Schlagwort-Archive: VG Berlin

Regress des Polizeibeamten für eine Einsatzfahrt, oder: 92 km/h innerorts, mit Blaulicht, ohne Martinshorn

Ein Polizeibeamter, der auf dem Weg zu einem Einsatz ein bisschen „zu tief geflogen “ ist und einen Verkehrsunfall verursacht hat, verstößt grob fahrlässig gegen dienstliche Sorgfaltspflichten, wenn es nur um einen Einbruch gegangen ist. So das VG Berlin im VG Berlin, Urt. v. 18.03.2024 – 5 K 65/21. Folge: Der Dienstherr kann Regress nehmen:

„2. Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger hat ihm obliegende Pflichten grob fahrlässig verletzt und so an einem Dienstfahrzeug einen Schaden verursacht, den er zumindest in der geltend gemachten Höhe ersetzen muss.

Der Kläger hat die ihm nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten verletzt.

Er hat, obwohl er eine entsprechende Freigabe erhalten hatte, keine Wegerechte im Sinne von § 38 Abs. 1 StVO in Anspruch genommen; dafür hätte er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwenden müssen; dies hätte die Anordnung bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vielmehr hat er nur blaues Blinklicht eingeschaltet und damit lediglich Sonderrechte im Sinne von § 35 StVO genutzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist (unter anderem) die Polizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Abs. 8 bestimmt, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Hieran gemessen durfte der Kläger, der sich auf einer Einsatzfahrt zu einem gegenwärtig stattfindenden Einbruch befand, die allgemeinen Verkehrsregeln, insbesondere auch die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit, missachten. Dies jedoch nur in einem Umfang, der in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht.

Das hat der Kläger nicht beachtet, indem er an einem Freitagabend um kurz nach 18:00 Uhr innerorts sein Dienstfahrzeug mit 95 km/h bzw. (kurz vor Einleitung der Vollbremsung) mit 92 km/h geführt hat. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um rund 90 % war weder geboten noch gerechtfertigt.

Die Verhältnisse am Unfallort verlangen vom Kläger größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit: Der Eichborndamm ist zwar eine Durchgangsstraße im Bezirk Reinickendorf; sie liegt jedoch im innerörtlichen Bebauungszusammenhang und ist rechts und links von Wohnhäusern gesäumt; der Unfallort liegt in Fahrtrichtung gesehen hinter einer leichten Rechtskurve, wie das vom Kläger vorgelegte Luftbild deutlich macht. Zum Unfallzeitpunkt, einem Freitagabend kurz nach 18:00 Uhr, war es bereits dunkel (Sonnenuntergang ca. 16:30 Uhr, Dämmerungsende ca. 17:10 Uhr).

Unter diesen Umständen musste der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, auf ein Hindernis zu treffen. Das konnte ein anderes Kraftfahrzeug sein, das vom rechten Fahrbahnrand anfährt, aus einer Grundstücksausfahrt (von links oder rechts) herausfährt oder das (wie offenbar geschehen) auf der Fahrbahn wendet. Das hätte aber auch ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger, ein Rollstuhlfahrer oder ein Radfahrer sein können.

Diesem jederzeit zu erwartenden Hindernis hätte der Kläger seine Geschwindigkeit anpassen müssen, um rechtzeitig bremsen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden zu können. Die Datenauswertung des konkreten Bremsvorgangs hat gezeigt, dass bei einer Geschwindigkeit von 92 km/h auch eine 50 m (2,7 Sekunden) vor der Kollision eingeleitete Vollbremsung den Zusammenprall nicht verhindern konnte. Vielmehr hatte der Kläger 13,5 m (1,1 Sekunden) vor der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 61 km/h und traf mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h auf das Fahrzeug des Unfallgegners.

Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Bremsweg exponentiell mit der Geschwindigkeit wächst. Bei einer Geschwindigkeit von 75 km/h (also einer Reduzierung gegenüber der gefahrenen Geschwindigkeit von 92 km/h um knapp ein Fünftel) hätte sich der Bremsweg rechnerisch (s = v2 ./. 2a, das heißt Bremsweg = Quadrat der Geschwindigkeit in m/s, geteilt durch das Doppelte der Bremsverzögerung in m/s2, hier laut Unfalldatenschreiber 7,2 m/sec2) um mehr als ein Drittel (von 45,5 auf 30,1 m) reduziert.

