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Aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der amtsgerichtlichen Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren hat mir ein Kollege den AG Aichach, Beschl. v. 13.01.2016 – 3 OWi 93/15 – geschickt. Bei dem Frage ich mich allerdings, ob die dort entscheidende Amtsrichterin eigentlich – um es etwas drastischer auszudrücken – „den Schuss noch gehört hat“, so wie sie den Verteidiger abkanzelt?. Und die „BGH-Richter“ bekommen auch gleich noch einen mit.
Der Antrag auf Einsicht in umfangreiche Messunterlagen wird abgelehnt, und zwar mit folgender Begründung:
„Im Übrigen ist im Hinblick auf die Erörterungen des Verteidigers noch in der gebotenen Kürze Folgendes auszuführen:
– Auf die Gebrauchsanweisung konnte der Verteidiger mithilfe des ihm mitgeteilten, aber offensichtlich von ihm bislang nicht verfolgten Links bereits seit November 2015 zugreifen.
– Schulungsnachweise, Angaben zur ordnungsgemäßen Aufstellung des Messgeräts, zur Wartung und Eichung der eingesetzten Gerätschaften können durch Einvernahme des Messbeamten im Rahmen der Hauptverhandlung eingesehen und entsprechende Fragen hierzu zügig geklärt werden. Es handelt sich jeweils um einfache und leicht verständliche Angaben bzw. Unterlagen, die der Zeuge regelmäßig in der Sitzung bei sich hat. Dabei genügen -sofern von Seiten der Verteidigung nicht nachvollziehbare, berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der dem Gericht vorgelegten Kopien vorgetragen werden- regelmäßig einfache Abschriften der entsprechenden Unterlagen. Eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung kann und darf die Akteneinsicht nicht sein.
– Sofern die Verteidigung meint, schon jetzt Original-Messdaten zu benötigen und sich dabei auf das OLG Naumburg beruft, verkennt sie, dass diese Entscheidung einen Fall betraf, bei dem tatsächlich ein Sachverständigengutachten erholt wurde, In einem solchen Fall sind der Verteidigung selbstverständlich alle Unterlagen zugänglich zu machen, die auch der Sachverständige zur Verfügung hatte. Ein Sachverständiger wurde vom Gericht aber bislang weder beauftragt noch einem solchen Unterlagen zugänglich gemacht.
– Die Verteidigung verkennt im Übrigen den Hintergrund sowie Sinn und Zweck der standardisierten Messverfahren: Bevor Messverfahren zugelassen werden, werden umfangreiche Prüfungen durchgeführt, an deren erfolgreichem Ende die PTB-Zulassung und damit die Standardisierung steht. Deren Zweck ist es gerade, nicht in jedem Fall eine Einzelfallprüfung vornehmen zu müssen, sondern nur dann, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für Messfehler finden. Dabei beruht die Standardisierung auf der umfangreichen PTB-Zulassung.
– Schließlich sind noch folgende Erwägungen zu bedenken: Auch wenn sich BGH-Richter umfangreiche und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren machen, ist der Gesamtkontext dieser Verfahren nicht aus dem Blick zu verlieren: Es handelt sich um Massenverfahren, die lediglich Verwaltungsunrecht zum Gegenstand haben. Sie sind regelmäßig nicht wie umfangreiche Strafverfahren zu führen, wie sich bereits aus den Regelungen zur erleichterten Beweisaufnahme ergibt. Insofern ist auch die Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Blick zu verlieren. Selbst wenn der hiesige Betroffene angesichts seiner massiven Vorahndungen davon ausgehen sollte, dass es bei ihm „ums Ganze“ -um ein Fahrverbot oder gar den Verlust seiner Fahrerlaubnis- geht, bleibt es bei reinem Verwaltungsunrecht.“
Ist m.E. schon ganz schön „frech“, wie da argumentiert wird, und m.E. auch noch falsch. Warum, das ergibt sich aus den „umfangreichen und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren“, die RiBGH Cierniak sich in zfs 2012, 662 gemacht hat. Und wer den „den Hintergrund sowie Sinn und Zweck der standardisierten Messverfahren“ verkennt, liegt m.E. auf der Hand. Die Messung mit einem standardisierten Messverfahren hat doch nicht zur Folge, dass die Rechte des Betroffenen „mit Füßen getreten werden können/dürfen“ Wie bitte schön, soll er denn ein SV-Gutachten zur Messung erstellen lassen und/oder diese überprüfen lassen können, wenn er nicht alle die Messung betreffenden Unterlagen kennt. Und natürlich beruht auf denen auch – zumindest mittelbar – der Vorwurf. Alles in allem eine dieser Entscheidung, bei der man den Eindruck hat, die Amtsrichterin weiß alles, vor allem besser. Und das berechtigt sie dann wohl auch, sich nicht mit abweichender Rechtsprechung auseinander zu setzen. Aber dafür hätte sie sich dann „umfangreiche und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren“ machen müssen.