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Ziemlich streng – gelinde ausgedrückt – geht das OLG München im OLG München, Beschl. v. 20.05.2016 – 1 Ws 369/16 – mit einem Haftbefehl es AG Laufen und einem diesen auf die Haftbeschwerde hin aufrecht erhaltenden Beschluss des LG Traunstein ins Gericht. Da passte dem OLG aber auch keins der vom AG/LG angeführten Gründe für die angenommene Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die Watsche des OLG im Einzelnen:
„Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen. Diese Gefahr muss sich bei objektiver Betrachtung nachvollziehbar, aber nicht notwendig zwingend, aus bestimmten Tatsachen ableiten lassen. Eine bloß schematische Beurteilung ist hierbei zu vermeiden; vielmehr muss die Fluchtgefahr den konkreten Umständen des Einzelfalles entnommen werden. Kriminalistische Erfahrungen können dabei zuungunsten des Beschuldigten mit verwertet werden. In die gebotene Gesamtwürdigung sind alle entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalles, vor allem die persönlichen Verhältnisse des Täters, einzubeziehen. Hierbei sind die auf eine Flucht hindeutenden Umstände gegenüber denjenigen abzuwägen, die ihr entgegenstehen. Der Fluchtverdacht kann nicht schon bejaht werden, wenn die äußeren Bedingungen für eine Flucht günstig sind; vielmehr ist zu prüfen, ob der Beschuldigte voraussichtlich von solchen Möglichkeiten Gebrauch machen wird (Graf in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, Rn. 16 zu § 112; Hervorh. OLG).
Vorliegend sind schon keine Tatsachen erkennbar, die bei objektiver Betrachtung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Flucht des Angeklagten begründen könnten. Gegenteilig sprechen mehrere Umstände, insbesondere die familiären Verhältnisse des Angeklagten, dagegen.
Der Angeklagte hat sich dem seit Anfang 2014 laufenden Verfahren gestellt, welches schließlich zur Anklage vor dem Schöffengericht gegen ihn führte. Er musste daher mit einer bis zu 4-jährigen Freiheitsstrafe rechnen, was ihm nach glaubhaftem Vortrag seiner Verteidiger von diesen auch dargelegt wurde. Die Vermutung der Vorinstanzen, der Angeklagte sei von der erfolgten Verurteilung zu einer Vollzugsstrafe überrascht worden, hat angesichts des Verfahrensverlaufs und insbesondere seines unter dem Eindruck der Beweisaufnahme schließlich abgegebenen Teilgeständnisses keine tatsächliche Grundlage zumal auch sein Verteidiger eine immerhin 2-jährige Bewährungsstrafe beantragt hat. Auch dem Angeklagten dürfte bekannt gewesen sein, dass Verteidigeranträge nicht selten überboten werden.
Der nicht vorbestrafte Angeklagte hat keine Beziehungen ins Ausland. Er ist – wie seine Familie -vollkommen vermögenslos und hoch verschuldet, was Anlass für die verfahrensgegenständlichen Taten gewesen sein dürfte. Anders als die Vorinstanzen sieht der Senat in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen keinen besonderen Fluchtanreiz. Gegenteilig dürfte sich eine Flucht ohne Geldmittel schwieriger als mit solchen gestalten. Dementsprechend sind dem Senat eine Vielzahl von Haftbefehlen bekannt, in denen gerade das liquide Vermögen des Inhaftierten als Grund für die Fluchtgefahr benannt wurde. Die umgekehrte Argumentation der Vorinstanzen läuft darauf hinaus, dass sowohl vorhandenes Vermögen als auch das Fehlen eines solchen Fluchtgefahr begründet. Dem ist nicht zu folgen.
Die Argumentation schließlich, der Angeklagte, der mit seiner Frau und drei kleinen Kinder im Alter von 4, 6 und 9 Jahren zusammenlebt, könne „bei einer Flucht ins Ausland für seine Familie besser sorgen“ erscheint geradezu an den Haaren herbei gezogen. Eine erfolgversprechende Flucht zusammen mit den Kindern erscheint dem Senat ausgeschlossen. Fernliegend ist aber auch die Möglichkeit, mit im Ausland erworbenen Geldmitteln die Familie daheim auf Dauer zu versorgen. Unerfindlich bleibt dem Senat auch das amtsgerichtliche Bemerken einer „angeblichen“ familiären Bindung: Die (ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht gem. § 52 StPO belehrte!) Ehefrau des Angeklagten ist unter derselben Anschrift wie dieser ansässig.“
M.E. nicht nur das eine Argument „geradezu an den Haaren herbei gezogen“, sondern die ganze Fluchtgefahr, denn an der kann man m.E. schon allein wegen der vom AG festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zweifeln.
Und zum Schluss dann noch ein netter Hinweis des OLG, der einem angesichts der Frist in § 306 Abs. 2 StPO – drei Tage (!!!!) – die Haare zu Berge stehen lässt:
„Angesichts der somit nicht begründbaren Fluchtgefahr kann dahinstehen, ob auch die schleppende Verfahrensbearbeitung durch die Vorinstanzen zur Aufhebung des Haftbefehls gezwungen hätten. Dem Senat ist jedenfalls nicht entgangen, dass er erst knapp 3 Monate nach der Inhaftierung des Angeklagten mit der Sache befasst wurde.„
Drei Monate braucht die Haftsache (!!!!!!!!) also vom AG bis zum OLG. Das nenne ich mal Beschleunigung. Das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 GG scheint da nicht groß interessiert zu haben.