Archiv für den Monat: November 2016

„Nachzüglervorrang“ versus Vertrauensgrundsatz bei „grün“, oder: Nachzügler haftet allein

©  fovito - Fotolia.com

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Wer kennt ihn nicht? Den Nachzügler, der (noch) bei Grün in eine Kreuzung eingefahren ist, diese dann aber aufgrund eines Rückstaus nicht räumen kann, und irgendwann fährt/räumt er dann. Das OLG Hamm hat sich jetzt vor einiger Zeit im OLG Hamm, Urt. v. 26.08.2016 –  7 U 22/16 – mit der Frage befasst, welche Sorgfaltspflichten diesen Nachzügler treffen und wer wie haftet.

Gegenstand war ein Verkehrsunfall in Essen. Dort war die Beklagte bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich zweier Straßen eingefahren und dann aufgrund eines Rückstaus des Linksabbiegerverkehrs hinter der Fluchtlinie zum Stehen gekommen. Nachdem die Beklagte mindestens 40 Sekunden gestanden hatte – die von ihr zuvor passierte Ampel zeigte bereits mehr als 20 Sekunden Rotlicht -, entschloss sie sich dazu, die Kreuzung zu räumen. Im Kreuzungsbereich stieß sie mit dem PKW der Klägerin zusammen. Dieser folgte einem Fahrzeug, welches die Beklagte passieren ließ, und hatte bei seiner Einfahrt in den Kreuzungsbereich mindestens 19 Sekunden Grünlicht.

Das OLG ist von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen:

„Die nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze durchgeführte Abwägung führt vorliegend zu einer Alleinverantwortlichkeit der Beklagten zu 2) in Bezug auf die Unfallverursachung.

aa) Die Beklagte zu 2) hat den Unfall dadurch verursacht, dass sie als sog. „echter Nachzügler“ den Kreuzungsbereich geräumt hat, ohne sich vorher zu vergewissern, dass eine Kollision mit dem von dem Zeugen Y gesteuerten klägerischen Fahrzeug ausgeschlossen war. Insoweit ist der Beklagten zu 2) ein erheblicher schuldhafter Verstoß gegen die ihr gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen. Ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO oder § 11 Abs. 1 StVO steht hingegen nicht fest.

(1) Zu Lasten der Beklagten ist zwar nicht von einem Vorfahrtsverstoß auszugehen, allerdings steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte zu 2) in erheblichem Ausmaß gegen die ihr als sog. (echten) „Nachzügler“ gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegenden Pflichten verstoßen hat.

(a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht einen Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 2) verneint. Zwar hat derjenige, der bei Grün die Haltelinie und die für ihn maßgebliche Ampel passiert hat, dann aber zum Stehen gekommen ist, bevor er die Fluchtlinien der Gehwegkanten passiert hat, nach Umschalten der Ampel dem einsetzenden Querverkehr als sog. „unechter Nachzügler“ den Vorrang einzuräumen (vgl. OLG Hamm, NZV 2005, 411; OLG Koblenz, NZV 1998, 465; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVO Rn. 17). Die Klägerin hat aber den Beweis, dass es sich bei der Beklagten zu 2) um einen sog. „unechten Nachzügler“ handelte, nicht erbracht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 2) die Fluchtlinie zum Kreuzungsbereich bereits überfahren hatte, als sie verkehrsbedingt zum Stehen kam. Insbesondere die erstinstanzlich vernommenen Zeugen X und T vermochten den Standort des Beklagtenfahrzeugs auf der Kreuzung genau zu beschreiben. Unter Bezugnahme auf ein von den Örtlichkeiten bei Google Maps ausgedrucktes Luftbild (Bl. 125 der Akten) haben sie übereinstimmend angegeben, die Beklagte zu 2) sei hinter der zweiten gestrichelten Linie zum Stehen gekommen. Den vom Sachverständigen A im erstinstanzlichen Verhandlungstermin vom 20.01.2016 überreichten ergänzenden gutachterlichen Unterlagen, die die möglichen Positionen des Beklagtenfahrzeugs und dessen Fahrzeugfront im Kreuzungsbereich abbilden (Anlage 1 bis Anlage 3), ist in Zusammenschau mit den Aussagen der Zeugen X und T zu entnehmen, dass die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug die Fluchtlinie der Kreuzung bereits überfahren hatte, als sie zum Stehen kam. Bestätigt wird dieses Ergebnis zudem durch die Aussage des Zeugen X, die Fahrzeuge aus der Gegenrichtung des klägerischen Fahrzeuges hätten in Geradeausfahrt um das Beklagtenfahrzeug herumfahren müssen.

(b) Allerdings ist der Beklagten zu 2) ein erheblicher schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzulasten.

