Archiv für den Monat: April 2013

Der Gebührenverzicht – in der Partnerschaftsgesellschaft aufgepasst

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Ich habe länger nichts zum Gebührenrecht gebracht. Da bietet sich heute das OLG Hamm., Urt. v. 05.12.2012 – I 8 U 27/12 – an, das einen Gebührenverzicht eines Rechtsanwalts aus einer Partnerschaftgesellschaft und ihm folgende Schadensersatzasnprüche zum Gegenstand hat. Der Rechtsanwalt hatte gegenüber einer Mandantin auf Gebühren verzichtet und war daraufhin dann von der Partnerschaftsgesellschaft, der angehörte, auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden. Das OLG hat einen Schadensersatzanspruch bejaht. Es geht davon aus, dass ein Mitglied einer Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gehalten ist, die berechtigten Interessen der Gesellschaft an der Realisierung ihrer Gebührenansprüche zu wahren. Verletze ein Rechtsanwalt diese Pflicht, indem er ohne Zustimmung der übrigen Partner mit einer Mandantin einen Gebührenverzicht vereinbare, so sei er der Gesellschaft zum Schadensersatz in Höhe der entgangenen Gebühren verpflichtet. Aus der Begründung:

„Der Beklagte hat gegenüber der Klägerin eine Pflichtverletzung begangen, indem er gegenüber der Mandantin T auf die Geltendmachung von Gebührenforderungen für die ihr erbrachten anwaltlichen Leistungen verzichtet hat. Im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht war der Beklagte während seiner Mitgliedschaft in der Kanzlei der Klägerin gehalten, die berechtigten Interessen der Klägerin an der Realisierung ihrer Gebührenansprüche zu wahren. Indem der Beklagte mit der Mandantin T einen Erlassvertrag bezüglich der Vergütungsforderung der Klägerin geschlossen hat, hat er diese Pflicht gegenüber der Klägerin verletzt. Denn der Erlassvertrag hat bewirkt, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin gegen Frau T gemäß § 397 Abs. 1 BGB erloschen ist. Der Umstand, dass sich der Ehemann der Frau T gegenüber dem Beklagten für die Zahlung der Kosten stark gemacht hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da die Klägerin anwaltliche Beratungsleistungen ausschließlich gegenüber Frau T erbracht hat und damit allein diese Vertragspartnerin der Klägerin war. Der Erlassvertrag wirkt auch für und gegen die Klägerin, da entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 125 Abs. 1 HGB Einzelvertretungsmacht des Beklagten bestand.

Soweit sich der Beklagte erstinstanzlich darauf berufen hat, dass jeder Gesellschafter im Außenverhältnis berechtigt gewesen sei, über die von ihm erwirtschafteten Gebührenansprüche zu verfügen, vermag dies den Beklagten nicht zu entlasten. Denn aus einer solchen rechtlichen Befugnis im Außenverhältnis ergibt sich nicht die Berechtigung des einzelnen Gesellschafters im Innenverhältnis zur Klägerin und zu den Mitgesellschaftern, gegenüber Mandanten eigenmächtig auf die Geltendmachung berechtigter Gebührenansprüche zu verzichten. Eine solche Maßnahme bewirkte eine Gewinnminderung der Klägerin, die sich zum Nachteil aller Mitgesellschafter auswirkte und daher der Zustimmung der Mitgesellschafter bedurfte. Dass er eine solche Zustimmung eingeholt hat, hat der Beklagte nicht dargetan.“

Neues zur Punktereform – schafft Ramsauer die Neuregelung?

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Auf der Grundlage der hib-MeldungeNr. 205 vom 17.04.2013 kann ich über die Sachverständigenanhörung zur geplanten Punktereform im Bundestagsausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 17.04.2013 berichten. Danach hat die geplante Reform des Flensburger Punktesystems (vgl. dazu auch hier) im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung weitgehende Zustimmung gefunden. Da heißt es, so auch gestern im Jurion-NL:

„Die von der Bundesregierung geplante Reform des Flensburger Punktesystems für Autofahrer findet bei Sachverständigen weitgehende Zustimmung. Dies wurde am 17.04.2013 deutlich bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, bei der es um den Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 17/12636) eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze ging, mit dem das Punktesystem einfacher und transparenter gestalten werden soll.

