Archiv für den Monat: August 2015

Menschenunwürdige Unterbringung bei u.a. 23 Stunden Einschluss/Tag

 © jtanki - Fotolia.com

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Das KG, Urt v. 17.02.2015 – 9 U 129/13 – befasst sich mit der Frage einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden wegen der nach Ansicht eines Gefangenen menschenunwürdigen Unterbringung in Justizvollzugsanstalten in Berlin: Das Urteil lässt sich auf die kurzen Formel zusammenfassen: Menschenunwürdig war die Unterbringung – zumindest teilweise, aber eine Entschädigung gibt nur in geringem Umfang, das im Übrigen die Regelung in § 839 Abs. 3 BGB entgegensteht.

Zur Unterbringung/Menschenunwürdigkeit führt das KG aus:

„(1) Das folgt allerdings nicht allein aus der Haftraumgröße. Der Kläger war im genannten Zeitraum in einem Einzelhaftraum mit einer Größe von 8,89 Quadratmetern inhaftiert. Der als solchen für sich allein genommenen unproblematischen Haftraumgröße steht aber gegenüber, dass der Kläger täglich bei nur einer Freistunde rund 23 Stunden in dem Haftraum eingesperrt war und sich sein dortiger Aufenthalt ohne klare zeitliche Begrenzung über Monate hinzog. Derart lange tägliche Einschlusszeiten über einen längeren Zeitraum hinweg stellen eine ganz erhebliche Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Lebensbedingungen dar. Im Rahmen der durchzuführenden Gesamtwürdigung liegt es nahe, dass hierbei die Grenze des noch Zumutbaren überschritten wurde und die Haftbedingungen unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an die Untersuchungshaft einerseits und der Strafhaft andererseits nicht mehr menschenwürdig waren.

Jedenfalls war die Unterbringung des Klägers im Zeitraum vom 11. Juni 2009 bis 6. April 2010, in dem Zeitraum also, da die Verurteilung des Klägers bereits rechtskräftig war, menschenunwürdig, weil die in diesem Zeitraum vollzogene Strafhaft unter den vorgenannten Bedingungen nicht an seiner Resozialisierung als dem nach den §§ 2, 3 StrafVollzG maßgeblichen Ziel des Strafvollzuges ausgerichtet war. Der Einschluss von 23 Stunden ohne Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten, ohne Gruppenangebote im weiteren Sinne und ohne jeden sozialen Austausch widerspricht diesen Vollzugszielen in eklatanter Weise und verhindert jede Form der Resozialisierung. Ein Vollzug von Haft ohne klare Orientierung an diesem Vollzugsziel der Resozialisierung aber regrediert zur bloßen Verwahrung, verletzt den Gefangenen in seiner Menschenwürde und macht ihn zum Objekt staatlichen Handelns. Von besonderer Bedeutung im Rahmen dieser Bewertung einer Verletzung der Menschenwürde des Klägers ist für den Senat auch der Umstand, dass der Beklagte mit Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung des Klägers, also mit Übergang der Untersuchungshaft in Strafhaft erkennbar keine Maßnahmen getroffen hat, um diesem grundsätzlichen Wechsel im Charakter des Haftvollzuges überhaupt gerecht zu werden. Es sind weder Anhaltspunkte vorgetragen noch sonst erkennbar, nach welchen der Beklagte diesem Umstand Rechnung getragen hätte. Wird ein in Haft befindlicher Mensch jedoch in diesem Sinne „vergessen“, so kommt darin eine ganz besondere Missachtung des Kernbereichs der Persönlichkeit, dessen Achtung jeder Mensch verdient hat, zum Ausdruck. ……

(2)  Soweit daneben auch unhygienische und ungesunde Zustände in den Hafträumen, zwar nicht isoliert, wohl aber wenn sie massiv und kumulativ auftreten, eine Verletzung der Menschenwürde begründen können, fallen derartige vom Kläger angeführte Umstände seiner Haft (alte Toilettenschüssel, Fliegengitter, zu hoch angesetzte Fenster, Hafträume zu dunkel, nicht renoviert, verschmutzt, Ausdünstungen, Schimmel, Fäkaliengeruch), wie auch das Landgericht zutreffend dargelegt hat, nicht erheblich ins Gewicht. Der Kläger hat keinen Zustand vorgetragen, der eine Verletzung der Menschenwürde begründen würde. Insoweit mag zwar eine „schäbige“ Ausstattung der Hafträume gegeben sein, jedoch ist insoweit nicht zu erkennen, dass dies Ausdruck von Verachtung oder Missachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, gewesen ist. Nicht jeder im allgemeinen Sprachgebrauch als „unwürdig“ bezeichnete Zustand verletzt die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde (BerlVerfGH, Beschluss vom 3. November 2009 – 184/07- juris Tz. 25). Die Schwelle zu einer Verletzung der Menschenwürde ist aufgrund der geschilderten baulichen Gegebenheiten noch nicht überschritten.“

Klassischer Fehler XXVIII: SV nicht in der Hauptverhandlung, seine „Ausführungen“ aber im Urteil..

