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Einstellung á la AG Biberach – Kein ordnungsgemäßer Visiertest, Messung unverwertbar?

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Aus dem Süden komme eine m.E. dann doch überraschende amtsgerichtliche Entscheidung zur Verwertbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegel FG21-P, wenn die polizeiliche Dienstanweisung für Baden-Württemberg nicht beachtet worden ist. Bei der Verwendung des Lasermessgerätes Riegel FG21-P ist danach der Visiertest zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Funktionsfähigkeit der Visiereinrichtung auf einen geeigneten Gegenstand vorzunehmen. Hier hatte hat der Messbeamte den Visiertest entgegen der polizeilichen Dienstanweisung auf einen Leitpfosten vorgenommen.

Der AG Biberach, Beschl. v. 20.03.2013 – 5 OW 25 Js 4052/13 – geht davon aus, dass damit die Voraussetzungen des standardisierten Messverfahrens nicht mehr erfüllt sind und, da eine nachträgliche Feststellung der Ordnungsgemäßheit der Messung ausgeschlossen, ist das Verfahren eingestellt werden muss. Das hat das AG auch getan.

Den Betroffenen wird es freuen – und den Verteidiger, der mir die Entscheidung übersandt hat, freut sich natürlich auch. M.E. allerdings eine etwas vorschnelle Entscheidung. Denn das AG setzt sich nicht mit der – in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung bejahten – Frage auseinander, ob die Messung nicht doch verwertbar war, allerdings mit einem höheren Sicherheitsabschlag.

 

 

AG Herford – Poliscan Speed? – „Mich überzeugt dieses Messverfahren nicht“

Poliscan Speed ist und wird wahrscheinlich auch noch eine Zeit lang in der Diskussion bleiben. Die OLG sehen dieses Messverfahren zwar inzwischen wohl übereinstimmend als standardisiertes Verfahren an, allerdings nicht alle AG folgen dem. So hat das AG Aachen im Dezember 2012 im AG Aachen, Urt. v. 10.12.2012 – 444 OWi-606 Js 31/12-93/12 dieser Auffassung die Gefolgschaft versagt (vgl. hier). Jetzt kann ich hinweisen auf das AG Herford, Urt. v. 24.01.2013 – 11 OWi 502 Js 2650/12-982/12-, das ebenfalls zum Freispruch gekommen ist. Allerdings mit einem anderen Ansatz als das AG Aachen. Das AG Herford hat die Frage der: Standardisiert, ja oder nein?, offen gelassen. Es hat sich vielmehr darauf zurück gezogen, dass, unabhängig davon, ob standardisiert oder nicht, sich immer noch die Frage der richterlichen Überzeugungsbildung stellt, und ist dann dazu gekommen, dass das Messverfahren allgemein und seine Anwendung im konkreten Fall so erhebliche Zweifel aufwerfen, dass eine Verurteilung darauf nicht gestützt werden könne.

„Insgesamt gab es somit wegen der Gerichtsverwertbarkeit des Messverfahrens erhebliche Zweifel, außerdem aber auch wegen der Zuordnung des auf dem Messfoto abgebildeten Fahrzeuges zu der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung. Wie bereits das Amtsgericht Aachen in seinem Urteil vom 10.12.2012 zutreffend festgestellt hat, konnte das in dieser Sache durchgeführte Messverfahren deshalb nicht für den Nachweis herangezogen werden, dass der Betroffene an der fraglichen Stelle so schnell fuhr, wie ihm im Bußgeldbescheid vorgeworfen wurde.“

Das ist ein etwas anderer Ansatz als AG Landstuhl und AG Kaiserslautern, die m.E. allein aus der nicht möglichen Überprüfbarkeit bei ESO ES 3.0 zur Unverwertbarkeit gekommen sind.

 

Massengentest – was darf man mit den Ergebnissen anstellen? Dazu jetzt der BGH

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Über die Ticker läuft gerade die PM 216/12 des BGH zum BGH, Urt. v. 20.12.2012 – 3 StR 117/12. In dem Verfahren ging es um die Frage eines Bewesiverwertungsverbotes nach rechtswidrigem Umgang mit Daten aus einem Massengentest. Der BGH hat – so die PM – bezogen auf die Umstände des Einzelfalls eine Beweisverwertungsverbot verneint. In der PM heißt es:

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Verurteilung eines Jugendlichen wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren durch das Landgericht Osnabrück bestätigt.

Das Landgericht hatte sich von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich deshalb überzeugt, weil beim Tatopfer Zellmaterial gesichert werden konnte, das mit dem DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten übereinstimmt. Zur Ermittlung des Angeklagten als mutmaßlichem Täter hatten die Ergebnisse einer molekulargenetischen Reihenuntersuchung (§ 81h StPO) geführt, an der ca. 2.400 Männer teilgenommen hatten – unter ihnen der Vater und ein Onkel des Angeklagten. Deren DNA-Identifizierungsmuster stimmten zwar mit dem der Tatspuren nicht vollständig überein, wiesen aber eine so hohe Übereinstimmung auf, dass sie auf eine Verwandtschaft mit dem Täter schließen ließen.