Der Regierungsentwurf sieht vor, dass es künftig im Punktesystem nur noch drei Kategorien geben soll: ein Punkt bei Ordnungswidrigkeiten, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen, zwei Punkte bei Ordnungswidrigkeiten, die die Verkehrssicherheit „besonders“ beeinträchtigen sowie bei Straftaten ohne Führerscheinentzug, und drei Punkte bei Straftaten mit Führerscheinentzug.

Die Transparenz soll durch Verzicht auf komplizierte Tilgungsregelungen erreicht werden, heißt es weiter. Stattdessen sollen künftig feste Tilgungsfristen für die jeweiligen Verkehrsverstöße und ein einheitlicher Beginn für die Tilgungsfristen gelten. Somit soll jeder Verstoß für sich verjähren. Die bisherige „Tilgungshemmung“, nach der ein neuer Eintrag automatisch die Tilgungsfrist des alten verlängert, soll wegfallen. Außerdem soll es Fahreignungsseminare geben, die das bisherige Aufbauseminar für Punktetäter ablösen sollen. Die Teilnahme soll sechs Punkte verpflichtend sein

Schaffung starrer Tilgungsfristen begrüßt

Markus Schäpe vom ADAC begrüßte als Vertreter von mehr als 18,5 Millionen ADAC-Mitgliedern die Punktereform „ausdrücklich“. Das bisherige System sei zu kompliziert, sagte er. Es sei konsequent sicherzustellen, dass ausschließlich relevante Delikte erfasst würden. Formalverstöße ohne unmittelbare Auswirkung auf die Verkehrssicherheit sollten weiterhin angemessen geahndet, aber nicht gespeichert werden. Es sei auch richtig, starre Tilgungsfristen zu schaffen. Mit dem Wegfall der Tilgungshemmung durch neu begangene Taten trete eine deutliche Entlastung derjenigen Verkehrsteilnehmer ein, die nur selten auffällig würden und daher nicht Zielgruppe des Punktesystems seien.

Ausrichtung auf die für die Verkehrssicherheit relevanten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sinnvoll

Walter Eichendorf vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) sprach sich ebenfalls für die grundsätzliche Ausrichtung auf die für die Verkehrssicherheit relevanten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aus. Ebenfalls zur Klarheit und Transparenz trage die neue Systematik der Punkteverteilung und Bewertung bei. Dies mache es für die Betroffenen einfacher zu erkennen, welcher Verstoß in welcher Weise bewertet werde. Er sprach sich auch für die Einführung fester Löschungsfristen und für den Wegfall der Tilgungshemmung aus. Ein zentraler Punkt in der Debatte um das Reformvorhaben ist die Einrichtung eines neu konzipierten Fahreignungsseminars“, heißt es in seiner Stellungnahme. Dies sei aus Sicht der Verkehrssicherheit ein Herzstück der Reform. Die Seminare sollten auffällig gewordene Kraftfahrer zu Verhaltensänderungen bewegen. Bei qualitativ hochwertiger Ausgestaltung gebe es hierfür ein großes Potenzial. Eichendorf betonte, dass dies ein weiterer Baustein zur Verbesserung der Verkehrssicherheit sei, dem zeitnah weitere Maßnahmen wie die Verbesserung der Fahranfängervorbereitung folgen sollten

Festhalten am Tattagprinzip kritisiert

Auch der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht München, Dietmar Zwerger, begrüßte den Wegfall der Tilgungshemmung und die Vereinheitlichung der Anlaufzeitpunkte für die Punkte. Dadurch würden die komplizierten Berechnungen in der Praxis wesentlich vereinfacht. Kritisch setzte er sich jedoch unter anderem mit dem Festhalten am „Tattagprinzip“ auseinander. Damit bleibe das System für alle Beteiligten nach wie vor kompliziert und intransparent. Er empfahl bei der Neuordnung des Punktesystems, die Rechtskraft einer Zuwiderhandlung im Straßenverkehr als maßgeblichen Zeitpunkt für das Entstehen von Punkten auszuschreiben und ein Punkteabbau durch freiwilligen Besuch eines Fahreignungsseminars vorzusehen