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Der Sachverständige war nicht in der Hauptverhandlung anwesend, seine „Ausführungen“ werden vom LG aber bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 21 StGB im Urteil „verwendet“. Da fragt man sich als Leser des BGH, Beschl. v. 10.06.2015 – 1 StR 193/15 dann doch: Geht das?

Nein, das geht so nicht, zumal auch sonst die „Ausführungen“ des Sachverständigen nicht in der Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Und damit liegt dann ein Verstoß gegen § 261 StPO vor, der zur Teilaufhebung führt:

Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO greift durch und führt zur Aufhebung des Strafausspruches. Die Ausführungen der Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung beruhen nicht auf dem Inbegriff der Haupt-verhandlung. Das Landgericht hat sich bei der Ablehnung der Voraussetzungen des § 21 StGB vor allem auf die gutachtlichen Äußerungen des Sachverständigen G. und dessen Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt. Demgegenüber steht jedoch aufgrund des Sitzungsprotokolls, dessen Richtigkeit zudem von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bestätigt wurde, fest, dass der Sachverständige weder in der Hauptverhandlung anwesend war noch dessen Ausführungen in sonstiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.“

Man fragt sich aber nicht nur, „ob das geht“, sondern auch nach dem „Warum“. In meinen Augen ein Anfängerfehler. Und bitte keine Kommentare, dass das ja auch ein Fehler im Protokoll sein könne. Das hatte der BGH dann auch wohl erst gedacht und deshalb bei der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgefragt. Und die hat die Richtigkeit des Protokolls bestätigt – was es nicht besser macht.

In Dresden gilt das „St.Florians-Prinzip“ – doch nicht

entnommen openclipart.org

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Strafzumessung mal anders bzw. das BGH, Urt. v. 14.07.2015 – 5 StR 181/15 – moniert auf die Revision der StA einen Strafzumessungsfehler, der sich zugunsten des Angeklagten ausgewirkt hatte. Das LG Dresden hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. verurteilt. Nach den Feststellungen des LG Dresden hatte der Angeklagte aus Prag kommend als Fahrgast eines Fernbusses mit Fahrtziel Kopenhagen 1.044,33 g Crystal mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 636,4 g Methamphetaminbase in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Rauschgift sollte in Kopenhagen einem Abnehmer übergeben werden. Zur Strafzumessung dann der BGH:

„Die Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass „die Drogen nicht für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bestimmt wa-ren“ (UA S. 8). Damit hat es einem Umstand maßgebliche Bedeutung beigemessen, dem von Rechts wegen strafmildernde Wirkung nicht zukommen kann. Die Bekämpfung von Rauschgiftdelikten ist – im Interesse des über die deut-schen Staatsgrenzen hinausreichenden Schutzes vor Gesundheitsbeeinträchtigungen – ein weltweites Anliegen (vgl. § 6 Nr. 5 StGB). Der Umstand, dass das eingeführte Rauschgift nicht für den deutschen Markt bestimmt war, sondern ins Ausland weitertransportiert und dort veräußert werden sollte, stellt deshalb keinen Strafmilderungsgrund dar (BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 378/95, NStZ-RR 1996, 116).“

Das „St.Florians-Prinzip“ bzw. die Überlegung: Strafbar ist es, aber wenn das Zeug fürs Ausland bestimmt ist, ist es nicht so schlimm, gilt also in der Strafzumessung nicht. Auch nicht in Dresden.

Ausländische Fahrerlaubnis: Erwerb während einer Sperrfrist

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Fragen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG), wenn der Betroffene aber Inhaber einer im Ausland erworbenen EU-Fahreralubnis ist, beschäftigen die Rechtsprechung seit einigen Jahren in einem wahren Rechtsprechungsmarathon immer wieder und immer wieder in neuen Varianten. So vor kurzem auch das OLG Braunschweig im OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2015 – 1 Ss 24/15, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts: Der Angeklagte hatte zuletzt aufgrund eines rechtskräftigen Strafbefehls des AG Speyer am 12.05.2009 seine Fahrerlaubnis verloren. Das AG hatte eine Sperrfrist für die Wiedererteilung (§ 69a StGB) von 8 Monaten angeordnet. Nur 10 Tage später, am 22.05.2009, erwarb der Angeklagte eine neue tschechische Fahrerlaubnis und nahm mit dieser am motorisierten Straßenverkehr teil. Strafbar nach § 21 StVG?

Das OLG sagt zur Gültigkeit einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

  1. Eine im Ausland erworbene Fahrerlaubnis berechtigt nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn aufgrund einer rechtkräftigen gerichtlichen Entscheidung im Inland keine neue Fahrerlaubnis hätte erteilt werden dürfen.
  2. Die Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt dabei voraus, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Tatzeitpunkt im Verkehrszentralregister (Fahrerlaubnisregister) eingetragen war.