Wer im Kreuzungsbereich zunächst aufgehalten worden ist und diesen dann als sog. „Nachzügler“ gegenüber dem Querverkehr bevorrechtigt räumen darf, kann nicht blindlings darauf vertrauen, dass er vorgelassen wird (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1993, 258). Vielmehr hat er den Kreuzungsbereich vorsichtig, unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen (vgl. BGH, NJW 1977, 1394; OLG Köln, NZV 2012, 276; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1993, 258; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19). Dabei erhöhen sich die Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Kreuzungsräumers mit seiner Verweildauer im Kreuzungsbereich: Je länger er sich nach seiner Einfahrt bei grünem Ampellicht im Kreuzungsbereich aufhält, desto eher muss er mit einem Phasenwechsel und anfahrendem Querverkehr rechnen (vgl. KG Berlin, DAR 2003, 516; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19) und berücksichtigen, dass der übrige Verkehr aus seinem Verhalten schließen kann, er werde nicht weiterfahren (vgl. KG Berlin, ZfSch 2009, 77). Er darf dann nicht an- oder weiterfahren, wenn er sich nicht vergewissert hat, dass eine Kollision mit einfahrenden Fahrzeugen ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; KG Berlin, ZfSch 2009, 77; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19).“

Ein Mitverschulden des Fahrers des Pkw der Klägerin hat das OLG verneint:

„bb) Zu Lasten der Klägerin ist hingegen im Abwägungsverhältnis kein unfallursächliches Verschulden zu berücksichtigen. Ein Verursachungsbeitrag des Zeugen Y in Form eines Verstoßes gegen §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO wegen der Nichtbeachtung des sog. „Nachzüglervorrechts“ ist zu verneinen.

Verkehrsteilnehmer, für die durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 StVO), brauchen zwar im allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass Fahrzeuge von der Seite her unerlaubterweise in die Kreuzung einfahren (vgl. BGH, NJW 1977, 1394). Nach dem Vertrauensgrundsatz kann sich ein Verkehrsteilnehmer daher in der Regel darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. BGH, NJW 1971, 742; Bayerisches Oberstes Landesgericht, DAR 1967, 333). Allerdings befreit das ihm zustehende Vorfahrtsrecht grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, auf Nachzügler, also auf Teilnehmer des Querverkehrs, Rücksicht zu nehmen, die, als für sie noch grün galt, berechtigt in die Kreuzung eingefahren waren, sie aber nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; NJW 1977, 1394). Diesen Nachzüglern ist, um Stauungen zu vermeiden, zunächst die Möglichkeit zu geben, die Kreuzung zu räumen (sog. „Nachzüglervorrang“) (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; NJW 1977, 1394; OLG Köln, NZV 2012, 276; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVO Rn. 17). Je weiter der Farbwechsel auf Grün aber zurückliegt, umso mehr darf der bei Grün An- oder Durchfahrende auf eine freie Kreuzung ohne weitere Verkehrsteilnehmer aus dem Querverkehr der vorhergehenden Phase vertrauen (vgl. OLG Köln, NZV 2012, 276; MDR 1995, 153).“

Der Vertrauensschutz des Vorfahrtberechtigten, oder: Halbe Vorfahrt

entnommen wikimedia.org Urheber Moros

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Urheber Moros

Verkehrsunfall auf Kreuzungen bzw. im Kreuzungsbereich werfen bei der Lösung häufig schwierige FRagen auf: Handelte es sich um eine „unübersichtliche“ Kreuzung, die zu einer besonders vorsichtigen Fahrweise veranlassen sollte? War ggf. einer der Unfallbeteiligten zu schnell? Wer hatte Vorfahrt und ist die Vorfahrt des Berechtigten beachtet worden? Wie sind ggf. die Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen?

Mit einigen dieser Fragen befasst sich das KG, Urt. v. 21.09.2016 – 29 U 45/15, dem vom KG folgende Leitsätze vorangestellte worden sind:

  • Wenn die Vorfahrt nicht besonders geregelt ist, haben sich alle Verkehrsteilnehmer einer Kreuzung mit mäßiger Geschwindigkeit zu nähern, weil sie den jeweils von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern Vorfahrt zu gewähren haben und sie deswegen in der Lage sein müssen, notfalls anhalten zu können.
  • Diese mit „halber Vorfahrt“ umschriebene Situation schützt auch den von links kommenden Wartepflichtigen, weswegen der Vorfahrtsberechtigte sich in aller Regel seine Betriebsgefahr im Rahmen der Haftungsabwägungen nach §§ 17, 9 StVG, 254 BGB anrechnen lassen muss.
  • Diese Haftungsgrundsätze gelten aber nur für nach rechts schlecht einsehbare Kreuzungen. Bei guter Sicht scheidet eine Anrechnung der Betriebsgefahr des Vorfahrtsberechtigten aus.

