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Keine Wiederaufnahme für Gäfgen

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In meinem Jurion-NL finde ich gerade folgende Meldung über einen OLG Frankfurt am Main-Beschluss – vgl. auch hier den Bericht bei LTO:

Magnus G. scheitert mit Wiederaufnahmeantrag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main

„Mit einem Beschluss hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) eine Beschwerde des wegen Mordes verurteilten Magnus G. zurückgewiesen, mit der dieser die Wiederaufnahme seines Strafverfahrens erreichen wollte.

G. war durch das Landgericht Frankfurt am Main am 9.4.2003 wegen Mordes an dem 11-jährigen J. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die er seitdem verbüßt. Die Tat und das anschließende Strafverfahren gegen G. hatten damals große Aufmerksamkeit in den Medien hervorgerufen. Die Verurteilung beruhte im Wesentlichen auf einem Geständnis des G., das dieser in der Hauptverhandlung abgegeben hatte. Zuvor hatte das Landgericht festgestellt, dass die von G. während seiner polizeilichen Vernehmung gemachten Einlassungen wegen der Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden durch einen Polizeibeamten nicht verwertet werden dürften.

Die gegen das Urteil eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof im Mai 2004 als offensichtlich unbegründet. Eine von G. erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte durch Urteil vom 1.6.2010 fest, dass G. während seiner polizeilichen Vernehmung im Oktober 2002 mit Folter gedroht wurde, um ihn zur Preisgabe des Aufenthaltsortes seines Opfers zu veranlassen, und dass diese Vernehmungsmethode eine nach Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK – Menschenrechtskonvention) verbotene unmenschliche Behandlung darstelle. Gestützt auf das Urteil des EGMR betreibt G. die Wiederaufnahme seines Strafverfahrens, die er primär damit begründet, dass seine Verurteilung durch das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main auf dem gegen ihn ausgeübten Zwang im Ermittlungsverfahren beruhe. Das für die Wiederaufnahme erstinstanzliche zuständige Landgericht Darmstadt wies den Antrag mit Beschluss vom 9.11.2011 zurück.

Zu Recht, wie das OLG im Beschluss nunmehr feststellte. Die Voraussetzungen, unter denen die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten zulässig sei, lägen nicht vor. Soweit der EGMR eine Verletzung der Menschenrechtskonvention gegenüber G. festgestellt habe, beruhe das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main hierauf nicht. Der im Ermittlungsverfahren festgestellte Verstoß habe keinen Einfluss auf das Geständnis des G. in der Hauptverhandlung gehabt, auf dem die Verurteilung im Wesentlichen beruhe.

Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 29.06.2012
Aktenzeichen 1 Ws 3/12
Ich wage die Behauptung, dass das Verfahren damit noch nicht beendet ist, sondern Gäfgen wahrscheinlich den Weg nach Karlsruhe und Straßburg gehen wird.

Glück gehabt: „A……loch, A….loch“ bleibt ungesühnt – wegen Strafklageverbrauch

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Glück hatte ein Betroffener, dem u.a. in Zusammenhang mit einer Verkehrskontrolle auch Beleidigung vorgeworfen worden war. Ausgangspunkt war folgender Sachverhalt: Der geschädigte Mitarbeiter des Ordnungsamtes führte am 31. 10. 2008 von 13.08 bis 14.45 Uhr in der Sch. eine Geschwindigkeitsüberwachung durch. Im landgerichtlichen Urteil heißt es dann weiter:

„Gegen 14.31 Uhr sei ein Lieferwagen der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen R… an dem Messwagen vorbeigefahren. Dieses Fahrzeug habe ca. drei bis vier Meter davor komplett auf dem Gehweg im absoluten Halteverbot gehalten. Da es sich an dieser Stelle um einen Schulweg handele, habe er den Fahrer auf sein Fehlverhalten angesprochen und gebeten, das Fahrzeug woanders zu parken. Darauf habe dieser geantwortet: „Wen stört das und was geht dich das an, ich muss liefern.“ Daraufhin habe er – der Geschädigte – von dem Fahrzeug Fotos gefertigt und eine Mitteilungskarte ausgefüllt. Als er die Karte an dem Lieferwagen festklemmen wollte, sei der Fahrer zurückgekommen. Er habe diesem die Karte überreicht. Der Fahrer habe kurz darauf geschaut und gesagt: „Was soll ich damit, Arschloch“, die Karte auf den Boden geworfen und sei dann zu seinem Fahrzeug gegangen. Dabei habe der Fahrer sich mehrfach zu ihm umgedreht und noch drei- bis viermal Arschloch gerufen.

