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Strafzumessung I: Wenn das Rechtsempfinden und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich gestört wird, oder: Geht nicht.

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Ich habe länger keine Entscheidungen zur Strafzumessung vorgestellt. Das hole ich heute nach.

Den Reigen eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 19.12.2018 – 1 StR 477/18. Der Angeklagte ist wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Strafzumessung des LG passt dem BGH insgesamt nicht:

„1. Die Strafbemessung (Strafrahmenbestimmung und Festsetzung der konkreten Strafe) ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, sie von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106 und vom 16. April 2015 – 3 StR 638/14, NStZ-RR 2015, 240 jeweils mwN; Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 mwN).

2. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Strafzumessung vorliegend revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat bei der Bemessung der Strafe rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten darauf abgestellt, dass die am „helllichten Tag“ in einem zur Tatzeit „stark frequentierten“ Park begangene Tat geeignet sei, „das Rechtsempfinden und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich zu stören“ (UA S. 16, 17).

Schon die strafschärfende Berücksichtigung von Tatzeit und Tatort begegnet durchgreifenden Bedenken, weil es sich hierbei – soweit nicht die Besonderheiten des Falles ausnahmsweise eine andere Betrachtung rechtfertigen – um ambivalente Umstände handelt, die für sich gesehen nichts über die Schuld des Täters besagen (LK/Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 127). Besondere Umstände, aus denen sich gerade mit Blick auf Zeit und Ort der Tat eine schwerere Schuld des Angeklagten ergibt und die daher geeignet wären, eine höhere Strafe zu rechtfertigen, werden vom Landgericht weder benannt noch sind solche sonst ersichtlich.

Mit der strafschärfend berücksichtigten Wertung, die Tat sei geeignet, das Rechtsempfinden und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich zu stören, hat zudem eine Erwägung Eingang in die Strafzumessung gefunden, die besorgen lässt, dass sich die Strafkammer rechtsfehlerhaft von generalpräventiven Erwägungen zur Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 803, 809) leiten ließ und damit der erforderliche Bezug zur konkreten Tat und ihren tatsächlichen Bezügen aus dem Blick geraten ist. Die Annahme, die Tat sei geeignet, das Rechtsempfinden und Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich zu stören, ist im Übrigen auch nicht hinreichend belegt.

b) Gleiches gilt für die strafschärfend in die Strafzumessung eingeflossene Erwägung des Landgerichts, in der Herstellung des Videoclips von dem Geschädigten komme eine Verrohung der Sitten zum Ausdruck, der in aller Deutlichkeit Grenzen zu setzen seien. Zwar ist die strafschärfende Erwägung, dass von dem Geschädigten ein Videoclip gefertigt wurde, zulässig und wegen der damit für den Geschädigten verbundenen zusätzlichen Demütigung sogar naheliegend. Der weitere hieran angeschlossene Gesichtspunkt, dass dem in aller Deutlichkeit Grenzen zu setzen seien, ist jedoch ebenfalls rein generalpräventiv und in seiner Notwendigkeit nicht näher belegt.

Zudem enthalten diese Ausführungen eine moralisierende Äußerung, die in der Strafzumessung zu unterbleiben hat (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 – 2 StR 173/17; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 46 Rn. 107 mwN; Schäfer/ Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1444 mwN).

c) Das Landgericht hat schließlich die Schuld des Angeklagten bestimmende strafmildernde Erwägungen bei der Bemessung der Strafe unberücksichtigt gelassen.

Zwar ist eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen weder vorgeschrieben noch möglich, die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände sind aber gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen darzulegen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106 und vom 2. August 2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337 jeweils mwN). Dem wird das landgerichtliche Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.

Die Strafkammer hat nämlich nicht in die Strafzumessung einfließen lassen, dass der Angeklagte durch – teilweise wahrheitswidrige – Erzählungen der Zeugin R. in seinem Vorstellungsbild von der Person des Geschädigten als gewaltbereitem und gewalterfahrenem Menschen voreingestellt war. Dies lässt die unvermittelte und massive Einwirkung auf den Geschädigten durch den Angeklagten weniger unverständlich erscheinen. Denn der Angeklagte wollte nach seiner durch die Zeugin bewirkten Fehlvorstellung die Zeugin R. bei der Abwehr des Versuchs des Geschädigten unterstützen, sich entgegen der bestehenden Umgangsregelung Umgang mit dem Kind zu verschaffen.