Archiv für den Monat: März 2016

Eine Übersetzung des schriftlichen Urteils gibt es nicht…. muss das sein?

FragezeichenEbenfalls „Übersetzungsfragen“ behandelt der OLG Hamm, Beschl. v. 26.01. 2016 – 1 Ws 8/16 (vgl zu der Porblemati vorhin schon das  BGH, Urt. v. 23.12.2015 – 2 StR 457/14 – und dazu: Da kann man nur den Kopf schütteln….Übersetzung der Anklage erst am 7. HVT). Die Problematik liegt hier aber anders, denn es geht um die Übersetzung des schriftlichen Urteils in die Muttersprache  des der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten. Das OLG Hamm verneint einen darauf gerichteten Anspruch des Angeklagten:

„Zutreffend hat der nach §§ 36 Abs. 1, 37 Abs. 3 StPO zuständige Vorsitzende der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Siegen in seiner von dem Beschwerdeführer angefochtenen Entscheidung unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Mai 1983 (Az.: 2 BVR 731/80 = BVerfGE 64, 135) ausgeführt, dass der verteidigte Angeklagte keinen Anspruch auf Übersetzung des schriftlichen Urteils in die albanische Sprache hat.

Zwar ist gemäß § 187 Abs. 2 S. 1 GVG in der Regel zur Ausübung der strafprozessualen Rechte eines Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, die schriftliche Übersetzung des nicht rechtskräftigen Urteils erforderlich. Vorliegend sind jedoch, da dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung (§ 268 Abs. 2 StPO) durch einen Dolmetscher übersetzt wurde, die Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 S. 4 u. 5 GVG, der Ausnahmen von diesem Grundsatz vorsieht, erfüllt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2014, 111-2 Ws 40/14 -, juris, m.w.N.). Eine Verletzung der strafprozessualen Rechte des Beschwerdeführers als Angeklagtem und seines Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 3 e EMRK) sind nicht ersichtlich (OLG Hamm, a.a.O.). Er darf grundsätzlich darauf verwiesen werden, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich insoweit auch das Urteil übersetzen zu lassen (OLG Hamm, a.a.O.).

Die Ausnahmeregelung des § 187 Abs. 2 S. 4 u. 5 GVG entspricht auch den Vorgaben der in Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren aufgeführten Ausnahme von der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie statuierten Regel der grundsätzlichen schriftlichen Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen und steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 64, 135), auf welche auch die Gesetzesbegründung zu § 187 GVG (Drucksache 17/12578) Bezug nimmt.

Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse an einer schriftlichen Übersetzung der Urteilsgründe in die albanische Sprache hat (vgl. Drucksache 17/12578, S. 12), sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere auch, soweit vorgebracht wurde, im Urteil fänden sich „hoch schwierige Formulierungen, komplizierte Gedankengänge und Schlussfolgerungen“, die sich der Beschwerdeführer „nicht merken könne“. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser nicht in der Lage dazu wäre, sich gegebenenfalls selbst schriftliche Notizen anzufertigen. Alleine die Höhe der ausgeurteilten Strafe von 10 Jahren und 6 Monaten — wie vorgebracht — begründet insoweit ebenfalls kein ausreichendes besonderes Interesse.“

Haben andere OLG auch schon so entschieden. Man könnte natürlich auch anders – wenn man wollte. Ich überlege mir nur, was wäre, wenn ich in Albanien verurteilt worden wäre…. und dann alles nur auf albanisch in der Hauptverhandlung …

Da kann man nur den Kopf schütteln….Übersetzung der Anklage erst am 7. HVT

© Corgarashu – Fotolia.com

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Für mich ist der BGH, Urt. v. 23.12.2015 – 2 StR 457/14 – mal wieder einer, bei dem man – zumindest ich – nur mit dem Kopf schütteln kann über das Vorgehen einer Strafkammer des LG Aachen. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Angeklagt waren zwei aus der Dominikanischen Republik stammende Angeklagte J. und F. Die Angeklagte F. hat gegen das landgerichtliche Urteil die Verfahrensrüge erhoben und gerügt, die Strafkammer habe gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK und den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil sie ihr als der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten erst am 7. Hauptverhandlungstag eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift überlassen und einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen habe. Die Rüge hatte Erfolg.

