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Einmal entbunden, doch nicht immer entbunden, oder: Lieber immer einen Antrag stellen

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Und als drittes OWi-Posting dann doch noch eine Entscheidung vom OLG Bamberg 🙂 . Es ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 15.09.2016 – 3 Ss OWi 1048/16 -, und zwar aus dem schier unerschöflichen Reservoir der „Entbindungsentscheidungen“. Der Beschluss behandelt aber mal nicht die Frage, wann das AG den Betroffenen entbinden muss, sondern die Fragestellung, ob ein Entbindungsantrag, der bereits einmal beim AG gestellt worden ist, wiederholt werden muss, wenn das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen wird und nun erneut die Hauptverhandlung beim AG ansteht. Zu einer ähnlichen Problematik hatte es bereits den OLG Bamberg, Beschl. v. 30.03. 2016 – 3 Ss OWi 1502/15 gegeben (vgl. dazu Einmal entbunden, immer entbunden….) mit dem Leitsatz: Die antragsgemäße Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG wirkt bei einer bloßen Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort.“ Davon grenzt das OLG sich jetzt ab und sagt:

„Der Antrag, den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, muss nach Aufhebung des angefochtenen Ersturteils durch das Rechtsbeschwerdegericht und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht erneut gestellt werden.

Begründung:

„1. Die erhobene Verfahrensrüge dringt nicht durch. Der Betr. ist ohne genügende Entschuldigung in der Hauptverhandlung ausgeblieben, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war. Der Betr. hatte auch keinen Entbindungsantrag gestellt, den das AG positiv hätte verbescheiden müssen. Der mit Schriftsatz vom 10.12.2015 gestellte Antrag hatte sich mit dem die Instanz abschließenden Urteil erledigt und hätte neu gestellt werden müssen.

a) Es entspricht der obergerichtlichen Rspr., dass sich ein Antrag des Betr. auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht nur auf die bevorstehende Hauptverhandlung bezieht. Ist diese nach Aussetzung einer ersten Hauptverhandlung erneut durchzuführen, muss der Antrag wiederholt werden (OLG Hamm VRS 110, 431 = DAR 2006, 522; OLG Brandenburg VRS 116, 276 = OLGSt OWiG § 73 Nr. 14). Dieser Rspr. schließt sich der Senat für die vorliegende Konstellation der Aufhebung und Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht an.

b) Schon der Gesetzeswortlaut des § 73 II OWiG legt nahe, dass der Entbindungsantrag auf die bevorstehende Hauptverhandlung bezogen sein muss und er deshalb spätestens mit dem Abschluss der Instanz seine Erledigung findet. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für diese Auslegung. Aufhebung und Zurückverweisung einer Sache durch das Rechtsbeschwerdegericht haben nämlich zur Folge, dass eine neue selbständige Verhandlung stattzufinden hat, deren Verlauf einen anderen Weg nehmen kann, als die erste Hauptverhandlung. Gerade die Notwendigkeit der Durchführung einer weiteren Hauptverhandlung bedeutet eine Veränderung der Prozesslage, die dem Betr. eine Entscheidung über sein weiteres Prozessverhalten abverlangt. Denn die weitere Hauptverhandlung knüpft dabei nicht etwa inhaltlich an die erste an, sondern ermöglicht es dem Betr., ein von der ersten Hauptverhandlung abweichendes Prozessverhalten zu ergreifen.

