Archiv für den Monat: November 2010

Wer austeilt, muss auch einstecken können, oder: Nun mandeln Sie sich doch nicht so auf.

Ich will jetzt nicht auch wie die Kollegin Rueber über Sprichwörter berichten (vgl. z.B. hier), allerdings fiel mir bei der Lektüre des Beschl. des BGH v. 03.11.2010 – 1 StR 500/10 sogleich das mit den Steinen und dem Glashaus ein :-).

Wenn man den Sachverhalt liest, ist man schon erstaunt. Da äußert der Verteidiger – so sieht es der BGH – gegenüber der Staatsanwältin am ersten Haupverhandlungstag „sie solle doch nicht dümmer tun, als sie tatsächlich sei“, was nun nicht unbedingt zur Klimaverbesserung beiträgt. :-). Dann gibt es Streit um die Aushändigung/Anfertigung von Kopien, in dessen Verlauf der Vorsitzende zum Verteidiger sagt: „„Jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf. Sie kriegen jetzt keine Kopie“ (so in der Revisionsbegründung) oder „er – der Verteidiger – solle sich nicht so aufmandeln“ (so in der dienstlichen Stellungnahme des Strafkammervorsitzenden).“ Was macht der BGH?

Er führt zu dem auf das „Mandeln“ gestützte Ablehnungsgesuch aus:

Die Verwendung des Begriffs „aufmandeln“ seitens des Vorsitzenden der Strafkammer (beim Landgericht Kempten) gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten vermag hier den Eindruck der Befangenheit nicht zu begründen. Dieser Begriff wird im bayerischen Sprachraum häufig gebraucht. Er ist abgeleitet von der bayerischen Verkleinerungsform für Mann (Mandl). „Mandeln Sie sich nicht so auf“ beinhaltet zwar eine gewisse Kritik (etwa: spielen Sie sich doch nicht so auf). Gerade durch die Verwendung der lokalen Sprachform wird dem Vorwurf aber die Schärfe genommen. Dementsprechend erklärte auch der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme, er habe mit der „Verwendung des freundlich bleibenden und hier nicht ungebräuchlichen Ausdrucks“ nur weiteres „unnötiges Insistieren“ verhindern wollen. Diese Erläuterung in der dienstlichen Erklärung ist für sich schon geeignet, ursprüngliches Misstrauen zu beseitigen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2002 – 1 StR 557/01). Im Übrigen kann der tadelnde Hinweis „nun mandeln Sie sich doch nicht so auf“ oder „jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf“ vor dem Hintergrund des von der Strafkammer in ihrem Beschluss über die Zurückweisung des Befangenheitsantrags geschilderten Prozessverhaltens des Verteidigers nur als eine auf bayerisch eher zurückhaltend formulierte Bitte um Respektierung des Rechts und der Pflicht des Strafkammervorsitzenden, die Verhandlung zu leiten (§ 238 Abs. 1 StPO), sowie um Wahrung des – auch standesrechtlich geforderten (§ 43a BRAO) – Gebots der Sachlichkeit verstanden werden.

Wie gesagt: Wer austeilt, muss auch einstecken können…

Verleihe nie deinen Ausweis, denn das könnte fatale Folgen haben

Na, das habe ich bisher aber auch noch nicht gelesen bzw. der Sachverhalt, der der Entscheidung des BVerfG v. 10.09.2010 – 2 BvR 2242/09 zugrunde liegt, dürfte in der Praxis nicht so häufig vorkommen. Da wendet sich ein Verurteilter gegen die Ablehnung der Berichtigung eines Strafurteils. Er macht geltend: Er sei trotz übereinstimmender Personalien nicht die in der Hauptverhandlung erschienene und verurteilte Person und habe auch mit dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nichts zu tun. Der wahre Täter und Verurteilte sei ein anderer. Er habe diesem zeitweise seinen Ausweis überlassen. Nachdem er, der Verurteilte, zur Hauptverhandlung geladen worden sei, habe ihm der wahre Täter versprochen, die Sache zu regeln. Weiterlesen