Der Einsatzzweck rechtfertigte nicht die Inkaufnahme der Gefährdung Dritter. Es handelte sich zwar um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch; eine akute Gefährdung von Personen, gar Lebensgefahr, stand jedoch nicht in Rede.

Durch diese Pflichtverletzung hat der Kläger den Schaden auch verursacht. Wäre er (pflichtgemäß) langsamer gefahren, wäre sein Bremsweg kürzer gewesen, und er hätte den Zusammenprall vermeiden können.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob und wie es sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, dass der Kläger kein Signalhorn eingeschaltet hatte. Zwar ist es naheliegend, dass das Signalhorn die (akustische) Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeuges erhöht und damit die Gefahr der Kollision verringert hätte. Allerdings haben die beteiligten Polizeibeamten angegeben, dass bei dem zweiten Einsatzfahrzeug, das dem des Klägers folgte, das Signalhorn eingeschaltet war. Es bedürfte gegebenenfalls weiterer Aufklärung, in welchem Abstand das zweite Einsatzfahrzeug von dem des Klägers gefahren ist und wie sich dieser Abstand auf die Lautstärke des Signals im bzw. bei dem unfallgegnerischen Fahrzeug ausgewirkt hat. Auch wenn man unterstellt, dass das Unterlassen, das Signalhorn einzuschalten, die Gefahr des Zusammenpralls in diesem konkreten Einzelfall nicht erhöht hat, bleibt es bei dem (für den Unfall jedenfalls kausalen) Verstoß gegen die Pflicht, auch bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten mit angemessener Geschwindigkeit zu fahren.

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Ein Beamter verhält sich grob fahrlässig im Sinne des § 48 BeamtStG, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 28. Juli 2023 – 2 A 411/22 -, juris Rn. 8 m.w.N.).

Daran gemessen ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass unter den konkreten örtlichen Verhältnissen (innerörtliche Straße mit Wohnbebauung, leichte Rechtskurve, Werktag kurz nach 18:00 Uhr) eine Geschwindigkeit von 92 km/h zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug (und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks) zu verhindern.

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob und in welchem Umfang den Unfallgegner ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. Insoweit bedürfte der Sachverhalt gegebenenfalls noch weiterer Aufklärung. Denn die Angaben der drei Insassen des unfallgegnerischen Fahrzeugs unterscheiden sich wesentlich von denen des Klägers und der anderen Polizeibeamten, soweit diese Angaben gemacht haben. Während diese berichteten, der Unfallgegner sei vom rechten Fahrbahnrand losgefahren und habe (mehr oder weniger plötzlich) gewendet, schilderten jene, der Unfallgegner sei entlang des Mittelstreifens gefahren und habe dann – nach Setzen des Blinkers und dem Blick in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter – gewendet, ohne dass das Fahrzeug des Klägers wahrnehmbar gewesen sei.

Selbst dann, wenn der Unfallgegner seinerseits seine Pflichten nach der Straßenverkehrsordnung beim Wenden und/oder Anfahren vom Fahrbahnrand verletzt haben sollte, änderte das nichts daran, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit und einem kürzeren Bremsweg den Zusammenprall hätte verhindern können. Wegen seiner überhöhten Geschwindigkeit handelte es sich für ihn auch nicht um ein unabwendbares Ereignis; vielmehr hätte er den Unfall durch angepasste Geschwindigkeit vermeiden können.

Jedenfalls ein Mitverschuldensanteil von 50 % ist dem Kläger anzulasten; nur in dieser Höhe hat der Beklagte ihn in Anspruch genommen. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, mögliche Ansprüche gegen den Unfallgegner wegen des behaupteten Mitverschuldensanteils von mehr als 50 % geltend zu machen. Diese Ansprüche gehen nach Zahlung des hier streitgegenständlichen Schadenersatzes gemäß § 72 Abs. 2 LBG auf den Kläger über.“

Fahrtenbuch I: Unmöglichkeit der Feststellung, oder: Brauchbares Frontfoto/Abgleich mit Google-Bildsuche

© euthymia – Fotolia.com

Und im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§  31a StVZO).

