Schlagwort-Archive: VG Berlin

Nochmals: Was ist der richtige Umsatzsteuersatz?, oder: 16% oder 19%

Bild von Markus Winkler auf Pixabay

Im „RVG-Teil“ der Woche heute dann zunächst der VG Berlin, Beschl. v. 28.04.2021 – 14 KE 21/21. Der nimmt noch einmal zur Frage des „richtigen“ Umsatzsteuersatzes Stellung, nämlich 19 % oder 16 %?. Dazu das VG:

„Der Umsatzsteuersatz richtet sich nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Auflage 2019, RVG VV 7008, Rn. 46 m.w.N.). Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes wird die Vergütung fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist. Ist der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren tätig, wird die Vergütung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG auch fällig, wenn eine Kostenentscheidung ergangen oder der Rechtszug beendet ist oder wenn das Verfahren länger als drei Monate ruht. Eine Kostenentscheidung ist ergangen, sobald das Gericht in der Sache in irgendeiner Weise über Kosten erkannt hat, sei es auch nur über die Gerichtskosten. Dabei ist es gleichgültig, ob der Kostenausspruch konstitutiv wirkt oder aber nur eine bereits kraft Gesetzes eingetretene Folge bestätigt. Die Kostenentscheidung ist ergangen mit der Verkündung, anderenfalls mit der Zustellung (Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., RVG § 8 Rn. 13 f.) oder dem formlosen Zugang.

Danach ist der Vergütungsanspruch des Verfahrensbevollmächtigten der Erinnerungsführerin mit unbestrittenem Zugang des die Kostengrundentscheidung enthaltenden Beschlusses vom 3. Dezember 2020, Ab-Vermerk der Geschäftsstelle vom 6. Januar 2021, am 11. Januar 2021 fällig geworden. Zu diesem Zeitpunkt war die vorübergehende Herabsenkung des Umsatzsteuersatzes von 19 % auf 16 % für den Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 gemäß § 28 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes auf Grundlage von Artikel 3 Nr. 2 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes vom 29. Juni 2020 (BGBl. I 1512) bereits wieder außer Kraft getreten.“

Neuerteilung der Fahrerlaubnis, oder: Wann wird ein (ungünstiges) Gutachten „gelöscht“?

Bild von Andreas Breitling auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung heute dann etwas Verkehrsverwaltungsrechtliches, nämlich das VG Berlin, Urt. v. 04.03.2021 – 4 K 125/20.

Gestritten wird/wurde um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Er [der Kläger] war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L, welche ihm im Mai 2005 entzogen wurde. Einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2009 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Wiesbaden im November 2009 aufgrund eines ungünstigen medizinisch-psychologischen Gutachtens ab, welches künftige Verkehrszuwiderhandlungen und das künftige Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss durch den Kläger für wahrscheinlich hielt. Einen weiteren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im September 2014 lehnte Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) mit Bescheid im Mai 2015 ab, weil der Kläger das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt hatte. Nach durchlaufenem Widerspruchsverfahren verfolgte dieser sein Begehren erfolglos mit Klage vor dem Verwaltungsgericht – VG 4 K 282.15 – und Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – OVG 1 N 103.15 – weiter.

Am 1. August 2019 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Klassen B, A, A1 und L. Mit Schreiben vom 30. September 2019 wies das LABO ihn auf die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin. Es führte das noch aktenkundige vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie das negative medizinisch-psychologischen Gutachten aus 2009 auf. Es forderte ihn zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens binnen sechs Monaten zu den Fragen auf, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, ob psycho-funktionale Beeinträchtigungen vorliegen würden und ob aufgrund der aktenkundigen Tatsachen zukünftig mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu rechnen sei. Der Kläger verweigerte die Begutachtung und bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, sodass das LABO mit Bescheid vom 14. November 2019 den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ablehnte. Dieser habe das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt. Daneben sei ihm schriftlich erklärt worden, dass das Gutachten aus dem Jahr 2009 noch verwertbar und deshalb die Gutachtenanforderung rechtmäßig sei.

