Archiv für den Monat: September 2010

Auch der viel beschossene Hase darf (zunächst) weiterfahren…

muss sich nicht nach dem Fortbestand seiner Fahrerlaubnis erkundigen. So das KG in einem Beschl. v. 12.07.2010 – (3) 1 Ss 180/10 (77/10). Das AG war von einem fahrlässigen Verstoß gegen § 21 StVG ausgegangen und hatte eine Erkundigungspflicht angenommen. Das KG führt zur Erkundigungspflicht aus:

Entgegen der Annahme des Tatrichters und der Generalstaatsanwaltschaft Berlin besteht jedoch für den Inhaber einer rechtswirksam erteilten Fahrerlaubnis keine Verpflichtung, sich bei der Verwaltungsbehörde nach deren Fortbestand zu erkundigen. Dies gilt auch, sofern der Verkehrsteilnehmer häufiger verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Angesichts der weitgehend unbekannten und unterschiedliche Fristen enthaltenden Tilgungsbestimmungen kann von ihm in aller Regel nicht erwartet werden, dass er einen genauen Überblick über die unter seinem Namen gespeicherten Eintragungen hat. Es bedarf daher konkreter Anhaltspunkte, die die Annahme nahe legen, der Angeklagte habe von dem verwaltungsrechtlichen Entziehungsverfahren und einer unmittelbar bevorstehenden Entscheidung Kenntnis gehabt, deshalb täglich mit der Zustellung eines Bescheides gerechnet und es dennoch an einer Kontrolle seiner Post fehlen lassen. Dies belegen die Urteilsausführungen nicht.

Damit wird die Frage der Erforderlichkeit einer Erkundigung auf ein zumutbares Maß zurückgeführt.

Adhäsionsverfahren – dieselbe Angelegenheit wie das Strafverfahren?

Soweit ersichtlich hat sich bisher in der Rechtsprechung noch kein Gericht mit der Frage auseinandersetzt, ob das Adhäsionsverfahren und das Strafaverfahren eigentlich dieselbe oder unterschiedliche Angelegenheiten sind. Von Bedeutung ist die Frage für die doppelte Anwendbarkeit der Nr. 7002 VV RVG. Nicht viel, aber immerhin 20 €. Zu der Problematik gibt es jetzt die beiden ersten Entscheidungen, und zwar einmal den Beschl. des AG Ratingen vom o3.o.2010 – 24 Ls-70 Js 4636/08-280/08 und die bestätigende Beschwerdenentscheidung des LG Düsseldorf vom 04.06.2010, O 14 Qs 42/10. Beide gehen davon aus, dass es sich um dieselbe Angelegenheit handelt und die Nr. 7002 VV RVG nicht noch einmal für das Adhäsionsverfahren abgerechnet werden kann. Dürfte passen/stimmen.

Messlatte touchiert, aber wohl nicht gerissen – gerade noch einmal gut gegangen…

Die Begründung der Verfahrensrüge ist immer wieder einen Post wert. Vor allem, wenn es sich um einen Beschl. handelt, in dem von einem Obergericht die Messlatte mal wieder höher – lassen wir hier dahingestellt, ob zu hoch – gelegt wird. So das KG in seinem Beschl. v.  30. 6. 2010 – 3 Ws (B) 213/10 – 2 Ss 99/10 zum erforderlicher Umfang der Begründung beim schweigenden Angeklagten/Betroffenen. Das KG führt aus, dass dann, wenn mit der Rechtsbeschwerde beanstandet wird, dass dem Betroffenen trotz seines Schweigens in der Hauptverhandlung eine Erklärung seines Verteidigers zur Fahrereigenschaft zugerechnet worden ist, zum zulässigen Rügevorbringen nicht nur der Hinweis auf das Schweigen des Betroffenen gehört, sondern auch die Mitteilung, dass eine Bestätigung der Erklärung des Verteidigers durch den Betroffenen nicht erfolgt ist.