Zunächst stelle ich hier das VG Berlin, Urt. v. 26.06.2024 – 37 K 11/23 – vor. Gestritten wird um eine Fahrtenbuchauflage. Zugrunde liegt eine mit einem Firmenfahrzeug begangene Geschwindigkeitsüberschreitung – zulässige Geschwindigkeit 50 km/h, gemessen 80 km/h (nach Toleranzabzug). Am Tatort ist eine Geschwindigkeit von 50 km/h zulässig. Auf das Anhörungsschreiben der Polizei im Ordnungswidrigkeitenverfahren teilte  die Klägerin online  mit, dass der Verkehrsverstoß nicht zugegeben werde. Es müsse sich um eine Verwechselung handeln, da sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Messfotoaufnahme 350 m entfernt befunden habe. Angaben zu dem Fahrzeugführer wurden nicht gemacht.

Ein Ermittlungsgesuch, den Geschäftsführer und Kommanditisten der Klägerin vorzuladen und anzuhören, verlief ergebnislos. Eine Mitarbeiterin der Klägerin konnte  keine Hinweise zu dem Führer des Fahrzeugs geben. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Dann kommt die Fahrtenbuchauflage, gegen die Widerspruch eingelegt wird. Begründet wird der damit, dass keine rechtsstaatlich verwertbaren Belege und Messergebnisse mit dem Messgerät Vitronic Poliscan FM 1 und der Software 4.4.5 vorlägen. Der wird zurückgewiesen. Dagegen die Klage, die beim VG Berlin Erfolg hatte:

„Die Feststellung des Fahrzeugführers war nämlich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO nicht unmöglich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Behörde des Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter des Verkehrsverstoßes zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den gebotenen Ermittlungsmaßnahmen gehört regelmäßig in erster Linie die kurzfristig, d.h. möglichst innerhalb von zwei Wochen, erfolgende Benachrichtigung des Halters des mit dem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes, damit der Betreffende die Frage, wer zur Tatzeit das Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und – bei eigener Täterschaft – gegebenenfalls Entlastungsgründe vorbringen kann (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 13. Oktober 1978 – BVerwG VII C 77.74 und 49.77 –, juris Rn. 15 und 18 bzw. 12 und 15; Beschluss vom 25. Juni 1987 – BVerwG 7 B 139.87 –, juris Rn. 2). Art und Umfang ihrer Ermittlungstätigkeit darf die Behörde an den Erklärungen des Halters ausrichten, denn es ist ihr nicht zuzumuten, von sich aus wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. April 1971 – BVerwG VII C 66.70 –, juris Rn. 20, und vom 17. Dezember 1982 – BVerwG 7 C 3.80 –, juris Rn. 7).

Daran gemessen hat der Beklagte nicht die ihr zumutbaren Ermittlungen vorgenommen. Angesichts des Fahrzeugtyps und der Haltereigenschaft der Klägerin als juristische Person des Zivilrechts sowie des guten Frontfotos wäre eine Google-Recherche zu erwarten gewesen. Dem erkennenden Einzelrichter ist es nämlich ohne großen Aufwand, insbesondere ohne Anlegung gesonderter Accounts in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Xing, möglich gewesen, den Geschäftsführer der Klägerin als Fahrzeugführer zu identifizieren. Es ist schlechterdings nicht vermittelbar, dass die Berliner Polizei bei Ermittlung von Personen nicht diese naheliegende Erkenntnisquelle nutzt, zumal die Verwertbarkeit der Information als allgemein zugängliche Quelle, deren Inhalte regelmäßig konform zur Datenschutzgrundverordnung verfügbar sind, unproblematisch ist. Im vorliegenden Fall konnte schon allein anhand des Firmennamens und des Namens des Geschäftsführers über die Google-Bildsuche der Fahrer identifiziert werden. So wurde beim ersten Zugriff ein Foto aus dem Xing-Konto des Besagten bereits in der Google-Trefferliste sowie Bilder der Website des Unternehmens eingeblendet, aus denen sich diese Erkenntnis ergab.