Der Angeklagte hat im Revisionsverfahren neben anderen Beanstandungen mit einer Verfahrensrüge insbesondere geltend gemacht, die bei der molekulargenetischen Reihenuntersuchung festgestellten DNA-Identifizierungsmuster hätten nicht auf verwandtschaftliche Ähnlichkeiten abgeglichen und im weiteren Verfahren nicht gegen ihn verwertet werden dürfen.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat zunächst die von der Revision behaupteten Verfahrensfehler bei der Durchführung der DNA-Reihenuntersuchung verneint. Jedoch hätte die bei der Auswertung der Proben festgestellte mögliche verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Onkel des Angeklagten mit dem mutmaßlichen Täter nicht als verdachtsbegründend gegen den Angeklagten verwendet werden dürfen. Denn § 81h Abs. 1 StPO erlaubt den Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern nur, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von einem der Teilnehmer der Reihenuntersuchung stammt. Gleichwohl hat der Senat entschieden, dass die Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten mit demjenigen der Tatspur vom Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung verwertet werden durfte. Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann. Der Verfahrensverstoß wiegt daher nicht so schwer, dass demgegenüber die Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung hier zurücktreten müssten.“

Ohne den Urteilsgründen vorgreifen zu wollen: Offenbar die übliche Argumentation des BGH.

Natürlich wird das Urteil vorab schon mal gefeiert. Wer könnte es anders sein als der Niedersächsische Justizminister. In seiner PM heißt es dazu:

Busemann begrüßt BGH-Urteil zum Vergewaltigungsfall in Dörpen

 HANNOVER. Der Niedersächsische Justizminister Bernd Busemann begrüßt die heute (20.12.2012) vom Bundesgerichtshof (BGH) getroffene Entscheidung zum Vergewaltigungsfall in Dörpen vom 17. Juli 2010. Damit sei klar, dass der Angeklagte seinerzeit überführt und zu Recht vom Landgericht Osnabrück verurteilt worden war. Die Entscheidung des BGH sei auch eine gute Entscheidung im Sinne des Rechtsgefühls der Bevölkerung.

Busemann im Weiteren: „Es ist im Übrigen eine über den Einzelfall hinausgehende richtungsweisende Entscheidung im Zusammenhang mit dem Massengentest, die feststellt, dass aus verwandtschaftlichen Beziehungen gewonnene Proben nicht verdachtsbegründend verwendet werden dürfen. Hier hat der BGH erstmals die Rechtslage geklärt. Zufallsfunde aus Massengentests, die mittelbar zur Überführung des Täters führen, sind demnach grundsätzlich nicht verwertbar, wenn dadurch das Zeugnisverweigerungsrecht von engen Angehörigen umgangen würde.“

In dem hier erstmals konkret zu entscheidenden Fall sei jedoch lt. BGH eine Gesamtabwägung vorzunehmen gewesen. Diese führe hier zu keinem Beweisverwertungsverbot, weil die Rechtslage hinsichtlich sogenannter „Beinahetreffer“ bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher gänzlich ungeklärt gewesen sei und die Ermittlungsbehörden daher das Gesetz nicht willkürlich missachtet hätten. Der Verfahrensverstoß sei nicht so schwerwiegend, dass er hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurücktrete.

„Dies bedeutet, dass die niedersächsischen Ermittler keinen willkürlichen Gesetzesverstoß begangen haben und im Osnabrücker Gerichtsverfahren auch kein Beweisverwertungsverbot gegeben war“, so Busemann abschließend.“

Nun, wenn man es die PM des BGH so liest. Ich würde sagen: Glück gehabt, noch mal mit einem „blauen Auge“ an der Aufhebung vorbei geschrammt.

Was ist nun mit ESO ES 3.0? Verwertbar – auch ohne Kenntnis der Messdaten?

Die Urteile des AG Kaiserslautern (zfs 2012, 407) und des AG Landstuhl (VRR 2012, 273), die den Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen hatten, haben vor einiger Zeit für Aufsehen gesorgt (vgl. zu AG Landstuhl hier). Die Begründung der AG ging im Groben dahin, dass dann, wenn von der Herstellerfirma eines Messgeräte (hier: ESO ES 3.0) die Mess-/Gerätedaten zu einer Messung nicht zur Verfügung gestellt werden, so dass die Ordnungsgemäßheit der Messung nicht überprüft werden könne, ein Verstoß gegen den zu Gunsten des Betroffenen geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs vorliege, der zur Unverwertbarkeit der Messung führe.

