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Unfall auf der Kreuzung, oder: Nachzügler/“unechter Kreuzungsräumer“

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Und als zweite Entscheidung aus dem „Kessel Buntes“ bringe ich dann das KG, Urt. v. 13.06.2019 – 22 U 176/17.

Mal wieder was zu einem Verkehrsunfall, und zwar ein sog. Kreuzungsräumer- bzw. Nachzüglerfall. Das KG teilt folgenden Sachverhalt mit:

„Die Zeugin S befuhr am 25. November 2014 gegen 18.00 Uhr mit dem an die “A Bank GmbH” sicherungsübereigneten Kraftfahrzeug Typ Audi A8 3.0 TDI Quattro, amtliches Kennzeichen pp., die Johannisthaler Chaussee in Berlin in nordöstlicher Richtung. Die Sicherungsnehmerin hat den Kläger zu 1) (nachfolgend auch: “der Kläger”) zur Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber den Beklagten ermächtigt (Anlage K 15). An der Kreuzung Johannisthaler Chausee/Rudower Straße versuchte die Zeugin Snnnnn , nach links in die Rudower Straße in nordwestlicher Richtung abzubiegen. Dabei kam es zur Kollision mit dem von der Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug Typ VW Tiguan, amtliches Kennzeichen pp., welches sich im geradeaus gerichteten Verkehr auf der Rudower Straße in nordwestlicher Richtung bewegte.“

Die Schadensersatzklage ist vom LG abgewiesen worden. Das KG hat das auf die Berufung des Klägers, der von einem 50%-igen Mitverschulden ausgegangen ist, „gehalten“:

„Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz – auch nicht nach einer Haftungsquote von 50% – gemäß § 823 Abs. 1, § 249, § 421 BGB; § 7, § 17, § 18 StVG; § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 VVG in Höhe von 3.730,89 Euro zu.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass den Beklagten kein Mitverschulden am Unfallgeschehen zur Last zu legen ist.

1. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, welche die Berufung insoweit nicht mehr angreift, ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrzeug nach Umschalten der für sie geltenden Ampel auf grün in den Kreuzungsbereich einfuhr. Damit ist unter Zugrundelegung des Ampelschaltplans (beigezogene Akte der Amtsanwaltschaft Berlin – 3033 Js-OWi 2085/15 -, dort S. 55, Beklagtenfahrzeug: Signalgruppe 5+6, rot-gelb bei Schaltsekunde 14 bis 16 und grün bei Schaltsekunde 16 bis 53, Klägerfahrzeug: Signalgruppe 22 grüner Räumpfeil bei Schaltsekunde 11 bis 15) entgegen der Berufung davon auszugehen, dass sich das klägerische Fahrzeug nach Aufleuchten und auch nach Erlöschen des grünen Räumpfeils (in der Ampelphase des Einfahrens) im Kreuzungsbereich befand.

Im Ergebnis zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die von der Rechtsprechung aus § 11 Abs. 3 StVO entwickelten Grundsätze zu Kreuzungsräumern hier nicht zu einer Mithaftung der Beklagten führen.

Da eine Verantwortlichkeit der Beklagten hier weder nach straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften noch nach allgemeinem Deliktsrecht festzustellen war und somit der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht besteht, muss nicht näher darauf eingegangen werden, ob sich der Kläger, der aus abgetretenem Recht der Sicherungsnehmerin wegen Beschädigung des sicherungsübereigneten Fahrzeugs vorgeht,  das Verschulden der Zeugin Snnnnn oder die Betriebsgefahr entgegenhalten lassen müsste (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 – VI ZR 199/06 -, juris Rdn. 8ff.; BGH, Urteil vom 07. März 2017 – VI ZR 125/16 -, juris Rdn. 14; BGH Urteil vom 07. Dezember 2010 – VI ZR 288/09 -, juris Rdn. 14).