Hiergegen legte der Kläger am 22. November 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er seit zehn Jahren keine Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen begangen habe, sodass die Behauptung, er würde seine individuellen Bedürfnisse über die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs stellen, widerlegt sei. Ein über zehn Jahre altes Gutachten könne insofern jedenfalls nicht als belastbare Tatsache herangezogen werden. Das Gutachten enthalte Hinweise zu bereits getätigten Eintragungen. Seine weitere Verwendung verstoße gegen die Tilgungsvorschriften. Zudem sei das Gutachten weder inhaltlich noch formal nachvollziehbar. Der Verfasser des Gutachtens aus dem Jahr 2009 sei nicht als qualifiziert in dem offiziellen Register der Fachpsychologen für Verkehrspsychologie geführt worden. Dieser habe die Inhalte des Gutachtens willkürlich manipuliert und gravierend abweichend von den Aussagen des Klägers wiedergegeben. Die jetzige Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leide überdies daran, dass die Behörde sich nicht mit dem Vorrang des Punktesystems, der Wahl eines milderen Mittels sowie des im Einzelfall bestehenden Gefahrenpotenzial auseinandergesetzt habe. Die Gutachtenanforderung müsse insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sein. Verwertbare Anlasstatsachen für alkoholbedingte Eignungszweifel lägen aber nicht vor. Nach psycho-funktionalen Anforderungen dürfe nicht gefragt werden. Die Frage nach zukünftigen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung sei nicht ausreichend konkret.

Das LABO wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020, zugestellt am 5. März 2020, zurück. Die Tilgungsvorschriften seien ordnungsgemäß angewandt worden. Das Gutachten aus dem Jahr 2009 sei deshalb verwertbar. Die darin enthaltene Aussage, dass der Kläger die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht erfülle, sei nicht zu beanstanden und führe zu den Fragestellungen in der hier streitgegenständlichen Gutachtenanforderung. Da dieser nicht Folge geleistet worden sei, sei zutreffend auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geschlossen worden.“

Dagegen die Klage, die keinen Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des VG:

  1. Die Löschungsfrist für ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 2 Abs. 9 StVG richtet sich grundsätzlich nach der Tilgungsfrist für die Entscheidung über die Fahrerlaubnis, für die es angefertigt wurde.
  2. Das Gutachten stellt insofern eine neue Tatsache dar und darf auch noch verwertet werden, wenn die Taten und Entscheidungen, die zur Fahrerlaubnisentziehung geführt haben, bereits getilgt wurden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2010 – 3 C 2.10 ).

Dann schon mal frohes Osterfest

Wer kifft, kommt nicht in den Polizeidienst

© macrovector – Fotolia.com

Das ist dann heute der erste „Kessel Buntes“ des Jahres 2019. Und in dem „schwimmt“ zunächst der VG Berlin, Beschl. v. 04.07.2018 – VG 26 L 130.18, der in einem Eilverfahren ergangen ist. Entschieden worden ist über den Anspruch eines „Anwärters“ auf Einstellung in den mittleren Dienst der Vollzugspolizei.

Der Antragsteller hatte sich 2017 um seine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst. Eine Blutuntersuchung im September 2017 ergab dann einen Wert von 300 ng/ml THC-Carbonsäure. Deshalb lehnte der Polizeipräsident in Berlin die Einstellung ab. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag. Er behauptet, er konsumiere keine Drogen und sei deshalb gesundheitlich für den Dienst geeignet.

Das VG hat den Polizeipräsidenten bestätigt. Die Einstellung in den Vorbereitungsdienst setze die umfassende Eignung eines Bewerbers voraus. Die wird verneint:

„Nach § 18 Nr. 4 Pol-LVO setzt die Einstellung in den hier interessierenden Vorberei­tungsdienst voraus, dass der Bewerber nach dem Ergebnis eines Einstellungsverfah­rens für die Laufbahn gesundheitlich und körperlich sowie nach seiner Persönlichkeit geeignet ist. Obgleich Drogenkonsum auch die Frage nach der persönlichen Eignung aufwerfen könnte, stellte der Antragsgegner – was ihm frei steht – nur auf die ge­sundheitliche ab. An der gesundheitlichen Eignung kann es fehlen, wenn der Be­troffene aktuell den Anforderungen nicht genügt (§ 105 Abs. 1 Satz 1 LBG) oder er ihnen voraussichtlich vor Eintritt in den Ruhestand nicht mehr genügen wird. Diese Unterscheidung verkennt der Antragsteller mit seinen hier nicht einschlägigen Aus­führungen auf den Seiten 6 f. der Antragsschrift. Sie sind hier nicht einschlägig, weil der Antragsgegner nicht meint, der Antragsteller sei aktuell dienstfähig, werde aber vorzeitig dienstunfähig werden. Es geht aber nicht um eine Prognose der künftigen Entwicklung der Gesundheit des Antragstellers, sondern seine aktuelle Verfassung. Dazu ist wiederum zwischen „den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst“ (§ 105 Abs. 1 Satz 1 LBG) und der Entscheidung darüber, ob ein Bewerber sie erfüllt, zu unterscheiden. Die Bestimmung der Anforderungen obliegt auch nach der vom Antragsteller angeführten neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. Juli 2013 – BVerwG 2 C 12.11 -, BVerw­GE 147, 244 = NVwZ 2014, 300 Rn. 12) dem Dienstherrn. Dabei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Nur bei der Wertung, ob die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls diese Anforderungen erfüllen, liegt die Letztentscheidungsbefugnis bei den Verwaltungsgerichten (a.a.O, Seite 301 Rn. 24 f.). Nicht zu beanstanden ist, dass der Antragsgegner Drogensüchtige für polizeidienstunfähig hält. Hingegen wäre es fehlerhaft, den Antragsteller deshalb aus dem weiteren Bewerbungsverfahren auszuschließen. Denn der im September 2017 festgestellte THC-COOH-Wert ist kein Anzeichen für Drogensucht, sondern nur für den Konsum von Cannabis. Die Akte deutet aber nicht darauf, dass der Antragsgegner den Antragsteller als Drogensüch­tigen ablehnte. Wie bereits in der Verfügung vom 11. Juni 2018 in den Raum gestellt kommt es hier darauf an, ob der Antragsgegner Bewerber für polizeidienstuntauglich halten darf, die vor weniger als einem Jahr Cannabis konsumierten und deren Blut im Untersuchungszeitpunkt 300 ng/ml THC-COOH enthielt. Die Kammer sieht keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dies zu verneinen. Die Einordnung von Cannabis als Betäubungsmittel (§ 1 Abs. 1 BtMG mit Anlage III) steht nicht im Zweifel. Jeden­falls außerhalb ärztlicher Indikation (eine solche behauptet der Antragsteller nicht) führt der Cannabiskonsum dazu, dass der Konsument kein Kraftfahrzeug führen darf (§ 11 Abs. 1 FeV mit 9.2 der Anlage 4). Das Führen eines Kraftfahrzeugs gehört aber zu den Aufgaben von Polizeivollzugsbeamten. Ein Polizeibeamter, der Kraft­fahrzeuge mangels Eignung nicht führen darf, ist nicht uneingeschränkt polizei­dienstfähig. Allerdings steht auch nicht in Rede, dass der Antragsteller kraftfahrun­geeignet ist. Jedoch ist sein festgestellter Konsum ein Indiz für eine Eignungsein­schränkung. Den dadurch begründeten Eignungszweifel darf der Antragsgegner zur Ablehnung heranziehen. Anders läge es, wenn allein der Zeitablauf seit der Untersu­chung die Aussagekraft des Untersuchungsergebnisses beseitigte. Das kann man nicht sagen. Denn es steht nicht fest, wie das Konsumverhalten des Antragstellers sich seither entwickelte. Der Antragsteller hat sich dazu und seinem früheren Kon­sumverhalten nicht geäußert, sondern nur behauptet, keinerlei Drogen zu konsumie­ren. Auf welchen Zeitpunkt oder gar Zeitraum sich das bezieht, ist seinen Erklärun­gen nicht zu entnehmen. Die vorgelegten und angebotenen weiteren Untersu­chungsergebnisse ersetzen Vortrag dazu nicht, weil sie dann von nur geringem Aussagewert sind, wenn sie – wie wohl hier – außerhalb eines Drogenkontrollprogramms entstanden sind, das insbesondere den jeweiligen Untersuchungszeitpunkt der Be­einflussung durch den Auftraggeber entzieht und damit eine zielgerichtete Konsum­unterbrechung erschwert.“

