Archiv für den Monat: Juli 2014

Verteidigerwechsel = Fluchtgefahr? Nein, aber „befangen“!

HammerNicht so ganz häufig sind m.E. die Entscheidungen, in denen der BGH ein tatrichterliches Urteil wegen eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO aufhebt, also weil an dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, obwohl er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht abgelehnt worden ist. Deshalb ist der BGH, Beschl. v. 08.05.2014 – 1 StR 726/13 – schon etwas Besonderes, aber auch wegen der Vorgehensweise/ Argumentation des LG.

Dazu: Die Strafkammer beim LG Augsburg hatte am 11. von insgesamt 24 Hauptverhandlungstagen gegen die beiden Angeklagten jeweils auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützte Haftbefehle verkündet. Für den einen Angeklagten sah das LG diesen Haftgrund u.a. in der zu erwartenden langjährigen Freiheitsstrafe sowie „dringende(n) Anhaltspunkte(n) für weitere, gravierende Straftaten“, bzgl. derer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aber noch nicht eingeleitet war, begründet. Weiterhin wird in dem Haftbefehl ausgeführt, der Angeklagte erkenne nunmehr, dass eine langjährige Vollzugsstrafe näher rücke. Bei dem anderen Angeklagten stützte das LG die Fluchtgefahr u.a. auf die hohe Straferwartung und – wie bei dem anderen Angeklagten – auf den dringenden Verdacht weiterer gewichtiger Straftaten. Vor allem führte es in dem Haftbefehl aus, der Angeklagte sei zwar zu allen bisher zehn Hauptverhandlungsterminen erschienen. Der Umstand jedoch, dass er nunmehr einen Verteidigerwechsel herbeigeführt habe, lasse zusammen mit dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme „ernsthaft befürchten“, der Angeklagte wolle dem Verfahren „bis zu seinem Abschluss nicht freiwillig beiwohnen“.

Beide Angeklagte legen Haftbeschwerde ein, beide Haftbefehle werden vom OLG München wegen fehlender Fluchtgefahr aufgehoben. Beide Angeklagte haben die Berufsrichter der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt – und damit dann beim BGH Recht bekommen. Aus der umfangreichen Begründung hier nur die Ausführungen des BGH zum „Automatismus“ „Verteidigerwechsel führt zur Annahme von Fluchtgefahr“ (Rest bitte selbts lesen):

aa) In dem Haftbefehl gegen den Angeklagten Dr. I. stellen die abgelehnten Richter für die nunmehr bestehende Fluchtgefahr ausdrücklich auf den Umstand ab, dass er einen Verteidigerwechsel herbeigeführt habe. Aus welchen Gründen das prozessual zulässige Verhalten der Wahl eines neuen Verteidigers einen Schluss auf die Bereitschaft des Angeklagten gestatten soll, sich wie bisher dem Verfahren zu stellen, lässt sich dem Haftbefehl nicht entnehmen und ist auch außerhalb dessen nicht ersichtlich. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der von dem neuen Wahlverteidiger gegenüber dem Vorsitzenden mündlich und schriftlich vor dem Erlass des Haftbefehls abgegebenen (retrospektiv eingehaltenen) Zusicherung, in die Sache eingearbeitet zu sein und keine Aussetzungsanträge zu stellen. Zwar wird in der Begründung des Haftbefehls auch ausgeführt, das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme lasse „ernsthaft befürchten, dass der Angeklagte dem Verfahren bis zu seinem Abschluss nicht freiwillig beiwohnen will“. Diese Bewertung stützen die abgelehnten Richter aber wiederum lediglich darauf, die bisherige Beweisaufnahme habe „die Anklagevorwürfe in vielen Bereichen erhärtet“. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme werden jedoch nicht näher ausgeführt, so dass bereits nicht ersichtlich ist, inwieweit sich für die Beurteilung der Fluchtgefahr relevante Änderungen der Umstände für die Angeklagten ergeben haben sollen. Vor allem aber verknüpfen die drei abgelehnten Richter in dem Haftbefehl die Ergebnisse der „bisherigen Beweisaufnahme“ und die Erkenntnis des Angeklagten, eine langjährige Freiheitsstrafe rücke näher, in einer nicht erläuterten und in der Sache nicht nachvollziehbaren Weise mit dem „plötzlichen Verteidigerwechsel“. Warum der zulässige Wechsel zu einem in die Sache bereits eingearbeiteten neuen Verteidiger ein auf den angeblichen Willen des Angeklagten Dr. I. , sich dem Verfahren zukünftig nicht mehr zu stellen, hindeutender Umstand sein soll, ist nicht erklärlich und wird seitens der abgelehnten Richter weder in der Haftbefehlsentscheidung noch in ihren dienstlichen Erklärungen erklärt.

