Archiv für den Monat: April 2013

Glaubwürdigkeitsgutachten beim BGH – einmal hopp, einmal topp

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Über den BGH, Beschl. v. 08.01.2013, 1 StR 602/12 hatte ich wegen der Problematik der (nicht ausreichenden) Begründung der Verfahrensrüge schon berichtet (vgl. hier Begründung der Verfahrensrüge – offenbar für manche Verteidiger doch (zu) schwer? Selbst Klassiker). Dabei hatte ich ja auch schon kurz darauf hingewiesen, das die Revision des Angeklagten auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte, weil der 1. Strafsenat des BGH die Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Glaubwürdigkeit der Geschädigten abgesegnet und der Strafkammer genügend eigene Sachkunde zugestanden hat, deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen:

„Nach diesen Maßstäben bedurfte es vorliegend keiner Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens, um der Amtsaufklärungspflicht zu entsprechen. Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des der Zeugin Aussagetüchtigkeit zuschreibenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit der Persönlichkeit der Zeugin und möglichen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aspekten, wie ihrer zeitweiligen psychiatrischen Behandlung, den Berichten von Déjà-vu-Erlebnissen sowie einer denkbaren Übertragung einer möglicherweise während ihres Aufenthaltes in Pakistan erlebten Vergewaltigung auf das Verhalten des Angeklagten, umfas-send und sorgfältig auseinandergesetzt sowie erkennen lassen, warum sie zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit aufgrund eigener Sachkunde in der Lage war. Angesichts der mit sachverständiger Hilfe rechtsfehlerfrei ausgeschlossenen Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit und dem Fehlen von Wahrnehmungsstörungen lagen in der Person der Zeugin keine solchen Besonderheiten vor, die eine in Jugendschutzsachen erfahrene Jugendkammer außer Stande gesetzt hätte, die Zuverlässigkeit der Angaben zu beurteilen. Erst recht bestanden keine Besonderheiten im genannten Sinn darin, dass Gegenstand der Aussage Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin waren und dass diese zur Zeit der geschilderten Vorfälle in kindlichem bzw. jugendlichem Alter war (vgl. BGH, aaO, NStZ-RR 2006, 241).“

Anders der 5. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 05.03.2013 – 5 StR 39/13. In dem Verfahren wurde dem Angeklagten sexueller Missbrauch und Vergewaltigung eines Jungen vorgeworfen. Zum Nebenkläger war festgestellt: „Der Nebenkläger war schon im Kindesalter verhaltensauffällig. Auf An-raten des behandelnden Psychologen und des Jugendamts wurde er 1992 aus der Familie herausgenommen und in die Obhut der Großmutter gegeben, hielt sich aber auch beim Angeklagten und seiner Mutter auf. Er befand sich mehrfach, auch stationär, in jugendpsychiatrischer Behandlung. So wurde er aus einer psychiatrischen Einrichtung im Kindesalter am 14. Januar 1993 entlassen und kehrte in die Obhut der Großmutter zurück. Einzelheiten der sexuellen Übergriffe teilte der Nebenkläger erstmals als Erwachsener seiner damaligen Lebensgefährtin und, nachdem sein Verteidiger solches pauschal in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren thematisiert hatte, im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 2. Januar 2012 mit.“

Bei der Ausgangslage reicht dem BGH die von der Kammer in Anspruch genommene eigene Sachkunde nicht:

„Die Beurteilung einer psychischen Störung des vielfach in psychiatrischen Einrichtungen untergebrachten sowie in seinem Aussageverhalten auffälligen Nebenklägers und von deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemein-gut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschlüsse vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232, und vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12, aaO). Eine solche ist weder dem Zurückweisungsbeschluss noch den Urteilsgründen zu entnehmen.“

Und: Die Verfahrensrüge war auch zulässig:. Zwar hatte der Verteidiger offenbar ebenso wie der im BGH, Beschl. v. 08.01.2013, 1 StR 602/12 nicht zur Einwilligung des Nebenklägers in eine Begutachtung vorgetragen. Das hat der 5. Strafsenat hier jedoch nicht beanstandet:

„Zwar bedarf es hierfür – was die Revision auch nicht verkennt – grundsätzlich des Vortrags der Einwilligung der zu begutachtenden Person in die beantragte Untersuchung (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12 mwN). Das kann aber dann nicht gelten, wenn einem Sachverständigen er-sichtlich unabhängig von einer Einwilligung des Zeugen die erforderlichen Erkenntnisse auch ohne persönliche Begutachtung verschafft werden können (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 27. März 1990 – 5 StR 119/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 7, vom 25. September 1990 – 5 StR 401/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 6, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347). So liegt es hier.“

Also auf ganzer Linie einmal Hopp, einmal Topp.

Uli Hoeneß und die Selbstanzeige – reicht sie/es? Und: Mehr als 50.000 €?

