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Nachhilfe für den BGH aus Straßburg, oder: Es hätte Wiedereinsetzung geben müssen

entnommen wikimedia.org kein Urheber

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Mein „Lieblingsurteilslieferant“ Oliver Garcia weist mich gerade auf eine Entscheidung des EGMR hin. Es ist der EGMR, Beschl. v. 01.09.2016 – 24062/13. Die Menschenrechtsbeschwerde richtete sich gegen den BGH, Beschl. v. 24.04.2013 – 4 StR 86/13,  in dem der BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision verweigert hat. Dazu der Hinweis:

„…. Der EGMR hat einstimmig in der BGH-Entscheidung eine Verletzung von Art. 6 MRK gesehen. Dem Angeklagten hätte Wiedereinsetzung gewährt werden müssen aufgrund einer Gesamtschau der Besonderheiten des Falles (Mißverständliche Rechtsauskunft durch den Pflichtverteidiger über das zuständige Gericht; psychische Beeinträchtigung des Angeklagten; eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten wegen Unterbringung; zögerliche Weiterleitung durch Anstaltspersonal; Nichtverwendung von Fax bei Weiterleitung durch unzuständiges Gericht). Die „formalistische“ Entscheidung des BGH sei nicht vereinbar mit dem Grundsatz der praktischen und wirksamen Anwendung der Konvention.

Das ist natürlich ein spezieller Fall, aber doch praxisrelevant als Erinnerung, daß die Beschwerde zum EGMR nicht immer aussichtslos ist. Meiner Meinung nach müßte jetzt die BGH-Entscheidung im Wege der Wiederaufnahme (§ 359 Nr. 6 StPO, § 140a Abs. 1 Satz 2 GVG) beseitigt werden können. Sie ist zwar kein „Urteil“, aber ich denke, Urteil im Sinne dieser Vorschriften ist auch ein Beschluß des Revisionsgerichts, der die Rechtskraft herbeiführt.

Ist die Revision erst zulässig, könnte sie hier auch begründet sein. Der Angeklagte wurde wegen Sachbeschädigung (mit einem Hammer im Gerichtsparkhaus beschädigte PKW) untergebracht. Da schaut der BGH neuerdings genauer hin.“

Ich habe mir den Beschluss des EGMR mal angesehen. Ist leider noch nicht übersetzt, das dauert ja immer ein wenig, nun ja manchmal auch länger. Daher mal die Kurzfassung 🙂 des Kollegen Garcia. Ich muss ihn mir erst mal übersetzen. Kann dauern 🙂 .

Ach so: Ich kenne ein gutes Buch, in dem die Menschenrechtsbeschwerde (auch) behandelt wird 🙂 .

Rettung, oder: Die Ergänzung des Wiedereinsetzungsantrages

entnommen wikidmedia.org Fotograf Faßbender, Julia

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Zum Auftakt des samstäglichen „Kessel Buntes“ zunächst der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 16.08.2016 – VI ZB 19/16 -, der in in einem zivilverfahrensrechtlichen Wiedereinsetzungsverfahren ergangen ist. Es geht um die Frage, ob ein Wiedereinsetzungsantrag ggf. ergänzt werden kann. Das hat der BGH – erneut – bejaht:

b) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen.

aa) Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen kon-kreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Alle Tatsachen, die für die Wie-dereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen jedoch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (st. Rspr., Senatsbeschluss vom 29. Januar 2002 – VI ZB 28/01, juris Rn. 4 mwN; BGH, Urteil vom 7. März 2002 – IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107, 2108 mwN; Beschlüsse vom 13. Juni 2007 – XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212 Rn. 8; vom 9. Februar 2010 – XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636 Rn. 9; vom 21. Oktober 2010 – IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 17; vom 25. September 2013 – XII ZB 200/13, NJW 2014, 77 Rn. 9).

bb) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht dem Kläger Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens zu den Umständen der Postaufgabe geben müssen (§ 139 Abs. 1 ZPO)………..“

Damit kann dann der ein oder andere Wiedereinsetzungsantrag gerettet werden.

Wenn es ums Geld geht, Augen auf, oder: Zurechnung des Verschuldens

© yvon52 - Fotolia.com

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Auch wenn es bitte ist: Nach der unzulässigen Erinnerung im BFH, Beschl. v. 19.05.2016 (vgl. dazu Und nochmals: Finger weg von Emails beim Rechtsmittel) noch ein unzulässiges Rechtsmittel; m.E. kann man Fehler nur dann vermeiden, wenn man Gefahren kennt. Es geht jetzt um den OLG Celle, Beschl. v. 21.06.2016 – 1 Ws 287/16, der auch eine Fristversäumungsproblematik zum Gegenstand hat. Rechtsmittel war eingelegt im Verfahren über eine sofortige Beschwerde gegen eine Kosten- und Auslagenentscheidung (§ 464 Abs. 3 StPO). Das Rechtsmittel ist dort die sofortige Beschwerde, die also fristgebunden ist. Der Verteidiger des Angeklagten hatte ein Rechtsmittel gegen die nach Freispruch seines Mandanten ergangene Kosten- und Auslagenentscheidung (zunächst) nicht eingelegt, weil er (zunächst) davon ausgegangen war, dass die ergangene Entscheidung korrekt war. Als er dann später sofortige Beschwerde einlegt und Wiedereinsetzung beantragt, sagt ihm das OLG: Wiedereinsetzung gibt es nicht. Denn die setzt eine Fristversäumung voraus. Die liegt hier aber nicht vor, weil eine Rechtsmittelfrist im Sinne des § 44 Satz 1 StPO nur derjenige „versäumt „, der das Rechtsmittel einlegen wollte, die dafür gesetzlich vorgesehene Frist jedoch nicht eingehalten hat. Wer dagegen von einem Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch gemacht hat, versäumt das Rechtsmittel nicht. Und:

„Dieses fehlerhafte Vorgehen des Landgerichts hat der Verteidiger des Angeklagten (zunächst) nicht erkannt. Er hat mithin die rechtliche Konsequenz der verkündeten Kosten- und Auslagenentscheidung nicht erfasst und deshalb von deren Anfechtung abgesehen.

Dieses „Verschulden“ seines Verteidigers muss sich der Beschwerdeführer zurechnen lassen, so dass er sich nicht darauf berufen könnte, selbst schuldlos eine – fristgerechte – Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht veranlasst zu haben. Denn der Grundsatz, dass einem Angeklagten ein Verteidigerverschulden nicht zuzurechnen ist, gilt im Verfahren der Anfechtung einer Kostenentscheidung nicht (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1975 –5 StR 139/75, BGHSt 26, 126; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Januar 1989 – 2 Ws 1/89; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Januar 1988 – 1 Ws 37/88; OLG Celle, Beschluss vom 9. Juni 1959 – 2 Ss 140/59, NJW 1959, 1932; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 44 Rn. 19, § 464 Rn. 21).

Unerheblich ist, dass der Verteidiger in seiner Beschwerdebegründung vorträgt, er gehe davon aus, dass seine sofortige Beschwerde nicht verfristet sei, weil ihm das schriftliche Urteil noch nicht zugestellt worden sei, also geltend macht, sich auch über den Zeitpunkt des Fristbeginns für die Einlegung einer Kostenbeschwerde geirrt zu haben und weiter zu irren. Denn er hätte, wie seine oben angeführte Erklärung zeigt, auch dann nicht innerhalb einer Woche nach Verkündung des Urteils Beschwerde gegen die Kostenentscheidung erhoben, wenn er gewusst hätte, dass eine sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung eines Urteils innerhalb einer Woche nach Urteilsverkündung einzulegen ist.

Auch die Regelung des § 44 Satz 2 StPO vermag dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar ist ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls rechtsfehlerhaft eine Belehrung nach § 35a StPO über das Rechtsmittel der Kostenbeschwerde und die dafür vorgesehene Frist unterblieben, dies führt jedoch nur dazu, dass nach § 44 Satz 2 StPO eine Versäumung der Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen wäre (BGH, Beschluss vom 16. August 2000 – 3 StR 339/00, NStZ 2001, 45; OLG Bamberg, Beschluss vom 1. Juli 2014 – 3 Ss 84/14, NStZ-RR 2014, 376; KK-StPO-Gieg, 7. Aufl. 2014, § 44 Rn. 36; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 44 Rn. 22). Hierauf kommt es vorliegend indes nicht an, weil – wie dargelegt – bereits kein Fristversäumnis im Sinne des § 44 Satz 1 StPO vorliegt, so dass die Frage eines etwaigen Verschuldens hinsichtlich einer Fristversäumung irrelevant ist.“

Also: Augen auf und gerade in den Fällen eines potentiellen Rechtsmittels gegen eine Kosten- und Auslagenentscheidung die ergangene Entscheidung sorgfältig prüfen. Zurücklehnen ist gefährlich, da eben dem Mandanten hier ein Verschulden des Verteidigers zugerechnet wird. Und dann kann eine Menge Geld aus der Staatskasse verloren gehen.

(Pflicht)Verteidiger stellt sich tot – Wiedereinsetzung, oder: Doppelt tot.

© Alex White - Fotolia.com

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Da ist dann auch mal ein Verfahren, in dem unverständliches Verteidigerverhalten festzustellen ist, das der BGH im BGH, Beschl. v. 28.06.2016 – 2 StR 265/15 – als einen „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung bzeichnet. Da muss ich nicht mehr viel Worte machen: Der BGH, Beschluss spricht für sich:

Die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision des Angeklagten nach § 345 Abs. 1 StPO beruht auf einem Verteidigerverschulden, welches dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Es handelt sich um einen Fall des „offenkundigen Mangels“ der Verteidigung durch den Pflichtverteidiger, welcher den Anspruch des Angeklagten auf eine wirksame Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK verletzt (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – Nr. 38830/97, NJW 2003, 1229, 1230). Die Verteidigung darf nicht nur formal bestehen.