Das Verfahren entwickelt sich wie folgt:

  1. Verwarnung wegen Parkens im absoluten Halteverbot. Der Angeklagte zahlte das Verwarngeld in Höhe von 25 €, womit dieses Verfahren abgeschlossen war.
  2. Desweiteren erließ die Oberbürgermeisterin unter dem 12. 12.2008 wegen Verschmutzung einer Straße durch Wegwerfen von Papier (Verstoß gegen § 3 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 2 der Ordnungs- und Sicherheitsverordnung der Stadt R.) einen Bußgeldbescheid über 30 €. Dagegen legte der Angeklagte Einspruch ein. Das Verfahren wurde in der Hauptverhandlung nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.
  3. In einem getrennten Verfahren Strafbefehl wegen Beleidigung. In dem ist der  Angeklagten zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt worden.

Dagegen die erfolgreiche Revision des Angeklagten. Der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.03.2012 – III-3 RVs 28/12 – geht von Strafklageverbrauch aus:

„Durch die im Bußgeldverfahren … Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG ist Strafklageverbrauch eingetreten. Denn das vorgenannte Verfahren hatte dieselbe Tat zum Gegenstand wie das vorliegende Strafverfahren. Gem. Art. 103 Abs. 3 GG darf niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden („ne bis in idem“-Grundsatz). Dabei entspricht der Tatbegriff des Art. 103 GG dem des § 264 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 264 Rn. 1). Die Sperrwirkung reicht allerdings nur so weit, wie die Sachentscheidung durch ein deutsches Strafgericht auf Grund des Bußgeldbescheides geboten war (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Einl. Rn. 173 zur Anklage und zum Eröffnungsbeschluss). Die Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG durch Beschluss vom 27. März 2009 bezog sich auf dieselbe Tat, die auch Gegenstand dieses Strafverfahrens ist. Denn das gesamte, dem Angeklagten angelastete Verhalten – Wegwerfen der Mitteilungskarte unter mehrfachem Ausruf des Wortes „Arschloches“ gegenüber dem Mitarbeiter des Ordnungsamtes – stellt sich als historisch einheitlicher Vorgang dar. Dies war für den Bußgeldrichter auch aufgrund der in der Akte befindlichen Anzeige des Zeugen R. ersichtlich, auch wenn der Bußgeldbescheid den Tatbestand der Beleidigung nicht erwähnt.

In der in Literatur und Schrifttum umstrittenen Frage, inwieweit ein Beschluss nach § 47 Abs. 2 OWiG als Opportunitätsentscheidung ebenso wie die in § 84 Abs. 2 OWiG genannten Entscheidungen Bindungs- und Sperrwirkung für ein nachfolgendes Strafverfahren entfalten kann, schließt sich das OLG der h.M. an, die für die Verfolgung derselben Tat auch unter dem Blickwinkel einer möglichen Straftat unter Bezugnahme auf § 211 StPO mindestens das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel verlangt, die dem Einstellungsbeschluss die Grundlage entziehen. Mehr dazu im Beschluss.

 

Wiederaufnahme, Nebenklage, Kostenerstattung

Einen in der Praxis sicherlich nicht häufigen Fall behandelt OLG Celle, Beschl. v. 28.04.2011 – 1 Ws 105/11 und 1 Ws 149/11, nämlich die Frage der Kostenerstattung im Wiederaufnahmeverfahren betreffend den Nebenkläger, der sich dem Verfahren angeschlossen hat. Das OLG Celle sagt:

Der Angeklagte hat dem Nebenkläger, der sich dem Wiederaufnahmeverfahren angeschlossen hat, dessen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten, wenn der Antrag auf Wiederaufnahme erfolgreich war, der Angeklagte in der erneuten Hauptverhandlung aber wiederum wegen eines Nebenklagedelikts verurteilt wird (hier: Wiederaufnahmeantrag mit dem Ziel der Verurteilung nur wegen vorsätzlicher Körperverletzung statt gefährlicher Körperverletzung).“

Der Beschluss enthält zudem interessante Ausführungen zur Kostenverteilung, wenn die Berufungen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers nach Wiederaufnahme des Verfahrens in der Berufungsinstanz erfolglos sind. Ist ja auch nicht „Alltagsgeschäft“.

