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„Wunder gibt es immer wieder?“, oder: „ungewöhnlicher Verfahrensablauf“ beim § 111a-Beschluss

Entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Schon etwas länger hängt der LG Berlin, Beschl. v. 09.03.2016 – 528 Qs 15/16 – in meinem Blogordner, den der Kollege Kroll aus Berlin mir übersandt hat. Auf den ersten Blick nichts Besonderes, aber dann: Nun, ob die Überschrift: „Wunder gibt es immer wieder“ passt oder damit der Beschluss vielleicht doch etwas zu hoch gehängt wird, mag der Leser für sich selbst entscheiden. Aber jedenfalls scjon außergwöhnlich(er), was das LG Berlin da gemacht hat. Nämlich eine § 111a-Beschwerde nicht einfach nur durchgewunken, sondern den zugrunde liegenden § 111a-Beschluss des AG Tiergarten aufgehoben. Begründung: Keine „dringende“, sondern nur „hinreichende“ Gründe, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Und: Ich habe den Eindruck, dass dem LG der Verfahrensablauf nicht gepasst hat.

Und hier dann der Beschluss:

„Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 111a StPO nicht erfüllt sind. Derzeit liegen keine dringenden, sondern nur hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass pp. die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.

Gegen den Beschwerdeführer besteht insbesondere durch die schriftlichen Angaben des Zeugen Dr. U. der hinreichende Tatverdacht einer am 14. März 2015 in Berlin begangen Gefährdung des Straßenverkehrs. Dieser entfällt auch nicht durch die Darstellungen des Sachverständigen Dr. W., denn danach besteht technisch lediglich die Möglichkeit, dass die bestreitende Einlassung des Angeklagten zutreffend ist. Gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen nach der im Beschwerdeverfahren nur möglichen summarischen Bewertung jedoch die Angaben der Zeugen W., K. und Dr. U. Keiner der Augenzeugen bestätigte, dass der Zeuge Kappel mit seinem PKW die Unfallursache gesetzt habe.

Aufgrund des ungewöhnlichen Verfahrensablaufs und der verbleibenden Unsicherheiten am Unfallhergang fehlt es derzeit jedoch an der für die Maßnahme erforderlichen dringenden Annahme des Fahrerlaubnisentzuges. Nachdem alle Verfahrensbeteiligten zunächst von einer Ordnungswidrigkeit ausgegangen waren, erlangte das Amtsgericht Tiergarten erst im November 2015 – nach der Terminsladung im Ordnungswidrigkeitenverfahren – Kenntnis von den schriftlichen Angaben des Zeugen Dr. U. Nach der Aussetzung der Hauptverhandlung am 13. Januar 2016 ging das Amtsgericht daraufhin in das Strafverfahren über und nahm — knapp zehn Monate nach der Tat — ohne weitere Prüfung den dringenden Tatverdacht i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 1 StGB an. Die schriftlichen Erklärungen des Sachverständigen Dr. W. berücksichtigte das Gericht bislang nicht, wobei diese angesichts der fehlenden Zeugenbefragungen auch nur unvollständig sind. Die unter diesen Umständen für die Entscheidung erforderliche umfassende Würdigung der Beweismittel muss der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.“

Nach 1 Jahr und 4 Monaten keine weitere „vorläufige“ Entziehung der Fahrerlaubnis

© Andrey - Fotolia.com

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Der LG Hannover, Beschl. v. 24.02.2016 – 40 Qs 18/16 – ist zwar nicht in einem verkehrsstrafrechtlichen Verfahren ergangen, sondern in einem Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das WaffG, er ist aber sicherlich vor allem (auch) für die Verkehrsstrafrechtler von Bedeutung. Das LG sagt nämlich, dass bei einem Zeitablauf von einem Jahr und 4 Monaten seit Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme als unverhältnismäßig anzusehen ist:

„Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts und unabhängig von der Frage, ob der mutmaßliche Eignungsmangel im Sinne des § 69 StGB weiter besteht und deshalb gemäß § 111 a StPO dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird, erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend wegen auf einer sachwidrigen Behandlung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots beruhenden Verzögerung des Verfahrens unverhältnismäßig (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 402 f.).

Der verfahrensgegenständliche Vorfall datiert vom 27.10.2014. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.11.2014 wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Am 17.04.2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zum Strafrichter. Eine auf den 12.10.2015 terminierte Hauptverhandlung wurde wegen Abwesenheit eines Zeugen ausgesetzt. Am 13.10.2015 wurde Termin für die neue Hauptverhandlung auf den 10.03.2016 bestimmt.

