Archiv für den Monat: Januar 2013

Die Garantenpflicht des betrunkenen Autofahrers

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Verkehrsrechtliche Entscheidungen des BGH gibt es – über § 315b StGB hinaus – m.E. gar nicht so häufig. Deshalb sind Entscheidungen des insoweit zuständigen 4. Strafsenats immer einen Bericht wert. Daher heute der Hinweis auf das BGH, Urt. v. 06.12.2012 – 4 StR 369/12. Folgender Sachverhalt:

Nach den Feststellungen befuhr der stark angetrunkene Angeklagte, der sich seiner Alkoholisierung und der damit zusammenhängenden Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit bewusst war, am 25. 09. 2010 gegen 2.40 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h die Hauptstraße in W. in Richtung R. . Die aus Fahrtrichtung des Angeklagten linke Fahrspur war durch eine Baustelle versperrt, der Verkehr wurde mittels einer Lichtzeichenanlage geregelt. Auf dieser Fahrspur standen ein Pkw und der Nachtbus an der roten Ampel. Der dunkel gekleidete Nebenkläger R. C. nutzte den Halt, um „auf Zuruf“ aus dem Bus auszusteigen. Er betrat schnellen Schrittes hinter dem Bus die dunkle Fahrbahn, ohne sich zu vergewissern, dass die Straße frei war. Der Angeklagte erfasste ihn ungebremst, so dass der Nebenkläger mit dem Becken auf die Motorhaube aufschlug und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe prallte. Sodann wurde er über das Fahrzeugdach von rechts vorne nach links hinten abgeworfen. Der Nebenkläger war erst eine Sekunde vor dem Anstoß zu sehen; der Angeklagte hatte ihn gar nicht wahrgenommen, weil er sich nach einem herunter gefallenen Feuerzeug gebückt hatte. Der Angeklagte setzte seine Fahrt fort, wobei er billigend in Kauf nahm, einen Menschen angefahren zu haben, der seine Hilfe benötigte. Der Nebenkläger wurde schwer verletzt. Er erlitt u. a. ein geschlossenes Schädelhirntrauma Grad I und eine epidurale Blutung sowie ein Kompartmentsyndrom am rechten Oberschenkel.

Gegen das landgerichtliche Urteil hatten auch der Nebenkläger und die StA Revision eingelegt. Die hatte Erfolg. Dazu der BGH:

1. Die Jugendkammer hat für den ersten Tatkomplex rechtsfehlerhaft nur fahrlässige Trunkenheit im Verkehr, § 316 Abs. 2 StGB, bejaht. Aus den Fest-stellungen ergibt sich, dass sich der Angeklagte von Anfang an seiner Fahruntüchtigkeit bewusst war. Die Annahme der Jugendkammer, der Angeklagte ha-be sich aufgrund jugendlicher Selbstüberschätzung und auch durch den Alko-holkonsum bedingter Fehleinschätzung irrig für fahrtüchtig gehalten, wird von den Feststellungen nicht getragen. Der Angeklagte hat sich in seiner Einlas-sung nicht einmal selbst darauf berufen.

Darüber hinaus hat es die Jugendkammer rechtsfehlerhaft unterlassen zu prüfen, ob sich der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat.

Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verkehrsunfall für einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen und vermeidbar war, ist nicht darauf abzustellen, ob der Fahrer in nüchternem Zu-stand den Unfall und die dabei eingetretenen Folgen bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte vermeiden können; vielmehr ist zu prüfen, bei welcher geringeren Geschwindigkeit er – abgesehen davon, dass er als Fahruntüchtiger überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte – noch seiner durch den Alkoholeinfluss herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können, und ob es auch bei dieser Geschwindigkeit zu dem Unfall und den dabei eingetretenen Folgen ge-kommen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 1970 – 4 StR 26/70, BGHSt 24, 31; Urteil vom 2. Oktober 1964 – 4 StR 297/64, VM 1965 Nr. 41; BayObLG, NStZ 1997, 388 m. Anm. Puppe; OLG Celle, VRS 36, 276; OLG Hamm, BA 1978, 294; OLG Koblenz, DAR 1974, 25; VRS 71, 281; OLG Zweibrücken, VRS 41, 113, 114). Es liegt nahe, dass der Angeklagte bei einer seiner alkoholbedingt herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit angepassten geringeren Geschwindigkeit selbst im Falle eines auch dann un-vermeidbaren Anstoßes zumindest geringere Verletzungen des Nebenklägers bewirkt hätte.

2. Im zweiten Tatkomplex beanstanden die Revisionsführer zu Recht, dass die Jugendkammer eine Garantenstellung des Angeklagten verneint hat.

