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StGB I: Mal wieder Verharmlosen von NS-Verbrechen, oder: Herunterspielen/Beschönigen einer Tat

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Und dann heute StGB-Entscheidungen, darunter zwei Entscheidungen zur Volksverhetzung (§ 130 StGB). Beide kommen (wieder) vom BayObLG. „Wieder“ ist m.E. berechtigt, denn es kommen nach meinem Eindruck doch recht viele Entscheidungen zu der Problematik aus Bayern.

Hier dann zunächst der BayObLG, Beschl. v. 02.08.2023 -203 StRR 287/23. Es geht um den Begriff des Verharmlosens. Dazu das BayObLG:

„1. Bei den Äußerungen der Angeklagten in ihrer Mail vom 13.05.2022 handelt es sich um die Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch bezeichneten Art.

a) Ein Verharmlosen im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB liegt dann vor, wenn eine unter der NS-Herrschaft begangene Tat in tatsächlicher Hinsicht heruntergespielt, beschönigt oder ihr wahres Gewicht verschleiert wird. Alle denkbaren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Missachtung sollen erfasst werden (BGH, Urteil vom 06.04.2000, 1 StR 502/99, juris, Rn. 13).

b) Eine derartige, Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosende Äußerung der Angeklagten hat das Amtsgericht Fürth im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei festgestellt.

Das Gericht hat aus dem Wortlaut von deren Mailnachricht vom 13.05.2022 zu Recht darauf geschlossen, dass die Angeklagte ihr eigenes, vom Amtsgericht im Ergebnis als banal bezeichnetes Schicksal mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden während der NS-Zeit gleichgesetzt habe. Sie habe ihre Problematik, dass sie seit mehr als 36 Jahren nicht als Deutsche i.S.v. Art 116 GG anerkannt worden sei, auf eine Stufe mit den an den Juden in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen gestellt. Diese seien „als Deutsche abgeschafft“ und „als genetischer Abfall behandelt“ worden, es sei „nur das Endprodukt … anders“ gewesen. Mit dieser abgesehen vom „Endprodukt“ gleichstellenden Bezugnahme und mit der weiteren Äußerung, dass Hitler und seine Gefolgsleute zwölf Jahre lang die Existenzberechtigung und Gleichrangigkeit der deutschen Juden in Frage gestellt und auf persönliche Unterschiede verwiesen hätten, hat die Angeklagte ihr eigenes Schicksal der Nichtanerkennung mit dem Holocaust qualitativ wie quantitativ gleichgesetzt und hat durch diese Gleichsetzung die Gewalttaten des NS-Regimes gegen die jüdische Bevölkerung abgewertet und bagatellisiert.

2. Die Angeklagte hat dies auch öffentlich (§ 130 Abs. 3 StGB) getan, da sie ihre Mail an einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten und durch eine nähere Beziehung nicht verbundenen Personenkreis (Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 130 Rn. 22 unter Verweis auf § 186 Rn. 19 mit zahlreichen Nachweisen), nämlich an das Bundesverfassungsgericht sowie an Behörden und mehrere Pressestellen (Bildzeitung und Deutsche Presse-Agentur) schickte.

….“

Zur Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens dann nur der Leitsatz des BayObLG:

Ob eine Meinungsäußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen, bei der insbesondere die Art, der Inhalt, die Form und das Umfeld der Äußerung zu berücksichtigen sind, aber auch je nach den Umständen des Einzelfalls die Stimmungslage in der Bevölkerung, die politische Situation und der Zweck und die drohenden Auswirkungen der Äußerung.

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)

Corona I: Zur Coronaimpfung „Impfen macht frei, oder: Verharmlosen von NS-Verbrechen

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Und heute zum Wochenstart dann noch einmal zwei Entscheidungen zu den „Nachwehen“/Nachwirkungen der Corona-Pandemie. In beiden Entscheidungen geht es um die Volksverhetzung (§ 130 StGB)

