Archiv für den Monat: Dezember 2015

Der pensionierte Richter als Rechtsanwalt – ich war es nicht

© fotodo - Fotolia.com

© fotodo – Fotolia.com

An verschiedenen Stellen ist ja schon über den VG Münster, Beschl. v. 10.11.2015 – 4 L 1081/15 – berichtet worden. In dem Beschluss geht es um den Bescheid eines OLG-Präsidenten, der einem ehemaligen Richter, untersagt hatte, bis zum 31. 12.. 2019 vor seinem ehemaligen Dienstgericht, als Rechtsanwalt aufzutreten. Grundlage waren § 71 DRiG, 4 Abs. 1 Satz 1 LRiG NRW, wonach Ruhestandsbeamtinnen und ?beamte sowie frühere Beamtinnen und Beamte mit Versorgungsbezügen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder sonstigen Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes, die mit der dienstlichen Tätigkeit innerhalb eines Zeitraums im Zusammenhang steht und durch die dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können, anzeigen müssen. Nach Bekanntwerden des Beschlusses hatten mich verschiedene Kollegen gefargt, ob ich der Antragsteller aus dem Verfahren gewesen sei.

Vorab: Nein, bin/war ich nicht. Erstens wäre die Untersagung, nachdem ich mit Ablauf des 15.10.2008 aus dem Dienst des Landes NRW ausgeschieden bin, jetzt dann doch ein wenig spät – obwohl die Mühlen der Justiz ja langsam mahlen. Und zweitens: Ich bin kein Ruhestandsbeamter, sondern ausgeschieden. Das ist etwas anderes. Für mich gilt diese Regelung nicht.

Zur Sache: Der OLG-Präsident hat mit seinem Bescheid beim VG Schiffbruch erlitten. Das VG sieht seinen Bescheid als offensichtlich rechtswidrig an, weil durch die Erwerbstätigkeit des ehemaligen Richters als Rechtsanwalt keine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen zu besorgen sei. Überdies verstosse die angeordnete Dauer des Verbots gegen § 52 Abs. 5 LBG NRW. Denn:

„…Der Antragsgegner hat nicht vorgebracht, dass das Auftreten des Antragstellers als Rechtsanwalt vor dem Landgericht N. eine solche Beeinträchtigung dienstlicher Interessen besorgen lässt. Er hat weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass er dadurch nachwirkende richterliche Dienstpflichten verletzt hat oder noch verletzen könnte. So fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller durch sein Auftreten als Rechtsanwalt vor dem Landgericht N. etwa das für ihn fortgeltende Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG) missachtet haben oder noch missachten könnte. Ebenso wenig sind Hinweise dafür benannt oder ersichtlich, dass der Antragsteller bereits während seiner aktiven Dienstzeit sein Amt mit Blick auf seine derzeitige Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht entsprechend seiner richterlichen Dienstpflichten unparteilich und uneigennützig geführt haben könnte.

Allein der Umstand, dass der Antragsteller sein durch seine aktive Dienstzeit als Richter am Landgericht N. erworbenes Wissen um die von ihm bearbeiteten Rechtsmaterien in seine Tätigkeit als Rechtsanwalt einbringt und davon unter anderem auch bei seiner Prozessvertretung vor dem Landgericht N. Gebrauch macht, lässt eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen nicht besorgen….“

Und zur Dauer:

„Nach § 41 Satz 3 BeamtStG endet das Verbot spätestens mit Ablauf von fünf Jahren nach Beendigung des Beamtenverhältnisses. Nach § 52 Abs. 5 Satz 1 LBG NRW beträgt der Verbotszeitraum für Ruhestandsbeamte oder frühere Beame mit Versorgungsbezügen fünf Jahre, bei Eintritt in den Ruhestand nach § 31 Abs. 1 LBG NRW drei Jahre. Das Verbot endet „spätestens“ nach Ablauf dieser Fristen (§ 52 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 LBG NRW). Aus einer Gesamtschau dieser Vorschriften folgt, dass die zeitliche Obergrenze des Tätigkeitsverbots aus § 41 Satz 2 BeamtStG nach dem Ablauf von drei Jahren nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze erreicht ist. Damit darf das Tätigkeitsverbot gegenüber Beamten und Richtern, die vor dem Erreichen der regulären Altersgrenze in den Ruhestand treten, auf fünf Jahre, längstens aber nur bis zum Ablauf von drei Jahren nach Erreichen der Regelaltersgrenze befristet werden.“