Wer mit 2,25 Promille Fahrrad fährt, kann nicht Polizist werden

© Alexander Raths – Fotolia.com

Wer besoffen Fahrrad fährt, kann nicht in den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des gehobenen Dienstes der Polizei eingestellt werden. Denn das ist nur bei Bewerbern möglich, die dafür nach ihrer Persönlichkeit geeignet sind. Und das hat das VG Berlin im VG Berlin, Beschl. v. 5. Mai 2017 – 26 L 151.17 – in einem Eilverfahren verneint.

Grundlage war folgender Sachverhalt: Der Antragsteller war im Mai 2015 als Fahrradfahrer im Straßenverkehr mit einer BAK von mehr als 2,25 Promille aufgefallen; das wegen Trunkenheit im Verkehr geführte Strafverfahren wurde gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 400 € eingestellt. Die Einstellung in den polizeilichen Vorbereitungsdienst wird abgelehnt. Das VG sagt: Zu Recht:

„… Zur Ablehnung der Eignung im Rahmen einer Einstellung genügen grundsätzlich berechtigte Zweifel des Dienstherrn daran, dass der Beamte die charakterliche Eignung besitzt, die für die Ernennung notwendig ist. Dabei ist gerichtlich nicht zu beanstanden, wenn der Dienstherr für den Polizeivollzugsdienst besonders hohe Anforderungen an die charakterliche Stabilität eines Beamten stellt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. November 2008 – VGH 4 S 2332/08 – juris Rn. 4, 7; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 12. September 2007 – 2 M 159/07 –, juris Rn. 11 f.; Urteil der Kammer vom 7. Dezember 2012 – VG 26 K 22.12 –, Beschlüsse der Kammer vom 24. August 2012 – VG 26 L 449.12 – und vom 24. September 2012 – VG 26 L 505.12 –).

Bei Anlegung dieses Maßstabes erweist sich die Einschätzung des Antragsgegners von der mangelnden persönlichen Eignung des Antragstellers als rechtsfehlerfrei. Soweit der Antragsgegner seine Einschätzung auf den Vorfall vom 14. Mai 2015 stützt, bei dem der Antragsteller sein Fahrrad im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,25 Promille führte, ist es nicht sachwidrig oder lässt allgemeingültige Wertmaßstäbe unbeachtet, wenn der Antragsgegner hieraus Zweifel an der charakterlichen Eignung des zum Tatzeitpunkt bereits 24 Jahre alten Antragstellers herleitet. Der Antragsgegner ist insoweit auch nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen; auch der Antragsteller bestreitet den Vorfall nicht.

Der Antragsgegner war an der Berücksichtigung dieses Vorfalls entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht deshalb gehindert, weil das wegen des Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 des Strafgesetzbuches – StGB – geführte Strafverfahren nach § 153a Abs. 1 der Strafprozessordnung – StPO – gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 400 Euro eingestellt wurde. Durch die Angabe eingestellter Verfahren wird der Dienstherr erst in die Lage versetzt, mittels zulässiger Beiziehung der Akten (vgl. § 84 Abs. 1 LBG, § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz) sich ein umfassendes Bild darüber zu machen, ob ein Bewerber dauerhaft den besonderen charakterlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes gewachsen sein wird. Aus dem Inhalt von beizuziehenden Ermittlungsakten können sich nämlich durchaus Rückschlüsse auf Verhaltensweisen des Betroffenen, insbesondere auf sein Sozialverhalten sowie seine Selbstkontrolle, unter Umständen auch auf seine Schuldfähigkeit ergeben. Ein Verwertungsverbot und ein Verschweigerecht des Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst hinsichtlich eingestellter Ermittlungsverfahren ergibt sich weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung aus § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister – BZRG – (vgl. eingehend Beschluss der Kammer vom 1. Dezember 2016 – 26 L 227.16 – juris, Rn. 18 ff. m. w. N.).“

Der Schüler und sein Handy, oder: Was mache ich ohne bloß am Wochenende?

