Archiv für den Monat: Juni 2012

„Unverzüglich“ ist nicht sofort – jedenfalls bei der Pflichtverteidigerbestellung

Inzwischen kann man es als h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung bezeichnen, dass „unverzüglich“ nach Beginn der Vollstreckung i.S. des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht sofort bedeutet, sondern auch in den Fällen der Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. StPO dem Beschuldigten/Angeklagten eine angemessene Frist zur Auswahl/Bestimmung eines Pflichtverteidigers seiner Wahl einzuräumen ist. So vor kurzem der OLG Dresden, Beschl. v. 04.04.2012 – 1 Ws 66/12 – und auch (noch einmal) der KG, Beschl. v. 30.04.2012 – 4 Ws 40/12

„Zwar wird der zu bestellende Verteidiger von dem Vorsitzenden ausgewählt; dem Beschuldigten muss aber Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO. Da gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO der vom Beschuldigten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, begründet die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO entgegen ihrem Wortlaut („soll“) eine Anhörungspflicht, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann (vgl. Senat Beschluss vom 3. Dezember 2008 – 4 Ws 119/08 – , m.w.Nachw.). Dem Beschuldigten ist dabei eine angemessene Überlegensfrist zur Stellungnahme und Auswahl eines Verteidigers zu gewähren. Dies gilt auch in Haftsachen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 2 Ws 50/11 – = StV 2011, 349). Der Wortlaut des Gesetzes, wonach die Bestellung „unverzüglich“ nach Beginn der Vollstreckung zu erfolgen hat (§ 141 Abs. 3 Satz 4 StPO), steht dem nicht entgegen. Dies besagt lediglich, dass dem Verfahren wegen der Freiheitsentziehung auch insoweit besonders beschleunigt Fortgang zu geben ist. Ein Vorenthalten jeglicher Möglichkeit, nach einer Überlegensfrist von im Regelfall mindestens einigen Tagen Stellung zu beziehen, hat der Gesetzgeber damit ersichtlich nicht bezweckt, zumal er die Anhörung nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO in Haftsachen nicht hat entfallen lassen.“

Wird das Auswahlrecht des Beschuldigten nicht beachtet, kommt es zur Entpflichtung/Umpflichtung/Auswechselung, wie immer man das nennen will. Auch das ist inzwischen h.M. der Obergerichte.

 

Ja, aber, oder: Messwinkelabweichung bei Traffipax, aber verwertbar

Messfehler bei (Geschwindigkeits)Messungen führen nicht unbedingt zur Unverwertbarkeit der Messung. Vielmehr kann die Messung ggf. verwertet werden, dann aber mit einem höheren Sicherheitsabschlag. Das macht der OLG Hamm, Beschl. v. 05.04.2012 – III 3 RBs 41/12 – in einem Zusatz noch einmal deutlich. Da heißt es:

Das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung mit dem Radarmessgerät Traffipax speedophot ist entgegen der Auffassung des Betroffenen verwertbar. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat zwar – unter Berücksichtigung der „Schrägfahrt“ des vom Betroffenen geführten Fahrzeuges zum Messzeitpunkt – eine Messwinkelabweichung zuungunsten des Betroffenen von 2,1° (tatsächlicher Messwinkel 17,9°, vorgeschriebener Messwinkel 20°) festgestellt (vgl. allgemein zu den Auswirkungen von Messwinkelabweichungen auf das Messergebnis bei Radarmessgeräten Böttger in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2009], Rdnr. 1397 ff). Diese Messwinkelabweichung führt indes nicht zu einer Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Das sachverständig beratene Amtsgericht hat diese Abweichung dadurch berücksichtigt, dass es von der vom Messgerät angezeigten Geschwindigkeit von 103 km/h zunächst 2 km/h wegen der Messwinkelabweichung in Abzug gebracht und sodann den „allgemeinen“ Toleranzabzug von 3% (vgl. Böttger, a.a.O., Rdnr. 1395) – hier zu Gunsten des Betroffenen aufgerundet auf 4 km/h – berücksichtigt hat, so dass es seiner Entscheidung im Ergebnis eine gefahrene Geschwindigkeit von nur 97 km/h zugrundegelegt hat. Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen liegt hierin nicht.“

Anmerkung: Es freut mich als Herausgeber natürlich, dass das OLG auf „unser“ OWi-Handbuch verweist: Nur: Ist das Land NRW denn so klamm, dass es dem OLG Hamm noch nicht mal die aktuelle Auflage zur Verfügung stellen kann? Das sollte doch dran sitzen :-). Und die Vorlage 🙂 nehme ich dann gern für Werbung.

 

Nochmals: Wie steht es eigentlich mit der Neuregelung des § 81a Abs. 2 StPO?

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Gut ein Jahr vor Ende der Legislaturperiode muss man ja sehen, was so alles in Berlin noch in der Pipeline ist und was da somit noch alles im nächsten Jahr in einem „Schnellschuss“ auf uns zukommen kann.