Gebührenrechtlicher Sachverstand, oder: Warum hilft der armen Kanzleiangestellten denn niemand?

Heute mal wieder etwas Gebührenrechtliches. Folgende Anfrage einer Rechtsanwaltsfachangestellten ist bei mir eingetrudelt:

„…in meiner Tätigkeit als Rechtsanwaltsfachangestellte bin auf einen interessanten kostenrechtlichen Sachverhalt gestoßen.

Es handelt sich um ein wieder aufgenommenes Ermittlungsverfahren. Die Wiederaufnahme wurde von der Gegenseite beantragt. Unser Mandant wird einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153a StPO gegen die Zahlung eines Geldbetrages höchstwahrscheinlich zustimmen. Eine Grund- und Verfahrensgebühr wurden jeweils für das erste Ermittlungsverfahren bei der RSV abgerechnet.

Trotz umfangreicher Recherche ist es mir nicht gelungen herauszufinden, ob für das wieder aufgenommene Verfahren erneut Gebühren entstehen.

Problempunkt:

Wir haben keine Beschwerde eingereicht. Gebühren nach VV Nr. 4138 und 4139 RVG entstehen daher nicht.

Ungeachtet dessen würde für die vorgenannten VV Nrn. jeweils eine Gebühr in Höhe der Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug entstehen. Ein Verfahren im ersten Rechtszug hat im vorbeschriebenen Fall allerdings nie stattgefunden.

Hm, überlege ich, was schreibe ich ihr und vor allem, wie, damit es zumindest nett klingt. Denn die Anfrage zeugt nicht von so ganz viel gebührenrechtlichem Sachverstand. Ich habe es dann mal so gemacht:

„….da befinden Sie sich aber in einem ganz erheblichen Irrtum. Der Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 4 VV RVG – also die Gebühren Nr. 4136 ff. RVG – gilt/gelten nur für das Wiederaufnahmeverfahren i.e.S. Damit haben Sie es aber doch hier überhaupt nicht zu tun. Es handelt sich hier doch nur um die die Fortsetzung des eigentlichen Verfahrens. Da entstehen grds. keine neuen Gebühren, es sei denn das Verfahren hat mehr als zwei Jahre geruht. Sie können allenfalls eine Erhöhung der VG gegenüber der RSV geltend machen.

Sorry, aber Ihre Sicht ist schon ein wenig eigentümlich.“

Was mich erstaunt ist: Weiß der Chef es denn auch nicht und/oder warum wendet sie sich nicht an ihn. Oder hat er sie auf die Idee gebracht? Das wollen wir doch nicht hoffen 🙂 :-).

Die Karawane zieht weiter… auch Verschärfung des strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens

Auch hier eine Verschärfung. Das Land NRW hat im Bundesrat ein Gesetzesvorhaben, das in der letzten Legislaturperiode nicht zu Ende beraten worden war, wieder aufleben lassen, vgl. die BR-Drucksache 222/10. Danach sollen die Wiederaufnahmemöglichkeiten zu Ungunsten des Angeklagten erweitert werden, der vom

  • Vorwurf des Mordes,
  • eines ausschließlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Tötungsverbrechens nach dem Völkerstrafgesetzbuch oder
  • einer mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndenden Anstiftung zu diesen Straftaten

freigesprochenen worden ist.

Eine Wiederaufnahme soll dann zulässig sein, wenn neue, zum Zeitpunkt des Freispruchs nicht vorhandene technische Ermittlungsmethoden nachträglich zu der Erkenntnis führen, dass das freisprechende Urteil falsch ist. Zu diesem Zweck sieht der Entwurf die Einführung einer Nummer 5 in § 362 StPO vor. Zur Gewährleistung einer mit Blick auf Artikel 103 Absatz 3 GG für erforderlich gehaltenen restriktiven Handhabung des neuen Wiederaufnahmegrundes zuungunsten des Angeklagten soll in § 370 StPO vorgesehen werden, dass ein auf ihn gestützter Wiederaufnahmeantrag nur begründet ist, wenn dringende Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Freigesprochene verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt werden wird, weil von seiner Schuldunfähigkeit auszugehen ist.

Auch hier also – wie schon durch das Gesetz zur Effektivierung des Strafverfahrens – eine Verschärfung des geltenden Rechts.