Archiv für den Monat: Oktober 2012

Kreativ gedacht – aber so geht es nicht mit der Kostengrundentscheidung

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Ich hatte gestern bereits wegen der mit dem Entstehen des Haftzuschlags zusammenhängenden Fragen über den OLG Nürnberg, Beschl. v. 22.120.2012 – 1 Ws 422/12 (vgl. hier: Haftzuschlag – Verteidiger muss nichts getan haben). Den Beschluss greife ich wegen der weiteren vom OLG entschiedenen Frage auf.

Nach dem Sachverhalt hatte das OLG offenbar in einer Strafvolstreckungssache einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Kosten(grund)entscheidung – offenbar, der Beschluss ist da ein wenig dünn -: „die hierdurch angefallenen Kosten zu Lasten der Staatskasse“. Bei der StVK wird das Verfahren dann fortgesetzt. Aufgrund der Kostenentscheidung macht der Verteidiger dann auch die im weiteren Verfahren bei der StVK nach Zurückverweisung angefallenen Kosten geltend.

Und das geht nicht, worauf das OLG zutreffend verweist:

„2. Die weitergehende sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Gebühren für das Verfahren vor der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing nach Zurückverweisung können nicht auf Grund der Kostenentscheidung im Senatsbeschluss vom 12.7.2011 (Az.: 1 Ws 295/11) geltend gemacht werden. Das Beschwerdegericht entscheidet nur über Kosten und Auslagen im Beschwerdeverfahren (bzw. über bis dahin angefallene Kosten), nicht auch über weitere, später anfallende Kosten nach Zurückverweisung. Diese Kosten beziehen sich auf ein neues, eigene Gebühren auslösendes Verfahren (vgl. auch Gieg in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl. § 473 Rn. 7). Anderes kann auch nicht der gewählten Formulierung „hierdurch angefallene“ Auslagen entnommen werden, da damit nicht alle späteren in irgendeiner Hinsicht kausalen Auslagen gemeint waren, sondern ersichtlich nur die im Beschwerdeverfahren anfallenden Auslagen.

 Auch aus der von der Beschwerdeführerin zitierten Fundstelle (Herget in Zöller, ZPO, 29. Aufl. § 97 Rn. 15; BGH NJW 1967, 203) folgt nichts anderes. Der dort genannte Fall bezieht sich auf eine Aufhebung und Zurückverweisung im Beschwerdeverfahren, bei welchem das Obsiegen in diesem Beschwerdeverfahren ausschließlich darauf beruhte, dass im Beschwerdeverfahren neues Vorbringen erfolgte, welches bereits im ersten Rechtszug hätte geltend gemacht werden können. So aber liegt der Fall hier nicht.“

Man hätte es auch anders sagen können: Die Kosten nach Zurückverweisung sind in einer neuen Angelegenheit entstanden, für die die Kostengrundentscheidung des OLG keine Wirkung hat. War ja kreativ gedacht vom Verteidiger, aber: Klappt nicht

„Butter bei die Fische“ – wenn Dritte gefahren sein sollen, muss man schon konkret werden

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Da muss man als Betroffener/Verteidiger schon konkret werden, wenn behauptet werden soll bzw. wird, dass nicht der Betroffene sondern auch ein Anderer/Dritter zum Vorfallszeitpunkt gefahren sein soll. Allgemeine Behauptungen helfen da nicht und zwingen das AG auch nicht zu einer Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit. Das folgt aus einem Zusatz zum OLG Hamm, Beschl. v. 13.09.2012 – III 1 RBs 128/12:

„Soweit der Betroffene nunmehr nachträglich noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, ist – unabhängig von der Verfristung dieser Rüge – anzumerken, dass sich das Amtsgericht mit der Einlassung des Betroffenen, dass auch Dritte gefahren sein könnten, auseinandergesetzt hat. Einer breiten Auseinandersetzung mit dieser – angesichts der Dürftigkeit der Einlassung des Betroffenen hierzu – rein hypothetischen Möglichkeit bedurfte es nach §§ 261 StPO, 71 Abs. 1 OWiG nicht (vgl. nur: BGH Beschl. v. 09.10.2002 – 2 StR 297/02). Nach den – für den Senat maßgeblichen – Feststellungen im angefochtenen Urteil wurde eine konkrete Möglichkeit der Nutzung des Fahrzeugs des Betroffenen durch Dritte zum Tatzeitpunkt (etwa Entwendung des Fahrzeugs, andere Familienmitglieder) nicht behauptet. Der lediglich als „in Betracht kommend“ dargestellte Sohn des Betroffenen wurde vom Amtsgericht als Fahrer ausgeschlossen.

Also: „Butter bei die Fische“ – und die näheren Umstände mitteilen/vortragen.

Die etwas ungewöhnliche „Haftverschonung“ – die eigene Todeserklärung

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Die Presse (vgl. hier) berichtet heute über einen Verurteilten, der sich vor einigen Jahren auf sicherlich ungewöhnliche, nicht alltägliche Art „Haftverschonung“ vor einer ihm drohenden dreijährigen Haftstrafe verschafft hat. Er hat sich selbst für tot erklärt und den Totenschein durch einen nicht existenten Arzt unterschreiben lassen. Die darauf beruhende (falsche) Sterbeurkunde hat er dann im Revisionsverfahren beim BGH eingereicht, der das Verfahren eingestellt hat.

Der Mann steht jetzt in Aachen erneut vor Gericht, aber nicht wegen der Geschichte, sondern wegen Betruges und Urkundenfälschung – er bleibt als „bei der Sache“. Und zwar u.a. deswegen: Er soll sich noch einmal für tot erklärt und für eine nicht existierende Ehefrau bei der Berufsgenossenschaft Hinterbliebenenrente bezogen haben – insgesamt rund 80.000 Euro.

Haftzuschlag – Verteidiger muss nichts getan haben

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Das RVG sieht an verschiedenen Stellen Gebühren mit Zuschlag vor, die der Verteidiger abrechnen kann, wenn sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befunden hat. Immer wieder wird dagegen versucht ein zu wenden, dass beim Verteidiger dann aber auch Erschwernisse entstanden sein müssen, da zu deren Abgeltung der Zuschlag diene.

Das ist schlicht falsch. Denn die h.M. geht davon aus, dass eben nicht tatsächlich Erschwernisse entstanden sein müssen. Der „Zuschlag“ ist also, wenn der Mandant inhaftiert war, eine Art „Zusatz-“ oder Garantiegebühr.

So zutreffend jetzt auch der OLG Nürnberg, Beschl. v. 22.120.2012 – 1 Ws 422/12, an dem alles passt, nur. Zitiert wird unser RVG-Kommentar leider noch in der 2. Aufl. :-(. Das OLG kurz und bündig:

„.. Die Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4205 VV entsteht immer dann, wenn der Mandant sich während eines sonstigen Verfahrens in der Strafvoll-streckung nicht auf freiem Fuß befindet (vgl. Volpert in Burhoff, RVG 2. Aufl. Nr. 4205 VV Rn. 2). Zwar ist Sinn und Zweck des Zuschlags, den Mehraufwand abzugelten, der anfällt, weil die Kontaktaufnahme mit einem inhaftierten Mandanten notwendig wird bzw. werden kann. Jedoch ist nicht erforderlich, dass derartige Erschwernisse oder Mehraufwendungen auch tatsächlich entstanden sind (vgl. Burhoff, RVG 2. Aufl. Vorbem. 4 Rn. 87 m.w.N.). Der Gebührenanfall setzt vielmehr nur voraus, dass der Mandant in dem Zeitabschnitt, für den die Gebühr anfällt, sich nicht in Freiheit befand, wobei die Dauer des Freiheitsentzugs ebenfalls ohne Bedeutung ist (Burhoff RVG, 2. Aufl. Vorbem. 4 Rn. 88 ff).

