Archiv für den Monat: Januar 2013

Und nochmal Befangenheit: Die zu frühe Entscheidung

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Nach dem Posting zum KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – dann sofort noch ein Posting zu einer Ablehnungsfrage. Dieses Mal geht es um die „zu frühe Entscheidung“. Die abgelehnten Richtern hatten über ein früheres, gegen andere Richter gerichtetes Ablehnungsgesuch bereits am 04. 07.2012 entschieden , obgleich dem Angeklagten eine Frist zur Stellungnahme zu dienstlichen Erklärungen bis zum 06. 07. 2012 eingeräumt war. Darauf hat der Angeklagte (s)einen erneuten Ablehnungsantrag gestützt.

Dazu der BGH im BGH, Beschl. v. 18.12.2012 –  2 StR 122/12:

„Das zulässige Ablehnungsgesuch ist unbegründet. Die abgelehnten Richter haben dienstlich erklärt, dass sie versehentlich und in Unkenntnis der noch laufenden Äußerungsfrist entschieden haben. Anhaltspunkte, dass dies nicht zutreffen könnte, sind nicht ersichtlich. Aus der bloßen versehentlichen vorzeitigen Entscheidung ergibt sich für einen vernünftigen Angeklagten kein – Anhaltspunkt dafür, dass die Richter ihm nicht unvoreingenommen gegenüberstehen.“

Bei manchen Landgerichten wird eben zügig entschieden :-).

„Bin abgelehnt?“ – „Interessiert mich nicht, entscheide trotzdem…“

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„Bin abgelehnt?“ – „Interessiert mich nicht, entscheide trotzdem…“, so könnte man kurz den Sachverhalt beschreiben, der dem KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – 162 Ss 165/12 – zugrunde gelegen hat. Dort war nach Aufhebung eines ersten amtsgerichtlichen Urteils durch das KG vom nunmehr zuständigen Richter Termin zur Hauptverhandlung auf den 03. 07.2012, 12.00 Uhr, bestimmt worden, zu dem der Betroffene am 27. 04.2012 geladen wurde. Mit Schreiben vom 19. 06.2012 und 28. 06.2012 beantragte der Verteidiger des Betroffenen die Verlegung des Termins mit der Begründung, dass sein Mandant am Terminstag im Urlaub sei. Beide Anträge wies der Richter zurück. Vor dem Termin vom 03. 07. 2012 erschien der Verteidiger um 11.40 Uhr auf der Geschäftsstelle und gab dort einen Schriftsatz, gefertigt am selben Tag, ab, mit dem der Betroffene den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle brachte den Schriftsatz daraufhin zum Richter, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im Sitzungssaal befand. Über den Befangenheitsantrag entschied dieser jedoch nicht, sondern verwarf mit Urteil vom 03. 07. 2012 den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, da der Betroffene nicht zum Termin erschienen war. Auch der Verteidiger war zum Termin im Sitzungssaal nicht erschienen.

Das KG sagt im KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – 162 Ss 165/12: So nicht:

b) Die Verfahrensbeschwerde ist auch begründet, denn der abgelehnte Richter hätte nach dem Vorliegen des Ablehnungsantrages gemäß §§ 29 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG nur solche Handlungen vornehmen dürfen, die keinen Aufschub gestatteten. Dies war der Beginn der Hauptverhandlung nicht, da für den Richter ja ersichtlich war, dass zum Termin weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren. Auch Zeugen oder andere Verfahrensbeteiligte waren zum Termin nicht geladen worden. Erst recht war die Verkündung des angefochtenen Urteils nicht unaufschiebbar. … 

… Dadurch, dass der Richter nicht über den Ablehnungsantrag entschieden hat, obwohl er erwiesenermaßen davon Kenntnis hatte und gleichwohl die Hauptverhandlung bis zum Urteil durchführte, hat er die Verfassungsnorm des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtet, der dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter gewährleistet. Da anerkennt ist, dass eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und somit ein Verstoß gegen den absoluten Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegrund nach § 338 Nr. 3 StPO auch dann vorliegt, wenn die Verwerfung eines Ablehnungsantrages nach § 26a StPO als unzulässig auf einer willkürlichen Rechtsanwendung beruht (BVerfG, NJW 2005, 3410, 3011 ff., BGHSt 50, 216, 218 ff.; BGH, NStZ 2006, 51, 52 mit zustimmender Anmerkung Meyer-Goßner; BGH, NStZ 2006, 705, 707), muss dies erst recht für den Fall gelten, dass das Gericht einen Ablehnungsantrag bewusst ignoriert und keine Entscheidung darüber herbeiführt, denn hier liegt die Willkürlichkeit des Verhaltens auf der Hand. In einer derartigen Konstellation kann es auch im Rahmen des relativen Rechtsbeschwerdegrundes nach §§ 29 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG nicht darauf ankommen, ob das Ablehnungsgesuch der Sache nach unbegründet war oder rechtsfehlerfrei nach § 26a StPO als unzulässig hätte verworfen werden können, denn eine derartige Prüfung des Beruhens würde im Endeffekt dazu führen, dass auf jeden Fall die Entscheidung über den Ablehnungsantrag dem Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht überlassen wird, was mit der vom Gesetzgeber durch die Regelungen der §§ 26a, 27 StPO aufgestellten Zuständigkeitsverteilung unvereinbar ist und somit unter dem Gesichtspunkt der willkürlichen Richterentziehung einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründet.