Soweit sich der Behördenvertreter in der mündlichen Verhandlung in der Weise einließ, dass es gerade bei Firmenfahrzeugen und angesichts der fehlenden Bereitschaft der Halterin an der Aufklärung mitzuwirken, uferlos sei, weitere Recherchen anzustellen, geht dies fehl. Gerade, weil diese Recherche nach dem Stand der Technik so gut wie keinen Aufwand und keine besonderen Kenntnisse erfordert und vorliegend aufgrund des Fahrzeugtyps Audi Quattro insbesondere der Geschäftsführer als Fahrer in Betracht zu ziehen war, drängte sich diese Aufklärungsmaßnahme auf.

Würde hingegen die Überlegung des Beklagten zutreffen, dass allein die fehlende Mitwirkung zu einer Einstellung der weiteren Ermittlungstätigkeiten im Ordnungswidrigkeitenverfahrens berechtigte, würde dies den vorgeschriebene Untersuchungsgrundsatz nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 160 Abs. 1 und 2 StPO unterlaufen und wird der geschriebenen tatbestandlichen Voraussetzung der Ermächtigungsnorm des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für eine Fahrtenbuchauflage nicht mehr gerecht (Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers). Aus rechtsmethodischer Sicht ist nämlich schon die oben referierte weitgehende traditionelle Auslegung dieser Norm, die sich kaum mehr an der Wortlautgrenze orientiert, um so Verkehrssünder, deren Sanktionierung im Bußgeldverfahren misslingt, „zumindest“ mit einem Fahrtenbuch beauflagen zu können, nicht unproblematisch.

Hierbei ist auch in Erinnerung zu rufen, dass der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eine präventive und keine strafende Funktion zukommt. Sie setzt tatbestandlich nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 7. Juni 2023 – 1 B 51/23 –, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 30. Mai 2023 – 8 A 464/23 –, juris Rn. 7; OVG des Landes Schleswig-Holstein, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 5 LB 17/22 –, juris Rn. 28). Die oben erwähnte Praxis steht im Widerspruch hierzu, da sie die Fahrtenbuchauflage – infolge fehlender Mitwirkung des Halters – als sanktionierendes Korrektiv zum ergebnislosen Ausgang des Ordnungswidrigkeitenverfahrens versteht.

Dabei ist zu betonen, dass die grundsätzliche Überlegung, dass sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit an den Erklärungen des Halters ausrichten darf, durch die vorliegende gegebene Pflicht zur Internetrecherche nicht in Frage gestellt wird. Vielmehr stellt sie ein nach dem Stand der Technik und Ausrüstung der Polizeidienststellen in Berlin naheliegendes Aufklärungsmittel dar, dessen Einsatz sich bei vorliegenden Halterdaten und einem brauchbaren Frontfoto aufdrängt.“

So weit so gut. Das hätte ja nun als Begründung gereicht. Warum das VG Berlin nun noch meint, „nur der Vollständigkeit halber“ darauf hinweisen zu müssen, dass der Beklagte im Übrigen zurecht von einem erheblichen Verkehrsverstoß mit dem  Fahrzeug ausgegangen ist, erschließt sich mir nicht. Das, was dazu ausgeführt wird, mag ja alles richtig sein, nur: Es ist überflüssig. Man fragt sich, ob man beim VG Berlin zu viel Zeit hat. Wahrscheinlich würde man das abstreiten 🙂 .

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG II, oder: „Tolle“ Angaben nach Drogenfahrt mit einem E-Scooter

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Wer unter Cannabiseinfluss mit einem E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr fährt (§ 316 StGB), muss mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen durch das Straßenverkehrsamt rechnen. So hat das VG Berlin in einem Eilverfahren im VG Berlin, Beschl. v. 17.07.2023 –  VG 11 L 184/23) entschieden.

Das Straßenverkehrsamt hatte einem Betroffenen aufgegeben, binnen drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung einzureichen. Begründet worden ist das mit einer Fahrt mit einem E-Scooter, bei der der Betroffene nach Fahrauffälligkeiten angehalten und ihm eine Blutprobe entnommen worden war. Die wies einen THC-Wert von 4,4 ng/ml auf. Gegenüber den anhaltenden Polizisten äußerte der Antragsteller, jeden Tag Cannabis zu konsumieren und jeden Tag Auto zu fahren; dies stellte er im Nachhinein als nicht ernst gemeint dar. Als der Betroffene auf die Anforderung des Gutachtens nicht reagierte, ist ihm mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen der Eilantrag, der keinen Erfolg hatte:

„….

