Qualifikationstatbestand bezieht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 192 ff. und vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 224/13, StV 2014, 617, 618; Urteil vom 10. August 2016 – 2 StR 22/16, NStZ-RR 2016, 375, 376 f.).

b) Ein gemeinschaftliches Handeltreiben durch den Angeklagten und seine beiden unbekannt gebliebenen „Begleiter“ (UA S. 11) belegen die Feststellungen nicht. Auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lassen sich die Voraussetzungen einer Mittäterschaft nicht entnehmen.

aa) Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eige-nen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung um-fasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; vom 9. April 2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 225 f.; vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 Rn. 17 und vom 10. August 2016 – 2 StR 22/16, NStZ-RR 2016, 375, 376). Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines ande-ren Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6; Urteil vom 10. August 2016 – 2 StR 22/16, NStZ-RR 2016, 375, 376).

bb) Die Beteiligung der „Begleiter“ des Angeklagten an der hier fraglichen Tat beschränkte sich auf eine Rangelei mit dem nicht revidierenden Mit-angeklagten P. , in deren Folge dieser eine Tasche mit 250 g Marihuana an einen der beiden Begleiter übergab. Im weiteren Verlauf des Geschehens zeigte einer der Begleiter dem Mitangeklagten ein von ihm (dem Begleiter) mitgeführtes Messer. Bei dieser Gelegenheit erkannte der Angeklagte erstmals das Mitsichführen eines Messers durch einen seiner Begleiter und die von diesem vorgenommene Zweckbestimmung, das Messer zu Verteidigungszwecken gegen Menschen einzusetzen. Der Angeklagte billigte dieses. Später übergab der Mitangeklagte in seiner Wohnung ein weiteres Päckchen mit Marihuana an den Angeklagten und dessen Begleiter.

Daraus lassen sich die für eine Mittäterschaft erforderlichen Anhaltspunkte nicht entnehmen. Ein eigenes Tatinteresse der Begleiter ist aus den Urteilsgründen nicht erkennbar. Gleiches gilt für eine auf das Handeltreiben gerichtete Tatherrschaft oder wenigstens den Willen dazu. Durch festgestellte tatsächliche Umstände belegt ist allenfalls eine Beihilfe der Begleiter, damit auch des bewaffneten Begleiters, zu täterschaftlichem Handeltreiben des An-geklagten. Das genügt aber nicht für die Qualifikation aus § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG.

c) Die Voraussetzungen, unter denen der Bundesgerichtshof ausnahmsweise das Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines sonst verlet-zungsgeeigneten und -bestimmten Gegenstands durch einen Gehilfen für die Verwirklichung des bewaffneten Handeltreibens seitens des Täters hat ausreichen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1997 – 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 14; Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194), liegen nach den Feststellungen ebenfalls nicht vor. Da der Angeklagte überhaupt erst während des Vorgehens gegen den Mitangeklagten P. eher zufällig (siehe UA S. 11) Kenntnis von dem Messer eines seiner Begleiter erhielt, liegt sehr fern, dass der Angeklagte jederzeit auf das Messer selbst hat zugreifen oder über dessen Einsatz im Wege eines Befehls hat verfügen können (zu den Krite-rien BGH jeweils aaO). Das gilt erst recht unter Berücksichtigung der Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Strafzumessung. Dort schildert das Tatgericht den Eindruck des Mitangeklagten P. , dem Angeklagten habe – ersichtlich bezogen auf das Vorzeigen des Messers durch einen der Beglei-ter – die „Eskalation leid“ getan. Der Angeklagte sei „kreidebleich“ gewesen (UA S. 23). Das hat mit der häufig als „Leibwächterfall“ (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194) bezeichneten Ausnahmekonstellation der Zurechnung von Gehilfenverhalten zum Täter des Betäu-bungsmitteldelikts nichts zu tun.

d) Angesichts des bislang Festgestellten zu Verhalten und Rolle der „Begleiter“ des Angeklagten bei der fraglichen Tat schließt der Senat weitergehende Feststellungen aus, durch die ein bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln für den Angeklagten noch belegt werden könnte. Der Senat lässt daher die Verurteilung aus dem Qualifikationsdelikt entfallen und ändert den Schuldspruch wie aus der Entscheidungsformel zu 1.a) ersichtlich. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich nicht erfolgreicher als geschehen verteidigen können.“