© Urheber: Ideenkoch – Fotolia.com

Und im „Kessel Buntes“ dann noch eine Entscheidung aus Berlin, und zwar vom VG. Es handelt sich um das VG Berlin, Urt. v. 04.04.2017 –  3 K 797/15. Die Entscheidung ist nicht nur auch aus Berlin, sondern hat auch Bezüge zur Schule, ebenso wie die vorhin gepostete „Schwarzfahrerentscheidung“.

Hier geht es um die Klage eines inzwischen 18 Jahre alten Schülers, der im Schuljahr 2014/15 die neunte Klasse einer Sekundarschule in Berlin besuchte. Neben den Schüler klagen auch dessen Eltern. Es geht um einen Vorfall im Mai 2015. Am 29. Mai 2015, einem Freitag, hatte sich nämlich der Klassenlehrer des Schülers dessen Mobiltelefon wegen Störung des Unterrichts aushändigen lassen, weil dieser – so der Klassenlehrer – im Unterricht während des Vortrags von Mitschülern seine Aufmerksamkeit auf sein unter der Bank befindliches Handy gerichtet hatte. Der Schüler bestreitet dies und behauptet, der Lehrer habe das Handy herausverlangt, weil dieses in der Hosentasche des Klägers vibriert habe.

Eine Rückgabe des Handys an den Schüler selbst lehnte der stellvertretende Schulleiter dann zunächst ab und behielt das Gerät über das Wochenende ein; am darauffolgenden Montag konnte es die Mutter im Schulsekretariat wieder abholen. Der Kläger geht zwischenzeitlich auf eine andere Schule.

Es wird dann Feststellungsklage erhoben, mit der festgestellt werden soll, dass die Einziehung und Verwahrung des Handys rechtswidrig gewesen sei. Die Maßnahme habe den Schüler in seiner Ehre verletzt und gedemütigt.

Das VG hat die Klage abgewiesen, und zwar als unzulässig. Nachdem das Handy wieder herausgeben worden sei, könne die begehrte Feststellung nur ausgesprochen werden, wenn die Kläger ein besonderes Interesse hieran hätten. Daran fehle es:

„Darüber hinaus liegt auch kein Rehabilitierungsinteresse vor, das ein Feststellungsinteresse begründen könnte. Ein solches kann vorliegen, wenn eine (erledigte) behördliche Maßnahme bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise und Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalles diskriminierenden Charakter hatte und zudem abträgliche Nachwirkungen der Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit wirksam begegnet werden kann. Folglich reicht es für ein Rehabilitationsinteresse nicht aus, dass ein Betroffener die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfindet (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013, a.a.O., juris Rn. 25). Hat ein von einer erledigten schulischen Maßnahme betroffen gewesener Schüler seine Laufbahn an der betreffenden Schule bereits beendet und keine konkreten Tatsachen zum gegenwärtigen Stand seiner schulischen oder beruflichen Laufbahn mitgeteilt, welche die Prognose zulassen, dass er durch die erledigte Maßnahme noch schulische oder berufliche Nachteile erleiden kann, so fehlt ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme (vgl. BayVGH, Urteil vom 28. November 2006 – 21 B 04.3400 – juris Rn. 36; sowie OVG Münster, Beschluss vom 11. September 2012 – 19 A 928/10 – juris, Rn. 26 ff. m. w. N.). Von einer Fortwirkung etwaiger diskriminierender Maßnahmen kann hier nicht ausgegangen werden. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die erledigten Maßnahmen noch schulische oder berufliche Nachteile für die Kläger nach sich ziehen könnten. Die Kläger bewegen sich nämlich aufgrund des Schulwechsels des Klägers zu 3. seit dem zweiten Schulhalbjahr 2015/2016 nicht mehr in der Klassengemeinschaft und in dem Kreis der Lehrkräfte, des Schulleitungspersonals und weiterer Schulangestellter, die von der Einziehung des Handys und dem weiteren Geschehen Kenntnis gehabt haben (ebenso VG Osnabrück, Urteil vom 27. Januar 2015 – 1 A 209/14 – juris Rn. 20). Dass die Kläger eine Stigmatisierung erfahren hätten, die sie gegenüber einem weiteren als dem hier in Bezug genommenen Personenkreis hätten erdulden müssen, haben sie selbst nicht vorgetragen.