(2) Die Gutachtenanordnung ist auch materiell rechtmäßig. Sie findet ihre Rechts-grundlage in § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Hintergrund der Gutachtenanordnung ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer fahrsicherheitsrelevanten Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Sachaufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen darf. Erforderlich für die Fahrerlaubnisentziehung ist in solchen Fällen die Prognose, dass der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Damit diese Prognose auf eine hinreichend abgesicherte Grundlage gestützt werden kann, bedarf es in der Regel eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, über dessen Einholung die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 10). Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis. Gelegentlicher Konsum liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3/13 –, juris Rn. 17 ff.). Die eigenen Angaben des Klägers legen hier einen solchen Gelegenheitskonsum nahe. Weder im Rahmen der polizeilichen Anhörung noch im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren hat der Antragsteller einen erstmaligen Konsum behauptet. Nach den unwidersprochenen Feststellungen im polizeilichen Tätigkeitsbericht vom 11. Juli 2022 gab der Antragsteller vielmehr gegenüber der Polizei an, dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat. Hieraus kann auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum geschlossen werden. Im Anschluss stellte er seine Aussage laut Polizeibericht zwar als Witz dar. Er widersprach indes seiner vorherigen Angabe auch nicht ernsthaft und muss sich vor diesem Hintergrund an dieser festhalten lassen.

Bei der Teilnahme am Straßenverkehr – wenn auch mit einem Elektrokleinstfahrzeug – unter Cannabiseinfluss am 11. Juli 2022 handelt es sich um eine weitere Tatsache, die Zweifel an der Fahreignung begründet.

Denn auch ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Tatsache, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und nach § 46 Abs. 3 FeV zur Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV, namentlich des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, führt (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 37). Dabei ist auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug das Trennungsgebot zu beachten. Auch solche Elektro-kleinstfahrzeuge wie etwa E-Scooter sind – ungeachtet des Umstands, dass sie fahrerlaubnisfrei geführt werden dürfen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a FeV) – Kraftfahrzeuge, wenn sie die in § 1 der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung – eKFV) vom 6. Juni 2019 (BGBl I S. 756), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Für sie gilt daher – bezogen auf Cannabis – der Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG und damit auch das Trennungsgebot gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (BayVGH, Beschluss vom 15. März 2023 – VGH 11 CS 23.59 –, juris Rn. 15).

Die Grenze hinnehmbaren Cannabiskonsums ist nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist oder sich das Risiko von Beeinträchtigungen, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben, signifikant erhöht haben, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3.13 –, juris Rn. 32 ff). Dabei fehlt schon – jedenfalls bei einem Pkw – ab einem im Blutserum festgestellten THC-Wert von 1,0 ng/ml die Fahrtüchtigkeit (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 1 B 37.14 –, juris Rn. 18). Diesen Wert hat der Antragsteller überschritten, weil er ein Elektrokleinstfahrzeug geführt hat und bei ihm eine THC-Konzentration von 4,4 ng/ml festgestellt wurde. Zweifel an der Richtigkeit des Behördengutachtens des Landeskriminalamtes vom 3. August 2022 sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Zwar führte der Antragsteller bei dem dokumentierten Vorfall ein Elektrokleinstfahrzeug und nicht etwa einen Pkw. Hinzu tritt indes, dass ausweislich des vorliegenden Polizeiberichtes seine Fahrweise auf eine signifikante Beeinträchtigung seiner Fahr-tüchtigkeit hindeutete und er die Sicherheit des Straßenverkehrs und das Eigentum an den in der betreffenden Straße abgestellten Fahrzeugen gefährdete, da er Schlangenlinien fuhr und mehrfach nah an geparkte Kfz geriet. Bei seiner Befragung durch die Polizei gab er zudem an, täglich sowohl Cannabis zu konsumieren als auch mit dem Auto zu fahren. Er räumte also selbst einen regelmäßigen Verstoß gegen das Trennungsgebot auch beim Autofahren ein.“

Ist natürlich „begnadet“ und wird jeden Rechtsanwalt freuen, wenn der Mandant gegenüber der Polizei nach einem Vorfall im Straßenverkehr igeäußert hat, „dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat„. Traumhaft/toll 🙂 .

