Archiv für den Monat: März 2017

Geschwindigkeitsmessung, oder: Kombination aus konkretem und abstraktem Toleranzabzug gibt es nicht

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Im Moment habe ich reichlich Material in meinem Blogordner hängen, um es hier in Postings zu verarbeiten. Da passt es dann ganz gut, wenn man mehrere Entscheidungen zusammen fassen kann. Und das geht beim OLG Hamm, Beschl. v. 24.01.2017 – 4 RBs 11/17 – und beim AG Landstuhl, Urt. v. 13.03.2017 – 2 OWi 4286 Js 777/17.

Es geht in beiden Entscheidungen u.a. um Geschwindigkeitsmessungen mit einem standardisierten Messverfahren. In beiden Fällen geht es um eine vom Betroffene erstrebte Kombination von konkretem und abstrakten Toleranzabzug bei dem ermittelten Messwert. Das gibt es nicht, hat das OLG Hamm gesagt:

„Ergänzend zu diesen zutreffenden Ausführungen, denen sich der Senat anschließt, bemerkt der Senat, dass es schon zweifelhaft ist, ob die Behauptung, dass es bei dem konkreten Messverfahren zu Messungenauigkeiten von „bis zu 2 km/h“ kommen könne – ungeachtet der hier fehlenden konkreten Darlegung einer solchen Fehlerquelle – jedenfalls dann dem Tatgericht keinen für die Rechtsbeschwerde relevanten konkreten Anhaltspunkt für eine erörterungsbedürftige Fehlerquelle gibt, wenn die behauptete Messungenaugkeit weniger als der vorgenommene  Toleranzabzug beträgt und die Fehlerquelle von Seiten des Betroffenen behauptet wird. Die Vornahme eines Toleranzabzuges im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens verfolgt, ebenso wie die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen. Möglichen Fehlerquellen wird durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen (BGH, Beschl. v. 19.08.1993 – 4 StR 627/92 –juris). Käme man im vorliegenden Fall aufgrund einer konkreten Überprüfung des Messverfahrens (etwa im Rahmen eines Sachverständigengutachtens) dazu, dass die gemessene Geschwindigkeit von 74 km/h um 2 km/h (oder weniger) zu hoch gemessen wurde, so wäre andererseits für einen – hier vom Gericht vorgenommenen – Toleranzabzug von 3 km/h kein Raum mehr, denn es wäre ja dann die Fehlerquelle konkret – und nicht lediglich im Rahmen eines pauschalen Sicherheitsabschlages – berücksichtigt worden. Allenfalls wäre dann noch darüber nachzudenken, ob ein einprozentiger Sicherheitsabschlag (oder ein solcher von 1 km/h bei Geschwindigkeiten bis 100 km/h) vorzunehmen wäre, um etwaigen sonstigen Messungenauigkeiten Rechnung zu tragen, denn einem Teil der Messungenauigkeiten wurde ja dann schon durch die konkrete Berechnung des Messfehlers Rechnung getragen und insgesamt ist bei Lasermessungen wie der vorliegenden ein Toleranzabzug von 3 km/h (bzw. bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h von 3%) als ausreichend anerkannt (vgl. nur: König in: Hentschel/u.a., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 3 StVO Rdn. 61). Der Betroffene stünde sich dann aber nicht besser als bei einem Toleranzabzug von 3% von vornherein.“

Und dem hat sich das AG Landstuhl dann angeschlossen:

„Darüber hinaus entbehrte der Beweisantrag bezüglich der konkret behaupteten anderen Geschwindigkeit jeglicher Begründung, die das Gericht zu einer Annahme der aufgestellten Tatsachenbehauptung hätte veranlassen können. Denn der Verteidiger hat zwar vorgerichtlich ein für das Gericht nicht maßgebliches Privatgutachten vorgelegt. Dieses hat er aber in der Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß eingeführt. Eine genauere (schriftliche) Begründung des Beweisantrags ist ebenso wenig erfolgt. Bezüglich der hier offenbar angestrebten Kombination von konkretem und abstraktem Abzug von Werten hat sich das OLG Hamm, dessen Entscheidung sich das hier entscheidende Gericht anschließt, eindeutig ablehnend geäußert (OLG Hamm, Beschl. v. 24.01.2017 – 4 RBs 11/17 – juris): eine Akkumulation von konkreten Abzügen und Toleranzpauschale ist unzulässig. Werden konkrete Messfehler vorgetragen, besteht kein Bedarf für den allgemeinen Toleranzabzug. Werden konkrete Messfehler behauptet, die innerhalb der pauschalen Toleranzgrenze liegen, bedarf es ebenfalls keiner weiteren Beweisaufnahme. So läge der Fall auch hier, wenn es auf den Beweisantrag angekommen wäre.“

OLG Bamberg: Wir machen es bei Provida wie das OLG Saarbrücken, oder: Totschlagargument….