c) Dieses Ergebnis steht keinesfalls im Widerspruch zum Beschluss des Senats vom 30.03.2016 (3 Ss OWi 1502/15 = StraFo 2016, 212 = DAR 2016, 391 = VRR 2016, Nr. 6). Diese Entscheidung betrifft einen anders gelagerten Sachverhalt. Der Senat hatte darüber zu befinden, ob eine vor der Verlegung des Hauptverhandlungstermins beschlossene Entbindung des Betr. auch danach fortwirkt oder es einen Rechtsfehler darstellt, wenn das Gericht ohne erneuten Entbindungsbeschluss im verlegten Hauptverhandlungstermin in Abwesenheit des Betr. nach § 74 I OWiG zur Sache verhandelt. Die Frage, ob es für den verlegten Hauptverhandlungstermin eines neuerlichen Entbindungsantrags bedarf, hatte der Senat dagegen nicht zu entscheiden. Soweit sich die Rechtsbeschwerde darauf beruft, vermengt sie die Frage der Fortgeltung eines Entbindungsbeschlusses mit der Frage der Fortwirkung eines Entbindungsantrags.“

Wem das alles zu „undurchsichtig“ ist, der geht auf „Nummer sicher“ und stellt eben immer, wenn ein Hauptverhandlungstermin nicht zu Ende geführt worden ist, ggf. neu einen Entbindungsantrag.

Akteneinsicht a la AG Kempten: Und ist die Verwaltungsbehörde nicht willig, gibt es die Akten zurück

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

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Im Grunde genommen ist das (m.E.) mit der (Akten)Einsicht ganz einfach. Der Verteidiger/Betroffene hat einen Anspruch vollständige Akteneinsicht. Und wenn der nicht erfüllt wird, greifen dann eben die Regeln über das standardisierte Messverfahren nicht und das AG kann ggf. von § 69 Abs. 5 OWiG  Gebrauch machen. So jetzt vor kurzem auch das AG Kempten Allgäu in zwei Beschlüssen, die mir der Kollege Werne aus Memmingen übersandt hat, und zwar:

Zunächst der AG Kempten (Allgäu), Beschl. v. 29.01.2016 – 24 OWi 420 Js 1322/16, in dem es heißt:

„Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt – Zentrale VOWi-Stelle- wird angewiesen, dem Verteidiger vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Dies schließt die Übersendung der Originalbilder der Messung des Betroffenen (tatsächliches, unbearbeitetes Originalbild), Originalbilddatei bei Digitalbildern (Rohformat), Printer- oder Hochglanzfoto mit allen vier Bildrändern ein.“

und als dann nichts passiert der AG Kempten (Allgäu), Beschl. v. 18.03.2016 – 24 OWi 420 Js 1322/16:

„Das Verfahren wird mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Kempten gemäß § 69 V1 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückverwiesen.

Gründe:

Mit Beschluss vom 29.1.2016 hat das AG Kempten das Bayrische Polizeiverwaltungsamt – Zentrale VOWi -Stelle- angewiesen, dem Verteidiger vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Dies schließt die Übersendung der Originalbilder der Messung des Betroffenen (tatsächliches, unbearbeitetes Originalbild), Originalbilddatei bei Digitalbildern (Rohformat), Printer und Hochglanzfoto mit allen 4 Bildrändern ein. Dem ist das Polizeiverwaltungsamt nicht nachgekommen, sodass der dem Bußgeldbescheid zugrundeliegende Sachverhalt bisher nicht hinreichend aufgeklärt ist (§ 69 V OWiG).“

Jetzt wird es gefährlich. 🙂 Ähnlich übrigens der AG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26.01.2016 – 13 OWi 516/15 (gefunden hier beim Kollegen Gratz Vom Saulus zum Paulus? AG Dessau-Roßlau ver­pflich­tet Behörde zur Herausgabe der ES 3.0-Messdaten).

Also: ist doch wirklich einfach, auch wenn manches OLG das anders sieht (vgl.„Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei).

“Aufruf an den Rechtspfleger beim AG Wernigerode – ich habe noch eine Altauflage für Sie…!!”

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Auf der Überfahrt gestern von Emden nach Borkum habe ich Emails gecheckt und dabei dann auch eine Mail des Kollegen Siebers aus Braunschweig gelesen. Übersandt hatte er mir den AG Wernigerode, Beschl. v. 30.01.2015 – 7 Ds 835 Js 81311/12 – mit der kurzen und knappen aber treffenden Anmerkung: „Lieber Kollege, zwar eine platte Selbstverständlichkeit, aber selbst die musste ich „erkämpfen“.