Dass die Urteile nicht bei den AG rechtskräftig werden würden, war vorauszusehen. Und: Die Staatsanwaltschaft ist – zumindest gegen das Urteil des AG Kaiserslautern – in die Rechtsbeschwerde gegangen. Der OLG-Beschluss liegt inzwischen vor. Der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.10.2012 – 1 SsBs 12/12 – hat das AG Kaiserslautern-Urteil aufgehoben (vgl. auch hier). Begründung:

Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes ESO ES 3.0; das eine Bauartzulassung von der Physikalisch-Technische Bundesanstalt erhalten hat, begründet keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Die genaue Funktionsweise von Messgeräten ist den Gerichten auch in den Bereichen der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin nicht bekannt, ohne dass insoweit jeweils Zweifel an der Verwertbarkeit der Gutachten aufgekommen wären, die auf den von diesen Geräten gelieferten Messergebnissen beruhen.

Nach welchem Prinzip das Geschwindigkeitsmessgerät funktioniert,  ist bekannt (vgl. Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, S. 727. ff.). Auch mögliche Ursachen für Fehlmessungen Sind bekannt (Böttger a.a.O.).

Bei dem Messverfahren handelt es sich um standardisiertes. Messverfahren (OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Oktober 2009, 1 SsRs 71/09). Dies entbindet den Richter selbstverständlich nicht von der Prüfung, ob die konkrete Messung zuverlässig ist. Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung können aber nur konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung begründen. Fehlt es an derartigen Anhaltspunkten, überspannt der Tatrichter die an seine Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen, wenn er dennoch an der Zuverlässigkeit der Messung zweifelt. Konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung zeigen die Urteilsgründe nicht auf.

Im Ergebnis nicht überraschend. Die Argumentationskette ist bekannt – standardisiertes Messverfahren = Messung verwertbar, so lange nicht konkrete Messfehler geltend gemacht werden.

Allerdings: Die Argumentation der AG war m.E. ein wenig (?) anders. Denn – zumindest vom AG Landstuhl – wurde nicht nur die Frage nach der Funktionsweise des ESO ES 3.0 gestellt – die war dem Amtsrichter bekannt. Sondern er hatte auch beanstandet, dass die Messdaten nicht herausgegeben werden und deshalb eine Überprüfung der Messung nicht möglich sei, so dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt sei. Das ist m.E. etwas anderes, so dass die Begründung des OLG Zweibrücken für mich am AG Urteil vorbei geht. Standardisiertes Messverfahren bedeutet doch nicht, dass ich als Betroffener kein Recht habe, die Messung zu überprüfen. Wie soll ich denn „konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung begründen“, wenn ich die Messung nicht kenne und nicht überprüfen kann?

Vielleicht wäre es doch besser gewesen, der Senatsvorsitzende hätte nicht allein entschieden, sondern man hätte sich zu Dritt an die Prüfung gemacht.

Widerspruch, Widerspruch – auch gegen die Verwertbarkeit einer Messung. Unruhig wird es beim AG

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Ich hatte ja eben über den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.09.2012 – IV 2 RBs 129/12  berichtet. Der ist aber nicht nur wegen der materiell-rechtlichen-Frage „Vier-Augen-Prinzip“ interessant, sondern – jedenfalls für mich – vor allem auch wegen einer verfahrensrechtlichen Problematik, die das OLG aber wohl nicht als so bedeutend ansieht. denn darauf erstreckt sich der amtliche Leitsatz der Kollegen nicht.

Das OLG sieht nämlich die Geltendmachung des „Vier-Augen-Prinzips“als die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbotes an und wendet darauf die Grundsätze zur Widerspruchslösung an. Da nicht vorgetragen, dass widersprochen worden war, war die Verfahrensrüge des Betroffenen nicht ausreichend.

Der Einwand des Betroffenen, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht verwertbar, weil das „Vier-Augen-Prinzip“ nicht eingehalten worden sei, zielt inhaltlich jedenfalls auch auf ein Beweisverwertungsverbot ab. Die insoweit erforderliche Verfahrensrüge ist indes nicht wirksam erhoben, da nicht dargelegt worden ist, dass der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung bis zu dem durch § 71 Abs. 1 OWiG, § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt widersprochen wurde (vgl. BGH StV 1996, 529; NStZ 1997, 502; OLG Hamburg NJW 2008, 2597, 2600; OLG Hamm NJW 2009, 242; NStZ-RR 2010, 148, 149).

Aber hallo: M.E. steckt in den zwei Sätzen Brisanz. Denn, wenn man das konsequent zu Ende denkt/führt, kann man als Verteidiger daraus nur den Schluss ziehen, dass es rein vorsorglich jetzt wohl geboten ist, in allen Fällen, in denen eine Messung als nicht verwertbar angesehen wird, zu widersprechen. Man weiß ja nie, was das OLG später daraus macht. Und ich höre die Rufe, dass die Verteidiger nur Unruhe in die Hauptverhandlungen bringen. Nur: Manches, was da an Unruhe kommt, ist Ausfluss der obergerichtlichen Rechtsprechung, auf die man sich einstellen muss. Dazu gehört eben auch ein solcher Widerspruch. Lassen wir mal die Frage außen vor, ob es sich um ein Beweisverwertungsverbot handelt oder nicht, das da geltend gemacht wird.