Kleiner Grundkurs zur Verständigung (§ 257c StPO)

Verständigung, Verständigung, Verständigung und kein Ende. An der Vielzahl der derzeit vom BGH kommenden Entscheidungen zu § 257c StPO kann man m.E. u.a. auch deutlich ablesen, dass in der Praxis „mehr verständigt“ wird als man denkt. Zu einem kleinen Grundkurs kommt der 1. Strafsenat des BGH in seinem Beschl. v. 11.10.2010 – 1 StR 359/10. In dem heißt es:

„Zur Verständigung:

1. Gestützt auf das Hauptverhandlungsprotokoll weist die Revision darauf hin, dass nur eine Gesamtstrafe „von nicht mehr als drei Jahren“ zugesichert, aber keine Mindeststrafe genannt ist.

Der Senat neigt zu der Auffassung, dass bei Mitteilung eines möglichen Verfahrensergebnisses (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) stets ein Strafrahmen, also Strafober- und Strafuntergrenze, anzugeben ist (vgl. näher BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2010 – 1 StR 347/10 mwN). Letztlich kann diese unterschiedlich beurteilte Frage (vgl. BGH aaO mwN) aber offen bleiben; es ist nicht ersichtlich, wie sich ein (etwaiger) Verfahrensfehler hier zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH aaO mwN). Insbesondere teilt der Senat nicht die Besorgnis, wegen der nicht genannten Strafuntergrenze könne sich die Strafkammer auf eine nicht zulässige „Punktstrafe“ (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 – 1 StR 345/10 mwN, NStZ 2010, 650) festgelegt haben.

2. Mit dem Hinweis, das Hauptverhandlungsprotokoll ergebe entgegen § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO nicht, ob eine Verständigung zustande gekommen sei, ist nicht prozessordnungswidriges Geschehen behauptet, sondern nur, dass das Protokoll nicht den Anforderungen des § 273 Abs. 1a StPO genüge (vgl. Schlothauer/Weider StV 2009, 600, 604; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 273 Rn. 12a f.). Eine „Protokollrüge“ ist unbehelflich, ein Urteil kann nicht auf dem Protokoll beruhen (vgl. Wiedner in Graf, StPO § 344 Rn. 46, Meyer-Goßner, aaO Rn. 36 jew. mwN). – 4 –

3. Im Urteil heißt es, eine Verständigung sei vorausgegangen, dem Angeklagten sei eine Gesamtstrafe von nicht mehr als drei Jahren zugesichert worden. Der Hinweis der Revision, dass dem Urteil „unmittelbar nicht (zu) entnehmen“ sei, „ob die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten … und … zugestimmt haben (§ 257c Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 StPO)“, belegt keinen Rechtsfehler. Im Urteil ist nur eine gegebenenfalls vorausgegan-gene Verständigung festzustellen (§ 267 Abs. 3 Satz 5 StPO), die Angabe ihres Inhalts ist nicht geboten (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 528/09, NStZ-RR 2010, 151), ebenso wenig Ausführungen zu sonstigem Prozessgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 StR 99/09, Rn. 10, NJW 2009, 2612, 2613).“

Der Rechtsprechung insgesamt kann man m.E. deutlich entnehmen, dass es der BGH offenbar nicht so gern sieht, wenn gegen „verständigte Urteile“, die sich im Rahmen der Absprache halten, Revision eingelegt wird. Und: Was eine „unzulässige Protokollrüge“ ist, sollte man als Verteidiger wissen.