Und ich habe den Beschluss dann gelesen und bin danach dann erst mal auf Deck gegangen, um mich ein wenig abzukühlen. Nicht wegen des amtsrichterlichen Beschlusses und auch nicht wegen einer/der Stellungnahme des Bezirksrevisors oder so. Denn das ist beides richtig. Nein. Mir ist der Kamm wegen der Rechtsauffassung des zunächst entscheidenden Rechtspflegers geschwollen und ich habe mich gefragt: Hat der eigentlich ins Gesetz geschaut? Offenbar nicht. Und warum bitte nicht? Das würde nämlich Ressourcen der Justiz schonen, von denen es ja so wenig geben soll.

Worum geht es und was so offensichtlich ist: Das ergibt sich aus dem Beschluss selbst.

„Mit Beschluss vom 04.12.2013 hat das Oberlandesgericht Naumburg das Urteil d s Amtsgerichts Wernigerode vom 05.08.2013 mit den Feststellungen aufgehoben u d die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Mit Antrag vom 2609.2014 (Bd. II BI. 62 f.) hat der Rechtsanwalt Siebers seine Pflichtverteidigervergütung für das Verfahren nach Zurückverweisung geltend ge¬macht. Mit Beschluss vom 09.10.2014 hat das Amtsgericht Wernigerode die Pflichtverteidigervergütung festgesetzt und hierbei die geltend gemachte Verfahrensgebühr gemäß VV-Nr. 4104 (eigentlich 4106) der Anlage zum RVG und die Auslagenpauschale gemäß VV-Nr. 7002 der Anlage zum RVG abgesetzt mit der Begründung, dass diese bereits mit der Festsetzung vom 22.08.2013 gezahlt worden seien. Hie,- gegen wendet sich der Rechtsanwalt.

 Der Rechtsanwalt kann gemäß § 15 Abs. 2 RVG die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern.

 Gemäß § 21 Abs. 1 RVG ist, soweit eine Sache an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen wird, das weitere Verfahren vor diesem Gericht ein neue Rechtszug. Gemäß § 17 Nr. 1 RVG sind verschiedene Rechtszüge verschiedene Angelegenheiten. Mithin kann der Rechtsanwalt Siebers für das Verfahren nach Zurückverweisung die Verfahrensgebühr nach VV-Nr. 4106 der Anlage zum RVG und auch die Auslagenpauschale gemäß VV-Nr. 7002 der Anlage zum RVG noch einmal fordern. Einer Nachfestsetzung in Höhe von 180,08 € wird deshalb nicht entgegen getreten.“

Noch Fragen? ich habe sie nicht. Im Übrigen: Wenn der Rechtspfleger mitlesen sollte: Sie können sich gern bei mir melden. Ich habe noch einige Exemplar von Altauflagen von Burhoff (Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012. Die stelle ich Ihnen gern zur Verfügung. Die neue brauchen Sie nicht. Das, was das AG entschieden hat, war nämlich schon vor dem 2. KostRMoG Gesetz. § 15 Abs. 2 Satz 2 RVG a.F. lässt grüßen.

Ein Gebührenrätsel wollte ich übrigens nicht daraus machen. Dafür war mit die Frage zu „platt“.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Altes/neues Recht nach Zurückverweisung?