Also doch „abgewatscht“?  So ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren. Die machen da aber auch Sachen in Augsburg 🙂 🙂 .

News zu Edathy: (Heute) Anklage in Hannover

© dedMazay - Fotolia.com

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Über LTO stoße ich gerade auf die Nachricht, dass die StA Hannover heute wohl Anklage gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Edathy erheben will wegen, des Besitzes Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos. Da heißt es bei LTO u..a.:

„Nach langem Ermittlungsverfahren

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Edathy

Nach langen Ermittlungen erhebt die Staatsanwaltschaft Hannover jetzt Anklage. In einer Sicherungskopie seiner Daten sollen Internet-Links zu Kinderpornos gefunden worden sein. Für den Besitz von kinderpornografischem Material kann eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden.

Dem ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy soll wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos der Prozess gemacht werden. Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa Anklage gegen den 44-Jährigen. Die Anklageschrift sollte am Donnerstagvormittag an das zuständige Gericht gehen. Die Staatsanwaltschaft wollte zunächst aber keine Stellungnahme abgeben.

Die Anklage basiert demnach auf Links zu kinderpornografischen Internetseiten, die die Ermittler in einer Sicherungskopie eines verschwundenen Laptops von Edathy gefunden hatten. Der SPD-Politiker hatte den Computer aus dem Bundestag im Februar als gestohlen gemeldet. Die Verbindungsdaten machen es den Ermittlern aber auch im Nachhinein möglich, einzelne Seitenaufrufe nachzuvollziehen……“

Urteil ohne Gründe?

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Ein Urteil ohne Gründe? Gibt es das? Nun, ja, das gibt es (teilweise), aber nur ausnahmsweise in den Fällen des § 267 Abs. 4 StPO oder des § 77b OWiG. Um einen solchen Fall handelte sich allerdings bei dem OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Beschl. v. 07.07.2014 – 2 Ss OWi 600/14 – entschiedenen Fall wohl nicht, jedenfalls ergeben sich aus dem Beschluss dafür keine Anhaltspunkte. Offenbar hatte der Amtsrichter da die Begründung seines Urteils wohl nur vergessen (?). Tja, und das war es dann, denn, das gibt es schon gar nicht, wenn Rechtsmittel eingelegt sind:

„Das Urteil unterliegt auf die Sachrüge hin der Aufhebung, weil es keine Gründe enthält und daher nicht geprüft werden kann, ob dem Tatrichter bei einer Entscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 7 Entscheidungsgründe 2; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. u.a. die Beschlüsse vom 29. Oktober 2009 — 2 Ss-OWI 493/09- und vom 25. Februar 2010 — 2 Ss-OWi 92/10).“

Für die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ein schöner Erfolg, denn die Aufhebung bringt zumindest Zeitgewinn, der für die Frage des Absehens vom Fahrverbot von Bedeutung sein kann. Und einen neuen Richter gibt es auch, da das OLG an „eine andere Abteilung“ des AG zurückverwiesen hat (aus welchen Gründen auch immer, denn üblich ist das nicht).

Klassischer Fehler XI: Wann man sich eingelassen hat, geht das Gericht nichts an

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Taufrisch von der Homepage des BGH – gestern eingestellt – ist der BGH, Beschl. v. 28.05.2014 – 3 StR 196/14, mit einem Dauerbrenner/klassischen Fehler in der Beweiswürdigung, bei dem einen wundert, dass einer (erfahrenen) Strafkammer der Fehler unterläuft. Für die Strafkammer war nämlich bei der Würdigung der Einlassung des für die Tatzeit ein Alibi geltend machenden Angeklagten „von entscheidender Bedeutung„, dass er dieses erst zu einem sehr späten Zeitpunkt im Verfahren vorbrachte, was nicht nachvollziehbar sei.Dazu der BGH – verhältnismäßig kurz und zackig:

„Damit hat das Landgericht in unzulässiger Weise aus dem anfänglichen Schweigen des Angeklagten für diesen nachteilige Schlüsse gezogen. Diesem steht es frei, ob er sich zur Sache einlässt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1965 – 5 StR 515/65, BGHSt 20, 281, 282 ff.; Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 3 StR 484/83, StV 1984, 143).

