Der Kollege Gratz vom Verkehrsrechtsblog hat ja schon auf den AG Neunkirchen, Beschl. v. 02.05.2016 – 19 OWi 365/15 – hingewiesen, den ich mir – mit seinem Einverständnis – dort „geklaut“ 🙂 habe. Das OWi-Verfahren, in dem der Beschluss ergangen ist, war schon mal Gegenstand der Berichterstattung, nämlich in Zusammenhnag mit dem AG Neunkirchen, Beschl. v. 30.12.2015 – 19 OWi 365/15 (vgl. dazu Akteneinsicht a la AG Neunkirchen, oder: Geht auch anders/richtig – Verfahren ausgesetzt). Nun geht es also weiter. Die zentrale Bußgeldbehörde will also offenbar nicht so, wie es das AG gerne hätte. Sie rückt die Rohmessdaten der Messung nicht raus, jedenfalls nicht unverschlüsselt. Das hat das AG jetzt aber bestimmt:
Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren mit dem Gerät ESO 3.0 handelt es sich unbestrittener Maßen um ein sog. standardisiertes Messverfahren (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012. Az.: 1 Ss Bs 12/12). Dies hat zur Folge, dass es dem Betroffenen obliegt, substantiiert vorzutragen aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist, so dass der Betroffene konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände vortragen muss, um eine Messung in Zweifel zu ziehen (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Neben des Rechts auf Einsicht in das Messprotokoll und die Eichbescheinigung folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens aufgrund der durch das standardisierte Messverfahren vorliegenden Beweislastumkehr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Dies aber ist nur dann möglich, wenn dem Betroffenen die Messdateien in unverschlüsselter Form übergeben werden.
Wird dem Betroffenen aber die Herausgabe der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken. Dies aber stellt ein ureigenes Recht eines Betroffenen dar (vgl. BVerfGE 46, 202). Aus Art. 6 EMRK folgt zudem das Gebot der sog. Waffengleichheit. Dies bedeutet, dem Betroffenen müssen die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt sich gegen einen Vorwurf zu verteidigen, wie dem Ankläger Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, den Tatvorwurf nachzuweisen.
Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens aber obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen, damit der Betroffene etwaige Messfehler konkretisieren kann. Ohne eine Konkretisierung könnte ein Gericht aber einen Beweisantrag des Betroffenen auf Überprüfung der Messung als Ausforschungsbeweis betrachten (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15).
Die Rohmessdaten sind der Verteidigung auch in unverschlüsselter Form herauszugeben. Denn eine unabhängige Auswertung der Daten durch den Sachverständigen ist nur möglich, wenn die Daten zuvor entschlüsselt worden sind.
Die Verwaltungsbehörde kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Verfügungsberechtigt über die Messdaten ist allein die Behörde, die diese Daten erzeugt 1nd nhgpeppinhprt hat, Es ist daher Sarhe der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen. (OLG Naumburg, VersR 2015, 1525; AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15)
Genauso wenig kann der Betroffene darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH anzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen (OLG Naumburg, a.a.O.).
Sofern die Verwaltungsbehörde also nicht in der Lage ist, die Daten selbst zu entschlüsseln, hat sie die unverschlüsselten Daten bei der Firma ESO anzufordern. Aus den genannten Gründen hat die Firma ESO die Daten dann unverschlüsselt herauszugeben, da sie — wie dargelegt — zur Verschlüsselung überhaupt nicht berechtigt ist.
Daher sind dem Betroffenen im vorliegenden Fall die Rohmessdaten durch die Verwaltungsbehörde in unverschlüsselter Form zu übergeben.
Bemerkenswert wie das AG den „Teufelskreis“, in dem sich Verteidiger und Betroffene aufgrund der teilsweise in der Rechtsprechung vertretenen Rechtsansichten zur Einsicht und Herausgabe in Rohmessdaten durchbricht. Bemerkenswert allerdings auch – jedoch nicht im positiven Sinn – dass die Zentralen Bußgeldbehörde die Auffassung des AG offenbar nicht interessiert. Denn sonst müsste das AG nicht im Tenor formulieren: „Der zentralen Bußgeldbehörde wird nochmals aufgegeben, …..“. und müsste die Behörde auch nicht die Fa. ESO „anweisen“. Allerdings: Interessant wird es, was das AG macht, wenn die Fa. ESO nicht entschlüsselt 🙂 .