Konzentration des Fahreignungsregisters

Für Anja Hänel vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) werden mit der Reform klarere und transparentere Strukturen geschaffen. Sie kritisierte jedoch, dass diese Ziele nicht konsequent in allen Punkten des vorliegenden Entwurfes umgesetzt würden. So fehle eine klare Botschaft. Regelverstöße, die die Verkehrssicherheit gefährdeten, seien keine Kavaliersdelikte. Zwar schaffe die Konzentration des Fahreignungsregisters auf Delikte, die die Verkehrssicherheit gefährdeten, mehr Klarheit. Sie führe jedoch bei Ordnungswidrigkeiten, die zukünftig aus dem Register herausfallen würden, wie das verbotene Fahren in Umweltzonen, zu einer Verschlechterung. Reine Geldstrafen könnten hier zu einer systematischen Missachtung des Gesetzes führen und ähnlich wie „Knöllchen“ bei den Falschparkern als laufende Kosten einkalkuliert werden.

Weiterer Beitrag zum Gesetzgebungsverfahren:

14.03.2013

Bundesregierung plant einfacheres Punktesystem im Straßenverkehr

Sollte unser fescher/forscher Verkehrsminister Peter Ramsauer es tatsächlich schaffen? Nach dem Durchlauf im Bundesrat sah es nicht so aus.

Der Polizeibeamte als Zeuge/als ungeeignetes Beweismittel?

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Die Angeklagten waren wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung angeklagt. Sie sind vom LG Frankfurt frei gesprochen worden. In den Urteilsgründen hatte das LG zur Würdigung der Beweise im Wesentlichen ausgeführt, „dass es bereits an einem unmittelbaren Beweismittel fehle, da sowohl der Geschädigte C. als auch die Zeugen D. , A. und J. , die zur Tatzeit in der Sportwetten-Filiale anwesend und an den Taten beteiligt gewesen sein sollen und deshalb ursprünglich ebenfalls der verfahrensgegenständlichen Tat angeklagt gewesen seien, von ihrem Aus-kunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht hätten. Allein aufgrund der Aussagen der Polizeibeamten, die seinerzeit die polizeilichen Vernehmungen des Geschädigten C. durchgeführt hätten, habe die Kammer nach dem in-dubio-Grundsatz das angeklagte Geschehen nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit feststellen können. Der Tatverdacht habe sich dadurch relativiert, dass die Herkunft der erheblichen Verletzungen des Geschädigten C. im Bereich seines Auges völlig unklar geblieben sei und er gegenüber den ihn behandelnden Ärzten angegeben habe, seine Verletzungen rührten von einer tätlichen Auseinandersetzung bereits am 16. Oktober 2010 her.“ Der BGH hat den Freispruch auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben.

In dem Zusammenhang spielt ein (Beweis)Antrag eine Rolle, den die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gestellt hatte, nämlich auf Vernehmung von drei Polizeibeamten B. , K. und L. zum Beweis der Tatsache, „dass der Geschädigte C. am 17. Oktober 2010 bei Anzeigenaufnahme des Raubüberfalls im Sportwettenbüro zwar einen leichten blauen Fleck unter dem Auge gehabt, nicht jedoch die auf den Lichtbildern in der Akte dokumentierten Verletzungen – nämlich insbesondere einen blauen Fleck auch auf dem Oberlid, eine geschwollene Nase und einen geschwollenen Kiefer – aufgewiesen habe.“ Das LG hat den Antrag als Beweisermittlungsantrag gewertet, dem aus Gründen der Aufklärungspflicht nachzugehen es keinen Anlass gesehen hat. Zur hilfsweisen Begründung der Ablehnung des Antrags hat das Landgericht ausgeführt, bei den Zeugen handele es sich um ungeeignete Beweismittel, weil die im Antrag in Bezug genommenen Lichtbilder erst im Nachhinein aufgenommen und den Zeugen nie bekannt geworden seien, sodass sie keine Rückschlüsse ziehen könnten.

