Archiv für den Monat: August 2017

Mama als Entlastungszeugin, oder: Erstmals in der Hauptverhandlung vernommen?

© Dan Race Fotolia .com

Der BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 3 StR 107/17 – macht noch einmal auf einen (potentiellen) Fehler bei der Beweiswürdigung aufmerksam, der in der Praxis häufiger festzustellen ist. Es geht um eine Verurteilung wegen Vergewaltigung. In der Hauptverhandlung ist die Mutter des Angeklagten als (Entlastungs)Zeugin vernommen worden. Die hat dabei – erstmals – ein „wichtiges Detail“ bekundet. Dem BGH gefällt die Beweiswürdigung des LG nicht:

„1. Im Hinblick auf die Beweiswürdigung stößt es auf rechtliche Bedenken, dass die Jugendkammer im Zusammenhang mit der Würdigung der den Angeklagten entlastenden Angaben seiner Mutter, denen die Jugendkammer nicht gefolgt ist, ausgeführt hat, es falle zunächst auf, dass die Mutter des Angeklagten diese Angaben erstmals bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung gemacht habe, während es nahe gelegen hätte, das betreffende „wichtige Detail, wenn es denn der Wahrheit entsprechen würde“, bereits im Ermittlungsverfahren ungefragt bei der Polizei anzugeben. Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, dass das Landgericht gegen den vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz verstoßen hat, wonach die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden darf, dass dieser im Ermittlungsverfahren geschwiegen bzw. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sich erst in der Hauptverhandlung in einer den Angeklagten entlastenden Weise eingelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 298/15, NStZ 2016, 301 mwN).“

Allerdings:

„Dies gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, weil nicht feststeht, dass der Rechtsfehler tatsächlich vorliegt. Denn den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die Mutter des Angeklagten im Ermittlungsverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, und eine diesbezügliche Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden. Den Entscheidungsgründen zufolge ist es vielmehr möglich, dass die Mutter des Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren ausgesagt und lediglich das den Angeklagten entlastende „wichtige Detail“ erstmals in der Hauptverhandlung mitgeteilt hat; in diesem Fall ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, ihr Aussageverhalten bei der Beweiswürdigung zu Ungunsten des Angeklagten zu werten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. April 1987 – 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327 ff.).“

Schlimmer geht nimmer, oder: Strafschärfend ist, dass die Tatopfer/Frauen „weniger attraktiv“ waren.

© J.J.Brown – Fotolia.com

Der Kollege Vetter vom LawBlog macht im Moment Sommerpause. Daher hat er mir vorgestern den von ihm erstrittenen OLG Bamberg, Beschl. v. 24.08.2017 – 3 OLG 7 Ss 70/17 – übersandt und mir das „Aufschlagsrecht“ für ein Posting eingeräumt. Das Recht will ich dann schnell wahrnehmen. Der Beschluss würde zwar gut in die nächste Serie zu Strafzumessungsentscheidungen passen, da er sich zu unzulässigen Strafzumessungserwägungen bei einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung äußert. Aber: Da würde er vielleicht „untergehen“ Und das soll er nicht. Denn es ist schon bemerkenswert, was das OLG Bamberg zu auch mehr als bemerkenswerten Strafzumessungserwägungen des LG Coburg schreibt.

Vorab allgemein: An dem landgerichtlichen Urteil stimmt hinsichtlich der Strafzumessung nichts: Das OLG moniert „eine Vielzahl von gravierenden Rechtsfehlern“, darunter bereits eine falsche Strafrahmenwahl durch das LG, soweit das Vorliegen eines minder schwerer Falls i.S.d. § 177 Abs. 5 StGB a.F. verneint worden ist. Darüber hinaus stellt es u.a. mehrere Verstöße gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB fest und die Bewährungsentscheidung (§ 56 StGB) wird auch beanstandet.

Der sprichtwörtliche Draht springt einem aber aus der Mütze, wenn man diese harschen Worte des OLG liest:

„d) Soweit das Landgericht strafschärfend wertet, dass es sich bei den Tatopfern um Frauen handelt, die gegenüber anderen Kolleginnen, die der Angeklagte nur mit „anzüglichen Bemerkungen“ verbal „belästigt“ hatte, weniger „attraktiv“ waren, liegt ein weiterer ebenso grober wie evidenter Rechtsfehler vor.