a) Nach den Grundsätzen zu Kreuzungsräumerunfällen befreit das grüne Lichtzeichen den Vorfahrtberechtigten (hier die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs) nicht von der Verpflichtung, auf der Kreuzung verbliebene Nachzügler (hier die Zeugin Snnnnn mit dem Klägerfahrzeug) des Querverkehrs vorrangig räumen zu lassen (OLG Köln, Urteil vom 23. Februar 2012 – I-7 U 163/11 –, juris Rdn. 11). Dies folgt aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot der § 1 Abs. 2, § 11 Abs. 3 StVO, wonach derjenige, der Vorrang hat, auf sein Recht verzichten muss, wenn es die allgemeine Verkehrslage erfordert (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. Mai 1993 – 1 U 116/92 -, juris Rdn. 7). Der Vorfahrtberechtigte muss daher Nachzüglern das Verlassen der Kreuzung ermöglichen (BGH, Urteil vom 09. November 1976 – VI ZR 264/75 -, juris Rdn. 9). Je weiter der Farbwechsel auf Grün zurückliegt, umso mehr darf der bei Grün An- oder Durchfahrende auf freie Kreuzung ohne weitere Verkehrsteilnehmer aus dem Querverkehr der vorhergehenden Phase vertrauen (OLG Hamm, Urteil vom 26. August 2016 – I-7 U 22/16 -, juris Rdn. 32).

Andererseits darf der Nachzügler, der den Kreuzungsbereich bevorrechtigt räumen darf, nicht blindlings darauf vertrauen, dass er vorgelassen wird (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. Mai 1993 – 1 U 116/92 -, juris Rdn. 5), sondern  hat den Kreuzungsbereich vorsichtig, unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen (BGH, Urteil vom 09. November 1976 – VI ZR 264/75 -, juris Rdn. 19). Dabei erhöhen sich die Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Kreuzungsräumers mit seiner Verweildauer im Kreuzungsbereich: Je länger er sich nach seiner Einfahrt bei grünem Ampellicht im Kreuzungsbereich aufhält, desto eher muss er mit einem Phasenwechsel und anfahrendem Querverkehr rechnen (KG, Urteil vom 26. Mai 2003 – 12 U 319/01-, juris Rdn. 7) und berücksichtigen, dass der übrige Verkehr aus seinem Verhalten schließen könnte, er werde nicht weiterfahren (KG, Beschluss vom 08. September 2008 – 12 U 194/08 -, juris Rdn. 24). Er darf dann nicht an- oder weiterfahren, wenn er sich nicht vergewissert hat, dass eine Kollision mit einfahrenden Fahrzeugen ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 11. Mai 1971 – VI ZR 11/70 -, juris Rnd. 23; KG, Beschluss vom 08. September 2008 – 12 U 194/08 -, juris Rdn. 24).

b) Voraussetzung für die Anwendung dieser Grundsätze, die auch für weitläufige Kreuzungen gelten (Senat, Urteil vom 10. Februar 2003 – 22 U 49/02 -, juris Rdn. 63 und KG, Urteil vom 10. Juni 2004 – 12 U 94/03 -, juris Rdn. 3) ist aber ein Unfall beim Kreuzungsräumen durch einen “echten Nachzügler”, also einem Fahrzeug, welches zunächst bei Grünlicht in den – und soweit im Unterschied zu einem “unechten Nachzügler” – inneren Bereich der Kreuzung eingefahren ist, dort aufgehalten wurde und den Verkehrsfluss deshalb erheblich stören würde, wenn es ihm nicht gestattet würde, den Kreuzungsbereich vorrangig zu verlassen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 10. September 1997 – 12 U 1355/96 -, juris Rdn. 12).

Der Kläger hat nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, dass  die Zeugin mit dem Klägerfahrzeug Snnnnn die für sie maßgebliche Ampel bei Grün passierte, dann aber im inneren Kreuzungsbereich nach Passieren der Fluchtlinie der Gehwegkanten verkehrsbedingt anhalten musste, weil ein Linksabbiegen aufgrund Gegenverkehrs weder ihr, noch zwei weiteren vor ihr wartenden Fahrzeugen möglich war. Unstreitig wurde die Zeugin Snnnnn als drittes linksabbiegendes Fahrzeug aufgehalten. Damit spricht schon nach den örtlichen Gegebenheiten nichts dafür, dass sie das innere Kreuzungsviereck bereits erreicht hatte. Ausweislich des Lageplans der Kreuzung (beigezogene Akte der Amtsanwaltschaft Berlin – 3033 Js-OWi 2085/15 -, dort S. 57) entspricht der Bereich, in welchem Linksabbieger (nordöstlich aus der Johannisthaler Chaussee kommend und nach links in die Rudower Straße nordwestlicher Richtung einbiegend) den Gegenverkehr abwarten können, etwa der Breite der vier Fahrstreifen der Rudower Straße in südöstlicher Richtung, mithin also etwa zwölf Metern, was aber im Regelfall bei einer üblichen Fahrzeuglänge von etwa 5 Metern nur für zwei Fahrzeuge ausreicht.