Dazu das BGH, Urt. v. 13.01.2013 – 2 StR 468/12:

4. Die Ablehnung des Antrags, der den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen genügte, ist rechtsfehlerhaft und zwingt zur Aufhebung des Urteils.
a) Ein Beweisantrag kann wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden, wenn dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2010 – 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 211; vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 465/11, NStZ-RR 2012, 51). Dies ist dann der Fall, wenn mit dem vom Antragsteller benannten Beweismittel die be-hauptete Beweistatsache nach sicherer Lebenserfahrung nicht bestätigt werden kann (LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244, Rn. 230 mwN). Hier sollten die drei als Zeugen benannten Polizeibeamten ihre eigenen Wahrnehmungen zu etwaigen Verletzungen des Zeugen C. zu dem benannten Zeitpunkt bekunden. Der vom Landgericht angeführte Umstand, dass den Polizeibeamten die später von Verletzungen des Zeugen C. gefertigten Lichtbilder nie bekannt ge-worden seien, steht in keinem Zusammenhang mit der Frage, ob die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Wahrnehmungen gemacht haben und sich an sie erinnern können, und spricht daher nicht gegen ihre Eignung als Beweismittel. Für eine völlige Ungeeignetheit der benannten Zeugen ist auch sonst nichts erkennbar.“

Akteneinsicht a la OLG Frankfurt – der Beschluss macht ärgerlich, zumindest mich

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Nachdem wir eine ganze Zeit nur über amts- und landgerichtliche Entscheidungen zur (Akten)Einsicht in die Bedienungsanleitung eines Messverfahrens berichten konnten, scheint die Welle jetzt bei den OLG angekommen zu sein. Das zeigen die vermehrt zu der Problematik ergehenden Entscheidungen, wie die des OLG Naumburg (vgl. hier hier Danke OLG Naumburg – erste OLG-Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Teil 2), die des KG (vgl. hier Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung) und die des OLG Celle (vgl. hier Akteneinsicht a la OLG Celle – Rückschritt in Niedersachen – mag man Cierniak nicht?). Und dann heute der OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.04.2013 – 2 Ss-OWi 137/13, den mir der Kollege Frese aus Heinsberg, der ihn erstritten hat und erleiden muss, zur Verfügung gestellt hat (vgl. zu dem Beschluss auch hier den Blogbeitrag des Kollegen).

Zum Beschluss.: Das OLG hat die mit der Rechtsbeschwerde des Verteidigers erhobene Verfahrensrüge als nicht ausreichend begründet angesehen. Im Zusammenhang damit verneint das OLG eine Verpflichtung des Tatgerichts, dann, wenn sich die Bedienungsanleitung eines Messgerätes ^zur Durchführung eins standarisierten Messverfahrens nicht bei der Gerichtsakte befindet, derartige Unterlagen vom Hersteller oder der Polizei auf Antrag der Verteidigung beizuziehen. Das sei nur auf einen tatsachenfundierten Antrag hin erforderlich.

Dazu Folgendes, wobei ich auf meine für den VRR vorbereitete Anmerkung zu dieser Entscheidung zurückgreife. Mich macht diese Entscheidung, die der Kollege, der sie „erstritten“ und bei der Übersendung als „Schlag ins Gesicht“ bezeichnet hat, (auch) ärgerlich. Denn:

„1. Die Ansicht und Argumentation des OLG in der Entscheidung läuft im Grunde darauf hinaus, dass das OLG dem Betroffenen/Verteidiger zumutet, die Messungen und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden als „Gott gegeben“ hinzunehmen und auf die Richtigkeit zu vertrauen. Alles nach dem Motto: Es wird schon nichts falsch gemacht worden sein. Dass das aber gerade nicht der Fall ist, zeigen die zahlreichen Fehlmessungen, die Sachverständige, wenn sie den beigezogen werden, feststellen. Für diese Ansicht des OLG ist m.E. auch die vom OLG angeführte Entscheidung BGHSt 39, 291 nicht der richtige Beleg. Denn die Entscheidung behandelt die Frage der Anforderungen an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren bei standardisierten Messverfahren und nicht die Frage, wie und in welchem Umfang ggf. (Akten)Einsicht zu gewähren ist, um eine vorliegende Messung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.