Die Strafkammer hat auch in diesem Tatkomplex für die Frage, ob die Pflichtwidrigkeit des Angeklagten für den Unfall ursächlich geworden ist, allein auf den Vergleich mit einem vorschriftsgemäß am Straßenverkehr teilnehmenden Autofahrer abgestellt. Dieser Ausgangspunkt trifft nicht zu, wie oben dargestellt. Es liegt nahe, dass der Angeklagte angesichts seines alkoholisierten Zustands zu schnell gefahren ist und dadurch pflichtwidrig den Unfall oder jeden-falls schwerere Verletzungen des Nebenklägers verursacht hat. In diesem Fall wäre ohne weiteres eine Garantenstellung des Angeklagten gegeben (vgl. für den schuldlosen Kraftfahrer BGH, Urteil vom 6. Mai 1986 – 4 StR 150/86, BGHSt 34, 82 m. Anm. Rudolphi, JR 1987, 162, und Herzberg, JZ 1986, 986; vgl. auch MünchKommStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 126).

Zur Frage möglicher Verdeckungsabsicht verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 241/11, NStZ-RR 2011, 334.

Das noch dickere Ende kommt also noch für den Angeklagten.

 

(Laden)Diebstahl mit Waffen – Pflichtverteidiger? Ja…

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In dem – häufig alltäglichen „Kampf um die Pflichtverteidigerbestellung hilft jetzt vielleicht auch der LG Bonn, Beschl. v. 07.01.2013 – 21 Qs-222 Js 347/12-98/12 82 Ds 439/12. Das LG Bonn hat beim dem Vorwurf des Diebstahls mit Waffen ohne große Begründung die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO bejaht:

„Die Pflichtverteidigerbestellung ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO veranlasst, da wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage bezüglich der Feststellung eines Diebstahls mit Waffe gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Insbesondere die Frage des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt hinsichtlich des Beisichführens des Teleskopschlagstocks erscheint nicht einfach angesichts dessen, dass der Angeklagte angegeben hat, den Teleskopschlagstock berufsmäßig als Sicherheitsfachkraft dabei gehabt zu haben (vgl. etwa OLG Hamm v. 02.01.2007, Az. 2 Ss 459/06, juris-Rn. 10; BayObLG v. 25.02.1999, Az. 5St RR 240/98, juris-Rn. 8).“

Interessant an der Sache ist, was sich allerdings nicht aus dem Beschluss ergibt, sondern mir die übersendende Kollegin mitgeteilt hat: Es handelte sich um einen „Ladendiebstahl“.

Schiebetermin – ja oder nein? Nein, wenn Selbstleseverfahren angeordnet

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In der Praxis haben Verfahrensrüge häufig damit Erfolg, dass ein nach einer Hauptverhandlungsunterbrechung durchgeführter Hauptverhandlungstermin keine fristwahrende Sachverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 1, 2 und 4 Satz 1 StPO darstellte, sondern es sich nur um einen sog. „Schiebetermin“ gehandelt hat, so dass die Fristen nicht unterbrochen worden sind und an sich mit der Hauptverhandlung neu hätte begonnen worden müssen.

Streitig ist in der Rechtsprechung des BGH nun, ob vom Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 StPO getroffenen Feststellungen zum Selbstleseverfahren fristwahrende Sachverhandlung darstellen oder nicht. Das hat der 3. Strafsenats des BGH im BGH, Beschl. v. 16. 10. 2007 – 3 StR 254/07 – verneint. Der 5. Strafsenat des BGH hat das im gestern auf der Homepage des BGH eingestellten BGH, Beschl. v. 28.11. 2012 – 5 StR 412/12 – (vorgesehen für BGHST) hingegen bejaht:

„b) Entgegen der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 8) stellen allein die Feststellungen des Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO schon eine inhaltliche Sachverhandlung dar. Die Feststellung, dass außerhalb der Hauptverhandlung eine Beweiserhebung durch Selbstlesung einer Urkunde stattgefunden hat, erschöpft sich nicht in deren Protokollierung (vgl. hierzu Winkler, jurisPR-StrafR 6/2008 Anm. 1), sondern betrifft den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachaufklärung. Die Berufsrichter und die Schöffen geben auf Nachfrage des Vorsitzenden regelmäßig – wie auch hier – die festzustellende Erklärung ab, dass sie vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben; gleiches gilt für die Erklärung der übrigen Verfahrensbeteiligten, dass sie hierzu Gelegenheit hatten. Erst mit dem Akt der Feststellung durch den Vorsitzenden ist nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO dieser Teil einer Beweisaufnahme durch das Selbstleseverfahren abgeschlossen. Die Urkunde kann dann zum Gegen-stand von Erklärungen (§ 257 StPO) gemacht werden. Dem Tatgericht ist es ohne die abschließende Feststellung verwehrt, die Urkunde zur Urteilsfindung heranzuziehen (§ 261 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHSt 55, 31, 32).“

Und? Da war doch noch was? Ja, die Frage: Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 GVG GVG. Die „Klippe“ – wer legt schon gerne vor? – umschifft der 5. Strafsenat „elegant“ und wie in der Praxis häufig damit, dass der von ihm entschiedene prozessuale Sachverhalt eine Besonderheit aufweise. Na ja, kann man so sehen. Jedenfalls liegen jetzt zu der Frage zwei Entscheidungen vor, was zur Folge hat, dass die Frage, wenn sie demnächst noch einmal zur Entscheidung anstehen sollte, der Große Senat wird mitreden müssen.