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 20.03.2023 – 206 StRR 1/23. Das LG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung verurteilt. Dazu hatte es folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte veröffentlichte am 11. November 2020 über seinen öffentlich einsehbaren Facebook-Account ein zweigeteiltes Bild, auf dessen unterer Hälfte der Eingang eines Konzentrationslagers (mutmaßlich des KZ Auschwitz) mit dem Schriftzug über dem Eingangstor „Arbeit macht frei“ zu sehen ist. In der oberen Hälfte wird eine diesem Eingang nachempfundene Zeichnung mit der Abwandlung dargestellt, dass der Schriftzug „Impfen macht frei“ angebracht ist. Unter diesem Schriftzug werden zwei schwarz uniformierte Männer mit jeweils einer überdimensionierten Spritze in der Hand dargestellt. Das Bild ist mit dem Kommentar „Alles schon mal dagewesen“ nebst einem Emoji, das sich die Augen zuhält und einem weiteren, das mit zwei Fingern ein V-Zeichen bildet, versehen. Die Darstellung wurde bis zum 20. November 2020 von wenigstens 52 weiteren Nutzern der Plattform Facebook „geliked“ sowie 26 Mal kommentiert.“

Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt, die beim BayObLG keinen Erfolg hatte. Ich stelle hier nur den Leitsatz zu der Entscheidung ein. Die Ausführliche Begründung dann bitte im Volltext nachlesen:

Die öffentliche Darstellung des Eingangstors eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „Impfen macht frei“ und zweier schwarz uniformierter Männer jeweils mit einer überdimensionierten Spritze in der Hand – versehen mit dem Kommentar: „Alles schon mal dagewesen“ – erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB in der Tatbestandsvariante des Verharmlosens.

Corona I: Volksverhetzung und Corona-Impfpflicht, oder: Verharmlosen der NS-Verbrechen

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In die 30. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona/Covid-19. Beides sind „Aufarbeitungsentscheidungen“. Sie behandeln Fragen, zu den ich hier schon verschiedentlich Entscheidungen eingestellt habe.

Ich beginne mit dem KG, Urt. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22) – zur Frage der Volksverhetzung durch Verharmlosen der NS-Verbrechen im Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht.

Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) freigesprochen, weil es die Eignung der Tat-handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verneint hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Revision hatte Erfolg.

Das AG hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 13.04.2021 befand sich der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alte und in Oldenburg lebende Angeklagte mit Bekannten in Berlin, um an der angemeldeten Versammlung „Nein zum lfsG 28b“ im Bereich des Regierungsviertels teilzunehmen. Der Angeklagte und seine Begleiter erreichten den Versammlungsort allerdings erst am frühen Mittag, als die Versammlung bereits beendet war. Bei sich führte der Angeklagte insgesamt 17 Sticker in der Größe 11 × 7,5 cm, auf denen auf weißem Grund der in einen schwarzen Torbogen eingebrachte Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ zu sehen ist. Einen dieser Sticker klebte der Angeklagte im Bereich der …-Allee / Ecke …allee in … Berlin gegen 12:35 Uhr auf einen dort aufgestellten gläsernen Informationskasten. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Schriftzug angelehnt war an den Spruch „Arbeit macht frei“, welcher während der NS-Zeit als Torbogenaufschrift an mehre-ren nationalsozialistischen Konzentrationslagern angebracht war, unter ande-rem auch in dem Lagerkomplex Auschwitz. Der Aufkleber ließ sich rückstands-los wieder entfernen.

Das KG sieht die Rechtsfrage anders als das AG und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Nach seiner Auffassung hat das AG nicht genügende Feststellungen zu der Frage getroffen, um die Frage beurteilen zu können, ob eine Eignung der geschilderten Handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens zu Recht verneint worden ist:

„aa) Die Eignung zur Friedensstörung ist ein Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 3 StGB, das zusätzlich zu der Äußerung hinzutreten muss und zu dem der Tatrichter die erforderlichen Feststellungen zu treffen hat (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris). Tatbestandlicher Erfolg ist die konkrete Eignung, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen (vgl. Fischer, a. a. O., § 130 Rn. 13a m. w. N.). Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äußerung an (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021 – Ss 72/2020 [2/21] –, juris Rn. 23).

bb) Gemessen daran erweisen sich die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen als lückenhaft.

