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StPO III: Anhörungsrüge im Zulassungsverfahren, oder: Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Gehörsverstoß

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Und im dritten Beschluss, dem KG, Beschl. v. 01.03.2023 – 3 ORbs 19/23 – geht es dann um die Frage einer Gehörsverletzung bei unterlassener Übersendung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsbeschwerdeverfahren. Das KG nimmt dabie auch dazu Stellung, auf welchen Zeitpunkt betreffend die Kenntnisnahme es ankommt.

Das KG hatte mit Beschluss vom 06.02.2023 den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil des AG Tiergarten verworfen. Hiergegen richten sich dann die Anhörungsrüge und die zugleich erhobene Gegenvorstellung der Betroffenen. Sie macht geltend, die Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft nicht zur Kenntnis erhalten zu haben und beantragt, das Verfahren in den Stand vor Erlass der Entscheidung des Senats zu versetzen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 356a StPO). Ohne Erfolg:

„1. Die Anhörungsrüge ist bereits unzulässig, aber auch unbegründet.

a) Der nach § 356a Satz 1 StPO erforderliche Antrag der Betroffenen ist am 22. Februar 2023 beim Kammergericht eingegangen. Der Verteidiger hat es aber entgegen § 356a Satz 3 StPO versäumt, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Antrag innerhalb der Frist von einer Woche nach Bekanntwerden des behaupteten Gehörsverstoßes gegenüber der Betroffenen – und nur deren Kenntnis ist maßgeblich, weil ihr Anspruch auf rechtliches Gehör durch den Senat und nicht der des Verteidigers verletzt worden sein soll – gestellt worden ist.

Daher ist der mitgeteilte Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Verteidigers von der Senatsentscheidung unerheblich. Der Betroffenen ist die angegriffene Senatsentscheidung bereits durch die Geschäftsstelle des Senates (Abvermerk der Geschäftsstelle: 9. Februar 2023) per Post übersandt worden. Unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeit innerhalb Berlins ist es keinesfalls ausgeschlossen, dass die Betroffene vor dem 15. Februar 2023 Kenntnis von der Entscheidung hatte. Daher war die Darlegung und Glaubhaftmachung der Kenntnisnahme der Betroffenen auch nicht ausnahmsweise entbehrlich.

b) Demnach ist der Antrag bereits unzulässig; er ist auch unbegründet.

Denn die Entscheidung des Senats beruht nicht auf der unterbliebenen Übersendung der Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft. Die Betroffene hat nicht dargetan, dass dadurch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Der Senat hat insbesondere bei der Entscheidung kein zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen, sondern hat die Ausführungen des Verteidigers der Betroffenen zur Kenntnis genommen und eine andere rechtliche Bewertung getroffen. Darin kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aber nicht liegen.

Soweit der Verteidiger der Betroffenen bemängelt, ihm sei die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft nicht übersandt worden, sieht der Senat keinen Anlass, von seiner Rechtsauffassung (vgl. auch Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 3 Ws (B) 301/17 –), die Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft in vergleichbaren Fällen nicht zu übersenden, abzuweichen. Im Rechtsmittelverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bestehen eindeutige und klare gesetzliche Regelungen, in welchen Fällen die Übersendung der Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft zu erfolgen hat und damit liegt eine positiv gesetzliche Regelung zum Umfang des rechtlichen Gehörs des Betroffenen vor.

So ergibt sich die Verpflichtung zur Übersendung der Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft zwar nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG über § 349 Abs. 3 StPO für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Diese Vorschrift ist aber auf das Zulassungsverfahren nach § 80 OWiG nicht anwendbar (vgl. OLG Düsseldorf VRS 39, 397; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 40; Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 80 Rn. 56 m.w.N.) Vielmehr verweist § 80 Abs. 4 OWiG nur auf §§ 346 bis 348 StPO, nicht aber auf § 349 StPO. Diese Gesetzeslage spiegelt den Willen des Gesetzgebers wieder, der die Überprüfbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen in minderschweren Ordnungswidrigkeiten bewusst eingeschränkt hat und zwar auch hinsichtlich des Verfahrensganges, wozu die Nichtübersendung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft und damit die gesetzlich normierte Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Massenverfahren zählt.

Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergab sich nichts anderes. Es liegt in der Natur der Sache, dass in der staatsanwaltschaftlichen Stellungnahme grundsätzlich Rechtsansichten geäußert werden. So war es auch hier.

Soweit die Literatur (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 39a; Hadamitzky in KK-OWiG, a.a.O.) und vereinzelt auch die Rechtsprechung (OLG Schleswig, Beschluss vom 27. März 2008 – 2 Ss OWi 12/08 (11/08) –; OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. März 2007 – 2 Ss OWi 524/06 –, jeweils juris) darauf verweisen, dass jedenfalls im Falle einer drohenden Überraschungsentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts – die hier nicht vorliegt – der Betroffene zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu den auf seinen Antrag hin ergangenen Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft bekommen soll, wird der Senat auch in Zukunft solche Stellungnahmen übersenden. Gleiches gilt, wenn der Verteidiger dies beantragt.

2. Die Gegenvorstellung ist unstatthaft und deshalb unzulässig.

Der Senat kann seine unanfechtbare Entscheidung weder aufheben oder abändern noch einem höherrangigen Fachgericht zur Überprüfung stellen. Der Beschluss des Senats unterliegt keiner Anfechtung (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. mit § 46 Abs. 1 OWiG), weil die Oberlandesgerichte – und damit das Kammergericht als Oberlandesgericht des Landes Berlin (§ 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes – AGGVG – vom 23. März 1992) – abschließend entscheiden. Der Gesetzgeber hat mit dem Ausschluss der Anfechtung zum Ausdruck gebracht, dass derartige Entscheidungen – sofern sie nicht gegen das Grundgesetz verstoßen – den Streit um den Verfahrensgegenstand endgültig beenden sollen. Danach ist auch die Erhebung von Gegenvorstellungen ausgeschlossen. Denn es ist obergerichtlich geklärt, dass Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt sein müssen, weswegen es den Gerichten untersagt ist, tatsächliche oder vermeintliche Lücken im Rechtsschutzsystem eigenmächtig zu schließen (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Januar 2007 – 1 BvR 2803/06 – und Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, jeweils juris). Eine Änderung unanfechtbarer gerichtlicher Beschlüsse ist gesetzlich nur zugelassen, wenn das rechtliche Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (§§ 33a, 311a, 356a StPO), was hier – wie dargelegt – nicht der Fall ist.“

Die Ausführungen gelten nicht nur im Bußgeldverfahren, sondern – zumindest teilweise – auch im Strafverfahren.