Da dem Urteil entnommen werden kann, dass der Angeklagte erstmals in der Hauptverhandlung überhaupt Angaben machte, liegt auch kein Fall eines – der Würdigung grundsätzlich zugänglichen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, 148) – teilweisen Schweigens vor, so dass der dargelegte Rechtsfehler auf die Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 3 StR 248/96, NStZ 1997, 147). Auf diesem beruht das Urteil auch. Da die Kammer dem prozessualen Verhalten des Angeklagten ausdrücklich entscheidende Bedeutung beigemessen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung bezüglich der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre, wenn es dessen Einlassung rechtsfehlerfrei gewürdigt hätte.

Ich frage mich bei solchen Sachen immer, warum so etwas beim Lesen der Urteilsgründe vor der Unterschrift nicht auffällt. In der Revision sind das i.d.R. dann „Selbstläufer“.

Graffiti auf der Straßenbahn – gemeinschädliche Sachbeschädigung?

© Lonely - Fotolia.com

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Der Angeklagte besprüht einen Straßenbahnzug mittels roter und silberner Sprühfarbe auf einer Fläche von ca. 10 m² mit einem Schriftzug. Schaden durch die Beseitigung mindestens bei 400.- bis 500.- €. Er wird dann vom AG wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung gem. § 304 Abs. 2 StGB verurteilt. Dagegen die Revision, die beim KG vorläufigen Erfolg hat.

Das KG geht im KG, Beschl. v. 28.04.2014 – (4) 161 Ss 47/14 (72/14) – zunächst zwar von einer nicht nur vorübergehenden, nicht nur unerheblichen Veränderungen des Erscheinungsbildes der Straßenbahn aus, aber es moniert nicht ausreichende Feststellungen im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 304 Abs. 2 StGB:

„Ob die Besprühungen allerdings geeignet waren, die öffentliche Nutzungsfunktion des Straßenbahnzuges zu beeinträchtigen, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen…..

Zwar kann auch aus Sicht des Senats eine Veränderung des Erscheinungsbildes eines Fahrzeugs des öffentlichen Personennahverkehrs dessen öffentliche Nutzungsfunktion ausnahmsweise auch dann beeinträchtigen, wenn es grundsätzlich noch zur Personenbeförderung eingesetzt werden könnte, weil die (technische) Funktionsfähigkeit und die Sicherheit der Fahrgäste durch die Erscheinungsänderung nicht beeinträchtigt wird. So kann bereits in dem bloßen Besprühen der Außenfläche von Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs – ohne Beeinträchtigung der Beförderungsfunktion etwa durch eine Einschränkung der Verkehrssicherheit durch Behinderung der Sicht des Fahrers oder der Fahrgastsicherheit durch Beschränkung der Einsichtnahme in den Zug vom Bahnsteig aus – eine Beeinträchtigung der öffentlichen Funktion derselben liegen, wenn dem Verkehrsunternehmen der weitere Einsatz des Fahrzeuges (auch unter dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht angesprochenen Aspekt der im öffentlichen Interesse angestrebten Verlagerung der Personenbeförderung im städtischen Bereich vom Individual- zum öffentlichen Personennahverkehr) vor einer Beseitigung der Schmierereien nicht zumutbar erscheint und die erforderlichen Reinigungsarbeiten einen gegenüber der regelmäßigen Reinigung und Wartung zusätzlichen Ausfall des Fahrzeuges für den Einsatz im Personennahverkehr mit sich bringen.

In diesen Fällen ist aber (auch aus Sicht des OLG Hamburg) jedenfalls eine erhebliche – über die zur Tatbestandserfüllung ohnehin festzustellende „nicht nur unerhebliche“ Veränderung hinausgehende – Veränderung des Erscheinungsbildes des Fahrzeugs erforderlich, die sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils (ebenso wie die durch die Tat verursachte Ausfallzeit des Straßenbahnzuges für die Personenbeförderung) nicht entnehmen lässt. Allein die Angabe der Fläche, die von den Farbauftragungen betroffen war, belegt – entgegen der Annahme der Generalstaatsanwaltschaft – die Erheblichkeit der Veränderung des Erscheinungsbildes nicht, wenn (wie hier) die Art der Ausführung und die Platzierung des Tags offen bleiben. Zudem lässt sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht entnehmen, dass der Straßenbahnzug zur Reinigung – und damit tatbedingt – über die normalen Reinigungs- und Wartungszeiten hinaus aus dem Beförderungseinsatz genommen werden musste.“

Also: Einfach Mitteilung der Größe des Graffiti reicht nicht.