Archiv für den Monat: Juli 2010

Einmal Strafrichter, immer Strafrichter…?

In Zusammenhang mit dem „Hitzechaos“ bei der Deutschen Bundesbahn hatte ich bei der Kollegin/meiner Freundin 🙂 Braun auf Widersprüche in ihren Beiträgen und denen des Kollegen Nebgen im Hinblick auf eine Rückreise aus Hessen nach HH hingewiesen. Dadurch fühlte sich die Kollegin atomisiert und zu dem Beitrag „Ich atomisier dich“ inspiriert. In dem Beitrag formuliert die Kollegin:

Der Kollege Burhoff – der Strafrichter steckt noch irgendwo in ihm – hat gerade Widersprüche in den Blogbeiträgen des Kollegen Nebgen und mir herausgearbeitet und mich damit konfrontiert. Immerhin hat er nichts von „Schutzbehauptungen“ und Ähnlichem gesagt...“.

Das hat bei mir zu der Frage geführt: Einmal Strafrichter, immer Strafrichter…?

Und die Antwort lautet: Ich glaube ja. Denn wenn man als (ehemaliger) Strafrichter mit sich ehrlich ist, stellt man schnell fest, dass immer (noch) alles abgeklopft und hinterfragt wird, Widersprüche führen zu Rückfragen usw. Das wird man, wenn man 30 Jahre Strafrecht gemacht hat, nicht mehr los. Die Kollegin Braun hat es jetzt erleiden/ertragen müssen, mein Sohn früher :-). Er hat das Abklopfen seiner Einlassungen und die seiner Freunde zu „Ereignissen“ wahrscheinlich gehasst… Und im Freundeskreis ist die Strafrichtermentalität nicht unbedingt beliebt 🙂

Allerdings: Manchmal hat(te) es in Strafverfahren auch etwas Gutes, wenn der Richter Einlassungen und/oder Zeugenaussagen „atomisiert“. Ich habe ein paar Fälle erlebt, in denen dadurch Widersprüche aufgetreten sind, die selbst dem Verteidiger nicht aufgefallen waren und die dann zum Freispruch führten. Also: Wie immer. Jedes Ding hat zwei Seiten.

Na also, Haftbeschwerde Kachelmann hat Erfolg: Kein dringender Tatverdacht

Das OLG Karlsruhe meldet gerade in einer PM:

„Jörg Kachelmann: Haftbeschwerde hat Erfolg

Der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom heutigen Tage der Haftbeschwerde des vor dem Landgericht Mannheim angeklagten Meteorologen Jörg Kachelmann stattgegeben und seine umgehende Freilassung aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim angeordnet.

Jörg Kachelmann wurde aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 25.02.2010 wegen des Vorwurfs, die Nebenklägerin in der Nacht vom 08. auf den 09.02.2010 unter Einsatz eines Messers vergewaltigt und sich deshalb der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht zu haben, am 20.03.2010 festgenommen und befand sich danach bis heute ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Mannheim am 17.05.2010 Anklage zum Landgericht Mannheim erhoben hatte, wies die dort zuständige Strafkammer am 01.07.2010 einen Antrag des Angeschuldigten auf Aufhebung des Haftbefehls zurück und ordnete die Haftfortdauer an. Der noch am selben Tag über seinen Verteidiger erhobenen Haftbeschwerde des Angeschuldigten half das Landgericht am 02.07.2010 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung über das Rechtsmittel vor. Dieses hat Erfolg.

Vor dem Hintergrund der am 09.07.2010 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens und der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung durch die zuständige Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat der 3. Strafsenat im Rahmen der Beschwerdeentscheidung zunächst auf den Unterschied zwischen dem nach § 203 StPO für die Eröffnung des Hauptverfahrens genügenden hinreichenden Tatverdacht, der auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen habe, und dem für die Untersuchungshaft nach § 112 Absatz 1 Satz 1 StPO erforderlichen dringenden Tatverdacht hingewiesen, der einen stärkeren Verdachtsgrad erfordere.

Der 3. Strafsenat hat sodann ausgeführt, dass jedenfalls im derzeitigen Stadium des Verfahrens kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Zur Begründung hat der Senat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vorliege. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf den aktuell nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht könne ferner – so der 3. Strafsenat – dahinstehen, ob in der Person des Angeklagten derzeit noch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben sei.

Aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft hat der 3. Strafsenat im Ergebnis die Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts Mannheim vom 01.07.2010 sowie den ihr zugrunde liegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 25.02.2010 aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet.“

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juli 2010 (3 Ws 225/10)“

Stellungnahme: sehr selten, dass ein OLG zum dringenden Tatverdacht Stellung nimmt.