Also: Mehr als deutlich – auch für das Hauptverfahren.

„Die spinnen die Bayern“ (?), oder: MPU/“Idiotentest“ jetzt ggf. auch schon bei 0,3 Promille?

© benjaminnolte - Fotolia.com

© benjaminnolte – Fotolia.com

Für Aufsehen hat in den letzten Tagen ein Urteil des BayVGH gesorgt, nämlich das BayVGH, Urt .v 17.11.2015 – 11 BV 14.2738. Es behandelt die Frage der Anordnung einer MPU. Bisher war es ja so, dass diejenigen, die wegen einer Trunkenheitsfahrt pp. verurteilt worden waren, (auch in Bayern) i.d.R. erst ab 1,6 Promille zur MPU, dem viel gefürchteten „Idiotentest“ mussten. Das sieht der VFG – für Bayern – in dem Urt. v. 17.11.2015 jetzt anders. Der Leitsatz lautet:

„Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teil­nahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsver­fahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkon­zentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuord­nen (Änderung der Rechtsprechung).“

Zu dem Urteil gibt es „Hinweise“ der Landesanwaltschaft Bayern, wie die Entscheidung zu verstehen/anzuwenden ist. Sie findet man vollständig hier; da steht auch eine PDF-Version des Urteils. Verkürzt sind danach folgende Punkte von Bedeutung:

  • Das Urteil des BayVGH fußt auf der Anwendung des in Rechtsprechung und Praxis bis ins Jahr 2012 hinein weitgehend unbeachtet gebliebenen § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV.
  • Da für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung – mithin auch § 13 FeV mit dem Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV – bereits gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten, kann ein eigenständiger An­wendungsbereich des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nur darin bestehen, dass diese Norm sich vom Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV löst und als eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung die vorange­gangene strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung wegen Alkoholmissbrauchs genügen lässt (UA Rn. 40). Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis stellt mithin einen eigenständigen Anlass für weiter bestehende Eignungszweifel dar.
  • Der in § 69 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimmt inhaltlich mit dem in § 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV enthaltenen, für die Fahrerlaubnisbehörden geltenden Maßstab überein (UA Rn. 48).
  • Eine einmal wegen Alkoholmissbrauchs verloren gegangene Fahreignung kann innerhalb des Zeitraums, in dem die Tat noch im Fahreignungsregister eingetra­gen und daher berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 29 StVG), nicht allein durch Zeit­ablauf zurückgewonnen werden (UA Rn. 42). Für die Wiedergewinnung bedarf es vielmehr einer nachgewiesenen Änderung des Trinkverhaltens (vgl. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV), d.h. es ist durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären, ob – je nach den individuellen Erfordernissen – eine stabile Alkoholabs­tinenz vorliegt bzw. Prophylaxestrategien hinsichtlich des Trennungsvermögens entwickelt wurden und ob jeweils der Einstellungswandel stabil und motivational gefestigt ist (UA Rn. 42).
  • Das Erfordernis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV besteht nicht nur dann, wenn die strafgerichtliche Ent­ziehung einer Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) wegen absoluter Fahrunsicherheit (ab einschließlich 1,1 Promille BAK) erfolgt ist, sondern auch im Falle der Entziehung wegen relativer Fahrunsicherheit (ab einschließlich 0,3 Promille BAK bis unter 1,1 Promille BAK verbunden mit alkoholbedingten Fahrfehlern).
  • Das Urteil des BayVGH enthält auch ein beachtenswertes Hilfsargument, das ein­greifen würde, wenn die Rechtsauffassung des Senats zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nicht tragfähig sein sollte: Gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV kann eine Gutachtensanordnung im Falle einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit we­niger als 1,6 Promille BAK bzw. 0,8 mg/l AAK zwar nur ergehen, wenn Zusatztatsachen vorliegen, denen eine zur Grenzwertüberschreitung annähernd gleiche Aussa­gekraft dafür zukommt, dass der Betroffene den Konsum von Alkohol und das Fah­ren nicht trennen kann (UA Rn. 23). Bei einer strafbewehrten Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille BAK oder 0,8 mg/l AAK stellt aber die (durch die strafgerichtliche Entzie­hung der Fahrerlaubnis zum Ausdruck kommende) strafgerichtliche Feststellung der Nichteignung wegen fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs eine solche Zu­satztatsache dar; eine solche gerichtlich ausgesprochene Feststellung wiegt gerade wegen ihres feststellenden Charakters schwerer als sonstige Zusatztatsachen, die lediglich die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, gleichwohl aber für eine Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV ausreichen.

