Archiv für den Monat: Januar 2013

Das StGB kennt viele Tatbestände, aber keinen „schweren sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen“

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Im StGB sind viele Tatbestände aufgeführt, es kennt aber keinen „schweren sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen“. Darauf hat der BGH im BGH, Beschl. v. 04.12.2012 – 2 StR 460/12 – das LG Koblenz hingewiesen, das den Angeklagten u.a. auch wegen „schweren sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen“ verurteilt hatte:

„Der Schuldspruch war zu berichtigen, da das StGB einen Straftatbestand des „schweren sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen“ nicht kennt. Davon unberührt bleibt der Strafausspruch, den das Landgericht zu Recht – soweit er nicht auf § 176 Abs. 1 StGB gestützt war – (Fälle 1-6) – dem Strafrahmen des § 174 Abs. 1 StGB entnommen hat.“

Da hatte sich das LG im Wirrwarr der Vorschriften der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wohl ein wenig verlaufen ;-).

 

Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung

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Das neue Jahr fängt gut, im Grunde mit einem kleinen Paukenschlag an. Gerade habe ich den KG, Beschl. v. 07.01.2013, 3 Ws (B) 596/12 – 162 Ss 178/12 – hereinbekommen, der sich mit der Frage der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung im Bußgeldverfahren befasst.

Und: Das KG gibt dem Verteidiger Recht. Der Leitsatz:

„Dem Verteidiger eines Betroffenen ist bei auf die Anwendung eines standardisierten Messverfahrens gestützten Verkehrsordnungswidrigkeitsvorwürfen im Rahmen des ihm zustehenden Akteneinsichtsrechts auch Einsicht in die dem Messverfahren zugrunde liegende Bedienungsanleitung zu gewähren, die dafür im Original oder in Kopie zu den Gerichtsakten zu nehmen ist.“

Der Beschluss enthält eine schöne Zusammenstellung der Rechtsprechung zu dieser Problematik; viele der Entscheidungen sind auch hier veröffentlicht worden. Und natürlich ist auch ein Hinweis auf den Cierniak-Aufsatz in zfs 2012, 664 (vgl. “Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen) enthalten. Der und die veröffentlichte Rechtsprechung ziehen also Kreise. Das freut mich :-).

Das KG hat im Übrigen auch zum Urheberrecht Stellung genommen und das grundsätzlich bejaht, allerdings auf § 45 UrhG verwiesen (s. auch Cierniak und mein Beitrag in in VRR 2011, 250, 253 ).

Schöner Beschluss, der zur Abrundung auch noch eine schöne Anleitung für den Verteidiger enthält, wie er im Verfahren vorgehen und was er in der Rechtsbeschwerde vortragen muss.

Zwangsweise ED-Behandlung – dafür gibt es keine Entschädigung

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Der später freigesprochene Betroffene wird in der nachts um 04:00 Uhr aufgenommenen Strafanzeige als Tatverdächtiger erfasst und zu einer Polizeidienststelle verbracht worden. Dort führen Polizeibeamte eine Messung der Atemalkoholkonzentration durch. Anschließend findet ausweislich eines als „Festnahmebericht“ bezeichneten Vermerks die erkennungsdienstliche Behandlung des damals Beschuldigten auf der Gefangenensammelstelle statt. Zuvor wurden ihm „aufgrund körperlicher Überlegenheit und der zahlreichen Fluchtmöglichkeiten“ Handfesseln angelegt. Eine Vorführung zum Ermittlungsrichter wurde nicht erwogen. Der Betroffene wird später vom Vorwurf der schweren Körperverletzung und der Beleidigung rechtskräftig freigesprochen; zugleich wird entschieden, dass er „für seine (…) vorläufige Festnahme in der Tatnacht“ zu entschädigen sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

Frage: Begründet?

Der KG, Beschl. v. 09.11.2012 – 4 Ws 120/12 – sagt: Ja, denn:

„2. § 2 StrEG zählt abschließend auf, welche Strafverfolgungsmaßnahmen zu einer Entschädigungspflicht des Staates führen. Nach der hier allein maßgeblichen Bestimmung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 StrEG zieht lediglich die vorläufige Festnahme nach     § 127 Abs. 2 StPO eine mögliche Entschädigungspflicht nach sich, nicht hingegen die – auch zwangsweise durchgeführte – Zuführung zur Identitätsfeststellung (vgl. KG, GA 1979, 225; D. Meyer, Strafrechtsentschädigung 8. Aufl., § 2 StrEG Rdn. 42 m.w.Nachw.; Meyer-Goßner, a.a.O., StrEG § 2 Rdn. 5) nach § 127 Abs. 1 Satz i.V.m. 163 b und c Abs. 1 StPO.