Ich habe da mal eine Frage: Gibt es ein oder drei Längerzuschläge?

© AllebaziB - Fotolia

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So, meine erste Nachrulaubswoche neigt sich dem Ende entgegen. Ich merke es am „RVG-Rätsel“, das ja am Freitag immer den Abschluss macht. Und ich merke es daran, dass ich allmählich wieder auf „Betriebstemperatur“ bin. Mich haben dann auch im Urluab einige RVG-Anfragen erreicht. Über diese Anfragen bin ich immer froh, dass sie mir weiteres Material für das Rätsel liefern.

Heute dann folgende Frage:

„Moin Herr Kollege Burhoff,

ich hoffe, Ihrem Blog zutreffend entnommen zu haben, dass Sie es nicht als unbotmäßige Behelligung empfinden, Ihnen eine RVG-Frage zu unterbreiten.

So habe ich einen Mandanten in drei Verfahren als Pflichtverteidiger vertreten. In allen Verfahren bin ich nach Anklageerhebung beigeordnet worden. Die Verbindung der Verfahren erfolgte erst nach den Feststellungen zur Person im Rahmen der Hauptverhandlung. Es ist damit nach meinem Verständnis die Termingebühr dreifach angefallen.

Nun hat der Termin auch Überlänge gehabt. Fällt die Gebühr für die Überlänge nur bei einem Termin an, weil bei Überschreitung der Überlänge die Verfahren bereits verbunden waren, oder ist die Gebühr dreifach angefallen, weil sie untrennbar mit den separat entstandenen Termingebühren verbunden ist?

Mit freundlichen Grüßen und mit großem Dank für den vortrefflichen Blog,…“

Na, wie sieht es aus?

Pauschgebühr: Wie wende ich die „500-Blatt-Formel“ betreffend Aktenumfang an?

AktenstapelDer Kollege Heymann aus Köln hat mir während meines Urlaubs den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.05.2016 – III – 3 AR 118/16 – übersandt. Der Kollege war Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem (offenbar) umfangreichen Verfahren. Der Kollege hat die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragt und dies u.a. mit der erforderlichen Einarbeitung in umfangreiches Aktenmaterial begründet. Das OLG hat den Antrag abgelehnt. Begründung:

„Die gesetzlichen Gebühren sind nicht i. S. des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache unzumutbar.

Die Einarbeitung in die Akten wird den Antragsteller zwar für eine gewisse Dauer ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen haben. Für einen längeren, seine wirtschaftliche Existenz in Frage stellenden Zeitraum (vgl. BVerfG NJW 2005, 1264, 1265; 2007, 3420) ist dies bei Anlegung des maßgeblichen objektiven Maßstabes jedoch nicht der Fall gewesen.

Dies gilt auch mit Blick auf den vom Antragsteller ins Feld geführten, die Bezifferung in der Stellungnahme der Staatskasse weit übersteigenden Aktenumfang. Die vom Senat entwickelte „500-Blatt-Formel“ (Beschluss vom 23. Juni 2015; 111-3 AR 65/14 — Rpfleger 2015, 668; StRR 2015, 358) bezieht sich nämlich weder pauschal auf sämtliches zu den Akten gelangte Papier noch auf solche Aktenteile, die nur kursorisch und stichprobenartig gelesen werden müssten. Dass und welche Teile der Nebenakten nach Sichtprüfung zur Vorbereitung einer ordnungsgemäßen Verteidigung genauer hätten studiert werden müssen, hat der Antragsteller nicht substantiiert dargetan.“

Also so einfach, wie vielleicht der ein oder andere gedacht hat, ist es mit der „500-Blatt-Formel“ des OLG Düsseldorf nicht (vgl. zu dieser Formel grundlegend OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06. 2015 – III-3 AR 65/14, RVGreport 2016, 99 = StRR 2015, 359 = JurBüro 2015, 637 = Rpfleger 2015, 668 und dazu:Wie viel Seiten muss ein (Pflicht)Verteidiger für eine Grundgebühr lesen?).  War aber auch zu erwarten. Denn offen war bislang noch, auf welcher Grundlage die „500 Blatt-Formel“ anzuwenden ist. Dazu hatte das OLG Düsseldorf in den angeführten Beschlüssen nichts ausgeführt. Die vorliegende Entscheidung bringt nun etwas Licht ins Dunkel der Art und Weise der Berechnung. Zugrunde gelegt werden dürfen danach nicht pauschal sämtliche Akten(blätter), sondern offenbar nur die, die der Verteidiger zur Vorbereitung der Verteidigung „genauer hat studieren müssen“.Das ist natürlich ein Wermutstropfen bei der Anwendung der aus den ersten Blick so einfachen Formel.