b) ….Die Entscheidung der Strafkammer, den Antrag auf Aussetzung zurückzuweisen und die Hauptverhandlung unmittelbar fortzusetzen, ist rechtsfehlerhaft und verstößt gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens.

aa) Ein Angeklagter kann auf die das Strafverfahren abschließende Ent-scheidung nur dann hinreichend Einfluss nehmen, wenn ihm der Verfahrensgegenstand in vollem Umfang bekannt ist. Dies setzt auch die Kenntnis der An-klageschrift voraus. Deshalb hat ein Angeklagter nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Be-schuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deut-schen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständli-chen Sprache; dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu ge-schehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).

Die Überlassung der übersetzten Anklageschrift an die Angeklagte F. am siebten Verhandlungstag war deshalb zu spät. Die mündliche Übersetzung allein des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn – wie hier gerade nicht – der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 18 mwN). Der Umstand, dass die Angeklagte eine Verteidigerin hat, führt – auch unter Berücksichtigung des § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG – zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung (vgl. BGH, Be-schluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).

bb) Ein Angeklagter, dem die Anklageschrift nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, kann grundsätzlich die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen, um seine Verteidigung genügend vorbereiten zu können (vgl. BGH, Be-schluss vom 14. September 1977 – 3 StR 278/77, bei Holtz MDR 1978, 111 f.; OLG Celle, StV 1998, 531, 532; Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 201 Rn. 46; Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 201 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 201 Rn. 10, jeweils mwN). Dem Tatrichter steht bei der Entscheidung über einen solchen Aussetzungsantrag entsprechend § 265 Abs. 4 StPO ein Ermessensspielraum zu (vgl. Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, aaO, § 265 Rn. 109). Ob dieser Ermessensspielraum wegen der Funktion der (übersetzten) Anklageschrift für die Vorbereitung einer sachge-rechten Verteidigung auf Null reduziert ist und dem Gericht ein Ermessen deshalb nur im Rahmen der Entscheidung darüber zusteht, wie lange es den Zeit-raum bemisst, den es dem Angeklagten für die Vorbereitung der (Fortsetzung der) Hauptverhandlung zur Verfügung stellt (vgl. OLG Celle, StV 1998, 531, 532; Rübenstahl, StraFo 2005, 30, 32), oder ob (bereits) eine angemessene Unterbrechung der Hauptverhandlung genügt (vgl. auch Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, aaO, § 265 Rn. 112; Kuckein, in: KK-StPO, aaO, § 265 Rn. 30; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 265 Rn. 39), kann der Senat hier offen lassen. Denn dem Beschluss vom 18. März 2013, mit dem die Strafkammer den Aussetzungsantrag zurückgewiesen hat, ist schon nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht überhaupt seines Ermessens bewusst gewesen ist.

cc) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil, das nach Überlassung der schriftlichen Übersetzung der Anklageschrift nach sieben weiteren Hauptverhandlungstagen ergangen ist, auf einem etwaigen Informationsdefizit beruht, zumal sich die Angeklagte in Unkenntnis der schriftlichen Übersetzung der Anklage bereits am siebten Hauptverhandlungstag zu den Tatvorwürfen eingelassen hat (vgl. – insoweit anders gelagert – BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).

Wirklich: Da kann man nur den Kopf schütteln, oder?….natürlich nicht über den BGH.

Vollzug III: Keine „Stütze“/kein Taschengeld in der Unterbringung….

© mpanch - Fotolia.com

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Und dann noch die dritte Entscheidung mit vollzugsrechtlichem Einschlag (zum heutigen Tagesthema dann schon der KG, Beschl. v. 19.01.2016 – 2 Ws 15/16 Vollz und dazu: Vollzug I: Pflichtverteidiger/Beiordnung in (Disziplinar)Vollzugssachen? – Nein und der KG, Beschl. v. 11.01.2016 – 2 Ws 303/15 Vollz und dazu:Vollzug II: Religionsfreiheit im Strafvollzug). Den Abschluss macht jetzt der OLG Braunschweig, Beschl. v. 09.02.2016 – 1 VAs 7/15 zur Frage: Hat ein (einstweilig) Untergebrachter einen Anspruch auf die Gewährung von Sozialleistungen durch die Vollzugsbehörde im Rahmen der einstweiligen Unterbringung nach § 126 a StPO?