(1) Dabei ist es allerdings entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht weder maßgeblich auf die Stimmungslage in der Bevölkerung noch auf die politische Situation zur Tatzeit abgestellt und insoweit auch keine Feststellungen getroffen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, bei der hier in Rede stehenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art eigens festzustellen und nicht wie bei den anderen Varianten des Billigens oder Leugnens indiziert (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862). Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist da-nach im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu le-gen, wobei der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ebenso wenig ein Eingriffsgrund ist wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechts-bewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (vgl. BVerfG, a. a. O.).  Äußerungen sind vielmehr erst geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgut-gefährdende Handlungen hin angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen könnte die Berücksichtigung der Stimmungslage in der Bevölkerung und der politischen Situation zur Tatzeit lediglich dazu führen, in der Handlung des Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen (vgl. OLG Saarbrücken, a. a. O.). Soweit dagegen in der Rechtsprechung teilweise (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 46; LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –; LG Würzburg, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 1 Qs 80/22 –, juris Rn. 17; LG Köln, Beschluss vom 4. April 2022 – 113 Qs 6/22 –) vertreten wird, dass diese Umstände auch bei der Tatbestandsvariante des Verharmlosens maßgeblich in die Gesamtwürdigung einzustellen sind, vermag der Senat dem angesichts der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu folgen.

(2) Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, neben Art, Inhalt und Form auch im ausreichenden Maße das Umfeld der Äußerung des Angeklagten festzustellen.

So lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend die örtlichen Gegebenheiten entnehmen, obwohl sich entsprechende Feststellungen insbesondere angesichts des Ortes der zuvor beendeten Versammlung im Bereich des Regierungsviertels aufgedrängt hätten. Es fehlen unter dem Aspekt der Herabsetzung von Hemm-schwellen vor allem Feststellungen dazu, ob sich der gläserne Informationskasten bereits innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bun-des und der Länder (§ 16 VersG) befand. Ferner verhält sich das angefochtene Urteil auch nicht dazu, inwieweit es in unmittelbarer Nähe des Tatorts Denkmäler oder Bauwerke gab, die – wie etwa Synagogen – im Hinblick auf den Schutzbereich des § 130 Abs. 3 StGB besonders sensibel sind (siehe auch § 15 Abs. 2 VersG).

Auch fehlen Feststellungen dazu, für welchen Personenkreis der Aufkleber auf dem nach den Urteilsgründen für Dritte ungehindert wahrnehmbaren gläsernen Informationskasten im konkreten Fall erkennbar war bzw. welche Personen bereits von ihm Kenntnis genommen haben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris). Insoweit hätte es ferner unter dem Aspekt der aggressiven Emotionalisierung auch Feststellungen dazu bedurft, ob es sich bei etwaigen umstehenden Personen um unbeteiligte Passanten oder etwa um ehemalige Demonstrationsteilnehmer handelte, die durch den Inhalt des Aufklebers hätten aufgewiegelt werden können. In diesem Fall wären auch Feststellungen zum Ablauf und zur „Friedlichkeit“ der zuvor beendeten Versammlung und zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen gewesen…..“

Den Rest der Entscheidung des KG dann bitte selbst lesen.

StGB III: „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“, oder: „Neger/Zigeuner“ nicht immer allein Schimpfwort

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Und zum Abschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 15.06.2023 – III-5 ORs 34/23 – noch einmal zur Volksverhetzung bei folgenden Feststellungen:

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils war der Angeklagte bis zum Jahr 2020 Vorsitzender der AfD-Ratsfraktion der Stadt Gelsenkirchen und postete in diesem Zeitraum auf der Internetplattform Facebook sowohl allgemeine als auch politische Kommentare. Am 22.02.2017 las er einen Artikel auf der Internetseite „Emma.des, welcher sich seinerseits mit einem Artikel der Autorin Mithu Sanyal befasste. In dem Artikel der Autorin Mithu Sanyal sprach diese sich dafür aus, Opfer sexueller Gewalt als ,Erlebende“ zu bezeichnen, um so zu ,höchstmöglicher Wertungsfreiheit zu gelangen. In dem ,,Ernma“-Artikel wurde dieser Vorschlag heftig kritisiert. Dieser Kritik schloss sich der Angeklagte an. Er postete bei Facebook folgenden Kommentar:

„ Das ist das Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei. Negativ konnotierte Begriffe werden einfach umetikettiert. So wurde aus dem Neger ein Schwarzer, Farbiger und was weiß ich noch. Aus Zigeunern wurden Sinti und Roma (obwohl es zahlreiche andere Stämme gibt), dann Rotationseuropäer.

