Archiv für den Monat: Oktober 2015

Auch mit VKS 3.0 select können „verfassungskonform“ Abstände gemessen werden….

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Der ein oder andere wird sich erinnern 🙂 . Im/ab Spätsommer hat uns für einige Zeit der BVerfG, Beschl. v. 11.08.2009 – 2 BvR 941/08 – beschäftigt. Ja, das war die Geschichte mit der Videomessung und vor allem die Umsetzung dieser Rechtsprechung in der Rechtsprechung der OLG. Es war dann das OLG Bamberg, das schon sehr bald auf der Suche nach einer Ermächtigungsgrundlage auf den § 100h StPO gestoßen ist. Und dieses Ergebnis hat das BVerfG dann 2010 abgesegnt, die anderen OLG haben/hatten es sich einfach gemacht und haben sich flugs dem OLG Bamberg angeschlossen.

Nun ist die Geschichte in Bamberg noch einmal „hoch gekocht“. Im OLG Bamberg, Beschl. v. 04.08.2015 – 3 Ss OWi 874/15 – ging es um die Verwertbarkeit anlassbezogener Videoaufzeichnungen mit dem Abstandsmessgerät VKS 3.0, und zwar um Messungen mit Hilfe des Softwaremoduls „VKS select“. Ds OLG hat keine Probleme und sieht § 100h StPO auch insoweit als ausreichende Ermächtigungsgrundalge an. Hier der Leitsatz der Entscheidung:

„100 h Abs. 1 Satz Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG bildet für die im Rahmen des von der bayerischen Polizei für Abstandsmessungen eingesetzten Systems VKS 3.0 mit Hilfe des Softwaremoduls „“VKS select“ fahrspur- und anlassbezogen über kurze Identsequenzen hergestellte Fahrervideoaufzeichnungen zur zuverlässigen Kennzeichenerkennung und Fahreridentifizierung eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den damit verbundenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (u.a. Anschluss an OLG Bamberg NJW 2010, 100 = DAR 2010, 26 = zfs 2010, 50 und DAR 2010, 279; OLG Dresden DAR 2010, 210; OLG Jena NJW 2010, 1093 und ZfS 2011, 109; OLG Hamm, Beschluss vom 22.10.2009 – 4 Ss OWi 800/09 [bei juris]).“

Klein, aber fein IV: Gesamtstrafübel über einem Jahr ==> Pflichtverteidiger

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Ganz klein/kurz ist der LG Berlin, Beschl. v. 17.06.2015 – 504 Qs 67/15, durch den das LG in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Sachbeschädigung dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beigeordnet hat. Das LG stellt auf das „Gesamtstrafübel“ ab, wenn es ausführt:

„In einer wertenden Gesamtschau liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs.2 StPO vor, da das Gesamtstrafübel ein Jahr Freiheitsstrafe erreicht.

Dem einschlägig bereits zu Freiheitsstrafe verurteilten Angeschuldigten droht neben einer erneuten Freiheitsstrafe im hiesigen Verfahren der Widerruf der Zurückstellung der Restvollstreckung von 156 Tagen in dem Verfahren pppp., welche einem Strafübel gleichzustellen ist.

Zutreffend ist zwar, dass der Widerruf von dem Therapieverlauf abhängt, aber insbesondere die hiesige Tat vom 10.5.2014 als Rückfall gewertet werden und damit Einfluss auf die weitere Zurückstellung haben könnte.“

Der Diebstahl nach einer Vergewaltigung ist kein Raub…

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„Der Diebstahl nach einer Vergewaltigung ist kein Raub…“. Das ist die Kern- bzw. die auf den Punkt gebrachte Aussage des BGH, Beschl. v. 28.07.2015 – 2 StR 109/15. Das LG hatte den Angeklagten wegen wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub und Körperverletzung zu  verurteilt. Grundlage war ein Tatgeschehen, bei dem der Angeklagte mit der Nebenklägerin gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr vollzogen hatte. Anschließend entwendete der Angeklagte u.a. das Mobiltelefon der Nebenklägerin. Das LG ist davon ausgegangen, dass die Tat eine Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sei. Die Wegnahme des Mobiltelefons und des Tablets hat es als einen tateinheitlich begangenen Raub gewertet.

Der BGH hebt auf:

„Der Raubtatbestand erfordert eine finale Verknüpfung zwischen dem Nötigungsmittel und der Wegnahme fremder Sachen. Daher genügt es nicht, wenn der Einsatz des Nötigungsmittels nicht zum Zweck der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss, dem Opfer eine Handlung abzunötigen, erst nach der Gewaltanwendung fasst. Zwar kann ein Raub auch vorliegen, wenn die Gewaltanwendung zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Wegnahme als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fortwirkt, der Täter diese Situation erkennt und bewusst zum Zweck der Wegnahme ausnutzt (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124; Urteil vom 27. Mai 1982 – 4 StR 181/82, NStZ 1982, 380, 381). Jedoch ist eine solche konkludente Drohung den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.“

2. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung aussagekräftige Beweise für die Annahme eines Raubs gefunden werden können. Er ändert deshalb den Schuldspruch dahin ab, dass hinsichtlich der Wegnahme von Sachen der Nebenklägerin durch den Angeklagten nur Diebstahl vorliegt. Dieser bildet gegenüber der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung eine rechtlich selbständige Handlung, weil er auf einem neuen Tatentschluss beruht und – anders als der vom Landgericht aufgrund derselben qualifizierten Nötigungshandlung angenommene Raub – im objektiven Tatgeschehen nicht mit der vorangegangenen Tat verknüpft ist. Besondere Umstände, aus denen sich eine natürliche Handlungseinheit ergeben könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren bei einem Wiederaufnahmeantrag gem. § 37 Abs. 1 BtmG?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Eine ganz interessante Frage hatte die Rechtspflegerin da im „Rechtspflegerforum“ aufgeworfen, die ich dann in meinem RVG-Rätsel: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren bei einem Wiederaufnahmeantrag gem. § 37 Abs. 1 BtMG?, am vergangenen Freitag aufgegriffen habe. Antworten sind hier leider nicht gekommen, was mich ein wenig erstaunt, da das Verfahren nach den §§ 35 ff. BtMG doch so selten nicht ist, Verteidiger also interessieren sollte.