 

Entziehung der Fahrerlaubnis I: Zu viel ist zu viel, oder: Innerhalb eines Jahres 174 OWi-Verfahren sind zu viel

© bluedesign – Fotolia.com

Und heute dann der erste „Kessel Buntes 2023“. In dem „!Köcheln“ Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, allerdings zur verwaltungsrechtlichen Entziehung nach dem StVG. Zunächst stelle ich das VG Berlin, Urt. v. 28.10.2022 – 4 K 456/21 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen zahlreicher Parkverstöße vor.

Folgender Sachverhalt: Der Kläger war seit 1995 Inhaber einer Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3. Im Juli 2021 erfuhr die Fahrerlaubnisbehörde in Berlin, dass gegen den Kläger innerhalb eines Jahres 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren geführt worden waren. Darunter befanden sich 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Behörde hat dem Kläger daher die Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Kraftfahreignung entzogen. Hiergegen hat der Kläger vorgetragen, die Verstöße mit den drei auf ihn zugelassenen Fahrzeugen hätten andere Personen begangen. Er habe gegen die Entscheidungen lediglich deshalb kein Rechtsmittel eingelegt, um der Behörde Arbeit zu ersparen. Die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage sei als milderes Mittel zuvor angezeigt gewesen. Er sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.

Das VG hat die Klage abgewiesen:

„Rechtsgrundlage für die Fahrerlaubnisentziehung ist § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Führerscheinverordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Die im Zeitraum von Juli 2020 bis Juli 2021 mindestens 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren begründen die Feststellung der fehlenden Eignung.

Zwar haben die, durch die Nichterfassung im Verkehrszentralregister dem Bagatellbereich zuzurechnenden, Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich bei der Prüfung der Fahreignung außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1973 – BVerwG VII C 12.71 – juris, Rn. 9). Davon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt; so ist ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und der solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2007 – OVG 5 S 26.07 – juris, Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 12 M 4307/99 – juris, Rn. 10). Dabei kommt ein solcher Ausnahmefall jedenfalls dann in Betracht, wenn über einen längeren Betrachtungszeitraum nahezu wöchentlich Verstöße dokumentiert werden. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, wenn sie an einem bestimmten Ort gehäuft auftreten und der Fahrerlaubnisinhaber damit zu erkennen gibt, dass er seine persönlichen Interessen über das Allgemeinwohl stellt. Bei der durchzuführenden Gesamtabwägung sind ferner auch sonstige Verstöße – auch wenn sie nach dem Punktesystem zu Eintragungen im Verkehrszentralregister geführt haben – in den Blick zu nehmen, da auch sie Aufschluss über die eignungsmängelbegründende Haltung des Fahrerlaubnisinhabers geben. Bei Vorlage dieser Kriterien begründet allein die Anzahl an für sich genommenen unbedeutender Verstöße Zweifel an der Eignung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2007 – OVG 1 S 145.07 – juris, Rn. 5).

So verhielt es sich hier, zumal für den Zeitraum Juli 2020 bis Juli 2021 im Schnitt mehr als drei Verstöße pro Woche zu verzeichnen waren. Der Kläger lässt mit den mehr als 150 Parkverstößen binnen eines Jahres keinen Zweifel daran, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Durch dieses Verhalten dokumentierte er eine krasse Missachtung der Rechtsordnung des ruhenden Verkehrs. Die dadurch zum Ausdruck kommende Haltung steht im Widerspruch zu den Erfordernissen eines geordneten und vor allem sicheren Straßenverkehrs, der insbesondere zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmender die Regelbeachtung auch in Bezug auf den ruhenden Verkehr durch Fahrerlaubnisinhaber erfordert. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, da sie vornehmlich im direkten Umfeld der Wohnung des Klägers stattgefunden haben. Der Kläger stellt mit diesem Verhalten seine Interessen über die Interessen anderer Verkehrsteilnehmender. Die Ordnungswidrigkeitenverfahren haben ihm nicht Anlass gegeben, eine dauerhaft belastbare Lösung für das Parken seiner Kraftfahrzeuge zu finden (wie z.B. die Anmietung eines Stellplatzes, Umstieg auf den ÖPNV oder das Fahrrad). Vielmehr hat er es dadurch bewusst hingenommen, dass er seine Individualinteresse über das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit stellt. Das rechtswidrige Abstellen ihres Fahrzeuges in Zonen eines absoluten Halteverbots ist darüber hinaus geeignet, andere Verkehrsteilnehmende zu gefährden. Angesichts der Intensität seines Fehlverhaltens hat die Behörde darin zutreffend eine fehlende Eignung erkannt.