Wegen des Leitsatzes zu 2) ist das Berufungsurteil aufgehoben worden.

Im Übrigen: Die grundsätzliche Berechtigung von Inhabern einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 FeV) gilt nicht, wenn aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf (vgl. auch BVerwG DAR 2012, 102; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 28 FeV Rn. 5, 44; Zwerger zfs 2015, 185, 188 m.w.N.).

Scan und/oder Ausdruck, oder: Der Verteidiger das Sparschwein der Justiz?

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Der Blogger- und Anwaltskollege Carsten Hoenig aus Berlin (vgl. hier) ist bis Ende August im (wohlverdienten) Urlaub – schönen Gruß nach unterwegs aufs Rad. Kurz vor Abreise hat er mir noch den LG Berlin, Beschl. v. 05.08.2015 – 528 Kls 45/14 Kbd3 – geschickt, er selbst wollte vor seinem Urlaub dazu offenbar nicht mehr bloggen. Ich tue das aber – und zwar unter der o.a. sicherlich ein wenig provokanten – Überschrift.

Der Beschluss ist in dem Verfahren ergangen, über das der Kollege neulich in seinem Blog schon berichtet hatte (vgl. hier: Kopien ausschliesslich in Papierform notwendig). Ich hatte über das Thema auch schon berichtet, und zwar im Hinblick auf den LG Berlin, Beschl. v. 23.07.2015 – (537 KLs) 255 Js 381/14 (28/14) (vgl. dazu Scan und/oder Ausdruck – was wird bezahlt?; oder: Reihenfolge wichtig?). Es geht um die Nr. 7000 Nr. 1 a VV RVG und die Frage der Erstattungsfähigkeit von Scans und Ausdrucken. Darüber wird derzeit heftigst gestritten. Und – „formaljuristisch“ gesehen, sieht es angesichts der Änderungen durch das 2. KostRMoG nicht aus.

Aber deshalb greife ich das Thema gar nicht wieder auf, dazu werden wir sicherlich bald etwas von dem ein oder anderen OLG etwas hören. Ggf. sogar vom KG, bei dem – siehe den LG Berlin, Beschl. v. 05.08.2015 – einige Verfahren mit unterschiedlichen Fallgestaltungen anhängig sind. Und auch die Argumentation der Bezirksrevisorin in dem Beschluss ist nicht zwingend, zumal sie m.E. dazu führt, dass es schon auf die Reihenfolge ankommt, in der der Verteidiger vorgeht – erst Kopieren und dann Scannen.

Nein, mir geht es um den letzen Absatz aus dem LG Berlin, Beschl. v. 05.08.2015 – 528 Kls 45/14 Kbd3. Der entscheidende Vorsitzende der Strafkammer hat sich zwar – zähneknirschend – der Auffasssung der Bezirksrevisorin angeschlossen. Aber mit m.E. deutlichen Worten:

„Die Kammer schließt sich diesen formaljuristischen Ausführungen derzeit noch mit Bedenken an und bemerkt, dass die Gesetzesfassung aber — soweit ersichtlich – nicht sicher davon ausgehen konnte, dass der Verteidiger selbst die Akten einscannt und damit von seiner Seite aus grundsätzlich hierfür und für die Herstellung von nachrangig hergestellten Kopien kein Erstattungsanspruch zustehen soll. Dann wäre die neue Gesetzeslage für diese die Justizressourcen schonende Arbeitsweise schlicht ein Sparprogramm zulasten der bisher Erstattungsberechtigten, ohne dass sich in der Sache — Kostenentstehung beim Verteidiger -etwas geändert hätte. Die Kammer macht des Weiteren darauf aufmerksam, dass — sollte es dabei bleiben — Verteidiger für den Erhalt der Kostenerstattung den eigenen Scanvorgang nicht vortragen könnten oder — noch einfacher, aber justizbelastender – Kopien in jedem Fall vorher anfertigen lassen, um in den Genuss der Kostenerstattung zu kommen. Das alles wirkt wenig durchdacht und sachgerecht, so dass grundsätzliche Ausführungen des Kammergerichts erforderlich sind.“

Recht hat er der Vorsitzende. Der Verteidiger ist derzeit – zumindest teilweise – dann tatsächlich Mitglied eines Sparprogramms – oder eben das „Sparschwein der Justiz“. Allerdings wird da angesichts der Änderungen des 2. KostRMoG und der Gesetzesmaterialien das KG wenig retten können, wenn es das überhaupt will. M.E. ist der Gesetzgeber – mal wieder – gefragt. Der muss das, was „wenig durchdacht und sachgerecht, ist durch eine für beide Seiten tragbare Lösung ändern bzw. reparieren. Also auf BMJV!!!!.