Besonders der letzte Punkt scheint mir „brandgefährlich“, obwohl an der Stelle m.E. ein Zirkelschluss erfolgt. Nun, wir werden sehen, wie die Sache weitergeht. Der BayVGH hat die Revision zugelassen. Wir werden dazu also demnächst dann was vom BVerwG hören.

Ich habe da mal eine Frage: Gilt die Differenztheorie nicht bei den Pflichtverteidigergebühren?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Ich denke, das wird die letzte Frage des Jahres 2015 sein/werden. Am nächsten Freitag ist der 1. Weihnachtsfeiertag und dann Neujahr. Da soll dann mal nicht gearbeitet/überlegt werden. Hier also dann die letzte Frage:

Hallo Herr Burhoff,

heute weiß ich mal nicht weiter; es geht um einen Kostensache.

Ich war Pflichtverteidiger. Angeklagt 5 Taten. Urteil AG Verurteilung in 3 Fällen, Freispruch in 2 Fällen. Berufung Angeklagter und StA wird in der HV zurückgenommen. Dem Mdt. werden nun die kompletten Pflichtverteidigerkosten in Rechnung gestellt. Begründung: Auch ohne Teilfreispruch und ohne die zurückgenommene Berufung der StA wären die selben PV-Gebühren angefallen. Die Differenztheorie gelte nicht. Es handle sich um Festgebühren.

Kann das sein?

Also? Wer strengt sich noch mal an in 2015 🙂 ?

Duschen im Strafvollzug? – zweimal/Woche reicht

entnommen wikimedia.org Urheber Sozialutopist

entnommen wikimedia.org
Urheber Sozialutopist

Manchmal weiß ich nicht so genau, was ich von einer Entscheidung halten soll. So ist es mir vor einigen Tagen mit dem OLG, Beschl. v. 10.11.2015 – 1 Vollz (Ws) 458/15 – ergangen. In ihm geht es um einen inhaftierten Verurteilten, der den Antrag gestellt hatte, die JVA zu verpflichten, ihm tägliches Duschen, hilfsweise Duschen in zweitägigem Abstand, zu gestatten. Die JVA hat das abgelehnt. Sie meint, tägliches Duschen sei, sofern keiner körperlichen Arbeit nachgegangen werde, nicht notwendig. Die StVK hat dann § 56 StVollzG als Prüfungsmaßstab herangezogen und ist der Auffassung gewesen, dass die Ablehnung zu Recht erfolgt sei, weil der Körperhygiene durch die Waschmöglichkeit in der Nasszelle hinreichend Rechnung getragen werden könne. Dagegen dann die Rechtsbeschwerde an das OLG. Und das lehnt ebenfalls ab. Begründung:

  • Ein Anspruch auf tägliches Duschen ergibt sich „nicht aus 43 Abs. 1 S. 1 StVollzG NRW. Danach ist für das körperliche, seelische, geistige und soziale Wohlergehen der Gefangenen zu sorgen. Es ist aber nichts dazu festgestellt und nichts dafür erkennbar, dass das körperliche Wohlbefinden des Betroffenen ohne tägliches Duschen, unter den gegebenen Umständen (Duschen zweimal in der Woche, daneben Möglichkeit des normalen Waschens in der Nasszelle) leidet. Es kann auch nicht als allgemeinkundig angesehen werden, dass tägliches Duschen für das körperliche Wohlbefinden (bei den geschilderten Alternativmöglichkeiten der Körperpflege) notwendig wäre. So finden sich vielmehr in der Tagespresse immer wieder Warnungen von Dermatologen vor zu viel Duschen. Zwei bis dreimaliges Duschen pro Woche sei ausreichend (vgl. u.a. www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/dermatologen-warnen-zuviel-waschen-ist-ungesund-1.603741 – vom 17.05.2010; http://www.merkur.de/leben/gesundheit/duschen-schadet-haut-hautaerzte-warnen-haeufigem-duschen-zr-3685210.html – vom 08.07.2014). ….“
  • Die Entscheidung ist „nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere hat die Justizvollzugsanstalt nicht etwa die Grenzen ihres Ermessens überschritten, weil diese durch in § 2 Abs. 1 StVollzG NRW normierten Angleichungsgrundsatz bzgl. der Frage des Duschens enger gezogen sein könnten.

2 Abs. 1 StVollzG NRW bestimmt, dass das Leben im Vollzug der Freiheitsstrafe soweit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden soll. Was die allgemeinen Lebensverhältnisse sind, definiert weder das Gesetz selbst noch lässt sich dies der Gesetzesbegründung entnehmen. Die Wortbedeutung „allgemein“ wird als „allen gemeinsam“, „von allen“, „für alle“, „überall verbreitet“, „bei allen“, „gemeinsam“, „alle Bereiche betreffend“ umschrieben (Duden, www.duden.de/rechtschreibung/allgemein). Danach können „allgemeine“ Lebensverhältnisse also nur solche sein, die von der Gesamtbevölkerung oder jedenfalls dem ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung geteilt werden. „Allgemein“ sind danach solche Lebensverhältnisse noch nicht, die lediglich von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden. Der Senat versteht darunter im Hinblick auf die oben genannte Wortbedeutung Lebensverhältnisse, die einer gesamtgesellschaftlich anerkannten Norm entsprechen (OLG Hamm, Beschl. v. 14.08.2014 – III – 1 Vollz(Ws) 365/14 – […]). Die gesellschaftliche Norm, das vermag der Senat auch ohne statistischen Nachweis als allgemeinkundig vorauszusetzen, ist eine mindestens tägliche Körperpflege, die auf unterschiedliche Weise, etwa durch Waschen am Waschbecken, durch Baden oder auch durch Duschen vollzogen werden kann (wobei im Falle der regelmäßigen Körperpflege durch Waschen am Waschbecken ein gelegentliches Duschen oder Baden als Ergänzung hinzutreten dürfte). Ein gesellschaftliche Norm dahin, dass die tägliche Körperpflege jeweils immer durch Duschen vorzunehmen ist, lässt sich hingegen nicht feststellen.“

Na ja. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. So lässt sich schön argumentieren aus den wohl gepflegten Dienstzimmern. Und wenn der betroffene Gefangene nun mal zu den 2/3 der Bevölkerung gehört, die täglich duschen (wollen)? Es bleibt ein bitterer Beigeschmack.