Thesen der BRAK zur (neuen) Verteidigerbestellung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO

Der Newsletter von LexisNexis meldete in den letzten Tagen, dass die BRAK Thesen zur Praxis der Verteidigerbestellung nach §§ 140 Absatz 1 Ziffer 4, 141 Absatz 3 Satz 4 StPO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 erarbeitet hat. Darin fordert die BRAK u. a., dass der Beschuldigte ausreichend Zeit zur Auswahl eines Verteidigers seines Vertrauens haben müsse. In der Meldung heißt es:

„Das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (BGBl. I 2009, S. 2274) ist am 01.01.2010 in Kraft getreten. Die Rechte der Inhaftierten werden in diesem Gesetz u. a. durch die Verpflichtung gestärkt, einen Pflichtverteidiger ab dem ersten Tag der U-Haft beizuordnen, den Beschuldigten unverzüglich schriftlich über seine Rechte zu belehren sowie Beschuldigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, eine schriftliche Übersetzung des Haftbefehls auszuhändigen.

Erste Erfahrungen mit der neuen Rechtslage zeigen nach Ansicht der BRAK jedoch, dass sich die Praxis schwer damit tut, das Recht des Beschuldigten, vor der Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit zu haben, einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen (§ 142 Absatz 1 Satz 2 StPO) mit dem Gebot der Unverzüglichkeit der Verteidigerbeiordnung in Einklang zu bringen. Dazu trage auch der Umstand bei, dass die eilbedürftige Kontaktaufnahme zwischen inhaftierten bzw. einstweilig untergebrachten Beschuldigten und Verteidigern zur Klärung der konkreten Verteidigungsübernahme verschiedentlich durch Gerichte und Staatsanwaltschaften erschwert und im Einzelfall sogar unterbunden werde. Auch in den Fällen, in denen der Beschuldigte nicht willens oder in der Lage sei, einen ihm beizuordnenden Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen, dürfe trotz der Eilbedürftigkeit der Beiordnungsentscheidung der Anspruch des Beschuldigten auf konkrete und wirkliche Verteidigung nicht zu kurz kommen.

Diesen Problemen muss, so die BRAK, soweit möglich ohne Nachbesserung des neuen Rechtszustandes durch den Gesetzgeber durch eine optimierte praktische Handhabung der neuen gesetzlichen Möglichkeiten Rechnung getragen werden. Hierzu sollen die in ihrer Stellungnahme Nr. 16/2010 aufgestellten 7 Thesen mit Begründung Hilfestellung bieten.“

Die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Praxis der Verteidigerbestellung findet man im kostenlosen Internetangebot der BRAK.

Zu der Problematik auch OLG Düsseldorf, LG Itzehoe und LG Saarbrücken.

(Auch) Kein Augenblicksversagen bei Überschreiten der hypothetischen Höchstgeschwindigkeit

In der bußgeldrechtlichen Rechtsprechung ist die Frage umstritten, wie es sich auswirkt, wenn in einer Tempo 30-Zone ein nur leicht fahrlässiges Übersehen des entsprechenden Tempo-30-Schildes vorliegt, der Betroffene also subjektiv, aber irrig von der gesetzlichen (hypothetischen) Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ausgeht und diese überschreitet.

Teilweise wird in der Rechtsprechung in solchen Fällen mehrheitlich ein Augenblicksversagen bereits dann nicht mehr anerkannt, wenn die hypothetische Höchtsgeschwindigkeit unabhängig vom Ausmass überschritten wird (bspw. OLG Karlsruhe NZV 2004, 211: 59 km/h; anders aber OLG Hamm NZV 2000, 92: 68 km/h).

A.A. ist Deutscher in unserem OWi-Handbuch: Er weist darauf hin, dass das Merkmal der groben Pflichtwidrigkeit als Voraussetzung für die Anordnung des Fahrverbots das kumulative Vorliegen von objektiven und subjektiven Elementen verlangt (näher Burhoff/Deutscher, a.a.O., Rn. 1142 m.Nw.). Das subjektive Element der groben Pflichtwidrigkeit sei bei einem an sich leicht fahrlässigen Übersehens des Verkehrsschildes erst dann erfüllt, wenn der Betroffene die hypothetisch zulässige Geschwindigkeit in einer Höhe überschreite, die bei deren tatsächlichen Bestehen das Regelbeispiel auslösen würde.

Anders jetzt allerdings auch das OLG Bamberg in einem Beschl. v. 01.06.2010 – 3 Ss OWi 814/10, das jedenfalls bei einer Überschreitung der hypothetischen Höchstgeschwindkeit von 30 % den Ausschluss des Augenblicksversagens nicht zulassen will.

Also: Immer schön aufpassen, auch hypothetisch.

Loveparade – zu wenig Zeit für die Vorbereitung?

Die Beiträge zur Loveparade-Katastrophe am vergangenen Samstag sind zahlreich, vgl. aus neuerer Zeit hier, hier (schon tragisch) und hier. Dennoch möchte ich verweisen auf den Beitrag von Robert Franz auf wdr.de von Panorama unter dem Titel: Zu wenig Zeit für die Vorbereitung?

Schöne Zusammenfassung.