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Nickerchen in der Verhandlung, oder: Wenn der Richter (ein)schläft

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Immer wieder gibt es Entscheidungen, nach deren Lektüre man denkt: Das gibt es doch nicht. Zu der Kategorie gehört der BSG, Beschl. v. 18.05.2017 – B 13 R 289/16 B. Es geht um einen während der Verhandlung beim LSG Baden-Württemberg eingeschlafenen Richter, also Sozialrecht. Daher kommt die Entscheidung auch im „Kessel Buntes“. Aber das Problem gibt es „spartenübergreifend“.

Entscheiden musste das BSG folgenden Sachverhalt: Im Streit war die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit: Die Klage des Klägers hatte weder beim SG noch beim LSG Erfolg. Der Kläger hat dann Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG erhoben und hat die wie folgt begründet: „………. der von seiner Position aus betrachtet rechts auf der Richterbank sitzende ehrenamtliche Richter habe während der gesamten Dauer der mündlichen Verhandlung von 10:22 Uhr bis 10:48 Uhr geschlafen und die Augen erst wieder geöffnet, als die Verhandlung beendet gewesen sei. Nach verspätetem Eintreffen und Platznehmen im Sitzungssaal sei er mit auf die Brust gesunkenem Haupt sofort eingeschlafen und habe tief sowie hörbar geatmet. Wegen des verspäteten Eintreffens dieses ehrenamtlichen Richters habe der erkennende Senat des LSG das Urteil in der streitbefangenen Sache nicht nach Beratung am Ende der mündlichen Verhandlung, sondern erst am Ende des Sitzungstages verkündet. Der ehrenamtliche Richter sei am Ende der Verhandlung jedoch nicht orientiert gewesen und habe erst durch die R inLSG H. darauf hingewiesen werden müssen, dass er sitzen bleiben könne, weil sogleich weiter verhandelt werde. Es habe sich ersichtlich nicht nur um eine kurzfristige Ablenkungs- und Ermüdungserscheinung gehandelt. …2

Das BSG gibt dem Kläger Recht und hebt wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung auf:

„Vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts iS des § 547 Nr 1 ZPO bedeutet, dass jeder Richter die zur Ausübung des Richteramts erforderliche Verhandlungsfähigkeit besitzt und damit auch in der Lage ist, die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung wahrzunehmen und sie aufzunehmen. Das wiederum setzt voraus, dass der Richter körperlich und geistig im Stande ist, der Verhandlung in allen ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Das Gericht, also jeder einzelne Richter, muss seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewinnen (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Nur wenn der Richter die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung aufgenommen hat, ist er seiner Aufgabe gewachsen, sich sein Urteil selbstständig und ohne wesentliche Hilfe der anderen Richter zu bilden und so an einer sachgerechten Entscheidung mitzuwirken. Die damit gebotene Aufmerksamkeit, die ihn befähigt, der Verhandlung zu folgen und sich den Verhandlungsstoff anzueignen, fehlt einem Richter, der in der mündlichen Verhandlung eingeschlafen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Richter wesentlichen Vorgängen nicht mehr folgen konnte. Allerdings sind Zeichen einer großen Ermüdung, Neigung zum Schlaf und das Kämpfen mit der Müdigkeit noch kein sicherer Beweis dafür, dass der Richter die Vorgänge in der Verhandlung nicht mehr wahrnehmen konnte. Auch das Schließen der Augen und das Senken des Kopfes auf die Brust, selbst wenn es sich nicht nur auf wenige Minuten beschränkt, beweist noch nicht, dass der Richter schläft. Diese Haltung kann vielmehr auch zur geistigen Entspannung oder besonderen Konzentration eingenommen werden. Deshalb kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise „abwesend“ ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung (vgl BVerwG Beschluss vom 19.7.2007 – 5 B 84/06 – Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr 88 – Juris RdNr 2).“

Und davon geht das BSG aufgrund einer Gesamtwürdigung aus, denn:

  • Zeuge bestätigt, dass die Verhandlung wegen des verspäteten Erscheinens des ehrenamtlichen Richters  zeitverzögert begonnen hat.
  • Zeuge bemerkt, wie der ehrenamtliche Richter Schwierigkeiten gehabt habe, wach zu bleiben. Obwohl er einige Blätter Papier in der Hand gehalten habe, sei er offensichtlich ständig dabei gewesen einzunicken, seine Augen seien geschlossen, sein Körper nach vorn gebeugt gewesen und von Zeit zu Zeit sei er merklich leicht aufgeschreckt bzw habe sich kurz vor dem „Wegkippen“ des Kopfes wieder gefangen. Auch habe er den Eindruck gewonnen, dass der oder die Richter/Richterin neben dem ehrenamtlichen Richter dies ebenfalls bemerkt habe.
  • Letztere Angabe werden im Wesentlichen von den beiden beisitzenden Berufsrichtern bestätigt. Der eine Berufsrichter hat den Schöffen „zwei oder drei Mal dezent mit dem Fuß angestoßen – ob auch mit der Hand, sei ihm nicht mehr erinnerlich -, um zu bewirken, dass dieser seine Körperhaltung ändere. Der ehrenamtliche Richter habe hierauf jeweils reagiert und seine Körperhaltung für eine gewisse Zeit aufgerichtet.“

Das ist für das BSG nicht mehr nur ein „kurzes Einnicken“. Was ich mich frage: Warum machen die beiden Berufsrichter den Vorsitzenden nicht auf den „schlafenden Richter“ aufmekrsam, wenn der es nicht selbst gemerkt hat, damit die Verhandlung zumindest unterbrochen werden kann. Ein wenig sieht das nach der Methode: „Augen zu und durch“, aus. Passt ja gut der Spruch 🙂 .

„… das Schließen der Augen durch den Schöffen..“ – Revisionsgrund?

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Der schlafende Richter/der schlafende Schöffe – gibt es ihn? Nun ja, zumindest immer wieder in der Rechtsprechung der Revisionsgerichte, wenn behauptet wird – im Strafverfahren im Hinblick auf den § 338 Nr. 5 StPO -, der Richter/Schöffe habe zeitweise geschlafen. Fraglich ist dann immer, wie das Schlafen eigentlich festgestellt wird bzw. welche Anzeichen vorliegen müssen. I.d.R. geht die Rechtsprechung davon aus, dass noch andere „Indizien“ hinzu kommen müssen, wie z.B. Schnarchen. Allein das Schließen der Augen dürfte wohl nicht ausreichen.

Anderer Ansicht war allerdings eine Verteidigerin in einer Revision beim BGH. Der BGH hat die Frage aber nicht entschieden bzw. nicht entscheiden müssen. Der entsprechende Vortrag war leider verspätet (vgl. BGH, Beschl. v. 04.07.2012 – 4 StR 25/12):

„Ergänzend bemerkt der Senat: Zur Rüge, ein Schöffe habe wäh-rend der Hauptverhandlung mehrfach geschlafen, ist der Tatsachenvortrag des Revisionsführers aufgrund der erholten dienstlichen Äußerungen jedenfalls nicht erwiesen. Soweit die Verteidigerin des Angeklagten mit Schriftsatz vom 9. Mai 2012 geltend macht, das Schließen der Augen durch den Schöffen sei „allein schon ein Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO, den wir hiermit … vortragen“, hat dies schon deshalb keinen Erfolg, weil die Rüge erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist und daher verspätet erhoben wurde.“

Ach so: Es soll übrigens auch schlafende Staatsanwälte geben – vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 02.03.2006 – 2 ss 1449/06.