Aber was auch geändert wurde: die neuen Begriffe wurden dann immer wieder durch die Realität eingeholt und es mussten neue Bezeichnungen gefunden werden. Damit muss Schluss sein.

Ein Eimer Scheiße wird immer ein Eimer Scheiße bleiben, egal wie die Grünen es nennen.“

 

Den „Emma“-Artikel hängte der Angeklagte an diesen Kommentar an. Das Landgericht wertete diese Äußerung als Volksverhetzung im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hat aufgehoben unc frei gesprochen:

„1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 StGB nicht.

a) Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Diese Tatbestandsalternative knüpft an Art. 1 Abs. 1 GG an und schützt damit den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 – 1 Ws 75/06 Rn. 18, juris m.w.N.). Das Angreifen der Menschenwürde anderer stellt hierbei ein einschränkendes Merkmal des Tatbestands dar, dem nicht die Funktion eines erweiterten Ehrschutzes zukommt (Fischer, 70. Aufl. 2023, §‘ 130 StGB Rn. 12). Obwohl die Menschenwürde im Verhältnis zur Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, steht das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einer zu weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals Menschenwürde entgegen (BVerfG NJW 2001, 81, beck-online). Bloße Beleidigungen oder „einfache‘ Beschimpfungen reichen daher nicht aus, auch nicht jede ausgrenzende Diskriminierung. Vielmehr werden vom Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur besonders massive Schmähungen, Deformierungen und Diskriminierungen erfasst, durch die den angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird und sie als ,,unterwertigem Menschen gekennzeichnet werden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 -1 Ws 75/06 Rn. 19, juris).

b) Die Beurteilung, ob die beanstandete Äußerung die Menschenwürde anderer angreift, obliegt zuvörderst dem Tatrichter. Dieser hat nach ständiger Rechtsprechung den tatsächlichen Sinngehalt der beanstandeten Äußerung zu ermitteln (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101). Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen (OLG Frankfurt, Urteil vom 30. November 2022 – 3 Ss 131/22 Rn. 13, juris).

Andererseits muss das Urteil des Tatrichters die erforderlichen Feststellungen enthalten, um dem Revisionsgericht eine umfassende Nachprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung in dieser Hinsicht zu ermöglichen. Die Aufgabe des Revisionsgerichts ist es dabei, die Schlussfolgerungen, auf denen die Auslegung beruht, darauf zu überprüfen, ob sie einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungs-, Denk- oder Sprachgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lassen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 23. Februar 2023 – 1 Ss 48/22 -, Rn. 37, juris m.w.N.). Als durch das Revisionsgericht zu überprüfender Verstoß gegen ein – Denkgesetz gilt auch, wenn der Tatrichter verkannt hat, dass nach den festgestellten Umständen mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen, und es unterlassen hat, diese gegeneinander abzuwägen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 23. Februar 2023 -1 Ss 48/22 -, Rn. 37, juris).

c) Bei der Auslegung einer Meinungsäußerung ist durch den Tatrichter deren objektiver Sinn zu ermitteln, wobei nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden und nicht das subjektive Verständnis eines gegebenenfalls von einer Äußerung Betroffenen maßgeblich ist, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris m.w.N.). Auszugehen ist insofern nach ständiger Rechtsprechung stets vom Wortlaut der Äußerung, zudem ist Ihr Kontext einzubeziehen; femliegende Deutungen sind auszuscheiden (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris). Im Falle von mehrdeutigen Äußerungen ist grundsätzlich maßgeblich, ob eine der nicht auszuschließenden Bedeutungsvarianten straffrei wäre (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 208 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris m.w.N.)