Wie gesagt: Die Entscheidung stellt eine weitere Verschärfung der Rechtsprechung der Obergerichte zum erforderlichen Umfang der Verfahrensrüge dar. Verlangt wird der Vortrag einer sog. Negativtatsache (vgl. dazu auch BVerfG NJW 2005, 1999). Der Verteidiger muss in diesen Fällen also durch entsprechende Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung ausdrücklich klarstellen, dass eine Bestätigung seiner Angaben durch den Betroffenen in keiner Weise erfolgt ist. Das ist in etwas vergleichbar der Konstellation, wenn geltend gemacht wird, dass im Urteil eine in der HV nicht verlesene Urkunde verwertet worden ist. Auch da muss ja vorgetragen werden, dass die Urkunde auch sonst nicht zum Gegenstand der HV gemacht worden ist. Diese Rechtsprechung ist im Übrigen vom BVerfG abgesegnet worden. Da der Fall mit dem schweigenden Angeklagten vergleichbar ist, kann man die Entscheidung des KG so gerade noch durchgesehn lassen. Die Messlatte wackelt, aber sie fällt nicht.

Tür auf Kipp und dann rein – das ist kein Einsteigediebstahl

In dem der Entscheidung des BGH v. 27.07.2010 – 1 StR 319/10 zugrundeliegenden Fall hatte der Angeklagte durch einen gekippten Terrassenflügel einer Terrassentür hindurchgegriffen und so den Griff der danebenliegenden weiteren Terrassentüre geöffnet und hatt sich so Zutritt verschafft. Das LG hatte in wegen Einsteigediebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt. Der BGH sagt: Nein,  die Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls sei rechtsfehlerhaft, wenn der Täter einen gekippten Türflügel einer Terrassentür öffnet und sich so Zutritt zu einem Haus verschafft. Einsteigen setze tatbestandlich voraus, dass ein Eindringen nur unter Schwierigkeiten durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung vorliege. Eine im Erdgeschoss gelegene Terrassentür sei demgegenüber allgemein zum Betreten des Gebäudes vorgesehen.

Interssant für den Angeklagten: Inzwischen war wegen des somit nur vorliegenden einfachen Diebstahls Verfolgungsverjährung eingetreten. Eine Abänderung des Schuldspruchs war nicht mehr möglich, so dass wegen eines dauernden Verfahrenshindernisses einzustellen war. Allerdings ohne messbaren Erfolg im Rahmen der Strafzumessung, da dem Angeklagten eine Vielzahl von Taten zur Last gelegt worden war.

OLG Karlsruhe denkt erneut „betriebswirtschaftlich“ :-)

Wir hatten ja vor einiger Zeit unter denm Titel „OLG denkt betriebswirtschaftlich :-)“ über die  Entscheidung des OLG Karlsruhe, v. 28.08.2009 – 1 Ss 135/08 berichtet. Da hatte das OLG eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO aufgehoben, aber nicht zurückverwiesen, sondern nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Ähnlich hat das OLG Karlsruhe jetzt im Beschl. v. v. 12. 8. 2010 – 1 (8) SsRs 366/09 verfahren. Da war der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verworfen worden, weil der Betroffene in der HV unentschuldigt ausgeblieben war (§§ 73, 74 OWiG). Dagegen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagung des rechtlichen gehörs, der Erfolg gehabt hätte. Das OLG hat aber nicht aufgehoben und zurückverwiesen, sondern eingestellt. Begründung:

„Hiervon hat der Senat jedoch abgesehen und das Verfahren nach § 47 Abs.2 Satz 2 OWiG eingestellt. Insoweit war neben der geringen Bedeutung des Verfahrens und der erheblichen Belastung für den Betroffenen vor allem maßgeblich, dass ein die Anordnung der Erscheinenspflicht überhaupt rechtfertigender mutmaßlicher Aufklärungserfolg mehr als fraglich erscheint, nachdem der Zeuge YYY der Hauptverhandlung am 28.04.2009 erklärt hatte, sich an den Vorfall nach Aktenlage nicht mehr erinnern zu können, und bekundet hat, eine solche Erinnerung sei allenfalls „möglich“, wenn er den Betroffenen sehe. Ob sich im Zusammenwirken mit anderen Beweismitteln eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, vermag der Senat nicht zu beurteilen, da sich das Urteil hierzu nicht verhält.“

Also im Grunde genommen die Begründung: Lohnt nicht, oder: Viel Lärm um nichts. Und bei der Kostenentscheidung hat das OLG auch keinen Igel in der Tasche gehabt, denn die Kosten hat es der Staatskasse auferlegt. In BW ist dei Welt eben noch in Ordnung :-).