Archiv für den Monat: August 2017

BVerfG zum VW-Abgasskandal, oder: Der „VW-Dieselskandal“ ist beim BVerfG angekommen

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Im „Kessel Buntes“ dann nach den Gesetzesänderungen der Hinweis auf die BVerfG, Beschl. v. 25.07.2017 – 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17, 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1562/17.  Dazu mache ich es mir einfach und greife auf die PM des BVerfG v. 26.07.2017 zurück. Die hatte die Überschrift: „Die Staatsanwaltschaft München II darf die bei der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day sichergestellten Unterlagen vorerst nicht auswerten“. Bisher hatte ich die Meldung immer wieder übersehen. Heute bringe ich sie dann aber, bevor die Entscheidung in der Hauptsache da ist 🙂 .

Es geht um das von der StA München II im Zuge des sog. „VW-Dieselskandals“ geführte Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt. In dem Verfahren wurden im März 2017 die Münchener Büroräume der von der Volkswagen AG mandatierten Rechtsanwaltskanzlei Jones Day durchsucht. Anlässlich des in den USA geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Abgasmanipulationen an Dieselfahrzeugen hatte die Volkswagen AG die Rechtsanwaltskanzlei Jones Day im September 2015 mit internen Ermittlungen, rechtlicher Beratung und der Vertretung gegenüber den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden beauftragt. Zum Zwecke der Sachaufklärung sichteten die Rechtsanwälte von Jones Day innerhalb des Volkswagen-Konzerns eine Vielzahl von Dokumenten und führten konzernintern über 700 Befragungen von Mitarbeitern durch. Mit dem Mandat waren auch Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro der Kanzlei Jones Day befasst.

Die StA München II führt wegen der Vorgänge im Zusammenhang mit den 3,0 Liter-Dieselmotoren der Audi AG ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges und strafbarer Werbung, das sich bislang gegen Unbekannt richtet. Auf ihren Antrag ordnete das AG München die Durchsuchung der Münchener Geschäftsräume der Kanzlei Jones Day an. Im Rahmen der Durchsuchung am 15.03.2017 wurden zahlreiche Aktenordner sowie ein umfangreicher Bestand an elektronischen Daten mit den Ergebnissen der internen Ermittlungen sichergestellt. Die Beschwerden der Volkswagen AG, der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day sowie der sachbearbeitenden Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro gegen die Durchsuchungsanordnung und die Bestätigung der Sicherstellung waren erfolglos. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerden und Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Daten bis zu einer Entscheidung über die eingelegten Verfassungsbeschwerden einstweilen auszusetzen.

Mit den o.a. Beschlüssen hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG nun im Wege der einstweiligen Anordnung die Staatsanwaltschaft München II angewiesen, die im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten Unterlagen und Daten beim AG München zu hinterlegen und einstweilen nicht auszuwerten.

Zu den wesentlichen Erwägungen des des BVerfG aus der PM:

„a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte die Staatsanwaltschaft in der Zwischenzeit eine Auswertung des sichergestellten Materials vornehmen. Dieser Zugriff der Strafverfolgungsbehörden könnte nicht nur zu einer – möglicherweise irreparablen – Beeinträchtigung des rechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen der Volkswagen AG einerseits und der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day und damit auch den sachbearbeitenden Rechtsanwälten führen. Auch andere Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, könnten im Falle einer Auswertung – zumal angesichts der medialen Aufmerksamkeit, die dem Fall zukommt – ihre Geschäftsgeheimnisse und persönlichen Daten bei der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day in Unsicherheit wähnen und deshalb ihre Aufträge zurückziehen. Dies hätte unmittelbare Folgen auch für die berufliche Tätigkeit der sachbearbeitenden Rechtsanwälte. Darüber hinaus könnte die Staatsanwaltschaft durch die Auswertung Kenntnis von Informationen erlangen, die allesamt aufgrund des von der Volkswagen AG erteilten Mandats in die Sphäre der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day gelangt sind und über deren Preisgabe sie als Auftraggeberin bisher selbst entscheiden konnte. Zudem könnten durch die Auswertung auch persönliche Daten unbeteiligter Dritter, insbesondere von Mitarbeitern der Volkswagen AG oder ihrer Tochtergesellschaften wie etwa der Audi AG, zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen.

b) Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, erwiesen sich die Verfassungsbeschwerden später jedoch als unbegründet, würde damit lediglich eine Verzögerung der staatsanwaltlichen Ermittlungen für eine begrenzte Zeitspanne einhergehen. Ein Beweisverlust hinsichtlich der Informationen aus dem sichergestellten Material wäre nicht zu befürchten.