2. Das OLG argumentiert m.E. auch mit einem „Teufelskreis“ bzw. verlangt vom Verteidiger Unmögliches. Denn wie bitte schön sollen „tatsachenfundierte begründete Zweifel“ an der Ordnungsgemäßheit der Messung vorgetragen werden, wenn dem Verteidiger/Betroffenen nicht die Möglichkeit eröffnet wird, die Messung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen? Was ich nicht weiß bzw. nicht erfahren kann – manchmal hat man den Eindruck: auch nicht erfahren soll – kann ich nicht vortragen. Genau darauf hat auch Cierniak in seinem Beitrag in zfs 2012, 664 ff. (vgl. Danke Herr Cierniak – Akteneinsicht im Bußgeldverfahren Teil I) hingewiesen und gefordert, ggf. durch Beiziehung der entsprechenden Unterlagen, dem Verteidiger die Möglichkeit zu eröffnen, zu Messfehlern überhaupt vortragen zu können. Wer schon für den (Akten)Einsichtsantrag „tatsachenfundierte begründete Zweifel“ fordert, schüttet das Kind mit dem Bade aus bzw. stellt Anforderungen, die erst für den zweiten Schritt, nämlich einen ggf. zu stellenden Beweisantrag, aufgestellt werden können. So, wie das OLG vorgeht und wie es die teilweise bei AG anzutreffende Praxis absegnet, überlässt es den Betroffenen vollständig dem Tatrichter und dem, was er für erforderlich hält, ohne dem Betroffenen eine Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen.

3. M.E. greift auch der Hinweis des OLG auf KG VRR 2013, 76 = StRR 2013, 77 = VA 2013, 51 (s. o. die Fundstelle) nicht nur nicht, sondern ist auch falsch. Denn das KG hatte in seiner Entscheidung gerade ausgeführt, dass die Bedienungsanleitung, falls sie sich nicht bereits ohnehin bei den Akten befinde, in Original oder Kopie auf ein entsprechendes Akteneinsichtsgesuch des Verteidigers zu den Akten zu nehmen sei, damit dieser sie im Rahmen der ihm zu gewährenden Akteneinsicht einsehen könne. Dazu hatte das KG auf die dazu vorliegende Rechtsprechung der LG und AG (vgl. die Zusammenstellung bei Burhoff VRR 2011, 250 und VRR 2012, 130; s. auch noch OLG Naumburg VRR 2013, 37 = StRR 2013, 36) und vor allem auch auf Cierniak zfs 2012, 664 ff. verwiesen. Mit der Rechtsprechung und Literatur setzt sich das OLG gar nicht erst auseinander, sondern belässt es bei der Behauptung, dass den genannten Entscheidungen – zitiert ist im Beschluss nur eine – mit den tragenden Ausführungen gemein sei, dass die Bedienungsanleitungen bereits Teil der Gerichtsakte waren und aus anderen Gründen nicht an die Verteidigung herausgegeben worden waren. Das ist – zumindest für die KG-Entscheidung – falsch.

4. Endlich: Erstaunlich ist für mich, dass das OLG durch den Einzelrichter entschieden und dieser die Sache nicht dem Senat vorgelegt hat. Geht man beim OLG Frankfurt wirklich davon aus, dass die anstehenden Rechtsfragen inzwischen alle so geklärt sind, dass eine Einzelrichterentscheidung reicht? Die Annahme dürfte angesichts der unterschiedlichen Rechtsprechung von KG und OLG Naumburg (jeweils a.a.O.) und OLG Celle gewagt sein. Aber vielleicht wollte man auch nur eine Vorlage an den BGH vermeiden (vgl. dazu BGHSt 44, 144). Denn das scheinen die OLG derzeit zu scheuen wie der „Teufel das Weihwasser“.