Sorry, aber auf das Umgehen mit dem Ablehnungsantrag muss man erst mal kommen. Es ist schon „beachtlich“, dass den Richter der Ablehnungsantrag offenbar gar nicht interessiert hat.

 


Die Verkehrsordnung der Piste

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Draußen schneit es, der Winter ist da und es werden sich sicherlich in den nächsten Tagen viel Skifahrer auf den Pisten tummeln – von Münster aus ist man ja schnell im Sauerland (na ja, manche sagen, das seien dort keine „richtigen Berge“.

Nun egal, jedenfalls ist das Wetter und der Schnee Anlass genug, sich mit den Fragen des Skirechts zu befassen. . Das tut der hier auf LTO eingestellte Beitrag „Die Verkehrsordnung der Piste“.

Akteneinsicht: Akteneinsicht a la AG Gießen – KEINE Schutzgebühr für den Hersteller

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Folgende Ausgangslage: In einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung lehnt die Verwaltungsbehörde die Übersendung einer Fotokopie der Bedienungsanleitung des bei der Messung verwendeten Lasergeräts unter Hinweis darauf ab, dass kein Anspruch auf Übersendung bestehe. Sie hat auf die Möglichkeit verwiesen, die Bedienungsanleitung nach Terminsabstimmung vor Ort einzusehen oder direkt über den Hersteller anzufordern. Der Hersteller hatte auf Anfrage des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen dann eine Übersendung der Bedienungsanleitung des Lasergeräts nur gegen Zahlung einer „Schutzgebühr“ von EUR 25,00 zzgl. MwSt. und Versand in Aussicht gestellt.

Dagegen der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung, der beim AG Gießen Erfolg hat. Der AG Gießen, Beschl. v. 04.01.2013 – 5602 OWi 311/12 – führt aus:

„Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung am jeweiligen Ort der Polizeidienststelle, welche die Messung durchgeführt hat, ist im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahren und die auch vorliegend gegebene große Entfernung des Wohnorts des Antragstellers, bzw. des Orts der Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zum Tatort, nicht zumutbar. Ebenfalls nicht zumutbar für den Antragsteller ist die Zahlung eines Entgelts an den Hersteller des Lasergeräts in Höhe von EUR 25,00 zzgl. MwSt. und Versand für die Übersendung von Kopien der Bedienungsanleitung.

 Hingegen ist zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Antragstellers die Übersendung von Fotokopien der Bedienungsanleitung oder auch eines Datensatzes per E- Mail der Verwaltungsbehörde zur zumutbar. Der Übersendung von Kopien stehen keine wichtigen Gründe entgegen.

 Urheberrechtliche Bedenken gegen die Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung bestehen nicht, da die Bedienungsanleitung für das Lasergerät lediglich die vorgegebenen technischen Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise beschreibt und keine eigenständige Schöpfung ihres Autors darstellt (vgl. LG Ellwangen, Beschluss vom 25.10.2012, AZ 1 Qs 166/09).

M.E. zutreffend. Eine ähnliche Diskussion hatten wir schon mal beim AG Wetzlar und beim AG Wuppertal. Zur Frage des Urheberrechts verweise ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 07.01.2013, 3 Ws (B) 596/12 – 162 Ss 178/12– (vgl. dazu das Posting hier:Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung.

 

 

Pflichtverteidiger schon im Ermittlungsverfahren? Unter Hinweis auf EMRK ggf. ja

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Die StPO geht davon aus, dass im Ermittlungsverfahren für die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO obliegt nach h.M.  in erster Linie der Staatsanwaltschaft.

Fraglich ist, ob es Fälle gibt, in denen dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren allein auf seinen Antrag ein Verteidiger bestellt wird. Darum wird gestritten. Der LG Limburg, Beschl. v. 27.11.2012 – 5 AR 33/12 – hat die Frage vor einiger Zeit bejaht: Danach ist allein auf Antrag des Beschuldigten dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn anderenfalls die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären.

 2. Die Beiordnung im Ermittlungsverfahren war ohne Antrag der Staatsanwaltschaft auszusprechen. Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vergl. OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe StV 1998, 123; LG Cottbus StV 2002, 414; a. A. LG Bremen StV 1999, 532 – zitiert jeweils nach juris; Übersicht zur Rechtsprechung Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 141 Rz. 24) ist im Ermittlungsverfahren – von Sonderregelungen im Recht der Untersuchungshaft abgesehen – grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft für eine Beiordnung erforderlich. Diese Ansicht wird hier geteilt. Die nach § 141 III StPO gebotene Prüfung obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis, keinen Antrag zu stellen, bindet im Regelfall den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden. Die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird zudem überwiegend auch nicht im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG als überprüfbar angesehen (vergl. OLG Karlsruhe StV 1998, 123 mit weiteren Nachweisen). Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen (vergl. Löwe-Rosenberg a. a. O.). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen (vergl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 141 Rz. 7; offen gelassen OLG Karlsruhe StV 1998, 123 – juris).

M.E. der richtige Weg, wenn das LG die Beiordnung des Pflichtverteidigers jedenfalls dann ohne Antrag der Staatsanwaltschaft vornimmt, wenn davon auszugehen ist, dass im Erkenntnisverfahren auf jeden Fall die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers erforderlich sein wird. Dann kann es auf den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht mehr ankommen, bzw.: In den Fällen kann die Staatsanwaltschaft durch den Hinweis auf ihre fehlende Antragstellung die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in dem frühen Verfahrensstadium nicht sperren, weil damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegen würde.