Der Kläger macht keine näheren Angaben dazu, an welcher Stelle das klägerische Fahrzeug genau gestanden haben soll, als es aufgehalten wurde. Ein Einfahren als drittes Fahrzeug “in die Kreuzungsmitte” (vgl. Klageschrift vom 27. April 2015, dort S. 2, Bl. I/2 d.A.) erscheint räumlich nicht möglich (s.o.). Ein Einfahren in das innere Kreuzungsviereck bei grün abstrahlender Lichzeichenanlage in eine Position, in der das Fahrzeug den (Quer-) Verkehrsfluss erheblich stören würde und damit das Vorliegen einer “echten” Nachzüglersituation, welche Voraussetzung einer privilegierten Kreuzungsräumung ist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OLG Koblenz, Urteil vom 08. September 1997 – 12 U 1355/96 -, juris Rdn. 12 m.w.N.), ist damit nicht vorgetragen……..“

„Nachzüglervorrang“ versus Vertrauensgrundsatz bei „grün“, oder: Nachzügler haftet allein

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Wer kennt ihn nicht? Den Nachzügler, der (noch) bei Grün in eine Kreuzung eingefahren ist, diese dann aber aufgrund eines Rückstaus nicht räumen kann, und irgendwann fährt/räumt er dann. Das OLG Hamm hat sich jetzt vor einiger Zeit im OLG Hamm, Urt. v. 26.08.2016 –  7 U 22/16 – mit der Frage befasst, welche Sorgfaltspflichten diesen Nachzügler treffen und wer wie haftet.

Gegenstand war ein Verkehrsunfall in Essen. Dort war die Beklagte bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich zweier Straßen eingefahren und dann aufgrund eines Rückstaus des Linksabbiegerverkehrs hinter der Fluchtlinie zum Stehen gekommen. Nachdem die Beklagte mindestens 40 Sekunden gestanden hatte – die von ihr zuvor passierte Ampel zeigte bereits mehr als 20 Sekunden Rotlicht -, entschloss sie sich dazu, die Kreuzung zu räumen. Im Kreuzungsbereich stieß sie mit dem PKW der Klägerin zusammen. Dieser folgte einem Fahrzeug, welches die Beklagte passieren ließ, und hatte bei seiner Einfahrt in den Kreuzungsbereich mindestens 19 Sekunden Grünlicht.

Das OLG ist von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen:

„Die nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze durchgeführte Abwägung führt vorliegend zu einer Alleinverantwortlichkeit der Beklagten zu 2) in Bezug auf die Unfallverursachung.

aa) Die Beklagte zu 2) hat den Unfall dadurch verursacht, dass sie als sog. „echter Nachzügler“ den Kreuzungsbereich geräumt hat, ohne sich vorher zu vergewissern, dass eine Kollision mit dem von dem Zeugen Y gesteuerten klägerischen Fahrzeug ausgeschlossen war. Insoweit ist der Beklagten zu 2) ein erheblicher schuldhafter Verstoß gegen die ihr gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen. Ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO oder § 11 Abs. 1 StVO steht hingegen nicht fest.

(1) Zu Lasten der Beklagten ist zwar nicht von einem Vorfahrtsverstoß auszugehen, allerdings steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte zu 2) in erheblichem Ausmaß gegen die ihr als sog. (echten) „Nachzügler“ gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegenden Pflichten verstoßen hat.