c) Bei Abwägung der jeweiligen Folgen wiegen die möglichen Nachteile für die Beschwerdeführer schwerer als die durch den Erlass der einstweiligen Anordnung eintretende vorübergehende Beschränkung der staatlichen Strafverfolgung.“

Änderungen/Neuerungen in StPO/StGB/StVG, oder: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Verteidiger

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Ich hatte ja bereits am Donnerstag über das Inkrafttreten vom „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ v. 17.08.2017 (im BGBl. verkündet worden hier BGBl I. S. 3202. ) berichtet. Ist ein etwas sperriger Titel, einfacher wäre und ist es mit „StPO u.a. 2017“. Das war allerdings – räume ich ein 🙂 – ein reiner Werbebeitrag für das von mir zu den durch das Gesetz erfolgten Änderungen/Erweiterungen der StPO verfasste Ebook „Effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2017 – ein erster Überblick„. Auch ein ein wenig sperriger Titel. Aber wenn das Gesetz so heißt 🙂 .

Offen geblieben ist in dem Beitrag dann, was denn nun eigentlich alles neu in der StPO ist. Darauf will ich jetzt mit der nachfolgenden Zusammenstellung kurz in einem Überblick noch hinweisen:

  • Ermittlungsverfahren
    • Abschaffung des Richtervorbehalts (§ 81a Abs. 2 StPO) für bestimmte Delikte aus dem Bereich der §§ 315a, 315c, 316 StGB, im neuen § 46
    • Präzisierung der Vorschriften über Molekulargenetische Untersuchungen (§ 81e StPO)
    • Gesetzliche Erweiterung von Reihenuntersuchungen (§ 81h StPO) auf nahe Angehörige
    • Einführung der Quellen-TKÜ/Staatstrojaner (§ 100a), was m.E. verfassungsrechtlich bedenklich ist
    • Einführung der sog. Online-Durchsuchung (§ 100b StPO), was m.E. ebenfalls verfassungsrechtlich bedenklich ist – George Orwell lässt grüßen,
    • eine zusätzliche Belehrung des Beschuldigten über die Kostenfolge der Beiordnung eines Pflichtverteidigers (§ 136 Abs. 1 Satz 3 StPO), eine nicht nur alberne, sondern auch gefährliche Neuregelung,
    • Pflicht/Möglichkeit zur audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen (§ 136 Abs. 4 StPO)
    • Erfordernis der Pflichtverteidigung bei richterlichen Vernehmungen (§ 141 Abs. 3 Satz 4 StPO), ein Schritt in die richtige Richtung, aber leider nur ein „Schrittchen“, denn das eigene Antragsrecht des Beschuldigten fehlt noch immer,
    • Konzentration der Zuständigkeit für Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (§ 141 Abs. 4 StPO),
    • Einführung der (unsäglichen) Erscheinenspflicht für Zeugen bei der Polizei (§ 163 StPO), die Verteidigern noch viel Freude bereiten wird,
    • Erweiterung der Privatklagedelikte (§ 397 StPO) um die Nötigung
  • Hauptverhandlung
    • Änderungen im Ablehnungsverfahren (§§ 26, 26a, 29 StPO) mit der Möglichkeit der Fristsetzung zur Begründung und Änderungen im Ablauf der Hauptverhandlung
    • Einführung eines „Abstimmungsgesprächs“ in umfangreichen Verfahren (§ 213 Abs. 2 StPO)
    • Gesetzliche Verankerung des „Opening Statement“ (§ 243 Abs. 5 Satz 3 StPO)
    • die lange angekündigte Möglichkeit zur Fristsetzung bei Beweisanträgen (§ 244 Abs. 6 Satz 2 und 3 StPO)
    • Erweiterung des Urkundenbeweises durch Verlesung von Protokollen (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO)
    • Möglichkeit der Vorführung einer Bild-Ton-Aufnahme nach § 254 StPO
    • Erweiterung der Verlesung von ärztlichen Attesten (§ 256 StPO)
    • Erweiterung/Anpassung der Hinweispflichten (§ 265 StPO)
  • Rechtsmittelverfahren
    • Möglichkeit der Einstellung nach § 153a StPO auch im Revisionsverfahren
    • Gesetzliche Verankerung der Stellungnahmepflicht der Staatsanwaltschaft (§ 347 StPO)
    • Fristanpassung/-verlängerung bei der Kostenbeschwerde (§ 464b StPO)

Das Gesetz hat dann noch weitere Änderungen gebracht, und zwar u.a.:

  • Die Erweiterung/Änderung des § 44 StGB – Fahrverbot als Nebenstrafe – jetzt bei allen Delikten zulässig/möglich und nicht mehr nur bei solchen mit verkehrsrechtlichem Einschlag
  • Und dann die Änderung im StVG
    • Zunächst Einfügung eines § 25 Abs. 2b StVG mit einer klaren Regelung der Vollstreckung von Fahrverboten nach § 25 StVG, in dem es jetzt heißt:

„(2b) Werden gegen den Betroffenen mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.“

  • Und schließlich noch die Änderung des § 46 OWiG, mit der Übernahme der Abschaffung des Richtervorbehalts in Abs. 4 Satz 2 für die Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 24a, 24c StVG.