© haru_natsu_kobo - Fotolia.com

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Am Freitag hatte ich die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Altes/neues Recht nach Zurückverweisung?, die das Übergangsrecht des § 60 RVG betrifft, gestellt. Als sie von dem Kollegen kam, galt der alte Gedanke, man muss wissen, wo man nachschauen muss. Natürlich im Gesetz, wie es die Kommentatoren des Beitrags (richtig) zunächst getan habe. Aber ich dann in Form eines Praxistests dann auch in „unserem“ RVG-Kommentar nachgeschaut, der übrigens jetzt bald in der 4. Auflage erscheint (das war jetzt Werbung 🙂 . Und da heißt es bei Herrn Volpert in Teil A: Übergangsvorschriften (§§ 60 f.), Rn. 1986 f. neu (alt Rn. 1370 f.):

1986
Nach § 21 Abs. 1 ist im Fall der Zurückverweisung einer Sache an ein untergeordnetes Gericht das weitere Verfahren vor diesem Gericht als neuer Rechtszug anzusehen. § 60 Abs. 1 Satz 2 regelt die Vergütung in den weiteren Rechtszügen, wenn der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung bereits tätig ist. Zu diesen weiteren Rechtszügen gehört auch eine »zweite« erste Instanz nach einer Zurückverweisung (so schon zur BRAGO OLG Zweibrücken, AGS 2000, 170; OLG Düsseldorf, Rpfleger 1988, 337 = JurBüro 1988, 1352; OLG Stuttgart, JurBüro 1989, 1404). Erfolgt diese Zurückverweisung somit nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung, bestimmen sich die erneut anfallenden Gebühren des Rechtsanwalts nach dem neuen Recht (KG, AGS 2005, 449 = RVGreport 2005, 343 = RVGprofessionell 2005, 178). Das gilt auch für die nach der Zurückverweisung erneut anfallenden Gebühren des vor dem Stichtag bestellten Pflichtverteidigers (KG, AGS 2005, 44 = RVGreport 2005, 343 = RVGprofessionell 2005, 178).

1987
Im Fall der Zurückverweisung der Sache vor dem Stichtag und der erstmaligen Beauftragung eines neuen Rechtsanwalts für das zurückverwiesene Verfahren nach diesem Zeitpunkt gilt der Grundsatz des § 60 Abs. 1 Satz 1. Da der Auftrag nach dem Stichtag erteilt worden ist, findet neues Recht Anwendung.“

Damit alles klar: Also neues Recht. Wer Entscheidungen dazu sucht: Findet man auf meiner HP bei  den RVG-Entscheidungen zu § 61 RVG. Die Problematik hatten wir beim Übergang BRAGO/RVG auch schon.

Ich habe da mal eine Frage: Altes/neues Recht nach Zurückverweisung?

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Das 2. KostRMoG hat ab 01.08.2013 die Rahmengebühren für den Wahlanwalt und damit auch die an deren Höhe gekoppelten gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers, der 80 % der Mittelgebühren des Wahlanwalts erhält, erhöht. Daher ist für Verteidiger die Frage, welches Recht anwendbar ist, von großer Bedeutung: Das alte Recht mit den alten/niedrigeren Gebührensätzen oder das neue Recht mit den höheren Sätzen? Zu der Problematik haben mich in der letzten Zeit einige Anfragen erreicht, die ich im wesentlichen unter Hinweis auf meine Beiträge zum neuen Recht in RVGreport 2013, 330 bzw. in StraFo 2013, 397 beantworten/erledigen konnte.

Aber jetzt hat in der vergangenen Woche ein Kollege eine Frage gestellt, die ich in den beiden Beiträgen nicht behandelt hatte, die aber sicherlich interessant und auch in der Praxis von Bedeutung ist, und zwar mit folgendem Sachverhalt:

Der Kollege verteidigt in einem Schwurgerichtssache beim LG. Er wird vor dem 01.08.2013 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Auf die Revision hin wird das landgerichtliche Urteil vom BGH aufgehoben und zurückverwiesen. Der Kollege fragt: Nach Zurückverweisung – altes oder neues Recht?

Anmerkung für alle die, die lösen wollen. Sie müssen nicht suchen. Es gibt dazu auf meiner HP keine aktuellen Entscheidungen 🙂 .