Archiv für den Monat: Juli 2016

Wochenspiegel für die 28 KW., das war Pokémon, Google Maps, SMS und Jogi Löw

© Aleksandar Jocic - Fotolia.com

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Die ablaufende Woche hatte – leider – zwei herausragende (allgemeine) Ereignisse, nämlich den Anschlag in Nizza und den Putsch(versuch) in der Türkei. Das erste Ereignis zeigt mir, dass es völlig egal ist, wohin ich mich begebe/reise oder wo ich bin, der Terror ist ggf. schon da oder kommt . Das zweite Ereignis zeigt, dass Gewalt kein Mittel sein kann/darf, um die politischen Verhältnisse zu ändern, denn wenn es nicht klappt, werden sie im Zweifel nur (noch) schlimmer. Es zeigt aber auch, wie gut es uns doch geht. Hier kann man nicht mal eben rund 3.000 Richter entlassen.

Trotz dieser Ereignisse hat es auch Blogthemen (der Woche) gegeben, über die ich nun berichte, und zwar über:

  1. Pokemon go und der Jurist,  oder: Pokémon Go…home!, oder: Datenschutzsorgen um Pokemon Go berechtigt,
  2. Faszinierende Mitteilung der Anklageschrift,
  3. Das Gericht nutzt Google Maps … – warum nicht? :-) ,
  4. Unser Führerschein hat jetzt ein Verfallsdatum,
  5. Kein Schmerzensgeld für „Schweinebacke“ ,
  6. BVerfG: Kein Mitverschulden des Rollstuhlfahrers beim Nichtanlegen eines Beckengurtes,
  7. Beweisaufnahme: SMS-Nachrichten sind nachträglich löschbar,
  8. EuGH: Überführungskosten für Neuwagen müssen in Endpreis mit eingerechnet werden,
  9. und dann war da noch:  Was du von Jogi Löw für deine nächste Klausurphase lernen kannst,
  10. und dann ist/awr da auch noch ganz zum Schluss: Lesetipp: Fischer publiziert Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung visueller Persönlichkeitsverletzung und zum Schutz ungestörter Entwicklung.

Sommerloch, oder: Mal wieder Fahrverbot und Richtervorbehalt….

© Berlin85 - Fotolia.com

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Der (allseite beliebte und sehr aktive) BMJV Heiko Maas hat dann neben dem Entwurf eines „Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts“ (dazu Stärkung der Beschuldigtenrechte? – tatsächlich……) ein weiteres Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, bei dem ich mich meine: Es ist dann doch wohl Sommer, denn zumindest eine der im Referentenentwurf des Gesetze zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung  gibt es alle Jahre wieder im Sommer(loch). Jedenfalls war das früher der Fall als der niedersächsische Justizminister noch Buesemann hieß. Der kam auch alle Jahre wieder mit dem Vorhaben, den § 44 StGB zu ändern. Nun also auch das BMJV.

Der Referentenentwurf enthält nun im Wesentlichen zwei Änderungen, die für die Praxis von Bedeutung sind:

Das ist zunächst die Änderung des § 44 StGB, also des Fahrverbots als Nebenstrafe. Die soll demnächst nicht mehr nur bei Delikten mit Verkerhsbezug möglich sein, sondern auch bei anderen Delikten. Begründung (wie gehabt):

„Die Bandbreite strafrechtlicher Sanktionen, die ein Fahrverbot als Nebenstrafe ausschließlich für Straftaten vorsieht, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden, gibt der Justiz im Bereich kleinerer und mittlerer Kriminalität bisweilen zu wenige Gestaltungsmöglichkeiten, um in geeigneter Weise auf Straftäter einzuwirken. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Fahrverbots auf alle Straftaten soll daher den Gerichten auch jenseits von verkehrsbezogenen Delikten ein zusätzliches Mittel an die Hand geben, zielgenau, spürbar und schuldangemessen auf den Täter einzuwirken, und zugleich der Vermeidung insbesondere kurzer Freiheitsstrafen dienen.“

Und die zweite Änderung betrifft den § 81a Abs. 2 StPO – Stichwort: Richtervorbehalt bei der Blutentnahme, davon habe wir ja auch länger nichts mehr gehört. Da soll ein Satz 2 eingefügt werden, der lauten soll:

„Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe steht abweichend von Satz 1 der Staatsanwaltschaft, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch ihren Ermittlungspersonen zu, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Tat vorliegen, die der Beschuldigte bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat.“

Begründung u.a.:

„Der in § 81a Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) vorgesehene Richtervorbehalt für die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe zum Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut verursacht nach einer Reihe von Änderungen der Rechtsprechung zunehmend Anwendungsschwierigkeiten in der Justiz. Eine vertiefte richterliche Prüfung kann aufgrund der regelmäßig hohen Eilbedürftigkeit und anhand der von der Polizei vor Ort regelmäßig nur telefonisch mitgeteilten Informationen kaum erfolgen.“

Ah so: Die „vertiefte richterliche Prüfung“ kann nicht erfolgen, daher dann im Zweifel die (Eil)Zuständigkeit der „Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft“, also der Polizei. Die kann und wird also vertieft prüfen. Das hat sie ja schon immer gemacht 🙂 . Ich glaube, dass dürfte nicht der richtige Weg sein. Zudem: Mit der Änderung beseitigt man m.E. die Probleme nicht, sondern verlegt sie nur auf eine andere Ebene. Denn nun wird in Zukunft um die Auslegung des Merkamsl „Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung“ gestritten werden.

Abstinenzweisung, oder: Keine Strafbarkeit selbstschädigenden Verhaltens

© Spencer - Fotolia.com

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Sog. „Abstinenzweisungen“, z.B. betreffend Drogen – häufig im Rahmen der Anordnung der Führungsaufsicht (§ 68f ff. StGB) anzutreffen – sind bei den davon betroffenen Probanden sehr unbeliebt. Die (obergerichtliche) Rechtsprechunggeht aber davon aus, dass eine Weisung, die dahin geht, keine Betäubungsmittel bzw. keinen Alkohol zu konsumieren, für sich genommen keinen Verstoß gegen Grundrechte darstellt. Die  Abstinenzweisung muss aber im Einzelfall verhältnismäßig sein, was eine Abwägung zwischen den betroffenen Gemeinwohlbelangen und den Rechten des Verurteilten voraussetzt. Insoweit werden als ohne Weiteres zulässig angesehen Abstinenzweisungen gegenüber zum Verzicht auf den Konsum von Alkohol oder anderer Suchtmitteln fähige Personen. Hingegen ist bei nicht- oder erfolglos therapierten langjährigen Suchtkranken eine Abwägung erforderlich, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, inwieweit die Aussicht besteht, den mit der Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten sind. Auch § 145a StGB spielt eine Rolle. Das kann man alles noch einmal nachlesen im BVerfG, Beschl. v. 30.03.2016 – 2 BvR 496/12, in dem es zu Unzumutbarkeit/Unverhältnismäßig dann konkret u.a. heißt:

Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren verdiene ich für die Tätigkeit vor dem „Gericht der EU“

© AllebaziB - Fotolia

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Heute stelle ich dann hier die Frage eines Kollegen/einer Kollegin vor, die sich mit einem, etwas abgelegeneren Gebite befasst, nämlich mit den Tätigkeiten des Rechtsanwalts beim EuGH. Dazu erreichte mich dann diese Anfrage:

„…..ich beziehe mich auf Ihren Vortrag zum GERICHTSHOF: Die anwaltliche Vergütung in Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und die Gebühren gem. § 38 RVG. Dies betrifft die zweite Instanz vor den Gerichten der EU.

Ich habe einen Fall in der ersten Instanz, also vor dem GERICHT der EU. Da ich dazu keine Ausführungen finde, vermute ich, dass nur die Gebühren nach Nr. 3100 und 3104 RVG gelten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das bestätigen könnten. Auch wenn der Aufwand hier sehr hoch ist, da die Formvorschriften des Gerichts zu beachten sind, ist eine höhere Gebühr evtl. nicht möglich.

Wir hatten ein schriftliches Verfahren geführt, die Entscheidung fiel durch Beschluss. Vermute ich richtig, dass eine Terminsgebühr daher auch nicht ansetzbar ist?“

Ich weiß, ist nicht einfach. Aber vielleicht hat ja ein Leser Mut/eine Idee.

Die „gerade zu an den Haaren herbei gezogene“ Fluchtgefahr, oder: Abgewatscht

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ziemlich streng – gelinde ausgedrückt – geht das OLG München im OLG München, Beschl. v. 20.05.2016 – 1 Ws 369/16 – mit einem Haftbefehl es AG Laufen und einem diesen auf die Haftbeschwerde hin aufrecht erhaltenden Beschluss des LG Traunstein ins Gericht. Da passte dem OLG aber auch keins der vom AG/LG angeführten Gründe für die angenommene Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die Watsche des OLG im Einzelnen:

„Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen. Diese Gefahr muss sich bei objektiver Betrachtung nachvollziehbar, aber nicht notwendig zwingend, aus bestimmten Tatsachen ableiten lassen. Eine bloß schematische Beurteilung ist hierbei zu vermeiden; vielmehr muss die Fluchtgefahr den konkreten Umständen des Einzelfalles entnommen werden. Kriminalistische Erfahrungen können dabei zuungunsten des Beschuldigten mit verwertet werden. In die gebotene Gesamtwürdigung sind alle entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalles, vor allem die persönlichen Verhältnisse des Täters, einzubeziehen. Hierbei sind die auf eine Flucht hindeutenden Umstände gegenüber denjenigen abzuwägen, die ihr entgegenstehen. Der Fluchtverdacht kann nicht schon bejaht werden, wenn die äußeren Bedingungen für eine Flucht günstig sind; vielmehr ist zu prüfen, ob der Beschuldigte voraussichtlich von solchen Möglichkeiten Gebrauch machen wird (Graf in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, Rn. 16 zu § 112; Hervorh. OLG).

Vorliegend sind schon keine Tatsachen erkennbar, die bei objektiver Betrachtung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Flucht des Angeklagten begründen könnten. Gegenteilig sprechen mehrere Umstände, insbesondere die familiären Verhältnisse des Angeklagten, dagegen.

Der Angeklagte hat sich dem seit Anfang 2014 laufenden Verfahren gestellt, welches schließlich zur Anklage vor dem Schöffengericht gegen ihn führte. Er musste daher mit einer bis zu 4-jährigen Freiheitsstrafe rechnen, was ihm nach glaubhaftem Vortrag seiner Verteidiger von diesen auch dargelegt wurde. Die Vermutung der Vorinstanzen, der Angeklagte sei von der erfolgten Verurteilung zu einer Vollzugsstrafe überrascht worden, hat angesichts des Verfahrensverlaufs und insbesondere seines unter dem Eindruck der Beweisaufnahme schließlich abgegebenen Teilgeständnisses keine tatsächliche Grundlage zumal auch sein Verteidiger eine immerhin 2-jährige Bewährungsstrafe beantragt hat. Auch dem Angeklagten dürfte bekannt gewesen sein, dass Verteidigeranträge nicht selten überboten werden.

Der nicht vorbestrafte Angeklagte hat keine Beziehungen ins Ausland. Er ist – wie seine Familie -vollkommen vermögenslos und hoch verschuldet, was Anlass für die verfahrensgegenständlichen Taten gewesen sein dürfte. Anders als die Vorinstanzen sieht der Senat in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen keinen besonderen Fluchtanreiz. Gegenteilig dürfte sich eine Flucht ohne Geldmittel schwieriger als mit solchen gestalten. Dementsprechend sind dem Senat eine Vielzahl von Haftbefehlen bekannt, in denen gerade das liquide Vermögen des Inhaftierten als Grund für die Fluchtgefahr benannt wurde. Die umgekehrte Argumentation der Vorinstanzen läuft darauf hinaus, dass sowohl vorhandenes Vermögen als auch das Fehlen eines solchen Fluchtgefahr begründet. Dem ist nicht zu folgen.

Die Argumentation schließlich, der Angeklagte, der mit seiner Frau und drei kleinen Kinder im Alter von 4, 6 und 9 Jahren zusammenlebt, könne „bei einer Flucht ins Ausland für seine Familie besser sorgen“ erscheint geradezu an den Haaren herbei gezogen. Eine erfolgversprechende Flucht zusammen mit den Kindern erscheint dem Senat ausgeschlossen. Fernliegend ist aber auch die Möglichkeit, mit im Ausland erworbenen Geldmitteln die Familie daheim auf Dauer zu versorgen. Unerfindlich bleibt dem Senat auch das amtsgerichtliche Bemerken einer „angeblichen“ familiären Bindung: Die (ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht gem. § 52 StPO belehrte!) Ehefrau des Angeklagten ist unter derselben Anschrift wie dieser ansässig.“

M.E. nicht nur das eine Argument „geradezu an den Haaren herbei gezogen“, sondern die ganze Fluchtgefahr, denn an der kann man m.E. schon allein wegen der vom AG festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zweifeln.

Und zum Schluss dann noch ein netter Hinweis des OLG, der einem angesichts der Frist in § 306 Abs. 2 StPO – drei Tage (!!!!) – die Haare zu Berge stehen lässt:

Angesichts der somit nicht begründbaren Fluchtgefahr kann dahinstehen, ob auch die schleppende Verfahrensbearbeitung durch die Vorinstanzen zur Aufhebung des Haftbefehls gezwungen hätten. Dem Senat ist jedenfalls nicht entgangen, dass er erst knapp 3 Monate nach der Inhaftierung des Angeklagten mit der Sache befasst wurde.

Drei Monate braucht die Haftsache (!!!!!!!!) also vom AG bis zum OLG. Das nenne ich mal Beschleunigung. Das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 GG scheint da nicht groß interessiert zu haben.