Auch sein Verweis auf die mögliche Täterschaft seiner Familienangehörigen ändert nichts an dieser Bewertung. Es kann nämlich dahingestellt bleiben, ob er die Verkehrsordnungswidrigkeiten selbst begangen hat oder ein Dritter. Auch im Fall einer Täterschaft seiner Familienangehörigen wäre der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Derjenige, der durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, dass Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, und der dagegen nichts unternimmt, weil er keine Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide ergreift und auch nicht die Überlassung des Fahrzeugs an die jeweiligen Täter von Ordnungswidrigkeiten verweigert, zeigt charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 – BVerwG VII C 57.75 – juris, Rn. 34). Dies gilt auch für mit Verwarngeldern belegtes Verhalten.

Dass der Kläger von den diversen Verkehrsordnungswidrigkeiten Kenntnis erhalten hat, zieht er selbst nicht in Zweifel. Zu möglichen Gegenmaßnahmen äußert er sich nicht, sondern verbleibt im Vagen und spricht nur von „familieninterner Sanktion“. Der Kläger durfte es nicht dulden, dass mit auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugen fortgesetzt Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen werden. Er zeigt durch dieses Verhalten, dass er es nicht für erforderlich ansieht, gegen rechtswidriges und potentiell die Verkehrssicherheit gefährdendes Verhalten einzuschreiten. Dies belegt seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Es ist auch unerheblich, ob die Bescheide über die Verwarngelder formell in Rechtskraft erwachsen (können), denn er hat sich nämlich tatsächlich innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre nicht gegen diese gewehrt. Er muss diese daher gegen sich gelten lassen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob den als „eidesstattliche Erklärung“ überschriebenen Dokumenten überhaupt ein Beweiswert zukommt, da jedenfalls eine Erklärung von einer anderen Person verfasst wurde („V…“), als vom Kläger als Täter angegeben wurde („N…“).

Da es sich bei der Entziehungsentscheidung um eine gebundene Entscheidung handelt, verbleibt für die Berücksichtigung der – ohnehin nicht konkret vorgetragenen – beruflichen Angewiesenheit keinen Raum. Auch die Anordnung einer medizinischpsychologischen Gutachtens kommt nicht in Betracht, da die Nichteignung feststeht.“

Wie war das noch mit Krug und Brunnen 🙂 ?

(Mehrfacher) Anfall der Grundgebühr im Disziplinar- verfahren? , oder: Einmaligkeit der Grundgebühr

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung geht es auch um die Grudngebühr, aber: Etwas exotischer, nämlich nach Teil 6 VV RVG. Dort ist in Nr. 6200 VV RVG auch eine Grundgebühr vorgesehen für das Disziplinarverfahren. Das VG Berlin hat sich nun im VG Berlin, Beschl. v. 29.06.2021 – 80 KE 1/21 OL – zum (mehrfachen) Anfall der Grudngebühr geäußert, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

Beim VG war ein disziplinargerichtlichen Suspendierungsverfahren VG 8pp. anhängig. In dem hatte der von dem betroffenen Beamten beauftragte Rechtsanwalt einen Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung gestellt und der Einbehaltung von Bezügen gemäß § 63 BDG (i.V.m. § 41 DiszG) gestellt. Nachdem der Dienstherr des Beamten (Erinnerungsführer) die angefochtene Verfügung aufgehoben hat, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Erinnerungsführer auferlegt.