(a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht einen Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 2) verneint. Zwar hat derjenige, der bei Grün die Haltelinie und die für ihn maßgebliche Ampel passiert hat, dann aber zum Stehen gekommen ist, bevor er die Fluchtlinien der Gehwegkanten passiert hat, nach Umschalten der Ampel dem einsetzenden Querverkehr als sog. „unechter Nachzügler“ den Vorrang einzuräumen (vgl. OLG Hamm, NZV 2005, 411; OLG Koblenz, NZV 1998, 465; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVO Rn. 17). Die Klägerin hat aber den Beweis, dass es sich bei der Beklagten zu 2) um einen sog. „unechten Nachzügler“ handelte, nicht erbracht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 2) die Fluchtlinie zum Kreuzungsbereich bereits überfahren hatte, als sie verkehrsbedingt zum Stehen kam. Insbesondere die erstinstanzlich vernommenen Zeugen X und T vermochten den Standort des Beklagtenfahrzeugs auf der Kreuzung genau zu beschreiben. Unter Bezugnahme auf ein von den Örtlichkeiten bei Google Maps ausgedrucktes Luftbild (Bl. 125 der Akten) haben sie übereinstimmend angegeben, die Beklagte zu 2) sei hinter der zweiten gestrichelten Linie zum Stehen gekommen. Den vom Sachverständigen A im erstinstanzlichen Verhandlungstermin vom 20.01.2016 überreichten ergänzenden gutachterlichen Unterlagen, die die möglichen Positionen des Beklagtenfahrzeugs und dessen Fahrzeugfront im Kreuzungsbereich abbilden (Anlage 1 bis Anlage 3), ist in Zusammenschau mit den Aussagen der Zeugen X und T zu entnehmen, dass die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug die Fluchtlinie der Kreuzung bereits überfahren hatte, als sie zum Stehen kam. Bestätigt wird dieses Ergebnis zudem durch die Aussage des Zeugen X, die Fahrzeuge aus der Gegenrichtung des klägerischen Fahrzeuges hätten in Geradeausfahrt um das Beklagtenfahrzeug herumfahren müssen.

(b) Allerdings ist der Beklagten zu 2) ein erheblicher schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzulasten.

Wer im Kreuzungsbereich zunächst aufgehalten worden ist und diesen dann als sog. „Nachzügler“ gegenüber dem Querverkehr bevorrechtigt räumen darf, kann nicht blindlings darauf vertrauen, dass er vorgelassen wird (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1993, 258). Vielmehr hat er den Kreuzungsbereich vorsichtig, unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen (vgl. BGH, NJW 1977, 1394; OLG Köln, NZV 2012, 276; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1993, 258; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19). Dabei erhöhen sich die Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Kreuzungsräumers mit seiner Verweildauer im Kreuzungsbereich: Je länger er sich nach seiner Einfahrt bei grünem Ampellicht im Kreuzungsbereich aufhält, desto eher muss er mit einem Phasenwechsel und anfahrendem Querverkehr rechnen (vgl. KG Berlin, DAR 2003, 516; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19) und berücksichtigen, dass der übrige Verkehr aus seinem Verhalten schließen kann, er werde nicht weiterfahren (vgl. KG Berlin, ZfSch 2009, 77). Er darf dann nicht an- oder weiterfahren, wenn er sich nicht vergewissert hat, dass eine Kollision mit einfahrenden Fahrzeugen ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; KG Berlin, ZfSch 2009, 77; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19).“

Ein Mitverschulden des Fahrers des Pkw der Klägerin hat das OLG verneint:

„bb) Zu Lasten der Klägerin ist hingegen im Abwägungsverhältnis kein unfallursächliches Verschulden zu berücksichtigen. Ein Verursachungsbeitrag des Zeugen Y in Form eines Verstoßes gegen §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO wegen der Nichtbeachtung des sog. „Nachzüglervorrechts“ ist zu verneinen.

Verkehrsteilnehmer, für die durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 StVO), brauchen zwar im allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass Fahrzeuge von der Seite her unerlaubterweise in die Kreuzung einfahren (vgl. BGH, NJW 1977, 1394). Nach dem Vertrauensgrundsatz kann sich ein Verkehrsteilnehmer daher in der Regel darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. BGH, NJW 1971, 742; Bayerisches Oberstes Landesgericht, DAR 1967, 333). Allerdings befreit das ihm zustehende Vorfahrtsrecht grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, auf Nachzügler, also auf Teilnehmer des Querverkehrs, Rücksicht zu nehmen, die, als für sie noch grün galt, berechtigt in die Kreuzung eingefahren waren, sie aber nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; NJW 1977, 1394). Diesen Nachzüglern ist, um Stauungen zu vermeiden, zunächst die Möglichkeit zu geben, die Kreuzung zu räumen (sog. „Nachzüglervorrang“) (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; NJW 1977, 1394; OLG Köln, NZV 2012, 276; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVO Rn. 17). Je weiter der Farbwechsel auf Grün aber zurückliegt, umso mehr darf der bei Grün An- oder Durchfahrende auf eine freie Kreuzung ohne weitere Verkehrsteilnehmer aus dem Querverkehr der vorhergehenden Phase vertrauen (vgl. OLG Köln, NZV 2012, 276; MDR 1995, 153).“