Es geht um folgende Problematik: Der Antragsteller ist auf der Grundlage eines Unterbringungsbefehls einstweilig gem. § 126a StPO in einem Maßregelvollzugszentrum untergebracht. Er hat die Übernahme der nicht näher bezifferten Kosten seiner Mietwohnung sowie die Zahlung eines Barbetrages (§ 11 Nds. MVollzG) beantragt. Diesen Antrag hat das Maßregelvollzugszentrum abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG. Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen, aber auch Ausführungen zur Begründetheit gemacht:

Darüber hinaus wäre der Antrag auch unbegründet. Dem Antragsteller steht gegen den Vollzugsträger kein auf die Gewährung von Sozialleistungen gerichteter Anspruch zu. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 04. Januar 2016 Folgendes ausgeführt:

„Er kann die begehrten Sozialleistungen im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB AT nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung geltend machen, die die Antragsgegnerin zur Leistung verpflichtet hätte (vgl. OLG Stuttgart, ZfStrVo 1994, 247 (248), sowie Keck, ZfStrVo 1990, 18 (19) bei Fußn. 22). § 31 SGB AT selbst enthält keine Anspruchsgrundlage, sondern schreibt vor, dass Sozialleistungen nur gewährt werden können, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Übertragen auf den vorliegenden Fall heißt dies, dass eine Vollzugsbehörde nicht berechtigt ist, einem einstweilig nach § 126a StPO Untergebrachten Taschengeld zu gewähren, wenn auf ein solches kein Rechtsanspruch besteht. Hierdurch wird abgesichert, dass keine Willkürentscheidungen getroffen werden und die Ansprüche haushaltsrechtlich abgesichert werden können. Die für die Gewährung von Geldleistungen erforderliche, in einem Gesetz geregelte Anspruchsgrundlage existiert jedoch nicht (vgl. hierzu die ausführliche Begründung im Beschluss des OLG Celle vom 18.03.1997, NStZ-RR 1998, 89; OLG Hamm, NStZ 1993, 608; BverwG DVBl 1994, 425).

Das Nds. MVollzG enthält keine rechtliche Grundlage, die es der Vollzugseinrichtung erlaubt, dem Antragsteller in seinem gegenwärtigen Status die von ihm beantragten Sozialleistungen zu gewähren. § 11 Nds. MVollzG sieht zwar die Gewährung von Taschengeld als Sozialleistung vor. Diese Norm gilt allerdings nur für die Personen, die von dem Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sind. Nach § 1 Nds. MVollzG regelt das Gesetz den Vollzug der durch strafrichterliche Entscheidung angeordneten freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (Unterbringung). Bei der Unterbringung nach § 126a StPO handelt es sich jedoch nicht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, sondern lediglich um eine Sicherungsmaßnahme, die dem Ziel dient, eine strafrichterliche Maßregelentscheidung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren erst zu ermöglichen. Eine Verweisungsnorm, die die ergänzende Heranziehung des Maßregelvollzugsgesetzes in Niedersachsen auch für einstweilig Untergebrachte vorsieht, fehlt.