 

Die „sofortige Beschwerde“ der Staatsanwaltschaft ist unzulässig…

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„Die „sofortige Beschwerde“ der Staatsanwaltschaft ist unzulässig.“ – das liest man auch nicht so häufig. Im Jugendrecht kann es dann aber schon mal passieren, wenn die StA „im Eifer des Gefechts“ nicht daran gedacht hat, dass ihr ein Rechtsmittel nicht zusteht, wenn ihr Antrag auf Widerruf von der Strafaussetzung einer Jugendstrafe abgelehnt worden ist. Darauf musste dann der LG Magdeburg, Beschl. v. 11.12.2012 – 22 Qs 81/12 – die Staatsanwaltschaft Halle hinweisen:

„Gemäß § 59 Abs. 3 JGG ist gegen den Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe im Sinne von § 26 Abs. 1 JGG die sofortige Beschwerde zulässig. Rechtsmittelberechtigt ist die Staatsanwaltschaft zwar zu Gunsten des Jugendlichen/Heranwachsenden im Falle des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung, jedoch besteht keine Anfechtungsmöglichkeit der Staatsanwaltschaft, wenn ihr Antrag auf Widerruf der Aussetzung abgelehnt wurde. Die Zulässigkeit einer gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossenen Beschwerde nach § 304 StPO widerspräche besonderen Zwecken und Bewertungen des jugendstrafrechtlichen Rechtsmittelrechts, wie sie sich – ent- gegen § 453 Abs. 2 S. 3 StPO – bezüglich der Unanfechtbarkeit aus § 59 Abs. 4 JGG (betreffend den Straferlass) und aus § 63 Abs. 1 JGG (betreffend den Beschluss über die Fortdauer der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe) ergeben. Der Heranwachsende gewinnt mit Gewährung der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung eine Vertrauensposition, die durch die gerichtliche Ablehnung des Widerrufs bestätigt wird, sodass ein nachträglicher Eingriff in diese Position auch erzieherisch abträglich wäre (vgl. insgesamt mit weiteren Nachweisen Eisenberg, 15. Aufl., § 59 JGG, Rn. 27). Der Versagung einer Anfechtung steht nicht entgegen, dass die zeitlich vorhergehenden Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bewährung anfechtbar sind (§ 59 Abs. 1, Abs. 2 JGG), denn § 59 JGG setzt die Anfechtungsmöglichkeiten der jugendrichterlichen Entscheidungen dem jeweiligen Kenntnisstand des Jugendrichters entsprechend fest. Dieser herrschenden Meinung in Literatur und in der Rechtsprechung schließt sich die Kammer an.“

 

Fahrverbot – wohin mit dem Führerschein zur Vollstreckung?

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Nach § 25 Abs. 2 Satz 2 StVG werden die von einer deutschen Behörde ausgestellten nationalen und internationalen Führerscheine für die Dauer eines verhängten Fahrverbotes amtlich verwahrt. Für die Berechnung der Fahrverbotsfrist ist von Bedeutung, wann und wo der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt (§ 59a StrVollStrO). Und da stellt sich dann häufig die Frage: Muss das bei der Staatsanwaltschaft oder kann das auch bei anderen Stelle sein, die zur Annahme bereit ist (vgl. § 59a Abs. 5 StrVollStrO)? Häufig sprechen Praktikabilitätsgründe – bessere Erreichbarkeit pp. für Letzteres.

Um die Frage haben ein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft Schwerin gestritten. Der Verteidiger hatte mitgeteilt, dass er den Führerschein für seine Mandantin bei der Kreisordnungsbehörde abgeben wolle. Die StA sah das anders und man traf sich beim AG Parchim im Verfahren über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wieder. Der AG Parchim, Beschl. v. 18.12.2012 – 5 OWiG 424/12 – hat dem Verteidiger Recht gegeben.

„Nach § 25 Abs. 2 S. 2 StVG werden die von einer deutschen Behörde ausgestellten nationalen und internationalen Führerscheine für die Dauer des Fahrverbotes amtlich verwahrt. Dabei enthält die Vorschrift allerdings keine Regelung, dass die amtliche Verwahrung regelmäßig nur bei der Vollstreckungsbehörde als eine solche anzusehen ist Vielmehr sprechen Praktikabilitätserwägungen dafür, die Abgabe des Führerscheines bei jeder das Fahrerscheindokument entgegennehmenden  Ordnungsbehörde als Abgabe in amtliche Verwahrung im Sinne de Vorschrift anzuerkennen.“