d) Den aufgezeigten Maßstab zugrunde legend hält zunächst die Auslegung des Landgerichts der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass der Angeklagte Farbige, Sinti und Roma allein durch die Verwendung der Begriffe „Neger und ‚Zigeuner In besonders herabsetzender Weise beschimpft und damit zugleich in ihrer Menschenwürde angreift. Beide Begriffe werden zwar heute in der Regel als diskriminierend bzw. herabwürdigend angesehen (vgl. die Einträge „Neger und „Zigeuner bei wikipedia.de m.w.N.; in diesem Sinne auch zum Begriff „Neger: OLG Köln, Urteil vom 19.01.2010 – 24 U 51/09; LG Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2016 – 4 Cis 25/16 – juris Rn. 16). Sie lassen sich indes nicht stets allein als Schimpfwort verstehen (zum Begriff Zigeuner: OLG Hamm, Beschluss vom 28. April 2048 – RVs 37/16 Rn. 15, juris; zum Begriff „Neger: Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss vom 1. Oktober 2018 – 1 W 41/18 Rn. 5, juris; s. auch: Fischer, a.a.O., § 185 StGB Rn. 12b). Entscheidend ist daher der Kontext, in welchem die Begriffe fallen (Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Dezember 2019 -1/19 -, Rn. 38, juris). So können die Worte insbesondere auch genutzt werden, um über ihre Verwendung und ihre Verwendbarkeit zu sprechen und damit als. inhaltliche Stellungnahme zu einer politischen Debatte beitragen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.10.2018 – 1 W 41/18 – bei juris; Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Dezember 2019 – 1/19 38, juris). Letzteres ist hier der Fall. Anknüpfend an den Artikel der Autorin Mithu Sanyal und deren Forderung, Opfer sexueller Gewalt als „Erlebende“ zu bezeichnen, beschreibt der Angeklagte in seinem Facebook-Post einleitend die Änderungen des Sprachgebrauchs betreffend die Begriffe „Neger bzw. „Zigeuner“ und lastet diese der „rot-grünen Sprachpolizei“ an. Der Angeklagte empfindet – ob dies eine sinnvolle Interpretation des geänderten Umgangs mit den Begriffen ist, unterliegt nicht der gerichtlichen Bewertung – den Sprachwandel als politisch verordnet und wehrt sich gegen diesen Vorgang, welchen er als „Umetikettlerung“ bewertet. Dies stellt eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung dar.

Eine abweichende Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte im nächsten Satz ausführt, dass die „neuen Begriffe […] dann immer wieder durch die Realität eingeholt [wurden]“. Hierin kommt zwar zum Ausdruck, dass der Angeklagten den vorbezeichnetet Bevölkerungsgruppen in diskriminierender Weise (nicht näher konkretisierte) negative Eigenschaften zuschreibt. Die Kritik ist indes so diffus gehalten, dass es sich nicht um eine besonders massive Schmähung oder Diskriminierung handelt, durch welche Farbigen, Sinti und Romaa das ungeschmälerte Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird.

e) Ferner geht das Landgericht im Ausgangspunkt zwar zutreffend davon aus, dass ein Angriff auf die Menschenwürde unzweifelhaft vorliegt, wenn Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen als „Dreck“, Unrat, Ungeziefer usw. geschmäht werden (Fischer, a.a.O., § 130 StGB Rn. 12a). Die weitere Annahme, dass der Angeklagte in seinem Facebook-Post die vorbezeichneten Bevölkerungsgruppen „Fäkalien“ gleichsetzt, ist indes nicht tragfähig begründet. Im Rahmen seiner Deutung versteht das Landgericht den Schlusssatz des Facebook-Posts „Ein Eimer Scheiße wird im immer ein Eimer Scheiße trielen, egal wie die Grünen es nennen.“ dahin, dass Farbige, Sinti und Roma (konkludent) als ,Eimer Scheiße bezeichnet werden. Hierbei lässt das Landgericht indes eine naheliegende, straflose Deutungsalternative außer Acht. So ist angesichts des Kontextes – der Angeklagte nimmt ausdrücklich zur geforderten Umbenennung von „Opfern sexueller Gewalt“ in „Erlebende Stellung – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Erklärungsempfängers jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich das Begriffspaar „Eimer Scheiße“ auf die sexuelle Gewalt und deren Umetikettierung in ein „Erlebnis“ beziehen soll. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seinem- Satz anfügt „egal wie die Grünen es nennen“. Hierdurch spannt er den Bogen zu seinem Eingangssatz, in welchem er – wenn auch offenkundig von einer unzutreffenden Bedeutung des Begriffes „Dilemma“ ausgehend – die Umbennungsforderung der Autorin Mithu Sanyal zu Opfern sexueller Gewalt als „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“ bezeichnet.

Da somit eine straffreie Deutungsmöglichkeit des letzten Satzes besteht, darf die zur Bestrafung führende Interpretation nicht zugrunde gelegt werden….“