Auch § 138 StVollzG trifft keine Regelung zum Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach  § 126 a StPO, sondern setzt die rechtskräftige Anordnung einer Maßregelunterbringung voraus und bestimmt insoweit, dass sich der Vollzug nach Landesrecht richtet, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Ein Landesgesetz, welches über die StPO hinaus konkrete Regelungen zum Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach § 126 a StPO trifft, existiert in Niedersachsen bis heute nicht, sodass insoweit ausnahmslos die Regelungen der StPO gelten. Diese Regelungen befassen sich allerdings nur mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Gefangenen bzw. einstweilig Untergebrachten Beschränkungen auferlegt werden können. Einen Anspruch auf Sozialleistungen sieht die StPO für einstweilig nach § 126 a StPO Untergebrachte nicht vor. Die vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 07.06.2006 – L 7 AS 423/05 ER (zitiert nach juris) vor Geltung des NJVollzG auch für Untersuchungsgefangene angesprochene Lücke ist bezogen auf einstweilig nach § 126 a StPO Untergebrachte bis heute nicht geschlossen. In jener Entscheidung vertrat das Landessozialgericht die auf das Maßregelvollzugsgesetz übertragbare Auffassung, dass § 46 StVollzG nur für rechtskräftig verurteilte Gefangene, nicht jedoch für Untersuchungsgefangene gilt und der Untersuchungsgefangene keinen Anspruch darauf hat, dass diese im Strafvollzugsrecht gegenwärtig bestehende Lücke durch ein Tätigwerden des (Landes-)Gesetzgebers geschlossen wird. Es war deshalb der Meinung, dass der Untersuchungsgefangene, der in jenem Fall einen Antrag auf Gewährung eines Taschengeldes gestellt hat, sich an den Sozialleistungsträger nach dem SGB II zu wenden hat. Die Lücke ist für Untersuchungsgefangene durch § 43 NJVollzG zwischenzeitlich geschlossen worden, besteht mangels einer vergleichbaren Regelung für einstweilig nach § 126a StPO Untergebrachte aber weiterhin fort.“

Also – ein wenig flapsig: Keine „Stütze“ in der Unterbringung….

Vollzug II: Religionsfreiheit im Strafvollzug

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Nach dem KG, Beschl. v. 19.01.2016 – 2 Ws 15/16 Vollz und dazu: Vollzug I: Pflichtverteidiger/Beiordnung in (Disziplinar)Vollzugssachen? – Nein) dann ein weiterer „Vollzugsbeschluss“ des KG, und zwar der KG, Beschl. v. 11.01.2016 – 2 Ws 303/15 Vollz. Der geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Nach einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und einem Mitgefangenen in der Teilanstalt V im Februar 2015 und der Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber einem Aufsicht führenden Beamten, die Bedienstete A. müsse aufpassen, wenn er – der Beschwerdeführer – herauskäme, ordnete die Justizvollzugsanstalt Tegel im März 2015 allgemeine Sicherungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer an. Dieser erste Bescheid wurde durch den hier angefochtenen Bescheid vom 21. Mai 2015 aufgehoben und ersetzt. Danach wurde der Beschwerdeführer vom Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen sowie von Gemeinschaftsveranstaltungen außerhalb der Teilanstalt II ausgeschlossen. Ausdrücklich hiervon ausgenommen wurde eine seelsorgerliche Betreuung innerhalb der Teilanstalt II. Der Beschwerdeführer gibt an, einen muslimischen Hintergrund zu haben.“

Dre Beschwerdeführeh hat Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Die StVK hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hatte beim KG Erfolg. Die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Das Recht auf Teilnahme an religiösen Veranstaltungen steht auch denjenigen Gefangenen zu, die zwar (noch) konfessionslos sind, aber in „suchenden Kontakt“ zu einer Religionsgemeinschaft treten wollen.
  1. Für den Ausschluss nach § 54 Abs. 3 Halbsatz 1 StVollzG gilt eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei einem – nur ausnahmsweise als ultima ratio zulässigen – dauerhaften Ausschluss wird dessen Berechtigung regelmäßig zu überprüfen sein.
  1. Der Seelsorger ist vor einem Ausschluss anzuhören, wenn nicht besondere Ausnahmegründe vorliegen. Diese Anhörung erfordert mehr als eine bloß einseitige Information.

Vollzug I: Pflichtverteidiger/Beiordnung in (Disziplinar)Vollzugssachen? – Nein

© ogressie Fotolia.cm

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Heute werde ich dann drei Entscheidungen zum/aus dem Strafvollzug vorstellen. Sicherlich für den ein oder anderen ein eher etwas abgelegenes Thema, für die Betroffenen aber von erheblicher Bedeutung. Den Auftakt mache ich mit dem KG, Beschl. v. 19.01.2016 – 2 Ws 15/16 Vollz. In dem Verfahren ging es um den Antrag eines Sicherungsverwahrten auf gerichtliche Entscheidung und einstweilige Anordnung. Begehrt wurde die Aufhebung der Verhängung eines zehntägigen Arrests durch die Justizvollzugsanstalt, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung dieses Arrests gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG sowie die Gewährung von „Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verteidigers gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG“. Das KG sagt:

Die Beschwerde des Sicherungsverwahrten gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist jedenfalls unbegründet.