Drogenkurier, oder: Grundkurs zum Vorsatz und zur Einlassung

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Urheber H. Zell

Die zweite Entscheidung des heutigen Tages stammt dann auch aus dem Bereich der BtM-Verfahren. Und zwar geht es im BGH, Urt. v.05.07.2017 – 2 StR 110/17 – auch um unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen transportierte der Angeklagte am 17.02.2016 im Auftrag unbekannt gebliebener Dritter für einen Kurierlohn von 1.000 € insgesamt 62,5 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 15,5 Prozent aus den Niederlanden nach Deutschland. Er wusste, dass das Rauschgift gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Der Angeklagte stellte sein Fahrzeug auftragsgemäß in einem Industriegebiet ab und ging spazieren. Während seiner Abwesenheit wurde das Rauschgift von Dritten in seinem Fahrzeug deponiert. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift entdeckt und sichergestellt. Der Angeklagte hatte sich über Verteidigererklärungen in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, dass er „nur“ vom Transport von 10 Kilogramm Haschisch ausgegangen sei; ihm sei von seinen Auftraggebern gesagt worden, dass er sein Fahrzeug in einem Industriegebiet abstellen und spazieren gehen solle; während seiner Abwesenheit würden 10 Kilogramm Haschisch in dem Fahrzeug deponiert. Das Landgericht vermochte sich ungeachtet einer auf einem der Rauschgiftpakete gesicherten daktyloskopischen Spur des rechten Daumens des Angeklagten nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte hinsichtlich der Gesamtmenge mit jedenfalls bedingtem Vorsatz handelte.Die Revision der StA hatte Erfolg.

Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG als lückenhaft. Sie lasse besorgen, dass das LG überspannte Anforderungen an die Annahme bedingten Vorsatzes bezogen auf die Menge des transportierten Rauschgifts gestellt habe. Insoweit gilt:

„a) Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind lückenhaft, weil der Tatrichter die allein über Verteidigererklärungen erfolgte Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht auf ihre Plausibilität überprüft und in Bezug zu seinen früheren Bekundungen gesetzt hat. Das Landgericht ist insoweit davon ausgegangen, dass „die Einlassung des Angeklagten unterstellt“ werden müsse und nur dann widerlegt werden könne, wenn gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen. Dies greift zu kurz. An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184). Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Angaben im Verlaufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen kann (Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184).

b) Das Landgericht hat zwar erkannt, dass die über Verteidigererklärungen erfolgte Einlassung des Angeklagten in einem zentralen Punkt mit den übrigen Beweisergebnissen nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen war; seine Erklärung, während des Verladens des Rauschgifts in sein Fahrzeug spazieren gegangen zu sein, lässt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres damit in Einklang bringen, dass auf dem Verpackungsmaterial eines der Betäubungsmittelpakete unterhalb des Klebebands eine Fingerspur – der Abdruck des rechten Daumens – des Angeklagten gesichert worden ist. Soweit die Strafkammer die Beweisbedeutung dieses Indizes mit der Begründung rela-tivierte, die festgestellte einzelne Fingerspur deute nicht darauf hin, dass der Angeklagte die – sehr große, aus 56 Blöcken und 208 Platten bestehende – Rauschgiftmenge selbst in das Fahrzeug gelegt oder sonst „bei einem Verbringen der Betäubungsmittel in das Fahrzeug in irgendeiner Weise mitgewirkt“ habe, da anderenfalls mehr als nur eine einzelne Fingerabdruckspur hätte aufgefunden werden müssen, sind diese Erwägungen lückenhaft. Das Landgericht hat die Lage der Fingerspur unterhalb der Verpackung nicht erkennbar in den Blick genommen. Darüber hinaus hat es sich nicht mit der nahe liegenden Geschehensvariante auseinander gesetzt, dass der Angeklagte bei der Verbringung der Betäubungsmittel in das professionelle Schmuggelversteck seines Fahrzeuges anwesend gewesen sein könnte und dabei eines der Pakete berührt hat. Eine solche Geschehensvariante wäre zwanglos mit der Spurenlage vereinbar und könnte zugleich dafür sprechen, dass der Angeklagte Kenntnis von der ungefähren Gesamtmenge der von ihm tatsächlich transportierten Betäubungsmittel hatte.