Für die Einordnung der Maßnahme ist die materielle Rechtslage maßgebend (vgl. KG, a.a.O.), nicht die (mitunter fehlerhafte) Bezeichnung – hier in der Überschrift des Vermerks vom 15. August 2010 – durch Polizeibeamte. Für eine vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO liegen keine Anhaltspunkte vor; es finden sich keine Hinweise, dass die polizeilichen Zwangsmaßnahmen auf den Vollzug von Untersuchungshaft bzw. vorläufiger Unterbringung gerichtet waren. Zudem ist dem damals Beschuldigten nicht kundgetan worden, dass er vorläufig festgenommen worden sei. Stattdessen ist er einer Untersuchung nach § 81 a Abs. 1 StPO (AAK-Messung) sowie Maßnahmen der Identifizierung und des Erkennungsdienstes nach § 81 b StPO (Lichtbildaufnahmen u.a.) zugeführt worden. Solche Maßnahmen zählen wegen der hiermit regelmäßig verbundenen geringen Eingriffsintensität nicht zu den entschädigungsfähigen Strafverfolgungsmaßnahmen (vgl. D. Meyer, a.a.O., Rdn. 9 m.w.Nachw.). Dies gilt auch, wenn – wie hier – unmittelbarer Zwang angewendet worden ist, um die erkennungsdienstliche Behandlung durchsetzen zu können (vgl. KG, a.a.O.).

 Für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des StrEG ist wegen deren klaren Regelungsgehaltes kein Raum; die Aufzählung der entschädigungsfähigen Tatbestände in § 2 Abs. 1, Abs. 2 StrEG ist abschließend (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 4 Ws 118/08 – m.w.Nachw.).

 

Der Cousin des Angeklagten – hat kein Zeugnisverweigerungsrecht

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Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer hatte einen an der Tat beteiligten und deswegen rechtskräftig abgeurteilten Cousin des Angeklagten als Zeugen geladen und ihn in der Hauptverhandlung wegen seines Verwandtschaftsverhältnisses zum Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO belehrt. Der Zeuge sagte zunächst zur Sache aus, auf „nochmalige Belehrung gemäß § 52 StPO“ erklärte er aber, dass er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache. Die Kammer hat das hingenommen. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Dazu der BGH, Beschl. v. 27. 11. 2012 – 5 StR 554/12:

Durch die Zubilligung eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO hat das Landgericht § 245 Abs. 1 StPO verletzt, wonach die Beweisaufnahme auf alle vom Gericht vorgeladenen und erschienenen Zeugen zu erstrecken ist. Der Cousin des Angeklagten durfte als lediglich im vierten Grad mit dem Angeklagten Verwandter (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO, § 1589 BGB) das Zeugnis nicht verweigern.

Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1996 – 2 StR 596/95, NJW 1996, 1685 mwN). Im Urteil ist die Aussage des Zeugen, die er bis zu seiner Zeugnisverweigerung getätigt hat, weder mitgeteilt noch beweisrechtlich gewürdigt worden. Wiedergegeben ist lediglich die Aus-sage eines an den Gewalthandlungen unbeteiligten Zeugen, der danach mit einer weiteren Person den Angeklagten und dessen Cousin vom Opfer getrennt und weggebracht hat (UA S. 11). Das deutet darauf hin, dass der Cousin des Angeklagten zumindest das Kerngeschehen wahrgenommen, wenn nicht sogar sich selbst daran beteiligt hat. Auch in seiner von der Revision mitgeteilten Beschuldigtenvernehmung schildert der Zeuge das Tatvorgeschehen, Provokationen und die nachfolgenden Gewalthandlungen. Mit Blick auf die mögliche Bedeutung seiner Zeugenaussage kann deshalb ein Beruhen des Urteils auf seiner partiell unterbliebenen Zeugenaussage trotz an sich rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung nicht ausgeschlossen werden.

Da hat man sich in der Kammer bei der Ermittlung des Verwandtschaftsgrades wohl verzählt. Am besten macht man sich da ein „Tableau“. Das gibt es übrigens u.a. in Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2013 (das war jetzt Werbung :-)).

Zweimal geschossen – deshalb höhere Strafe?

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Der Angeklagte wird vom LG wegen Totschlags verurteilt. Bei der Strafzumessung wird berücksichtigt, dass der Angeklagte zweimal geschossen hat. Der BGH, Beschl. v. 14.11.2012 – 3 StR 368/12 – beanstandet das und sagt: In diesem Fall unzulässig.

„2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben.
Die Strafkammer hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zum Nachteil des Angeklagten berücksich-tigt, dass er zwei Schüsse auf sein Opfer abgegeben hat. Damit hat es aber den ersten Schuss als straferschwerend bewertet, obgleich dieser möglicher-weise durch das Notwehrrecht des Angeklagten gerechtfertigt war. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese rechtsfehler-hafte Erwägung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Das Urteil musste deshalb im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben werden, soweit sie für die Frage von Bedeutung sind, ob die Abgabe des ersten Schusses durch den Angeklagten in Wahrnehmung eines Notwehrrechts geschah.…“