Nachzügler – der muss auf sich selbst aufpassen

FahrradfahrerÜber das OLG Hamm, ‌Urt v. 06‌.‌02‌.‌2014‌ – 6 U ‌80‌/‌13‌ – betreffend die Sicherungspflichten eines Vereins im Rahmen der Ausrichtung einer Fahrradtour bei Überquerung übergeordneter Straßen durch einzeln fahrende Nachzügler ist ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden. Ich hinke etwas nach, dafür aber auch mit dem Volltext.

Im Verfahren ging es um die Frage, ob die Organisatoren einer als Gruppenfahrt veranstalteten Fahrradtour nicht verpflichtet sind, die für die Gruppe im Straßenverkehr ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auch für einzeln fahrende Nachzügler aufrechterhalten. Ausgangspunkt war eine im Juni 2011 vom beklagten Schützenverein aus Rahden organisierten Fahrradtour der Jungschützen, an der der seinerzeit 20 Jahre alte Kläger teilgenommen hatte. Die in einer Gruppe fahrenden Teilnehmer wurden von Sicherungsposten begleitet, die größere, verkehrsträchtige Straßen absperrten und der Gruppe so ein gefahrloses Überqueren ermöglichten. Bedingt durch die Panne eines Teilnehmers löste sich der Kläger von der Gruppe, um dieser sodann einzeln fahrend zu folgen. Als er von einem Waldweg kommend eine übergeordnete Straße  überquerte, kollidierte er mit einem bevorrechtigten Kraftfahrzeug, weil er dessen Vorfahrt nicht beachtete. Der Kläger erlitt schwere Kopfverletzungen und befindet sich seit dem Unfall in einem komatösen Zustand. Mit der Begründung, der beklagte Verein habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil ihm die Sicherungsposten das gefahrlose Überqueren der Lübecker Straße nicht ermöglicht hätten, hat der Kläger -unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens seinerseits Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 €.

Die Klage ist auch beim OLG erfolglos geblieben. Der OLG hat nämlich  konnte nicht feststellen, dass der Unfall des Klägers auf einer dem beklagten Verein zuzurechnenden Pflichtverletzung beruht. Der Verein habe die Radtour mit ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen und unter Berücksichtigung der einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften organisiert. Er sei nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger als Nachzügler zu der vorausfahrenden Gruppe von Fahrrädern ein gefahrloses Überqueren der übergeordneten Straße zu ermöglichen. Für den Kläger habe sich eine veränderte Situation ergeben, nachdem er sich aus dem geschlossenen Verband der Fahrräder gelöst habe. Er habe nicht mehr darauf vertrauen können, dass ihm die für die Gruppe vorgesehenen Sicherungskräfte des Vereins ein gefahrloses Überqueren bevorrechtigter Straßen ermöglichen würden. Vielmehr hätten die Organisatoren darauf vertrauen dürfen, dass einzeln fahrende Nachzügler selbst auf das Einhalten der Verkehrsvorschriften achten würden. Aus dem Urteil:

„Dennoch verneint der Senat einen unfallursächlichen Pflichtenverstoß der Organisatoren. Denn jedem der Nachzügler musste sich aufdrängen, dass er sich durch das Zurückbleiben aus dem geschlossenen Verband gelöst hatte, in dem man zuvor die Radtour gemeinsam absolviert und Kreuzungen überquert hatte. Für die Nachzügler ergab sich daraus eine veränderte Situation. Das Vertrauen darauf, dadurch geschützt zu sein, dass Sicherungskräfte ihr besonderes Augenmerk darauf richten würden, gruppenbedingt atypisches Verhalten der Radfahrer und hierdurch bedingte spezielle Gefahren durch besondere Vorkehrungen auszugleichen, war erkennbar nicht berechtigt. Die Organisatoren durften daher darauf vertrauen, dass jedenfalls die nicht in einer geschlossenen Gruppe sondern einzeln fahrenden Nachzügler wie der Kläger selbst auf die Beachtung der Verkehrsregeln achten würden.“