„Butter bei die Fische“ – oder: Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nach einer Verständigung

Man merkt deutlich, dass die Neuregelung der Verständigung in der Praxis und damit auch beim BGH angekommen ist. Ein Beispiel ist u.a. der Beschl. des BGH v. 19.10.2010 – 1 StR 510/10, in dem es um eine Wiedereinsetzung gegen eine versäumte Revisionseinlegung geht. Der BGH führt zur Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags aus:

a) Der Angeklagte hat keine Tatsachen behauptet, die ihn – ohne sein Verschulden – an der Wahrnehmung der Revisionseinlegungsfrist gehindert haben können. Er beruft sich lediglich darauf, dass sein früherer Verteidiger aus ihm unbekannten Gründen keine Revision eingelegt habe, obwohl er ihn ausdrücklich darum gebeten habe. Er behauptet jedoch nicht, dass dieser ihm die Einlegung des Rechtsmittels auch zugesagt hat. Auf entsprechende Darlegungen kann im vorliegenden Fall nicht verzichtet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2003 – 3 StR 142/03, BGHR StPO § 44 Verschulden 8); denn das Urteil beruht auf einer Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten (§ 257c StPO).

Das Gericht hatte einen Strafrahmen für die Gesamtfreiheitsstrafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und drei Monaten angegeben. Der glaubhaft geständige Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Unter diesen Umständen konnte der Angeklagte nicht darauf vertrauen, dass sein Verteidiger Revision einlegen würde (vgl. BGH aaO; auch Senatsbeschluss vom 8. März 2001 – 1 StR 18/01).“

Also: Mehr 🙂 vortragen ist die Devise.

Verkehrte Welt: Keine Befriedungsgebühr auch noch nach einer bereits durchgeführten Hauptverhandlung, aber das führt zur Mehrbelastung der Justiz

Die Befriedungsgebühr der Nrn. 4141, 5115 Vv RVG ist den RSV m.E. ein besonderer Dorn im Auge, denn: Es handelt sich ume „zusätzliche Gebühr“, die nur ungern gezahlt wird. Das hat man bei der Frage, ob die Nr. 4141 VV RV bei Übergang vom Strafverfahren ins Bußgeldverfahren entsteht, gesehen, die übrigens vom BGH im vergangenen Jahr falsch entschieden worden ist. Das sieht man aber auch immer wieder, wenn es darum geht, ob die Gebühr auch noch entstehen kann, wenn nach einer bereits durchgeführten HV noch die Berufung oder der Einspruch zurückgenommen wird. Argumentiert wird dann damit, da ss ja eine HV statt gefunden habe. So auch im Verfahren 275 C 22738/10, das durch Urtl des AG Müncehn v. 11.10.2010 falsch entschieden worden ist. Dort hatte nach Erlass des Bußgeldbescheides und Einspruchseinlegung die erste Hauptverhandlung stattgefunden, die deshalb zu keinem Ergebnis führte, weil auch nach Auffassung des Amtgerichtes ein Sachverständi­gengutachten einzuholen war. Nach Erholung des Sachverständigengutachtens wurde erneut Haupt­verhandlungstermin anberaumt. Dieser wurde rechtzeitig innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitfensters von zwei Wochen abgesetzt, da der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid infolge eines negativen Gutachtensergebnisses mit Einverständnis des Mandanten zurückgenommen wurde. Das AG München hat die vom Verteidiger geltend gemachte Nr. 5115 Vv RVG nicht gewährt mit der Begründung: Keine Vereinfachung, Verkürzung pp. Dies widerspricht der ganz h.M. in dieser Frage, die darauf abstellt, dass es für die Frage des Entstehens der Gebühr, wenn die HV ausgesetzt wordne ist, immer auf den  nächsten Hauptverhandlungstermin ankommt (so u.a. OLG Bamberg RVGreport 2007, 150 = StraFo 2007, 130 = AGS 2007, 138 = NStZ-RR 2007, 159 = StV 2007, 481;
OLG Hamm AGS 2008, 228 m. Anm. N.Schneider). Das AG sieht das kurzerhand anders. Dabei übersieht es aber, dass seine Auffassung zu Mehraufwand führen wird. Denn aus welchem Grund sollte der Verteidiger den Einspruch nun noch vor der Hauptverhandlung zurücknehmen? Er verliert Gebühren: Also: Rücknahme des Einspruchs erst in der Hauptverhandlung. Folge: Mehrbelastung der Justiz. Und gerade das will das RVG mit den Nrn. 4141, 5115 VV RVG vermeiden.