Zu Letzterem fragt man sich: Warum eigentlich?  Nun ja: Cierniak lässt grüßen. Aber mit dem und seinen Ausführungen setzt man sich erst gar nicht auseinander.

Wieder „Verteidigerfehler Verfahrensrüge“ – mein Gott, ist das denn so schwer?

Dass die Revisionsgerichte die Hürden zur ordnungsgemäßen Begründung einer Verfahrensrüge durch eine strenge – sicherlich an manchen Stellen zu strenge – Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (zu) hoch legen, wird allgemein beklagt und ist sicherlich auch nicht von der Hand zu weisen. Andererseits wage ich die Behauptung, dass Verteidiger nicht selten aber auch selbst an einem Misserfolg ihrer Revision schuld sind. Nämlich dann, wenn – in meinen Augen einfachste – revisionsrechtliche Vorgaben nicht beachtet werden.

Ein Beispiel dafür, wie man es nicht bzw. wie man es falsch macht, ist der BGH, Beschl. v. 12.03.2013 – 2 StR 34/13, bei dessem ersten Lesen ich nur gedacht habe: Mein Gott, ist das denn so schwer?

Der BGH listet unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des GBA die Mängel auf. Gerügt war die (unzulässige) Ablehnung von Beweisanträgen und außerdem erhoben war die Aufklärungsrüge. Schenken wir uns den allgemeinen, alsseits (hoffentlichen) bekannten Vorspann des BGH zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge. Konkret führt der BGH zu den Rügen aus:

1. In der Revisionsbegründungsschrift (Bl. 739-741) sind die vom Revisionsführer gestellten Beweisanträge auf Vernehmung der Zeugen G. , E. und T. (vgl. Bl. 527-529) sowie die entsprechenden Ableh-nungsbeschlüsse der Strafkammer (vgl. Bl. 638-640) nicht vollständig wiedergegeben. Der Revisionsführer hat diese weder durch wörtliche oder inhaltliche Wiedergabe noch durch die Einfügung von Abschriften oder Ablichtungen zum Gegenstand seiner Revisionsbegründung gemacht. Das Revisionsgericht kann daher nicht allein aufgrund der Be-gründungsschrift prüfen, ob die Antragsablehnung durch die Strafkammer – sollte das tatsächliche Vorbringen zutreffen – rechtsfehlerfrei erfolg-te.

2. Eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Revi-sionsführer eine bestimmte Beweistatsache, ein bestimmtes Beweismittel und die Umstände angibt, aufgrund derer sich der Tatrichter zu der ver-missten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (BGHR StPO, § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7 mwN). Der Revisionsbegründung ist keine dieser Voraussetzungen zu entnehmen: Der Beschwerdeführer bezeichnet weder eine bestimmte Tatsache („zu ermitteln, ob…“) noch gibt er ein Beweismittel oder die Umstände an, warum sich die Straf-kammer zu der vermissten Beweiserhebung über die etwaige Betreuung der Kinder durch Wo. hätte gedrängt sehen müssen.“

Ja, noch Fragen? M.E. eindeutig Verteidigerfehler. Denn die Begründungsanforderungen sollten/müssen bekannt sein, wenn man Revisionsrecht betreibt. Und die Fehler führen dann auch noch zu einem vollständigen Misserfolg der Revision und nicht nur zur Unzulässigkeit der Verfahrensrüge. Denn die Sachrüge war auch nicht erhoben, was in meinen Augen ein ganz erheblicher Fehler ist. Dazu dann kurz und trocken der BGH:

„Die Unzulässigkeit der Verfahrensrügen führt, da die Sachrüge nicht erhoben ist, zur Unzulässigkeit der Revision insgesamt (vgl. mwN Senat, Beschluss vom 16. September 2009 – 2 StR 299/09, NStZ 2010, 97).“

Fazit: Man sollte vielleicht weniger über die Formenstrenge des BGH klagen und die dadurch gewonnene Zeit in die Aneignung von (einfachem) Revisionsrecht investieren.