Also – ich meine folgendes:

  • Es fallen keine Gebühren nach den Nrn. 4136 ff VV RVG an. Denn es handelt sich nicht um ein „Wiederaufnahmeverfahren“ i.S. der Nrn. 4136 ff RVG.
  • Es gilt im Übrigen § 15 RVG. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt die Gebühr, wenn er den Verurteilten im Zurückstellungsverfahren vertreten hat, nicht noch einmal verdient, wenn er ihn im „Wiederaufnahmeverfahren“ (weiter) vertritt. Es handelt sich um dieselbe Angelegenheit. Das ursprüngliche Verfahren wird fortgesetzt.
  • Zur Pflichtverteidigerbestellung gilt: Die im Zurückstellungsverfahren erfolgte Bestellung gilt bis zum Abschluss des Verfahrens. Eine (erneute) Beiordnung ist im „Wiederaufnahmeverfahren nicht erforderlich. Die erneute Bestellung hatte also nur klarstellende Bedeutung.

Auch wer nur liest, wird ggf. sexuell missbraucht….

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Folgender Sachverhalt lag einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) durch das LG Bielefeld zugrunde: „Im Jahr 2012 oder 2013 lernte der Angeklagte in den Sommerferien über seinen Sohn auf einem Campingplatz in H. den im Jahr 2001 geborenen S. kennen. Um ihn zu einer „Mutprobe“ zu veranlassen, schrieb der Angeklagte auf einen Zettel: „Willst Du zur Clique gehören und Geld verdienen? Dann komm zur Toilette und wir massieren uns die Dinger.“ Auf den Zettel schrieb der Angeklagte ferner das Angebot, im Falle einer bestimmten Dauer der Massage fünf Euro zu zahlen. Der Angeklagte rief sodann den sexuell unerfahrenen Jungen zu sich ins Auto und reichte ihm den dort deponierten Zettel. Der Junge las sich das Angebot durch. Der Angeklagte hoffte, den Jungen, mit dem er zuvor noch nie gesprochen hatte, durch das Angebot zeitnah zu einer gegenseitigen Masturbation zu veranlassen. Dieser lehnte das Angebot jedoch ab.“

Der BGH teilt die rechtliche Wertung durch das LG und hat die Revision im BGH, Beschl. v. 16.07.2015 – 4 StR 219/15 – verworfen:

b) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte nach dem festgestellten Sachverhalt auf ein Kind durch Schriften eingewirkt hat, um es zu sexuellen Handlungen zu bewegen (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB in der zur Tatzeit sowie zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung geltenden Fassung), indem er dem Zeugen S. den Zettel mit der Aufforderung zum gegenseitigen Masturbieren gegen Entgelt zu lesen gab (vgl. zum damit gegebenen Einwirken BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 3 StR 490/14, NStZ-RR 2015, 139 f.).

Obwohl der Gesetzgeber sich aufgrund der von sog. Chatrooms im Internet ausgehenden Gefahren zur Schaffung dieses Straftatbestandes veranlasst gesehen hat (BT-Drucks. 15/350, S. 18), stellt es schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift keine Tatbestandsvoraussetzung dar, dass der Täter abwesend ist und aus der Distanz auf ein Kind einwirkt. Der Wille des Gesetzgebers, mit diesem Straftatbestand nicht ausschließlich die regelmäßig aus der Distanz begangenen Fälle des Einwirkens über das Internet zu erfassen, ergibt sich daraus, dass in den Gesetzgebungsmaterialien auch der Anwendungsfall eines Einwirkens durch Bücher genannt wird (BT-Drucks. 15/350, S. 18). Der Senat sieht daher keine Veranlassung, im Wege der teleologischen Reduktion Sachverhalte, in denen ein körperlich anwesender Täter durch Schriften mit sexuellem Inhalt auf ein Kind einwirkt, um es zu sexuellen Hand-lungen zu bewegen, aus dem Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB auszuschließen. Insbesondere mit Blick auf den Wortlaut der Vorschrift ist eine solche Auslegung auch nicht deshalb veranlasst, weil ein bloßes Einreden eines Täters auf ein Kind ohne Zuhilfenahme einer Schrift nicht unter diesen Tatbestand fällt (kritisch insoweit Fischer, StGB, 62. Aufl., § 176 Rn. 14).

Nichts anderes gilt für die am 27. Januar 2015 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift, nach welcher sich u.a. strafbar macht, wer auf ein Kind mittels Schriften oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen. Die durch die nach Urteilsverkündung in Kraft getretene Gesetzesänderung veranlasste Prüfung gem. § 2 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1953 – 1 StR 362/53, BGHSt 5, 208) führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Neufassung der Vorschrift neben der Einwirkung durch Informations- oder Kommunikationstechnologie ausdrücklich auch weiterhin die Einwirkung durch Schriften im Tatbestand aufführt und sich der Strafrahmen nicht geändert hat.“