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Da macht man gestern einen Wochenspiegel und hat kein richtiges Top-Thema, aber dann: Es entwickelt sich eins am letzten Tag der Woche, nämlich die Selbstanzeige und die Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß. Davon sind die Gazetten und die Blogs voll. War klar, dass jemand, der so polarisiert und ggf. schweres Geschütz auffährt, mit heftigem Trommelfeuer rechnen muss. War auch klar, dass die Politik sich melden würde. Ist ja auch zu schön, die Steilvorlage  und alle haben etwas dazu zu sagen (vgl. hier).

Für diejenige, die sich informieren wollen, was bislang so geschrieben worden ist, ein „Zwischenüberblick“. Da haben wir

In der Presse dann weitere Details (entnommen LTO), vgl. die Hinweise auf: „die  Montags-SZ ( Andreas Burkert/Hans Leyendecker / Klaus Ott) und bild.de (Alfred Draxler)“.

Was in der Tat irritiert: Es soll eine Hausdurchsuchung bei Uli Hoeneß stattgefunden haben. Das dürfte „auf Unstimmigkeiten in der Selbstanzeige hin„deuten. Wenn das aber der Fall ist, dann könnte es  eng werden. Denn warum eine Hausdurchsuchung, wenn die Selbstanzeige ok war. Ich gehen mal davon aus, dass die Ermittlungsbehörden nicht wissen wollten, wie Uli Hoeneß wohnt. Eng deshalb, weil nur eine wirksame Selbstanzeige Straffreiheit bringt (s. § 371 Abs. 1 AO) – “ in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt“.

Eng ist/wird es aber ggf. so oder so schon, denn nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO tritt Straffreiheit tritt nicht ein, wenn „die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50 000 Euro je Tat übersteigt.“

Aber das muss man alles mal sehen. Jedenfalls steckt Musik drin.

Nachtrag um 11.47 Uhr: Natürlich gibt es auch noch den § 398a AO. Danke für die Hinweise 😀 (siehe bei den Kommentaren). Aber auch dessen Anwendung setzt ja mal zunächst eine wirksame Selbstanzeige voraus.

Wie gesagt: Es ist Musik drin.

Nachtrag um 12.45: Sehr schön auch die Zusammenstellung bei Handelsblatt.com. Natürlich auch, weil auf diesen Blogbeitrag verwiesen wird 🙂 😀 😉

 

Sonntagswitz: Dämliche Diebe XXII

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Es ist mal wieder Zeit für eine Fortsetzung der Serie: „Dämliche Diebe“:

In Recklinghausen brach ein drogenabhängiger Dieb in die Umkleideräume eines Sportvereins ein.
Dort durchsuchte der 30jährige die Spinde und entwendete zwei Brieftaschen. Die eine war fast leer, in der anderen befanden sich dreihundert Mark Bargeld.
Allerdings verlor er dabei seine eigene Brieftasche. Inhalt neben 14 Pfennigen Bargeld: Personalausweis und Führerschein.
Für die Polizei Routinearbeit…

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Im unterfränkischen Werneck hat ein Unbekannter einen Traktor entwendet, der mit 13 Tonnen Kartoffeln beladen war.
Nachdem er den Traktor laut Polizei aus einer offenen Lagerhalle gestohlen hatte, betätigte er während der Fahrt den Hebel für die Laderampe – und entlud die Kartoffeln auf einer Strecke von mehreren hundert Metern. Als der Anhänger umkippte, fuhr der Dieb zunächst weiter und zog den umgestürzten Anhänger hinter sich her. Schließlich machte er sich zu Fuß aus dem Staub.

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Eine feuchte Fussspur führte die Polizei in Herne schliesslich doch noch auf die Spur eines Einbrechers, der zuvor in einem Yachthafen Boote aufgebrochen hatte.
Nachdem er bei einem Bootseinbruch ertappt wurde, rettete er sich durch einen beherzten Sprung ins Wasser vor der Polizei.
Eine Suche mit Hilfe von Scheinwerfern blieb erfolglos, bis eine feuchte Spur auf einem Bootssteg die Beamten direkt ins Versteck des Langfingers in einer Yacht führte.

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Und dann war da noch der Bankräuber, der eine Sprkassenfiliale überfiel, anstatt des erwarteten Geldes jedoch nur einen Rüffel vom Filialleiter bekam:
„Hau ab, du Arsch, hier gibt’s kein Geld.“

Der Bankräuber flüchtete ohne Beute.

Wochenspiegel für die 16. KW, das war Waffenschmuggel im NSU-Verfahren (?), ein sturer Richter in Bayern und Uli Hoeneß

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Aus der 16. KW, die bei den Dauerbrennern der letzten Zeit – NSU-Verfahren und Mollath nicht viel Neues, aber ein wenig doch, gebracht hat, berichten wir über

  1. einen befürchteten (?) „Waffenschmuggel“ im NSU-Verfahren,
  2. den Fall Mollath,
  3. einen weiteren sturen Richter in Bayern, vgl. auch noch hier,
  4. die Selbstanzeige von Uli Hoeneß,
  5. eine Stromrechnung über 50.000 €, vgl. auch hier,
  6. die Haftung für Ehegatten beim Filesharing,
  7. die unzulässige Durchsuchung bei einem Zeitungsherausgeber,
  8. die Rabattaktion: Bei Regen gibt es Möbel zurück,
  9. einen Fernsehtipp, nämlich Schirachs Verbrechen,
  10. und dann war da noch das, was die Juristen in der 16 KW. erheiterte.

