Archiv für den Monat: August 2015

„Rebellensenat“/2. Strafsenat des BGH macht Ernst: Verwertungsverbot vor den Großen Senat

© eyetronic Fotolia.com

© eyetronic Fotolia.com

Im September 2014 hatte ich über den BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13 berichtet (vgl. 2. Strafsenat des BGH – „Rebellensenat“? – nee, nur „Unruhestifter“). Das ist/war der Anfragebeschluss des 2. Strafsenats bei den anderen Strafsenaten des BGH betreffend ein Beweisverwertungsverbot bei nicht erfolgter qualifizierter Belehrung eines Zeugen bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren, wenn der Zeuge dann in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert. Der 2. Strafsenat des BGH will das seine/die Rechtsprechung (des BGH) ändern.

Ihm haben in der Folgezeit dann geantwortet:

Und nun hat der 2. Strafsenat wiederum den anderen Strafsenaten geantwortet, und zwar – wie nichts anders zu erwarten: Er hat mit dem BGH, Beschl. v. 18.03.2015 – 2 StR 656/13 den Großen Senat für Strafsachen angerufen, und zwar zu folgender Frage:

„Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?“

Mich überrascht die Vorlage nicht, denn wer A sagt muss auch B sagen. Mich hätte eher überrascht, wenn der 2. Strafsenat nicht den Großen Senat angerufen hätte. Das Ergebnis der Reise zum Großen Senat wird uns wahrscheinlich auch nicht überraschen, nachdem alle vier anderen Senat „abgewunken“ haben; die Besetzung des Großen Senats habe ich jetzt allerdings nicht geprüft. Und: Wissen kann man es vorher ja nie.

Was mich allerdings überrascht hat: Warum der Beschluss vom 18.03.2015 erst heute auf der Homepage des BGH eingestellt worden ist. Einen Grund für die „Verspätung“ kann ich nicht erkennen.

Providamessung – wer muss die „Kabellänge“ prüfen?

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

entnommen Wikimedia.org
Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

In einem beim OLG Bamberg anhängigen Verfahren hatte de Betroffene/Verteidiger ein eichrechtliches Verwertungsverbot geltend gemacht und das bei einem Messgerät „ProViDa 2000 Modular“ damit begründet, dass die Eichbehörde die Kabellänge zwischen Signalverstärker und Eingang zum Videonachfahrsystem als sog. Zusatzgerät nicht selbst untersucht hatte. Das hatte beim OLG Bamberg keinen Erfolg. Dieses führt zu dem Einwand im OLG Bamberg, Beschl. v. 29.06.2015 – 3 Ss OWi 710/15 – aus:

„Soweit die Rechtsbeschwerde geltend machen will, es liege ein Verwertungsverbot nach § 25 I Nr. 3, III Nr. 1 des bis zum 31.12.2014 gültigen Gesetzes über das Mess- und Eichwesen in der Fassung vom 02.02.2007 (EichG a.F.) vor, weil die Leitungslänge zwischen Signalverstärker und Eingang zum Videonachfahrsystem ‚ProViDa 2000‘ nicht von der Eichbehörde überprüft worden sei, ist dies nicht haltbar.

Die Verteidigung verwechselt die Frage, ob eine Überprüfung stattgefunden hat, mit der Frage der Art und Weise einer solchen Überprüfung. Sie ist insofern der rechtsirrigen Ansicht, dass nur höchstpersönliche Untersuchungsmaßnahmen durch Mitarbeiter der Eichbehörde als solche erfolgen müssten. Dies widerspricht indes der eindeutigen Rechtslage. Nach Art. 24 I BayVwVfG ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen, wobei sie Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt. Gemäß Art. 26 I 1 BayVwVfG bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, wobei sie gemäß Art. 26 I 2 Nrn. 1 und 3 BayVwVfG unter anderem Auskünfte jeder Art einholen sowie Urkunden und Akten beiziehen kann.

Nach den Urteilsfeststellungen hat die Eichbehörde die Kabellänge der Signalleitung in der Weise überprüft, dass eine schriftliche Bestätigung des Fahrzeugausbauers herangezogen wurde. Hierzu war sie nach den obigen Darlegungen und auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass gemäß Art. 10 S. 2 BayVwVfG das Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen ist, ohne weiteres berechtigt. Dies gilt umso mehr, als die Bestätigung der Kabellänge von einer Behörde, hier der Bereitschaftspolizeiabteilung L., stammte und Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bestätigung nicht ersichtlich waren. Darauf, dass es sich bei der Eichung um einen Verwaltungsakt iSd. Art. 35 BayVwVfG handelt, der – solange kein Nichtigkeitsgrund iSd. Art. 44 BayVwVfG vorliegt – gemäß Art. 43 I 2 BayVwVfG fehlerunabhängig rechtswirksam ist, kommt es deshalb nicht mehr an. […]“

 

Arztpraxis nicht erreichbar – ok, dann verwerfe ich eben…

© scusi - Fotolia.com

© scusi – Fotolia.com

Ob ein Betroffener im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG entschuldigt ist, richtet sich nicht danach, was er selbst zur Entschuldigung vorgetragen hat. Maßgebend ist, ob sich aus den Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und im Wege des Freibeweises feststellbar waren, eine ausreichende Entschuldigung ergibt.“ Das ist einer  der Leitsätze des KG, Beschl. v. 04.06.2015 – 3 Ws (B) 264/15 – 122 Ss 73/15.