Ein darüber hinaus gehender Grundrechtseingriff, der ein Feststellungsinteresse begründen könnte, liegt hier ebenfalls nicht vor. Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff kann zwar ein Feststellungsinteresse begründen, wenn sich die aus dem angegriffenen Hoheitsakt ergebende direkte Belastung nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Tiefgreifende Grundrechtseingriffe in diesem Sinne kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz – wie in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 – vorbeugend dem Richter vorbehalten hat; ebenso verhält es sich bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997 – 2 BvR 817/90 u.a. – juris Rn. 49 ff. [Wohnungsdurchsuchung]; Beschluss vom 7. Dezember 1998 – 1 BvR 831/89 – juris Rn. 25 [Wasserwerfereinsatz]). Ein solcher Eingriff, der aus sich heraus unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eine mit Eingriffen in die Unverletzlichkeit der Wohnung oder in die körperliche Unversehrtheit vergleichbare Intensität aufweist, ist hier indes weder dargetan noch ersichtlich. Die Kläger selbst gehen davon aus, dass die Einziehung des Handys durch den Klassenlehrer im Unterricht noch keinen allzu schweren Eingriff in die Rechte des Klägers zu 3. darstellte (Seite 8 der Klageschrift). Darüber hinaus dringen die Kläger mit ihrem Vortrag nicht durch, wonach der Verbleib des Handys im Schulgebäude über das Wochenende sie schwerwiegend in ihren Grundrechten verletzt habe. Dem Kläger zu 3. war der Gebrauch seines Handys nach Schulschluss an einem Freitag, an dem darauf folgenden Wochenende und am nächsten Montagmorgen nicht möglich. Auch wenn sich die Einziehung des Handys insoweit auf den außerschulischen Privatbereich des Klägers zu 3. auswirkte, so war die fehlende Gebrauchsmöglichkeit über das Wochenende doch von vornherein vorhersehbar zeitlich beschränkt. Es ist zudem weder dargetan noch erkennbar, dass der geschilderte vorübergehende Gebrauchsentzug die Kläger an dem besagten Wochenende vor erhebliche Probleme gestellt oder in unzumutbarer Weise beeinträchtigt hätte. Allein dass der Kläger zu 3. Kontaktabsprachen nicht tätigen konnte und „plötzlich unerreichbar“ war, reicht hierfür nicht aus. Ein tiefer Eingriff, etwa in das Eigentumsrecht des Klägers zu 3. aus Art. 14 Abs. 1 GG, ist darin jedenfalls nicht zu sehen. Ebenso wenig ist ein schwerwiegender Eingriff in das Erziehungsrecht der Kläger zu 1. und 2. aus Art. 6 Abs. 1 GG zu erkennen, ein solcher ist auch nicht dargetan. Schließlich ist weder dargelegt noch ersichtlich, inwieweit in der – aus Sicht der Kläger erzwungenen – Abholung des Handys eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung liegen soll. Darin, dass die Klägerin zu 1. für die Abholung des Handys ihres Sohnes im Schulsekretariat Kfz-Kosten und zeitlichen Aufwand aufbringen musste, kann ein solcher Eingriff jedenfalls nicht liegen.“

Wenn ich solche Klagen lese bzw. von solchen Verfahren höre, weiß ich auch, warum die VG überlastet sind. 🙂 . Vielleicht ist es ja gar nicht mal schlecht, ein Wochenende ohne Handy zu verbringen. 🙂