Es ist schon mit der Würde des Gerichts in keiner Weise in Einklang zu bringen, wenn in einem Urteil höchstpersönliche Wertungen zur Attraktivität von Prozessbeteiligten bzw. Tatopfern angestellt werden. Eine derartige, gegen das jedem Gericht obliegende Sachlichkeitsgebot verstoßende und anmaßende Vorgehensweise, die einer Verhöhnung der Opfer gleichkommt, würde zwar per se den Angeklagten noch nicht beschweren. Das Tatgericht hat aber, ungeachtet der damit offenbarten Distanzlosigkeit, seine persönliche Einschätzung zur (geringeren) Attraktivität der Tatopfer auch noch zum Anlass genommen, hierin einen Strafschärfungsgrund zu erblicken, was unhaltbar ist. Denn es versteht sich von selbst, dass das äußere Erscheinungsbild der Opfer von Sexualstraftaten in keinem Zusammenhang mit den allein für die Strafzumessung maßgeblichen Kriterien des Unrechts und der Schuld des Angeklagten steht.“

Eine doch recht heftige Richterschelte durch das OLG Bamberg, das in meinen Augen mit solchen Dingen immer recht vorsichtig ist. Man muss sich aber auch mal vor Augen halten, wie das LG formuliert hat und was es meint: Bewertet wird, wie attraktiv die Opfer der Taten waren. Dass das falsch ist, liegt auf der Hand (sorry, aber darauf kann man an sich gar nicht kommen. Und offensichtlich frauenfeindlich ist es auch. Schlimmer geht m.E. nimmer.

OLG Hamm zu PoliscanSpeed, oder: Auch wir machen es falsch…

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Der Kollege Kögel aus Wetter hat mir vor einigen Tagen den OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2017 – 1 RBs 47/17 – übersandt. In ihm hat das OLG – in einem Zusatz (!) – noch einmal zu PoliscanSpeed und zur Frage: Noch standardisiert?, Stellung genommen. Das OLG führt aus:

„Zusatz:

Ergänzend bemerkt der Senat an:

Der Senat sieht aufgrund der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 13.07.2017 – III- 1 RBs 80/17 OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.06.2017 – 1 Ss (OWi) 115/17 juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2017 – 2 Rb 8 Ss 246/17BeckRS 2017, 111916; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 21.04.2017 – Ss Rs 13/17 (26/17) juris; KG, Beschluss vom 21.06.2017 – 3 Ws (B) 156/17162 Ss 90/17 – BeckRs 2017, 116543) zu der Frage, welchen möglichen Einfluss etwaige Rohmessdaten, deren Ortskoordinaten außerhalb des Messbereichs des Messgeräts PoliScan Speed liegen, auf die Zuverlässigkeit der Messung haben, nebst den in den vorgenannten Entscheidungen in Bezug genommenen Stellungnahmen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt „Unveränderte Gültigkeit der Bauartzulassung zur Eichung des LaserscannerGeschwindigkeitsüberwachungsgerätes PoliScan Speed der Fa. Vitronoc“ in der Fassung vom 16.12.2016 (http://dx.doi.org/10.7795/520.20161209A) mit genauer Beschreibung der Messwertbildung sowie „Antworten auf häufige Fragen zum Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan Speed der Fa. Vitronic“ in der Fassung vom 12.01.2017 (http:/dx.d0i.org/10.7795/520.20161209B), auf die ergänzend verwiesen wird, keinen Anlass, angesichts der Entscheidung des AG Mannheim vom 29.11.2016 – 21 OWi 509/s 357/40/15 BeckRS 2016, 113051) von seiner Auffassung, bei der Verwendung des Messgeräts PoliScan Speed handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren, abzurücken.“

Über die in Bezug genommenen Entscheidungen habe ich hier ja auch schon berichtet. Decken wir das Mäntelchen des Schweigens darüber.