Nachdem der vom Gericht bestellte Verteidiger namens und im Auftrag des Angeklagten Revision eingelegt hatte, war er mangels Bildung und Bestätigung eines Rücknahmewillens durch den Angeklagten auch verpflichtet, das Rechtsmittel form- und fristgerecht zu begründen. Darauf durfte der Angeklagte trotz des Umstands, dass der Verteidiger bereits im vorangegangenen Revisionsverfahren die Revision nicht (fristgemäß) begründet hatte, auch vertrauen, zumal es aus seiner Sicht – wie es sich seinem Schreiben vom 20. April 2015 entnehmen lässt – keinen Anhalt dafür gab, dass der Verteidiger die Revision nicht ordnungsgemäß begründen würde. Ungeachtet dieser Verpflichtung ist der bestellte Verteidiger untätig geblieben; er hat damit ihm dem Angeklagten gegenüber obliegende Pflichten verletzt und damit dessen Recht auf effektive Verteidigung verletzt.

Auch die Versäumung der Frist zur Nachholung der ursprünglich versäumten Handlung geht auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers zurück, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Er hat in Kenntnis seines eigenen Versäumnisses auf die Zustellung des landgerichtlichen Revisionsverwerfungsbeschlusses, die die Frist zur Nachholung der Revisionsbegründung in Gang setzte, nicht reagiert, weshalb die einwöchige Frist ungenutzt verstrichen ist. Er hat auch in der Folge weder auf Anschreiben der Staatsanwaltschaft noch auf die Übersendung des Antrags des Generalbundesanwalts nach § 346 Abs. 2 StPO noch auf eine telefonische Nachfrage des Senats Bemühungen unternommen, die Verteidigung des Angeklagten durch Nachholung der Revisionsbegründung und Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sicherzustellen.

Die dem Landgericht erkennbare Verletzung von Verteidigungsrechten durch den staatlich bestellten Verteidiger verstößt gegen die Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK und hätte – zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens – im Verfahren vor dem Landgericht zur Entpflichtung des Rechtsanwalts und Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers führen müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 143 Rn. 4). Im Revisionsverfahren ist – nachdem der Angeklagte nunmehr einen Wahlverteidiger beauftragt hat – von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Nachholung der Revisionsbegründung und in die Frist zur Begründung der Revision zu gewähren.“

Überlesen sollte man aber auch nicht den Hinweis des BGH an das LG – „Die dem Landgericht erkennbare Verletzung von Verteidigungsrechten durch den staatlich bestellten Verteidiger ….. hätte – zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens – im Verfahren vor dem Landgericht zur Entpflichtung des Rechtsanwalts und Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers führen müssen“. Also: Doppelt fehelrhaft.

„kein Geld für Briefporto“…. Wiedereinsetzung?

Copyright: canstockphoto

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Beschlüsse, die sich mit Wiedereinsetzungsfragen befassen, findet man in der Rechtsprechung des BGH häufiger. So dann jetzt auch den BGH, Beschl. v. 09.06.2016 – 2 StR 82/16, in dem der BGH den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten, der sich in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs befindet, abgelehnt hat. Begründung (mal wieder): Nicht ausreichender Vortrag zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses. Der Angeklagte hatte geltend gemacht, „er habe nach seiner Verlegung in die Maßregeleinrichtung auf „sein Geld“ gewartet und habe früher nicht über das für das Briefporto erforderliche Geld verfügt. Er habe außerdem angenommen, dass die Rechtsmittelfrist zwei Wochen betrage. Dazu der BGH:

Der Wiedereinsetzungsantrag ist bereits unzulässig, weil der Angeklagte nicht mitgeteilt hat, wann das der Fristeinhaltung entgegenstehende Hindernis weggefallen ist. Darüber hinaus legt sein Vorbringen eine schuldlose Fristversäumung nicht nahe. Soweit der Angeklagte angegeben hat, nicht über die für das Briefporto erforderlichen Geldmittel verfügt zu haben, kann seinem Vorbringen weder entnommen werden, ob dieses Hindernis tatsächlich bestand noch ob dies eine rechtzeitige Rechtsmitteleinlegung tatsächlich hinderte. Der Angeklagte hat nicht dargetan, ob die Maßregeleinrichtung die Beförderung der Rechtsmittelschrift unfrankiert abgelehnt hat; dies liegt in Ansehung des Umstands, dass Anspruch auf die kostenfreie Beförderung einer Rechtsmittelschrift besteht, eher fern. Soweit der Wiedereinsetzungsantrag außerdem darauf gestützt ist, dass der Angeklagte sich über die Länge der Rechtsmittelfrist geirrt und angenommen habe, sie betrage zwei Wochen, kann dies die Wiedereinsetzung nicht begründen. Der Angeklagte war nach Urteilsverkündung durch das Gericht und durch Schreiben seiner Verteidigerin vom 25. November 2015 auf die Wochenfrist zur Einlegung der Revision ausdrücklich hingewiesen worden.

Bei dieser Sachlage kann der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg haben.“