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Ich hatte im vorigen Jahr über den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 02.06.2016 – Ss (BS) 8/2016 (7/16 OWi) berichtet (vgl. OLG Saarbrücken ändert Rechtsprechung bei Provida, oder: Einsatzmöglichkeiten?). Und wie das im Bußgeldverfahen (leider) häufig so ist: Wenn der Ball erst einmal rollt, dann rollt er. So auch hier. Denn inzwischen hat sich das OLG Bamberg im OLG Bamberg, Beschl. v. 25.01.2017 – 3 Ss OWi 1582/16 – der Auffassung des OLG Saarbrücken angeschlossen und sagt ebenfalls:  Bei der Geschwindigkeitsermittlung mittels des „ProViDa“-Systems ist den Darlegungsanforderungen in den Urteilsgründen regelmäßig genügt, wenn Messverfahren und berücksichtigter Toleranzwert mitgeteilt werden. Weiterer Angaben bedarf es nur, wenn die in Frage kommenden Betriebsarten unterschiedliche Toleranzabzüge gebieten oder die Messung nicht standardisiert erfolgt ist.

Die h.M. in der Rechtsprechung der OLG ist – bisher – strenger gewesen (vgl. Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., 2015, Rn. 2362 ff. m.w.N.). Eine ins einzelne gehende Begründung gibt das OLG Bamberg m.E. nicht. Außer das (Totschlag)Argument: Standardisiertes Messverfahren.

Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung?, oder: Das LG Köln sieht es weit

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Eine „Facebookfreundin“ – schönes Wort 🙂 – hat mir vor einigen Tagen den LG Köln, Beschl. v. 21.11.2016 – 108 Qs 44/16 – zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren übersandt. Die damit zusammenhängenden Fragen sind ein verfahrensrechtlicher Dauerbrenner und in der Praxis doch noch recht umstritten. Das LG Köln hat im Widerrufsverfahren (§ 56f StGB) die Kollegin als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Begründung:

„Die Voraussetzungen zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen vor. Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist (KG, NStZ-RR 2006, 211 m.w.N.). Dabei ist die vollstreckungsrechtliche Situation maßgebend. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Sach- und Rechtslage schwierig ist. Dies betrifft zum einen die Frage des Vorwegvollzugs bzw. einer etwaigen Anrechnung von Haftzeiten. Hinzu kommt die Problematik der versäumten Beschwerdefrist, die nachfolgend näher ausgeführt wird. Beide Sachlagen sind für einen juristischen Laien schwierig zu beurteilen, sodass ein adäquates Vorbringen nur mithilfe eines Verteidigers möglich ist.“

Das LG Köln formuliert m.E. recht weit. Es fehlt der Hinweis auf die – weil nur analoge Anwendung – einschränkende Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Vollstreckungsverfahren. Ob daher andere Gerichte ebenso entschieden hätten, ich weiß es nicht. Aber egal: Ein Baustein mehr.

Für BVB-Fans (und andere), oder: Immer schön auf dem Gehweg bleiben

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Das kommende Wochenende ist „fußballbundesligafrei“ oder besser: Es ist Länderspielpause. Aber dennoch bringe ich heute schon mal als Vorbereitung auf das dann folgende Wochenende das AG Dortmund, Urt. v. 10.01.2017 – 729 OWi-256 Js 2380/16-11/17, das für die Borussiafans von Interesse sein könnte (aber nicht nur für die 🙂 ). Die sind zwar am nächsten Bundesligawochenende, wenn ich es richtig sehe, nebenan zum „Derby“ auf Schalke, aber: Man kann sich ja schon mal vorbereiten 🙂 .

Verurteilt worden ist vom AG ein BVB-Fan. Im Grunde ergibt sich alles weitere aus dem Leitsatzvorschlag des AG:

„Ein Fußballfan, der auf der Fahrbahn zum Fußballspiel läuft, begeht auch dann eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 25 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG, wenn die Polizei um Verkehrsunfälle und Verletzungen von Personen zu vermeiden, mit Polizeifahrzeugen hinter den in einem Pulk laufenden Fußballfans hinterherfährt und dafür sorgt, dass andere Fahrzeuge von Verkehrsteilnehmern, die die fragliche Straße befahren wollten, nicht schneller als die in Schrittgeschwindigkeit fahrenden Polizeifahrzeuge die Straße entlangfahren konnten.

Ohne Feststellungen zu hierdurch behinderten weiteren Verkehrsteilnehmer kann aber die Geldbuße wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO nicht erhöht werden.

Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Fußballfan, der regelmäßig zu Fußballbundesligaspielen gehen und den Eintritt hierfür bezahlen kann, auch bei den beengten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen durchaus in der Lage ist, 5,00 € Geldbuße für eine anlässlich eines Fußballspiels begangene Ordnungswidrigkeit zu zahlen.“

Ich frage mich, warum man nicht einfach die An- und Abmarschstraße sperrt. Das wäre wahrscheinlich weniger Aufwand als im Urteil beschrieben und würde sicherlich auch das AG entlasten 🙂 .

Abgehörte Verteidigergespräche; oder: Das muss „unverzüglich“ gelöscht werden

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Schon etwas älter ist der AG Dresden, Beschl. v. 30.06.2016 – 271 Gs 2457/16, ich habe ihn aber erst gestern erhalten habe. Der Beschluss ist für Verteidiger m.E. ganz interessant, da er sich mit der Frage der unverzüglichen Löschung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung befasst, bei der auch Gespräche des Beschuldigten mit seinem Verteidiger und/oder dessen Kanzleimitarbeitern abgehört worden sind.

So war es in Dresden. Angeordnet worden war eine TÜ in einem Verfahren wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die Anordnung erging mit Beschluss vom 11.08.2014. Während der daraufhin rfolgenden Überwachung werden am 12.08.2014 auch Telefongespräche zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger und dessen Kanzlei protokolliert, verschriftet und zur Akte genommen. Darüber wird der Verteidiger nicht informiert. Am 07.07.2015 werden die Gespräche dann – nachdem der Verteidiger einen entsprechenden Antrag gestellt hatte – gelöscht. Der Verteidiger hat seine Anträge dann umgestellt, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, dass die beiden Gespräche nicht spätestens mit Ablauf des 12.08.2014 gelöscht worden sind. Ferner bemängelt er, dass eine Benachrichtigung seiner Person als Beteiligter im Sinne des § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO bislang unterblieben ist.

Und das AG gibt ihm Recht:

„Nach § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO sind die Beteiligten der überwachten Telekommunikation grundsätzlich zu benachrichtigen. Da Ausnahmen nach § 101 Abs. 4 Satz 3 bis 5 StPO nicht vorliegen und eine Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 101 Abs. 5 Satz 1 StPO) jedenfalls nach der Inhaftierung des Beschuldigten im August 2014 nicht mehr vorlag, wäre der Verteidiger als Beteiligter der Telekommunikation und Inhaber des von der Überwachung zufällig betroffenen Telefonanschlusses seiner Kanzlei zu benachrichtigen gewesen.

Die Erkenntnisse aus der Überwachung der beiden Telefongespräche dürfen gem. § 160a Abs. 1 Satz 2 und Satz 5, Abs. 3 StPO nicht verwendet werden, da sowohl Rechtsanwalt Pp. als Verteidiger des Beschuldigten gem. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO als auch seine Kanzleimitarbeiterin gem. §§ 53a Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO das Zeugnis verweigern dürften. Da beide Telefonate in unmittelbarer Verbindung zur Position von Rechtsanwalt Pp. als Strafverteidiger des Beschuldigten stehen, unterliegt der gesamte Inhalt beider Gespräche dem Schutz der §§ 53, 53a StPO. Gem. § 160a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 StPO sind diese Aufzeichnungen unverzüglich zu löschen, was vorliegend nicht geschehen ist. Diese Regelung geht der Regelung in § 101 Abs. 7 StPO vor (BGH, Beschluss vom 18.02.2014, Az. StB 8/13).

Der Schutzzweck des Löschungsgebots erfordert eine enge Interpretation des Unverzüglichkeitsmerkmals. Starre Fristen folgen daraus allerdings nicht. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Dabei ist etwa zu berücksichtigen, dass den Ermittlungspersonen die Möglichkeit einer Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft eingeräumt werden muss. Wenn aber wie vorliegend die Gespräche ohne Auswertung und Bewertung verschriftet werden und überhaupt keine Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft gehalten wird und diese deshalb erst Monate später durch eine Rüge des Verteidigers von der Aufzeichnung und Verschriftung erfährt, liegt kein sachlicher Grund vor, der eine weitere Verzögerung der Löschung rechtfertigen könnte. Eine Auswertung scheint diesbezüglich nicht stattgefunden zu haben. Den Ermittlungspersonen war es ausweislich des E-Mail-Verkehrs mit der Staatsanwaltschaft vom 26.06.2015 und 01.07.2015 überhaupt nicht bewusst, dass die Gespräche verschriftet wurden. Auch andere Verzögerungsgründe wurden nicht vorgetragen. Die Löschungspflicht trifft aber schon die Ermittlungsperson, die mit der Auswertung der Aufzeichnung betraut ist und nicht erst die Staatsanwaltschaft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 100a Rn. 27, § 160a Rn. 5). Deshalb hätten jedenfalls vorliegend die Gespräche spätestens mit Ablauf des 12.08.2014 mangels Vorliegen sachlicher Verzögerungsgründe gelöscht werden müssen.“