c) Schließlich fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Annahme eines auf die tatsächlich transportierte Gesamtmenge bezogenen bedingten Vorsatzes des Angeklagten. In diesem Zusammenhang wäre auch in die Erwägungen einzustellen gewesen, dass der Angeklagte „das Versteck und vor allem dessen Größe kannte“ (vgl. UA S. 11).“

Schöne Anleitung zur Gesamtwürdigung der Einlassung des Angeklagten…………

Klassiker im BtM-Verfahren, oder: Die unzulässige/unrichtige Schätzung des Wirkstoffgehalts

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By Dundak – Own work

Die fehlenden Feststellungen zum Wirkstoffgehalt bei den BtM-Verfahren/-Verurteilungen sind inzwischen ein Klassiker. Ihc habe erst vor kurzem auf die insoweit erforderlichen Feststellungen hingewiesen. Hier dann – zur Festigung 🙂  – noch eine Entscheidung des BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 20.06.2017 – 1 StR 213/17 – betreffend ein Verfahren wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.:

„Die Feststellungen zu den Fällen 1 – 6 sowie 8 und 9 der Urteilsgründe tragen die Schuldsprüche. Der Schuldspruch der Angeklagten für die im Fall 7 der Urteilsgründe festgestellte Tat hat hingegen keinen Bestand.

Das Landgericht hat nur im Fall 8 der Urteilsgründe – gestützt auf ein Sachverständigengutachten – konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels getroffen. Im Übrigen hat das Landgericht eine Schätzung „unter Berücksichtigung aller Umstände“, insbesondere der Angaben der Angeklagten zum An- und Verkaufspreis sowie zur Qualität des Methamphetamins („heftige Qualität“), vorgenommen und ist in den Fällen 1 – 7 und 9 der Urteils-gründe jeweils durchgängig von einem Wirkstoffgehalt von 60 % Methamphe-taminbase ausgegangen.

Das Tatgericht darf allerdings nur dann den Wirkstoffgehalt – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – unter Berücksichtigung der sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbe-teiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) durch eine „Schätzung“ festlegen, soweit konkrete Feststellungen zur Wirkstoffkonzentration nicht getroffen werden können, wenn die Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht (mehr) zur Verfügung stehen (BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2016 – 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247; vom 7. Dezember 2011 – 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 und vom 6. August 2013 – 3 StR 212/13, StV 2013, 703; Patzak in Körner/ Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 331 ff. mwN).

Die Schätzung des Landgerichts ist zudem nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat bereits nicht geprüft, ob aus dem konkret festgestellten Wirkstoffgehalt in Fall 8 – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einkaufspreise – Rückschlüsse auf den Wirkstoffgehalt der jeweiligen Betäubungsmittel in den anderen Fällen möglich waren. Zudem ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Landgericht bei unterschiedlichen Einkaufspreisen immer denselben Wirkstoffgehalt von 60 % Methamphetaminbase zu-grunde legt.

Dieser Rechtsfehler betrifft durchgreifend aber lediglich den Schuldspruch in Fall 7, da insoweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei rechtsfehlerfreier Bestimmung bzw. Schätzung des Wirkstoffgehalts die nicht geringe Menge unterschritten wird. In den Fällen 1 – 4 und 6 der Urteilsgründe kann der Senat angesichts des An- und Verkaufs jeweils größerer Mengen von Betäubungsmitteln und der jeweiligen Preise ausschließen, dass im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge unterschritten wurde (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 – 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247; Urteil vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93, NJW 1994, 1885; Patzak in Körner/ Patzak/Volkmer aaO, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 214). In den Fällen 5 und 9 der Urteilsgründe verbleibt es – unabhängig von dem Rechtsfehler – ohnehin jeweils bei dem Schuldspruch wegen unerlaubten Erwerbs in Tateinheit mit uner-laubter Einfuhr von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG.

2. Der Strafausspruch hält in den Fällen 1 – 6 sowie 9 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Wie dargelegt, fehlt es in diesen Fällen an der Feststellung des Wirkstoffgehalts der jeweiligen Betäubungsmittel und damit an der Feststellung eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes. Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht kann auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt deshalb regelmäßig nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2016 – 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247; vom 7. Dezember 2011 – 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 und vom 6. August 2013 – 3 StR 212/13, StV 2013, 703, je mwN).