Akteneinsicht a la diverse AG: Gegensätzlicher geht es bei der Messserie kaum

© fotoknips - Fotolia.com

© fotoknips – Fotolia.com

In den letzten Tagen haben mir Kollegen – besten Dank an alle Einsender! – fünf amtsgerichtliche Entscheidungen übersandt, die zum Teil gegensätzlicher kaum sein können. Dementsprechend waren auch die Übersendungsmails „gegensätzlich“, nämlich entweder froh oder dann doch betrübt bzw. verhalten. In den Entscheidungen geht es u.a. um die Überlassung der Daten in die jeweilige Messserie einer Geschwindigkeitsmessung. Ich fasse sied ann heute hier mal zusammen:

  • Und da sagt zunächst mal das AG Rottenburg am Neckar im AG Rottenburg/Neckar, Beschl. v. 04.12.2015 – 4 OWi 294/15: Die Daten sind herauszugeben. Aber die ebenfalls beantragte Eisnicht in die Lebensakte wird nicht gewährt. Denn eine Lebensakte gibt es nicht. Der Betroffene hat allenfalls einen Auskunftsanspruch darüber,, ob zwischen der Eichung vor der Geschwindigkeitsmessung und der Eichung nach der Geschwindigkeitsmessung Reparaturen an dem Messgerät durchgeführt wurden und ggf. welche. Dies wurde jedoch nicht beantragt.

M.E. denkt das AG an der Stelle nicht zu Ende. Es hätte doch der Frage nachgehen und sie entscheiden müssen, ob nicht die Auskunft als Minus in dem Anspruch auf Überlassung der Lebensakte steckt.

  • Das AG Wuppertal entscheidet im AG Wuppertal, Beschl. v. 07.12.2015 – 12 OWi 485/15 (B), dass der Betroffene bzw. sein Verteidiger auch einen Anspruch auf Einsicht in die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen vollständigen digitalen Falldateien der Geschwindigkeitsmessungen des Tattages haben, und zwar auch soweit diese nicht den Betroffenen betreffen. Diese Daten sind dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger „zu verschaffen“ und in unverschlüsselter Form, das heißt einschließlich der unverschlüsselten Rohmessdaten sowie – falls dann noch erforderlich – den dazugehörigen öffentlichen Schlüssel/Token zu Händen des Verteidigers zur Verfügung zu stellen.

Interessant die Formulierung „zu verschaffen“ = also muss die Behörde sie ggf. besorgen? Und: „Dem stehen datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, welche (unzulässigen) Informationen oder Schlussfolgerungen der Verteidiger oder auch ein hinzugezogener privater Sachverständiger aus der Einsichtnahme der entsprechenden Daten ziehen sollten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft.“

  • Das AG Jena gibt im AG Jena, Beschl. v. 05.11.2015 – 3 OWi 1268/15 – hat zuvor schon wie das AG Wuppertal entschieden: Daten der Messserie sind herauszugeben, keine datenschutzrechtlichen Belange.
  • Und dann schließlich noch das AG Fürstenwalde/Spree im AG Fürstenwalde/Spree, Beschl. v. 26.11.2015 – 3 OWi 723/15 (GE): Da gibt es die Daten der Messserie nicht. Begründung: Die gesamte Messserie mit persönlichen Daten völlig fremder Verkehrsteilnehmer ist für den Betroffenen kein Beweisstück zur Überprüfung seiner Messung auf Richtigkeit. Sie gehört unter anderem auch aus diesem Grunde nicht zum zwingend vorgeschriebenen Akteninhalt.
  • Und zur Abrundung habe ich dann noch den AG Gera, Beschl. v. 07.10.2015 – 14 OWi 424/15. Der sagt: „Im Bußgeldverfahren sind auf Anforderung dem Verteidiger die Lehr­gangs­be­schei­ni­gun­gen für den Mess­be­am­ten, der gül­ti­gen Eich­schein für das verwendete Messgerät, der Token sowie das Pass­wort herauszugeben.“

Mit allen Beschlüssen – außer mit dem des AG Fürstenwalde – wird man als Verteidiger argumentieren (können). Also: Packen wir es an 🙂 .