Den Angeklagten auf geraume Zeit auf der Grundlage vorläufiger Erkenntnisse ohne Fahrerlaubnis zu belassen, widerspricht vor dem Hintergrund dieser zögerlichen Sachbehandlung dem Rechtsstaatsgebot. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Anordnung und der Vollziehung als auch hinsichtlich der Fortdauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 13. März 2013 — 18 Qs 14/13 —, juris). Bei einem Zeitablauf von einem Jahr und 4 Monaten seit Anordnung der Maßnahme bis zur Hauptverhandlung ist ein solches vernünftiges Verhältnis im vorliegenden Fall nicht mehr gegeben. Aus diesem Grunde ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als unverhältnismäßig aufzuheben.“

Recht so…..

„Fleppe“ weg? Unter 0,5 Promille gibt es Entschädigung

© benjaminnolte - Fotolia.com

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In Verkehrsstrafsachen spielen immer wieder auch Entschädigungsfragen nach dem sog. StrEG eine Rolle, und zwar dann, wenn im Laufe des Ermittlungsverfahrens die Fahrerlaubnis vorläufig nach § 111a StPO entzogen worden ist, dann aber im Urteil keine endgültige Entziehung nach den §§ 69, 69a StGB erfolgt.  Dann erfolgt aber ggf. der Ruf nach Entschädigung. Vor deren Gewährung ist eine hohe Hürde zu überwinden, nämlich der § 5 Abs. 2 StrEG, der bei grob fahrlässiger Herbeiführung der Zwangsmaßnahme eine Entschädigung ausschließt. Und da stellt sich in Trunkenheitssachen immer die Frage: Hat der Angeklagte durch seine Alkoholisierung die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis grob fahrlässig veranlasst und gibt es deshalb keine Entschädigung. Mit einem soclhen Fall befasst sich der LG Oldenburg, Beschl. v. 17.03.20155 Qs 80/15. Das OLG Oldenburg hat Entschädigung gewährt:

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, an die die Kammer gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 StrEG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 2 StPO gebunden ist, befuhr die einem Blutalkoholgehalt von 0,47 ‰ alkoholisierte vormals Angeklagte mit ihrem Pkw gegen 03.15 Uhr nachts öffentliche Straßen. Dabei war sie zum Teil deutlich langsamer als erlaubt unterwegs (50 bis 70 km/h bei Geschwindigkeitsbegrenzungen von 70 und 100 km/h). In drei bis vier Kurven kam sie mindestens 50 cm auf die Gegenfahrbahn. Auf gerader Strecke nutzte sie die Breite der Fahrspur aus, ohne jedoch den Mittelstreifen zu überfahren. Das sachverständig beratene Amtsgericht konnte nicht feststellen, dass die Fahrfehler und Auffälligkeiten auf die Alkoholisierung der vormals Angeklagten zurückzuführen waren.

Auch folgt aus den Feststellungen nicht, dass die vormals Angeklagte die vorläufige Entziehung ihrer Fahrerlaubnis grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat. Zwar weist die Staatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass in der Rechtsprechung bereits die Schaffung eines erheblichen Tatverdachts einer Trunkenheitsfahrt durch Alkoholgenuss vor oder nach der Fahrt als grob fahrlässig angesehen werden kann (vgl. Nachweise bei: Krenberger, JurisPR-VerkR 18/2012 Anm. 5). Nach Auffassung des LG Aachen (Beschl. v. 30.01.2012, 71 Ns 227/10) ist dies der Fall, wenn der Beschuldigte das Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration geführt hat, die über dem Grenzwert des § 24a Abs. 1 StVG, also oberhalb von 0,5 ‰ liegt (so auch Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 12; kritisch: Sandherr SVR 2012, 272 f., der zusätzlich verkehrswidriges Verhalten fordert).

Die Alkoholisierung der vormals Angeklagten lag hier jedoch – wenn auch nur knapp – unterhalb von 0,5 ‰. Die festgestellten Fahrfehler (Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot) und Auffälligkeiten (geringe Geschwindigkeit) ließen sich durch die Dunkelheit und Ortsunkundigkeit der vormals Angeklagten erklären. Insgesamt erscheint ihr Verhalten schon allein auf Grund des vorherigen Alkoholgenusses durchaus fahrlässig im Hinblick auf eine mögliche Fahrerlaubnisentziehung. Einen darüber deutlich hinausgehenden ungewöhnlich schweren Sorgfaltsverstoß kann die Kammer in dem Verhalten der vormals Angeklagten jedoch nicht erkennen. Jegliche Alkoholisierung eines Pkw-Fahrers im Straßenverkehr wird regelmäßig auf dessen sorgfaltswidriges und damit fahrlässiges Verhalten zurückzuführen sein. Dabei hat der Gesetzgeber durch das Erfordernis der groben Fahrlässigkeit in § 5 Abs. 2 StrEG allerdings klargestellt, dass nicht jede Sorgfaltswidrigkeit zum Ausschluss etwaiger Entschädigungsansprüche führen kann. Zwar mag es durchaus Fälle geben, in denen auch ein Alkoholisierungsgrad unterhalb des Grenzwertes des § 24a Abs. 1 StVG zur Annahme grober Fahrlässigkeit führt. In diesem Fall müssen aber die weiteren vorwerfbar geschaffenen Verdachtsmomente so erheblich sein, dass gleichwohl die Annahme grober Fahrlässigkeit gerechtfertigt ist. Dies macht auch ein Vergleich mit der zitierten Entscheidung des LG Aachen deutlich: Dort hatte die Angeklagte mit einer Blutalkoholkonzentration von knapp 0,8 ‰ zusätzlich einen Verkehrsunfall verursacht. An den dort zu Grunde liegenden Tatverdacht kommt die von der vormals Angeklagten hier geschaffene Verdachtslage erkennbar nicht heran. Die sofortige Beschwerde war daher zurückzuweisen.“