Auf Antrag des Beamten setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu erstattenden Kosten für das Verfahren VG 8pp. auf 869,42 EUR fest, wobei auch die vom Rechtsanwalt angesetzte Grundgebühr in Disziplinarverfahren nach Nr. 6200 VV RVG in Höhe von 350,- EUR nebst 16% Mehrwertsteuer berücksichtigt wurde. Gegen die Berücksichtigung der Grundgebühr ist Erinnerung eingelegt worden. Die Erinnerung hatte Erfolg:

„Die fristgemäß eingelegte Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenansatz, §§ 165, 151 VwGO) gegen die Berücksichtigung der Grundgebühr, über die im Rahmen seiner Annexzuständigkeit der Berichterstatter entscheidet, ist begründet.

Das dem Kostenfestsetzungsantrag zu Grunde liegende disziplinargerichtliche Antragsverfahren gemäß § 63 BDG – VG 8… -, um das es hier ausschließlich geht, ist wie das Verfahren gemäß § 62 BDG (Antrag auf Fristsetzung) ein im Rahmen des Disziplinarverfahrens „besonderes“ gerichtliches Verfahren (vgl. die amtliche Überschrift zu Kapitel 2, Abschnitt 2 des BDG – i.V.m. § 41 DiszG -). Es ist daher kostenmäßig richtig, dass hierfür eine gesonderte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 6203 VV RVG für das gerichtliche Verfahren anfällt (vgl. zur Parallelkonstellation bei § 62 BDG: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 2021 – OVG 6 K 68/20, juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11. November 2009 – 2 AV 4/09 – juris Rn. 3). Die Grundgebühr gemäß Nr. 6200 VV RVG bezieht sich dagegen auf das Disziplinarverfahren als Ganzes; gemäß der Vorbemerkung 6.2 (1) VV RVG soll durch die jeweiligen Gebühren die gesamte Tätigkeit im Verfahren abgegolten werden. Eine Abrechnung der nur einmalig entstehenden Grundgebühr im gesonderten Antragsverfahren gemäß § 63 BDG kommt deshalb nicht in Betracht. Ihre Verteilung hat vielmehr der abschließenden Kostenentscheidung im Disziplinarverfahren selbst zu folgen (entweder im Rahmen der behördlichen Abschlussentscheidung oder durch das Gericht bei Erhebung einer Disziplinarklage oder Anfechtungsklage gegen die behördliche Abschlussverfügung). Ähnliches gilt im Übrigen für die Verfahrensgebühr im behördlichen Verfahren nach Nr. 6202 VV RVG. Auch mit dieser Gebühr wird die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im behördlichen Disziplinarverfahren abgegolten. Die Regelungen sollten an die entsprechende Gebührenstruktur in Strafsachen angepasst werden (BTDrs. 15/1971 Bl. 231). Gemäß Nr. 6202 Anmerkung (1) VV RVG kann lediglich für ein – in Berlin nicht vorgesehenes – Widerspruchsverfahren eine zusätzliche gesonderte Verfahrensgebühr erhoben werden; für die Wahrnehmung von Terminen im behördlichen Disziplinarverfahren ist eine gesonderte Terminsgebühr vorgesehen (Nr. 6201 VV RVG). Für Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit einer vorläufigen Dienstenthebung oder teilweisen Einbehaltung von Dienstbezügen (§ 38 BDG bzw. § 38 DiszG) ist eine solche zusätzliche – behördliche – Verfahrensgebühr nach Nr. 6202 VV RVG dagegen nicht vorgesehen. Die Stellung bzw. Vorbereitung eines Antrags nach §§ 62, 63 BDG gehört daher noch zum Abgeltungsbereich der einheitlichen Verfahrensgebühr Nr. 6202 VV (Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 6202 VV Rn. 20 und Nr. 6203 VV Rn. 8). Aus dieser Systematik folgt, dass der Rechtsanwalt auch die Grundgebühr nach Nr. 6200 VV RVG nur einmalig für das gesamte Disziplinarverfahren verlangen kann; sie kann dagegen nicht – auch nicht gesondert oder zusätzlich – im Rahmen des besonderen gerichtlichen Antragsverfahrens nach § 63 BDG geltend gemacht werden.“