Zu den „angeleierten“ Gesetzervohaben gehört auch die Neuregelung des § 81a Abs. 1 StPO auf der Grundlage des  Gesetzesentwurfes des Landes Niedersachsen, zu dem es dann die BT-Drucksache 17/4232 gibt. Stand der Dinge – ebenso wie noch zur Zeit unseres Beitrags Was macht eigentlich die Neuregelung des § 81a Abs. 2 StPO?:

Ruhe an dieser Stelle. Im Bundestag nach wie vor nicht beraten.

Also immer noch: Weiter abwarten, ob und was da kommt.

Zwei Fliegen mit einer Klappe bzw. zwei auf einen Streich

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Im Straf-/Verkehrsrecht ist folgende Konstellation häufiger anzutreffen. Dem Angeklagten wird ein Verstoß gegen das BtM-Gesetz zur Last gelegt, in Zusammenhang damit kommt es zu einer Fahrt mit einem Pkw. So auch im BGH, Beschl. v. 3. 5. 2012 – 3 StR 109/12: Da war es bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; die Betäubungsmittel hatte der Angeklagte in einem Wald versteckt. Von dort holt er sie ab. Nach der Abholung gerät der Angeklagte mit seinem Pkw in eine Polizeikontrolle. Eine  Blutprobe ergibt eine BAK von 1,43 Promille sowie Hinweise auf Cannabiskonsum. Insoweit leiteten die Strafverfolgungsbehörden ein gesondertes Verfahren wegen des Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) ein, in dem der Angeklagte durch Strafbefehl rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Außerdem liegt gegen ihn ein davor ergangenes Urteil des LG vor, das den Angeklagten wegen des BtM-Handels verurteilt. Damit hat es der BGh zu tun.

Auf die Revision hin stellt der BGH ein:

„Dem weiteren Verfahren steht ein dauerndes Verfahrenshindernis entgegen, weil durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Neuss, der in seinen Wirkungen einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 410 Abs. 3 StPO), Strafklageverbrauch eingetreten ist.
Der Strafbefehl betrifft dieselbe Tat wie das vorliegende Verfahren. Der Begriff der Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 Abs. 1 StPO bezeichnet dabei den geschichtlichen und dadurch zeitlich wie sachverhaltlich begrenzten Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2009 – 3 StR 566/08, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 47). Danach stehen die vom Angeklagten begangene Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB) und der von ihm gleichzeitig verwirklichte Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Verhältnis der prozessualen Tatidentität. Denn die Fahrt diente … gerade dem Transport der Betäubungsmittel, so dass das Mitführen der Betäubungsmittel nicht nur in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, sondern – darüber hinaus – in einem inneren Beziehungs- oder Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang stand (vgl. dazu BGH aaO.; Beschluss vom 27. April 2004 – 1 StR 466/03, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 41).

Da der Besitz der für den Weiterverkauf bestimmten hälftigen Menge der Betäubungsmittel in nicht geringer Menge wiederum einen unselbständigen Teilakt des beabsichtigten Handeltreibens mit dieser hälftigen Menge darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 [richtigerweise 2010] – 4 StR 521/10, NStZ-RR 2011, 90), kann der Angeklagte wegen … bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) insgesamt nicht bestraft werden. Dies gilt mit Blick auf den hierzu in Tateinheit stehenden Besitz der zum Eigenverbrauch bestimmten hälftigen Menge der Betäubungsmittel in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und den hiervon als subsidiär verdrängten Erwerb dieser Menge (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 9 BtMG) in entsprechender Weise.“

Dass dem BGH das Ergebnis nicht passt, kann man deutlich merken. denn wie anders soll man sonst folgende Formulierung verstehen:

„Der Vorgang belegt erneut, dass die oft geübte Praxis, Verkehrsdelikte auch dann gesonderter Bearbeitung zuzuführen, wenn sie im Zusammenhang mit Delikten der allgemeinen Kriminalität begangen wurden, nicht unproblematisch ist.“

Sicherungshaft – sie unterliegt strengen Anforderungen

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Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) ist nicht unumstritten. Teilweise wird seine Verfassungsmäßigkeit angezweifelt. So weit gehen die OLG in ihrer Rechtsprechung allerdings nicht. Sie stellen aber doch verhältnismäßig strenge Anforderungen an die Bejahung dieses Haftgrundes. Die fasst der Leitsatz des KG, Beschl. v. 28. 02..2012 – 4 Ws 18/12 – noch einmal zusammen:

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 StPO) dient nicht der Verfahrenssicherung, sondern soll die Rechtsgemeinschaft vorbeugend vor weiteren Straftaten schützen, so dass an diese präventive Sicherungshaft aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen sind. Danach muss der Angeklagte zunächst dringend verdächtig sein, wiederholt Straftaten nach dem enumerativen Katalog des § 112 a Abs. 1 StPO begangen und dadurch die Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung der Opferperspektive schwerwiegend beeinträchtigt zu haben. Zudem muss eine Freiheitsentziehung von mehr als einem Jahr zu erwarten sein. Zu berücksichtigen sind auch die früheren Taten des Angeklagten.

In der Sache hat das KG dann aber die Voraussetzungen des § 112a StPO bejaht. Interessant zudem in dem Zusammenhang: § 112 a StPO ist auch im Jugendstrafrecht anwendbar .