In Vollzugssachen, die Sicherungsverwahrte betreffen, ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach Maßgabe unterschiedlicher Rechtsgrundlagen möglich. Insoweit muss – anders als in der Antragsschrift geschehen – zwischen der Beiordnung nach § 109 Abs. 3 StVollzG und der Beiordnung nach § 120 Abs. 2 StVollzG in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO, also auf Grundlage eines erfolgreichen Prozesskostenhilfe-antrages, differenziert werden (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2014, 294; Senat StV 2015, 577 m. Anm. Neumann StRR 2015, 74 und Peglau jurisPR 3/2015 Anm. 3). Hingegen ist eine – wie von der Strafvollstreckungskammer grundsätzlich für möglich erachtete, letztlich aber abgelehnte – „Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO analog“ in Verfahren nach den §§ 109 StVollzG von vornherein nicht möglich. Denn die Beiordnung von Rechtsanwälten ist im StVollzG in den § 120 Abs. 2 und § 109 Abs. 3 abschließend geregelt, so dass es an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke fehlt (vgl. KG, NStZ 1994, 382 bei Bungert; Arloth, StVollzG 3. Aufl., § 120 Rdn. 4).

1. Gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG ist dem Antragsteller grundsätzlich dann ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die begehrte oder angefochtene Maßnahme der Umsetzung des § 66c Abs. 1 StGB im Vollzug der Sicherungsverwahrung dient. Dies ist hier nicht der Fall. § 109 Abs. 3 StVollzG wurde neu gefasst durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 und soll nach den Gesetzesmaterialien der Verwirklichung des Rechtsschutz- und Unterstützungsgebotes (vgl. Rn. 117 des Urteils des BVerfG vom 4. Mai 2011 [juris], BVerfGE 128, 326 [382]) dienen. Die Beiordnung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur für solche Streitigkeiten erfolgen, die eine den Leitlinien des § 66c StGB konforme Umsetzung des Abstandsgebotes betreffen (vgl. BT-Drs. 17/9874 S. 27). Das ist hier nicht der Fall. Der angefochtene zehntätige Arrest gründet sich auf einen Sachverhalt, der ausschließlich Umstände erfasst, die mit der spezifischen Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung oder mit der Umsetzung des Abstandsgebotes nichts zu tun haben. Denn er ist als reine Disziplinarmaßnahme aufgrund einer Mehrzahl von beleidigenden und bedrohlichen Äußerungen und aufgrund bedrohlich-aggressiven Auftretens des Beschwerdeführers gegenüber Bediensteten der Justizvollzugsanstalt verhängt und dementsprechend auf § 78 Abs. 1 und § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 SVVollzG gestützt worden. Dass eine solche Disziplinarmaßnahme unabhängig von der spezifischen Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung und der Umsetzung des Abstandsgebotes verhängt werden kann, legt bereits der Umstand nahe, dass entsprechende Disziplinarmaßnahmen auch im Strafvollzug verhängt werden können (vgl. §§ 82, 102 ff. StVollzG). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers diente die Disziplinarmaßnahme nicht dem Zweck, seine Mitwirkungsbereitschaft im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1.a) StGB zu wecken und zu fördern, sondern der Ahndung vergangenen und Verhinderung zukünftigen Fehlverhaltens. Denn diesbezüglich führt der angefochtenen Bescheid aus:

„Aufgrund des von Ihnen begangenen Pflichtverstoßes, Ihres wiederholten Fehlverhaltens in Form von Bedrohungen und Beleidigungen, Ihrer derzeit nicht gegebenen Gesprächsbereitschaft und in Anbetracht Ihrer von massiven Gewalttätigkeiten gekennzeichneten früheren Delinquenz sowie früherer gewalttätiger Auseinandersetzung im Vollzug, muss auch künftig bei Ihnen davon ausgegangen werden, dass es zu vergleichbaren Vorkommnissen und einer Gefährdung für andere kommen kann.“