Der Kollege war erstaunt, dass das OLG zum Messverfahren Stellung genommen hat, denn er hatte es „zumindest in diesem Verfahren nicht“ in Frage gestellt. Deshalb fand der Kollege „die Ausführungen des Senats eher merkwürdig.“ Nun, ich habe ihm darauf geantwortet, dass „das OLG wollte angesichts der derzeitigen Diskussion um PoliscanSpeed mitteilen [wollte], dass es es wie die anderen OLG auch falsch macht“. Denn ich denke, da liegt der Hase im Pfeffer: In einer Sache, in der es niemand hören will, schon mal einen Pflock einhausen. 🙂

Inbegriffsrüge, oder: Begründung ist doch schwerer, oder?

entnommen wikimedia.org
Urheber Harald Bischoff

Ich habe hier ja auch schon häufiger zur ausreichenden Begründung der Inbegriffsrüge Stellung genommen, und zwar:

Dabe geht es ja um das Problem, dass im Urteil Erkenntnisse vewrwendet werden, die nicht „Inbegriff der Hauptverhandlung“ (§ 261 StPO) waren. Meist wird gerügt, dass im Urteil eine in der Hauptverhandlung nicht verlesene Urkunde verwertet werden soll.

Jetzt hat das OLG Hamm auch noch einmal zu der Frage Stellung genommen. Der Betroffene hatte mit dieser Inbegriffsrüge geltend gemacht, dass in den Urteilsgründen auf die Dateneinblendung innerhalb eines Messfotos Bezug genommen werde, obgleich die Dateneinblendung auf dem Messfoto nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei. Die Datenleiste/Messwerteinblendung sei weder verlesen, noch sonst wie, z. B. im Wege des Vorhalts oder anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt worden.

Zu dne Anforderungen an die Begründung verweist das OLG im OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2017 – 4 RBs 152/17 – darauf, dass nach der h.M. in diesen Fällen für eine ordnungsgemäße Begründung der Verfahrensrüge nicht nur die Behauptung, dass die Urkunde nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass der Inhalt der Urkunde nicht in sonst zulässiger Weise eingeführt worden sei, erforderlich ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., 2017, § 261 Rn. 38 m. w. N.). Dazu war der Vortrag des Betroffenen  beim OLG Hamm dann aber widersprüchlich und damit nicht ausreichend für eine ordnungsgemäße Begründung.

Wenn der Messbeamte sich nicht mehr erinnern kann, oder: Bezugnahme auf das Messprotekoll?

Gerade in den Bußgeldverfahren gibt es immer wieder Streit/Probleme bei der Beweiswürdigung hinsichtlich der Frage: An was kann sich der Messbeamte eigentlich noch erinnern bzw. was kann ich/der Amtsrichter ihm noch glauben. Bei der Vielzahl der Messungen ist es schon „verständlich“, wenn sich die Messbeamten nicht mehr an jede Messungen erinnern können. Wenn sie „ehrlich“ sind, räumen sie das dann auch in der Hauptverhandlung ein und ziehen sich dann auf das Messprotokoll zurück. Tenor: „Wenn das da so steht, soll es schon so gwesen sein“. Das geht, wenn überhaupt, allenfalls dann, wenn der Messbeamte das Messprotokoll auch selbst gefertigt und unterschrieben hat. Sonst klappt das nicht.

So (zutreffend) jetzt das AG Dortmund im AG Dortmund, Urt. v. 14.o7.2017 – 729 OWi-268 Js 995/17 -169/17 – mit dem Leitsatz:

„Das nur in einem Messprotokoll enthaltenen Messergebnis einer Geschwindigkeitsmessung, an das sich der Messbeamte nicht selbst erinnern kann, kann einer Verurteilung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn der Messbeamte die Gewähr für die Richtigkeit seiner laut Messprotokoll getroffenen Feststellungen übernimmt. Dies ist nicht möglich, wenn er selbst das Messprotokoll gar nicht gefertigt oder (mit) unterschrieben hat. Gleiches gilt für durchgeführte Gerätetests.“

Ähnlich hatte das AG Dortmund vor kurzem zu einem Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO entschieden (vgl. AG Dortmund, Urt. v. 13.06.2017 – 729 OWi-261 Js 625/17-114/17; dazu: Mobiltelefon im Straßenverkehr, oder: Was haben die Polizeibeamten gesehen/wofür kann man die „Gewähr“ übernehmen?) Dazu dann auch BGHSt 23, 213.