So, das waren die wesentlichen Änderungen, es gibt noch ein paar Änderungen im (StPO)Vollstreckungsverfahren, aber die mag der Leser selbst nachlesen.

Ich weise dann auch hier noch einmal auf mein Ebook hin, also <<Werbemodus an >>: In dem sind die o.a. Änderungen der StPO dargestellt, natürlich mit ersten Hinweisen und Tipps, wie man mit den neuen Vorschriften umgehen muss. Hier der Bestelllink. Denn eins ist m.E. sicher. Die Änderungen sind mehr oder weniger auch eine Arbeitsbeschaffsungsmaßnahme für Verteidiger/Rechtsanwälte. ? Jedes Ding hat eben zwei Seiten. >>Werbemodus aus>>.

Ich habe da mal eine Frage: Vergütung für die neuen Nebenklagen nach altem/neuem Recht?

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In der vergangenen Woche hatte sich ein Kollege bei mir mit zwei Fragen gemeldet, von denen ich die eine hier zur Diskussion stelle. Nämlich:

„Ich bin Nebenklagevertreter in einem Großverfahren. Zu Beginn des Verfahrens (Mai 2013) vertrat ich einen Nebenkläger. Die Gebühren richten sich nach der alten RVG. Im Sommer 2014 wurden mir durch das Gericht noch weitere Nebenkläger in dem gleichen Verfahren beigeordnet. Könnte ich nun, mit Verweis auf die neuen Beiordnungen, eine Vergütung nach der neuen RVG in Rechnung stellen?“

Die Übergangsfragen machen also immer noch Probleme.

Verbindung in der Hauptverhandlung, oder: Es kommt auf die „juristische“ Sekunde an

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Urheber Ulfbastel

Der Kollege Scheffler aus Bad Kreuznach hat mir vor ein paar Tagen den LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 07.08.2017 – 2 Qs 49/17 – geschickt. Der behandelt zwei Fragen, und zwar einmal die Problematik, ob die Nr. 4141 VV RVG auch aufgrund einer entsprechenden Anwendung entsteht, wenn der Verteidiger auf den Erlass eines – vom Angeschuldigten akzeptierten – Strafbefehls hinwirkt und dadurch eine Hauptverhandlung vermieden wird. Da sagt das LG nein, kein Fall der Nr. 4141 VV RVG, was man in dem entschiedenen Fall m.E. mittragen kann. Denn es lag folgenden Sachverhalt vor:

Der Kollege war Pflichtverteidiger des Angeklagten im Verfahren A einschließlich eines hinzuverbundenen Verfahrens B. Im Hauptverhandlungstermin des führenden Verfahrens A, an dem der Kollege teilgenommen hat, ist der Angeklagte nicht erschienen. Das AG hat sodann im Rahmen der Hauptverhandlung das weitere Verfahren C zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und weiter beschlossen, dass die Verfahren A und C zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden und die bereits erfolgte Pflichtverteidigerbestellung insoweit erstreckt wird. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde sodann in das Strafbefehlsverfahren übergeleitet und ein Strafbefehl erlassen, der auch das hinzuverbundene Verfahren C erfasste. Im Rahmen der Kostenfestsetzung hat der Kollege dann u.a. für das Verfahren A die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RVG geltend gemacht. Insoweit kann man das – wie gesagt – mittragen, da es ein etwas andere Fallkonstellation ist als in den bisher dazu vorliegenden Entscheidungen.

Interessanter ist die Frage nach einer Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG auch für das Verfahren C. Die hatte der Kollege ebenfalls beantragt und die ist ebenfalls nicht festgesetzt worden. Begründung des LG in Kurzfassung: Für die Entstehung einer Terminsgebühr bei Verfahren, die erst in der Hauptverhandlung verbunden werden, komme es darauf an, dass in allen Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden habe (OLG Bremen NStZ-RR 2013, 128; OLG Dresden RVGreport 2009, 62). Hier habe vor der Verbindung des Verfahrens C zum führenden Verfahren aber keine eigenständige Hauptverhandlung in dieser Sache stattgefunden.