Nun, nichts Neues, wird der ein oder andere Leser sagen. Und er hat Recht. Der Leitsatz enthält eine Selbstverständlichkeit im Recht der §§ 73, 74 OWiG, der so von allen OLG – auch zur Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO a.F. immer wieder betont wird.

Und daraus folgt dann: Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, darf der Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verworfen werden, wenn das AG sich die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht gegeben sind. Bestehen Zweifel, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist und können diese auch im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (vgl. u.a. KG VRS 102, 467; 108, 110).

Die Grundsätze hatte das AG im vom KG entschiedene Fall nicht beachtet. Vielmehr war es offenbar davon ausgegangen, dass sich Zweifel am Vorhandensein eines Entschuldigungsgrundes zulasten des Betroffenen auswirken. Es hatte nämlich ein vom Betroffenen vorgelegtes Attest zum Anlass genommen, bei der ausstellenden Ärztin nachfragen zu wollen. Da die Arztpraxis in der Mittagszeit aber nicht erreichbar war, konnten die Zweifel des Amtsrichters weder beseitigt noch bestätigt werden. Bei der Sachlage durfte das AG den Einspruch dann nicht verwerfen. Das hat es allerdings getan und dafür dann vom KG die Quittung bekommen. Aufhebung.

Lösung zu: Ich habe mal eine Frage: Wie wird die Überprüfung der Kostenrechnung bezahlt?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Die am Freitag von mir gestellte Frage: Ich habe mal eine Frage: Wie wird die Überprüfung der Kostenrechnung bezahlt? hat immerhin eine Antwort bekommen. Und die ging in die richtige Richtung. 🙂

Also: Ich hatte dem Kollegen geschrieben, dass sicherlich nicht nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG abgerechnet wird, da die Überprüfung der Kostenrechnung keine „Strafvollstreckung“ ist. Damit bleibe dann allenfalls Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, wenn man denn überhaupt zu Teil 4 VV RVG kommt. In Teil 4 Abschnitt 3 dann aber nicht die „vorgeschlagene“ Nr. 4301 Nr. 6 VV RVG, sondern dann Nr. 4302 Nr. 3 VV RVG. Oder ggf. § 34 RVG

Aber ganz sicher war ich mir auch nicht. Und daher habe ich dann meinen Mitautor-/Kommentator Volpert aus Burhoff (Hrsg), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., 2014 angeschrieben. Der ist bei uns im Kommentar für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG zuständig. Und der hat geantwortet:

„Ich würde die Tätigkeit im Rahmen der Überprüfung des Kostenansatzes nicht unter VV 4301 Ziff. 6 oder VV 4302 Ziff. 3 fassen wollen. Es ist keine nach Teil 4 VV RVG abzurechnende Strafsache mehr. Das Kostenansatzverfahren gem. § 19 GKG ist vielmehr ein Verfahren der Justizverwaltung. Das zeigt m.E. auch Vorbem. 4 Abs. 5 Nr. 1 VV RVG (Erinnerung gegen den Kostenansatz = Nr. 3500 VV RVG ). Ich halte deshalb Teil 3 VV RVG oder im Falle eines reinen Beratungsauftrages § 34 RVG für einschlägig.“

Und das hat mich überzeugt. Und so habe ich dem Kollegen dann auch geantwortet.

Der BGH und das Schlagen mit einem Gürtel….

© Dan Race Fotolia .com

© Dan Race Fotolia .com

In Zusammenhang mit einer Unterbringung nach § 63 StGB spielt im BGH, Beschl. v. 24.06.2015 – 2 StR 30/15 – mal wieder die Frage der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) und da die Problematik des gefährlichen Werkzeuges eine Rolle. Auszugehen war von folgendem Sachverhalt: „Sie [Die Zeugin] erwachte, als der Angeklagte auf ihren Körper, der mit einer Decke bedeckt war, von oben herab mit einem Ledergürtel einschlug. Sie verspürte Schmerzen von den Schlägen, die sich wie Peitschen-hiebe anfühlten…. Das LG hat den Angeklagten hinsichtlich dieses Vorfalls lediglich wegen einfacher Körperverletzung verurteilt. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hat das LG ausgeschlossen, da der Angeklagte bei der Tat kein gefährliches Werkzeug verwendet habe.

Der BGH stimmt dem zu:

„1. Die Verurteilung lediglich wegen einfacher Körperverletzung im Fall II.1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe beim Einsatz des Gürtels kein gefährliches Werkzeug verwendet und sich deshalb nicht nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, wird von den Feststellungen getragen. Ein Gegenstand ist nach der Rechtsprechung nur dann ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn er neben der objektiven Beschaffenheit des Werkzeugs und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2007, 95 zu Schlägen mit einem Ledergürtel bei leichten Hautrötungen). Da abgesehen von Hämatomen auch keine erheblichen Verletzungen verursacht worden sind, der Angeklagte mit dem Gürtel auf das durch eine Decke geschützte Opfer geschlagen hat, und dem zu entnehmen ist, dass er auch keine gravierenden Verletzungsfolgen herbeiführen wollte, ist die für die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung notwendige potentielle Gefährlichkeit der konkreten Benutzung des Werkzeugs hier nicht gegeben.“

Da hat wohl beide die Decke gerettet.