Archiv für den Monat: Juli 2012

Gewogen und zu leicht befunden: Strafzumessung – wie man es nicht machen sollte.

© Thomas Becker – Fotolia.com

Das dem BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 5 StR 262/12 – zugrundeliegende landgerichtliche Urteil ist ein „schönes“ Beispiel, wie Strafzumessung nicht aussehen sollte. Der BGH lässt daher auch an der Strafzumessung des LG Saarbrücken kein gutes Haar. Denn

  • (Mal wieder) Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot:

„Im Rahmen der Prüfung minder schwerer Fälle nach § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB und des Vorliegens einer Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB berücksichtigt das Landgericht maßgeblich, „dass die Tathandlungen als solche auch schwerwiegend waren. Es kam zum Einfüh-ren des Fingers sowie von Gegenständen als auch zum Geschlechtsverkehr mit dem Kind“ (UA S. 21). Dies stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwer-tungsverbot dar. Da § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB eine Strafrahmenver-schiebung gerade für minder schwere Fälle des Qualifikationstatbestandes nach § 176a Abs. 2 StGB vorsieht, können Umstände, die diese Qualifikation erst begründen, nicht herangezogen werden, um einen minder schweren Fall abzulehnen (§ 46 Abs. 3 StGB analog; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 82).

  • Zu knappe Begründung der Einzelstrafen:

„Auch die äußerst knapp gehaltene Begründung für die konkrete Zumessung der Einzelstrafen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach einer formelhaften Wiedergabe des Textes von § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StGB beschränkt sich die Abwägung des Landgerichts darauf, dem für den Angeklagten sprechenden Umstand, „dass er bei den Taten nicht mit massiver körperlicher Gewalt gegen die Nebenklägerin einwirkte“, den Umstand gegenüberzustellen, „dass er das in ihn gesetzte Vertrauen grob missbrauch-te und ausnutzte“ (UA S. 22). Zwar braucht das Tatgericht im Allgemeinen in den Urteilsgründen nur diejenigen Umstände anzuführen, die für die Strafzumessung bestimmend sind (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Darstellung aller letztlich maßgebenden belastenden und entlastenden Umstände ist weder vorgeschrieben noch möglich. An die Wiedergabe der für die Strafzumessung bestimmenden Umstände sind aber umso höhere Anforderungen zu stellen, je höher die erkannte Strafe ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 1983 – 5 StR 587/83, StV 1984, 152). Das Landgericht hat Strafen verhängt, die sich im oberen Bereich der üblicherweise für vergleichbare Taten verhängten Strafen bewegen. Angesichts dessen bedurfte die Bemessung der Strafhöhen einer eingehenderen Begründung als geschehen.“

  • Rechtliche Bedenken bei der Bemessung der Gesamtstrafe

„Im Übrigen begegnet die Bemessung der Gesamtstrafe – für sich genommen – rechtlichen Bedenken. Das Landgericht verweist zwar auf den Umstand, dass die Taten in einem engen zeitlichen und situativen Zusam-menhang begangen wurden, zieht daraus aber keine erkennbaren Konsequenzen.“

Ergebnis: Gewogen und zu leicht befunden = Aufhebung und Zurückverweisung

Entscheidung gegen den Sachverständigen – als Strafkammer sollte man wissen, wie man damit umgeht

© Dan Race – Fotolia.com

Entscheidung gegen den Sachverständigen – als Strafkammer sollte man wissen, wie man damit umgeht, so heißt es in der Überschrift – bezogen auf den BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 5 StR 181/12). Ausgangspunkt der Entscheidung ist folgender Verfahrensablauf: Das LG verurteilt den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs. Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten hat das LG „keinerlei Zweifel daran, dass sich die Tathandlung sowie die übrigen sexuellen Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin so abspielten wie im Sachverhalt festgestellt“ (UA S. 18). Es weicht damit von der Beurteilung der aussagepsychologischen Gutachterin ab, die – entgegen ihrem schriftlichen Gutachten – „im Hinblick auf das Aussagematerial der Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung“ (UA S. 18) nicht mehr zu dem Ergebnis gelangte, dass deren Bekun-dungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien. In der Hauptverhandlung habe sich die „Qualität des Aussagematerials“ reduziert.

Der BGH, Beschluss moniert das als rechtsfehlerhaft:

„a) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01). Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 5 StR 173/00, NStZ 2000, 550). Aus den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen der Sachverständigen wird deutlich, weshalb sie von einer Reduzierung der „Qualität des Aussagematerials“ in der Hauptverhandlung ausgegangen ist, aufgrund derer sie nicht mehr an ihrer Einschätzung im schriftlichen Gutachten festhalten könne (UA S. 19). Die Mutmaßung der Sachverständigen, das Aussageverhalten der Nebenklägerin könne „aufgrund des großen Zeitinter-valls“ zwischen polizeilicher Vernehmung und Exploration einerseits und Hauptverhandlung andererseits oder mit dem schwierigen Lebensabschnitt erklärbar sein, in dem sich die Nebenklägerin befinde, ändert nichts an der – in einem unaufgelösten Widerspruch zitierten – Wertung der Sachverständigen, dass die Reduktion des Aussagematerials mit gutachterlichen Methoden nicht durch Vergessensprozesse erklärt werden könne.
Die Jugendschutzkammer stellt dieser Würdigung der Sachverständigen eine eigene Beweiswürdigung gegenüber, ohne sich dabei aber mit der von der Sachverständigen festgestellten Reduzierung der Aussagequalität der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung auseinanderzusetzen. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Aussage des Tatopfers das einzige Beweismittel ist, hat das Tatgericht eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der aussagepsychologischen Glaubwürdigkeitskriterien vorzunehmen (Brause, NStZ 2007, 505, 506). …“

„… das Schließen der Augen durch den Schöffen..“ – Revisionsgrund?

© GaToR-GFX – Fotolia.com

Der schlafende Richter/der schlafende Schöffe – gibt es ihn? Nun ja, zumindest immer wieder in der Rechtsprechung der Revisionsgerichte, wenn behauptet wird – im Strafverfahren im Hinblick auf den § 338 Nr. 5 StPO -, der Richter/Schöffe habe zeitweise geschlafen. Fraglich ist dann immer, wie das Schlafen eigentlich festgestellt wird bzw. welche Anzeichen vorliegen müssen. I.d.R. geht die Rechtsprechung davon aus, dass noch andere „Indizien“ hinzu kommen müssen, wie z.B. Schnarchen. Allein das Schließen der Augen dürfte wohl nicht ausreichen.

Anderer Ansicht war allerdings eine Verteidigerin in einer Revision beim BGH. Der BGH hat die Frage aber nicht entschieden bzw. nicht entscheiden müssen. Der entsprechende Vortrag war leider verspätet (vgl. BGH, Beschl. v. 04.07.2012 – 4 StR 25/12):

„Ergänzend bemerkt der Senat: Zur Rüge, ein Schöffe habe wäh-rend der Hauptverhandlung mehrfach geschlafen, ist der Tatsachenvortrag des Revisionsführers aufgrund der erholten dienstlichen Äußerungen jedenfalls nicht erwiesen. Soweit die Verteidigerin des Angeklagten mit Schriftsatz vom 9. Mai 2012 geltend macht, das Schließen der Augen durch den Schöffen sei „allein schon ein Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO, den wir hiermit … vortragen“, hat dies schon deshalb keinen Erfolg, weil die Rüge erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist und daher verspätet erhoben wurde.“

Ach so: Es soll übrigens auch schlafende Staatsanwälte geben – vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 02.03.2006 – 2 ss 1449/06.

 

Verteidiger aufgepasst – Verteidigerverschulden wird manchmal doch zugerechnet

© Thomas Becker – Fotolia.com

An sich kann sich der Rechtsanwalt, der als Verteidiger tätig ist, insoweit ganz entspannt zurücklehnen, als sein Verschulden im Straf-/Bußgeldverfahren – anders als im Zivilrecht – dem Mandanten i.d.R. nicht zugerechnet wird. Allerdings gibt es – wie immer – auch davon Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen wird vom BGH bei der Anhörungsrüge angenommen (§ 356a StPO). Das begründet der BGH mit deren Nähe zur Verfassungsbeschwerde. Dazu gerade noch einmal kurz der BGH, Beschl. v. 20.06.2012 –  5 StR 134/12, der auf die grundlegende Entscheidung des BGH verweist.

Die Anhörungsrüge ist nicht innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO angebracht worden. Wiedereinsetzungsgründe liegen nicht vor. Insbesondere wäre ein etwaiges Verschulden des Verteidigers an der Nichteinhaltung der Frist, weil dieser nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer Anhörungsrüge hingewiesen habe, dem Verurteilten zuzurechnen. Bei fehlerhafter Erhebung der Gehörsrüge muss sich ein Verurteilter Verteidigerverschulden zurechnen lassen, weil es sich in erster Linie um die Vorstufe der Verfassungsbeschwerde handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2008 – 1 StR 162/08, wistra 2009, 33, vom 17. Juli 2009 – 5 StR 353/08 –, vom 24. Juni 2009 – 1 StR 556/07 – und vom 20. Mai 2011 – 1 StR 381/10, wistra 2011, 315). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Anhörungsrüge auch in der Sache offensichtlich erfolglos wäre.

Zum Wochenauftakt einen Lesetipp: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

© Kzenon – Fotolia.com

Zum Wochenauftakt: Auf meiner Homepage Burhoff-online steht seit Samstag der Volltext zu meinem Beitrag „Der „Gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr“ (§ 315b StGB) in der Rechtsprechung des BGH“ aus VRR 2012, 251, zum – wie immer – kostenlosen Download bereit. Vielleicht hilft er ja in Verfahren, in denen es um diese Vorschrift, die in der verkehrsstrafrechtlichen Rechtsprechung des BGH eine große Rolle spielt, geht.