Also: Unter 0,5 Promille wird es danach i.d.R. Entschädigung geben, wenn keine Besonderheiten vorliegen.

Wenn sich das AG nicht sputet, gibt es den Führerschein zurück

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Es entspricht allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung, dass Verfahren, in denen dem Beschuldigten die Entziehung der Fahrerlaubnis droht, besonderer Beschleunigung bedürfen: Wird das auf dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beruhende Beschleunigungsgebot verletzt, wird die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben (vgl. dazu schon der LG Stuttgart, Beschl. v. 13.03.2013 – 18 Qs 14/13 und Verfahren kann nicht zeitnah beendet werden – es gibt den Führerschein zurück)

So dann auch im LG Berlin, Beschl. v. 17. 07. 2014 – 525 Cs 74/14. Da hatte das AG erst am 21.10.2013 Hauptverhandlungstermin auf den 20.03.2014 anberaumt, obwohl gegen den erlassenen Strafbefehl bereits am 17.08.2013 Einspruch eingelegt worden war. Dann ist zwar die Hauptverhandlung “geplatzt“, weil der Verteidiger für einen am 23.03.2014 vorgesehenen Fortsetzungstermin nicht zur Verfügung stand, ein neuer Hauptverhandlungstermin ist jedoch erst am 18.06.2014 auf den 05.08.2014 angesetzt worden, obwohl der Verteidiger mit Schriftsätzen vom 24. und 30.04.2014 jeweils um Mitteilung eines neuen Termins gebeten hatte.

Dem LG langt es:

Angesichts dieses Verfahrensganges kann entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft auch nicht damit argumentiert werden, dass das Verfahren längst hätte abgeschlossen sein können, wenn der Verteidiger nicht auf der Aufhebung des Fortsetzungstermins vom 3. April 2014 bestanden hätte. Vielmehr war der angefochtene Beschluss mit der Folge aufzuheben, dass der Führerschein an die Angeklagte freizugeben war.

Verfahren kann nicht zeitnah beendet werden – es gibt den Führerschein zurück

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Folgender Verfahrensablauf in einem Verfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung:

04.05.2012 vermeintliche Tat
08.05.2012 Anzeige des Zeugen X und dessen polizeiliche Vernehmung
14.06.2012 Anhörung des Angeklagten
27.09.2012 Eingang des Anzeigevorgangs bei der Staatsanwaltschaft
08.11.2012 Auftrag für Nachermittlungen
06.12.2012 Eingang der Ergebnisse
09./11. 01.2013 Antrag auf Erlass eines StB und für den Fall des Einspruchs die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
15.01.2013 Erlass des Strafbefehls
21.01.2013 Einspruch eingelegt
07.,02.2013 vorläufige Entziehung der Fahrererlaubnis

Dem LG Stuttgart reicht der Verfahrensablauf nicht (mehr) um die Verhältnismäßigkeit der weiteren Dauer der vorläufigen Entziehung zu bejahen, zumal eine Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Tatzeugen erst im Juni 2013, ggf. Ende April 2013 durchgeführt werden kann. Dazu der LG Stuttgart, Beschl. v. 13.03.2013 – 18 Qs 14/13:

…Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts und unabhängig von der Frage, ob der mutmaßliche Eignungsmangel im Sinne des § 69 StGB weiter besteht und deshalb – was zu bejahen ist – gemäß § 111 a StPO dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird, erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend aber wegen auf einer sachwidrigen Behandlung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots beruhenden Verzögerung des Verfahrens unverhältnismäßig (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 402 f.).

Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Das gilt bei der Anordnung, Vollziehung und Fortdauer derartiger Maßnahmen, auch bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis….

Ihn auf – aus derzeitiger Sicht – unabsehbare Zeit auf der Grundlage vorläufiger Erkenntnisse ohne Fahrerlaubnis zu belassen, widerspricht jedenfalls vor dem Hintergrund der bereits vor dem 07.02.2013 zögerlichen Sachbehandlung dem Rechtsstaatsgebot.“

Das LG setzt damit Rechtsprechung, die es im Haftrecht gibt, um, ohne es ausdrücklich auszuführen. Nämlich, dass bereits dann, wenn eine Verfahrensverzögerung absehbar ist, der Haftbefehl ggf. aufgehoben werden muss.