Diese Einschränkung dürfte insbesondere bei Neben- und Beiakten von Bedeutung sein. Während bei den Verfahrensakten i.e.S. man m.E. davon ausgehen kann und muss, dass der Verteidiger diese „genauer studiert hat“ – was immer das auch bedeuten mag – wird das bei Neben- und Beiakten nicht immer der Fall sein. Hier wird der Verteidiger schon im Rahmen seiner Antragsbegründung näher darlegen müssen, warum und wieso bestimmten Nebenaktenbände für die Verteidigung von Bedeutung waren, wenn das nicht auf der Hand liegt. Und im Interesse eines erfolgreichen Pauschgebührantrags sollte er das auch tun. Viel einfacher wird es mit der „500-Blatt-Formel“ also dann doch wohl nicht.

„Alter Mann“/“Opa“ – Beleidigung ja oder nein?

abueloBei manchen Sachverhalten, die zur Anklage gebracht werden, bin ich mir nicht so ganz sicher, ob das von der Staatsanwaltschaft ernst gemeint oder nicht. Nun, wahrscheinlich schon, denn sonst hätte man ja nicht angeklagt. Also stellt man die Frage besser anders und fragt, ob das sein musste. So gilt es für mich für den dem OLG Hamm, Beschl. v. 26.09.2016 – 1 RVs 67/16 – zugrunde liegenden Sachverhalt. Angeklagt worden ist eine gefährliche Köerperverletzung (§ 224 StGB) in Tateinheit mit Beleidigung (§ 185 StGB). Die gefährliche Körperverletzung liegt offenbar – so kann man es m.E. dem OLG Hamm-Beschluss entnehmen – in mehrfachen Tritten mit dem beschuhten Fuß. Die Beleidigung soll darin liegen, dass der Angeklagte den im Juli 1957 geboreren Geschädigten als „Opa“ oder „alten Mann“ betitelt haben soll – mehr nicht. Der Angeklagte wird dann auch wegen Beleidigung verurteilt. Die Verurteilung hat aber beim OLG Hamm keinen Bestand:

„Die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung kann nicht bestehen bleiben, da sie von den Feststellungen nicht getragen wird. Beleidigung gemäß § 185 StGB ist der Angriff auf die Ehre einer Person durch Kundgabe von Missachtung (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage, § 185 Rn. 2 m. w. N.). Der Äußerungsinhalt ist unter Berücksichtigung aller Begleitumstände zu ermitteln. Maßgebend ist, wie ein verständiger Dritter die Äußerung versteht. Eine gegenüber der betroffenen Person erhobene Tatsachenbehauptung oder eine ihr gegenüber verwendete Bezeichnung, die zutreffend oder nach allgemeinem Verständnis wertneutral ist, kann in der Regel nicht als Beleidigung angesehen werden, es sei denn, der Bezeichnung kommt eine über die bloße Kennzeichnung hinaus gehende abwertende Konnotation zu (vgl. Fischer, a. a. O., Rn. 8, 8b m. w. N.; Lencker/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 185 Rn. 2, 13 m. w. N. [dort auch zu weiteren Einzelfällen, etwa Bezeichnung als „Homosexueller“ idR keine Beleidigung, anders bei Bezeichnung als „warmer Bruder“]). Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils betitelte der Angeklagte den im Juli 1957 geborenen Zeugen M als „Opa“ oder „alten Mann“. Zugunsten des Angeklagten ist wegen der insoweit getroffenen Wahlfeststellung davon auszugehen, dass er den Zeugen ausschließlich als „alten Mann“ bezeichnet hat. Darin liegt – auch mit Blick auf dessen tatsächliches Lebensalter – für sich betrachtet noch keine Herabwürdigung, mit der dem Zeugen sein personaler oder sozialer Geltungswert abgesprochen und seine Minderwertigkeit zum Ausdruck gebracht wird. Weitere Feststellungen, die einen abwertenden Charakter der Äußerung begründen könnten, hat das Landgericht nicht getroffen. Soweit im Urteil hierzu ausgeführt wird, der Angeklagte habe den Zeugen „abfällig“ „beleidigt“, handelt es sich um Wertungen. Tatsachen, welche die angenommene „Abfälligkeit“ belegen könnten, sind nicht genannt.“

M.E. grundsätzlich richtig. Ich frage mich allerdings, wobei ich einräume, die genauen Umstände des Falles ja nicht zu kennen: Woher weiß das OLG so sicher, dass „im Fall einer Zurückverweisung der Sache konkretere Feststellungen zu einer etwaigen Beleidigung nicht zu erwarten wären„? Aber das kennt man ja vom BGH. Der ist sich ja auch immer sicher, dass eine neue Hauptverhandlung nichts bringt. Nun, hier ist es zu gunsten des Angeklagten…….

Ach so: Für mich ist die Bezeichnung als „Opa“ übrigens keine Beleidigung, sondern eine Auszeichnung 🙂 .