Auch diese Ausführungen des LG zum Anfall der Terminsgebühr beruhen auf und entsprechen der vom LG angeführten h.M. in der Frage. Der habe ich bisher auch immer zugestimmt. Allerdings ist dabei bislang, auch von mir, ein Punkt übersehen worden, auf den der Kollege  hier im Beschwerdeverfahren hingewiesen hatte. Er hat nämlich ausgeführt, dass auch die Terminsgebühr in dem hinzuverbundenen Verfahren angefallen sei, „da zwischen dem Eröffnungsbeschluss im Rahmen der mündlichen Verhandlung und dem Verbindungsbeschluss ein Termin auch in diesem Verfahren für mehrere tatsächliche Sekunden stattgefunden habe„. Das Argument, also die berühmte „juristische Sekunde“, ist – meine ich – nicht von der Hand zu weisen. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens findet eine Hauptverhandlung in dem hinzuverbundenen Verfahren statt, mag sie auch nur ganz kurz bis zum Erlass des unmittelbar auf die Eröffnung folgenden Verbindungsbeschlusses dauern. Das reicht für das Entstehen der Hauptverhandlung aus. Die kurze Dauer des Termins hat beim Pflichtverteidiger keine Auswirkungen auf die Höhe der Terminsgebühr, er erhält Festbetragsgebühren. Beim Wahlanwalt hängt die Höhe der entstandenen Terminsgebühr hingegen von der Dauer des Termins ab. Bei ihm wird im Zweifel also nur die Mindestgebühr anfallen. An dieser Stelle ist m.E. also für die Zukunft Umdenken angesagt.

Man wird also umdenken müssen. Kommentar ist leider schon weg 🙂 .

Der mittellose Angeklagte, oder: Fahrtkostenvorschuss vor Revisionsverwerfung, nur so ist es fair

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Heute ist Freitag und damit mal wieder der Tag für Gebührenentscheidungen bzw. für Entscheidungen mit gebührenrechtlichem Einschlag. Und in der Reihe macht der OLG Celle, Beschl. v. 30.05.2017 – 1 Ss 26/17 – den Anfang.

Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Beleidigung verurteilt worden. Die Berufung des Angeklagten hat das LG nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Der Angeklagte hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und vorsorglich Revision für den Fall der Verwerfung dieses Antrages eingelegt. Zugleich hat er unter Hinweis auf seine finanziellen Verhältnisse beantragt, vorab Fahrtkosten für die Strecke E.?S. zu erstatten, um ihm die Begründung seiner Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle des LG Stade zu ermöglichen. Das LG Stade hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Unter Hinweis auf den nicht gewährten Fahrtkostenvorschuss hat der Angeklagte mit selbst verfassten Schriftsatz seine Revision begründet. Das LG hat die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen, weil sie nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Allein die Einreichung einer Revisionsbegründung genüge nicht. Das OLG hebt auf:

„Der angefochtene Beschluss war aber aufzuheben, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Angeklagten hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung seiner Revision nach § 345 Abs. 2 StPO gemäß § 44 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden wird. Denn der Angeklagte hat innerhalb der Revisionsbegründungsfrist einen Antrag auf Fahrtkostenerstattung im Vorwege gestellt, den das Gericht nicht innerhalb dieser Frist beschieden hat. Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) ergab sich die Verpflichtung des Gerichts, über die Verwerfung der Revision nicht vor dem Bescheid über die Bewilligung eines Fahrtengutscheins oder von Fahrtkostenerstattung zu entscheiden (vgl. BayObLG, JR 2003, 79 [80]). Nur dadurch wäre er nach seinem Vortrag in die Lage versetzt worden, rechtzeitig eine formwirksame Revisionsbegründung abzugeben. Dies erscheint aufgrund der Entfernung des Wohnortes vom zuständigen Landgericht und den Feststellungen des Amtsgerichts in der ersten Instanz zu den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten auch plausibel. Eine Abgabe der Revisionsbegründung bei einem wohnortnahen Gericht kam aufgrund des Wortlauts des § 345 Abs. 1 StPO nicht in Betracht (vgl. OLG Brandenburg, NStZ 2010, 413; OLG Oldenburg, NStZ 2012, 51). Der Antrag zielte auch nicht auf eine rechtlich unmögliche Leistung ab, da Ziffer 9008 Nr. 2 VV GKG Zahlungen an mittellose Personen für die Reise zum Ort einer Verhandlung, Vernehmung oder Untersuchung vorsieht. Insoweit durfte der Angeklagte darauf vertrauen, dass über seinen Antrag innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entschieden würde.“

Ein wenig schnell das LG  und „unfair“