„Wie gewonnen, so zerronnen?“ – die Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren nach Freispruch

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Und dann schieben wir gleich noch eine weitere gebührenrechtliche Entscheidung hinterher, nämlich den OLG Köln, Beschl. v. 04.02.2012 – 2 Ws 837/12. Der setzt sich mit der Frage des Umfangs der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren auf die Wahlanwaltsvergütung nach teilweisem Freispruch auseinander. Das OLG Köln ist der Auffassung, dass der Anspruch des gerichtlich bestellten Verteidigers gegen den Beschuldigten auf Zahlung der Wahlverteidigergebühren nach teilweisem Freispruch oder sonstigem teilweisen Obsiegens des Beschuldigten nicht nur in Höhe des darauf entfallenden Anteils entfällt, sondern in Höhe der gesamten gezahlten Pflichtverteidigergebühren. Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das OLG hat sich der wohl h.M. angeschlossen, die übrigens auch von Volpert in Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, vertreten wird, und hat damit seine frühere Rechtsprechung aufgegeben:

„Zur Frage des Umfangs der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren werden zwei unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Die eine Auffassung hält die vollständige Anrechnung für geboten und begründet dies mit dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 S.2 RVG, der – ebenso wenig wie die Vorgängerregelung in § 100 BRAGO – nicht danach unterscheidet, ob die Landeskasse Pflichtverteidigergebühren gezahlt hat, die auf den Verfahrensteil entfallen, für den dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch zusteht. Auch sonst knüpften die Gebührentatbestände an das Verfahren im jeweiligen Rechtszug insgesamt an und nicht an einzelne Tatvorwürfe oder an abstrakte Kostenquoten.

Es werde lediglich das ansonsten durch Aufrechnung der Staatskasse mit Verfahrenskosten erzielbare Ergebnis vorweggenommen. (so : OLGe Düsseldorf, Beschluss vom 24.02.2010 – III-1 Ws 700/09-; Hamburg, Beschluss vom 03.09.2007 – 2 Ws 194/07 -, zitiert bei juris; Frankfurt in NStZ-RR 2008,264; zum Recht der BRAGO: OLGe Hamburg, Rpfleger 1999,413; Saarbrücken Rpfleger 2000, 564; weitere Nachweise bei Burhoff-Volpert, Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., § 52 RVG Randn. 58).

Die gegenteilige Auffassung hält die vollständige Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren für ungerechtfertigt, weil so der Erstattungsanspruch eines teilweise freigesprochenen Angeklagten häufig ins Leere gehe, was mit dem sich aus § 465 Abs. 2 StPO ergebenden Grundgedanken unvereinbar sei, dass der Angeklagte kostenmäßig so zu stellen sei, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre ( vgl. OLGe Celle NJW 2004,2396; Oldenburg StraFo 2007,127; Düsseldorf – 3. Strafsenat – NStZ-RR 1999,64 ).

Der Senat, der die Streitfrage bisher nicht zu entscheiden hatte, schließt sich der zuerst genannten Auffassung an. Soweit er in einer älteren Entscheidung zum Recht der BRAGO eine andere Ansicht vertreten hat (SenE vom 10.05.1994 – 2 Ws 84/94 ), hält er hieran nicht fest. Dem Einwand der Gegenmeinung, die volle Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren würde in Teilfreispruchfällen den Erstattungsanspruch des Angeklagten gegen die Staatskasse unterlaufen, ist zum einen entgegenzuhalten, dass die gesetzliche Verrechnungsbestimmung des § 52 Abs. 1 S.2 RVG lediglich ein Ergebnis vorwegnimmt, das andernfalls durch Aufrechnung eintreten würde. Das Argument, der Erstattungsanspruch laufe bei voller Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren ins Leere, greift zu kurz, da der Verurteilte infolge der Anrechnung von den Pflichtverteidigergebühren entlastet wird, die er der Staatskasse gem. Nr. 9007 KV – Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 zum GKG – als Kosten des für das Verfahren gerichtlich bestellten Verteidigers schuldet. Dass der rechtsunkundige Laie die Rechtslage nicht nachvollziehen kann (so OLG Oldenburg StraFo 2007,127), ist kein tragfähiges Gegenargument.

Zum anderen kann die Anwendung der Differenztheorie bei Teilfreisprüchen auch in anderen Fällen zum vollständigen Entfallen des Kostenerstattungsanspruchs führen, so etwa wenn ausscheidbare Mehrkosten für den Freispruchfall nicht feststellbar sind (zu einem solchen Fall s. Senat, Beschluss vom 04.01.2013 – 2 Ws 859/12).“