 Da vorstehend die Beauftragung der Verteidigerin ihr am 15.12.2010 und damit – wenn auch nur zwei Tage – vor der Entlassung des Mandanten aus der Haft zuging und von ihr an diesem Tage auch angenommen wurde, liegen die Voraussetzungen für den Anfall der Gebühr aus VV 4205 vor. Dementsprechend war der angefochtene Beschluss abzuändern…

Wegen der anderen behandelten Frage komme ich noch mal auf ihn zurück.

150 m Fahrstrecke reichen für Abstandsunterschreitung

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Die obergerichtliche Rechtsprechung, wie lang die Fahrstrecke sein muss, um eine Abstandsunterschreitung feststellen zu können, ist nicht ganz einheitlich und wird von OLG zu OLG unterschiedlich gesehen, wobei auch die Besonderheiten des Einzelfalls eine Rolle spielen. Auf der Grundlage hatte ein Verteidiger in der Rechtsbeschwerde beim OLG Hamm eine Fahrstrecke von 300 m eingefordert. Dazu verhält sich dann der OLG Hamm, Beschl. v. 30.08.2012 – III-1 RBs 122/12 -, der unter den dort gegebenen Besonderheiten eine Fahrstrecke von 150 m als ausreichend angesehen hat:

„Soweit ersichtlich werden in der Rechtsprechung Fahrstrecken von mehr als 150m mit zu geringem Abstand zum Vorausfahrenden nicht zwingend als Voraussetzung für die Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes aufgestellt, wenn die Messung in einem standardisierten Messverfahren im Form der Messung von einer Brücke (hier Vidit VKS 3.01 bei selektiver Erstellung von Identifizierungsfotos) stattfindet. Es werden zwar teilweise größere Abstände diskutiert, die aber zum Teil nicht als zwingend, sondern als ausreichend angesehen werden (so z.B. OLG Celle NJW 1979, 325; OLG Düsseldorf NZV 2002, 519) oder es lagen andere (unsichere) Messverfahren vor (vgl. OLG Celle NJW 1979, 325; OLG Karlsruhe NJW 1972, 2235). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof wird lediglich eine „nicht ganz vorübergehende“ Abstandsunterschreitung verlangt (BGH NJW 1969, 939, 940 f.). Konkrete Vorgaben zur Erforderlichkeit der gefahrenen Strecke gibt es hier nicht. Der Senat sieht vorliegend eine solche „nicht ganz vorübergehende“ Abstandsunterschreitung jedenfalls auf einer Strecke von mindestens 150m als gegeben an (ebenso auch OLG Koblenz Beschl. v. 10.07.2007 – 1 Ss 197/07; OLG Köln Urt. v. 28.03.1984 – 3 Ss 456/83 – juris; Hentschel/König/Dauer-König Straßenverkehrsrecht 41 Aufl. § 4 StVO Rdn. 22; vgl. auch BayObLG NZV 1994, 241). Dabei war zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht einen kurz zuvor erfolgten Fahrspurwechsel des dem Betroffenen vorausfahrenden Fahrzeugs rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, dass es sich vorliegend um ein standardisiertes Messverfahren mit deutlich geringeren Ungenauigkeiten, wie z. B. bei der Messung durch Nachfahren oder Schätzung handelt, und bei der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit von 155 km/h die Abstandsunterschreitung zeitlich auch mindestens 3 Sekunden angedauert haben muss. Das Gesetz selbst enthält keine Vorgaben zur Mindestlänge bzw. Mindestdauer der Abstandsunterschreitung. Etwaigen Ungenauigkeiten bestimmter Messmethoden kann durch eine Verlängerung der notwendigen Strecke, etwaigen anderen Einflüssen, insbesondere einem kurz zuvor stattgefundenen Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden, durch deren Ausschluss (wie hier) Rechnung getragen werden.“