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Klima: Nochmals zur Nötigung in einem „Klimafall“, oder: Flachdach einer Halle – befriedetes Besitztum?

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Und als zweite Entscheidung der OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.02.2024 – 1 ORs 25 Ss 1/23. Er äußert sich noch einmal zu den sog. Klimaaktivistenfällen.

Die StA hatte der Angeklagten das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch am 22. 02.2021 (Tatvorwurf 1), das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung im März 2021 (Tatvorwurf 2) sowie Nötigung in Tateinheit mit der Teilnahme an einer Versammlung in einer Aufmachung zur Verhinderung der Feststellung ihrer Identität am 29.04.2021 (Tatvorwurf 3) zur Last gelegt. Wegen dieser Taten hat das AG die Angeklagte verurteilt. Die Berufung der Angeklagten führte vor dem LG zum Freispruch. Hiergegen richtet sich die Revision der StA. Sie greift – nach teilweiser Rücknahme der Revision sowie nach der Beschränkung des Verfahrens auf die Vorwürfe des Hausfriedensbruchs und der Nötigung – den Freispruch von den Tatvorwürfen 1 und 3 an. In dem Umfang hatte die Revision vollen Erfolg.

Das OLG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„1. Zum ersten Tatvorwurf hat das Landgericht im Wesentlichen festgestellt:

Am 22. Februar 2021 fand ab 19 Uhr in der Mehrzweckhalle der Gemeinde pp. eine Gemeinderatssitzung zum Regionalplan Bodensee-Oberschwaben statt. Gegen 18.30 Uhr kletterten die Angeklagte und der gesondert verfolgte pp. mit Hilfe einer Leiter auf das nicht gesicherte Hallenflachdach und enthüllten dort ein ca. acht Quadratmeter großes Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Klimahöllenplan“, um die Teilnehmer der Gemeinderatssitzung auf ihrer Meinung nach mit den Projekten des Regionalplans einhergehenden Folgen für die Umwelt aufmerksam zu machen. Die Angeklagte und pp. verließen das Dach erst nach Beginn der Gemeinderatssitzung. Der Bürgermeister der Gemeinde stellte am 2. März 2021 Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.

Den Freispruch von diesem Vorwurf hat das Landgericht damit begründet, dass es an einem Eindringen in ein befriedetes Besitztum fehle.

2. Zum Tatvorwurf 3 hat das Landgericht festgestellt:

Die Angeklagte schloss sich mit zehn Personen zusammen, um durch eine auf „einen gemeinsamen Tatplan zurückgehende gemeinschaftlich ausgeführte Aktion“ den Betrieb von zwei Kieswerken zu stören. In Umsetzung dieser Aktion, die wegen des beabsichtigten Überraschungseffekts vorher geheim gehalten wurde, wurden fünf aus je zwei Personen bestehende „Posten“ gebildet.

Vier dieser Posten besetzten die Zufahrten zum Kieswerk pp. GmbH & Co.KG in pp., indem sie – auf einer Fahrbahnseite 4-5m über dem Boden, auf der anderen Seite bodennah, dh schräg abfallend über die Straße – Seile spannten, an denen sie Hängematten befestigten. In jeder Hängematte lag eine Person; die andere Person postierte sich davor mit einem Hinweis auf die Hängematte bzw. einer „Warnung vor Weiterfahrt“. Ferner waren Hinweisschilder mit dem Schriftzug „da hängt ein Leben dran“ angebracht. Ein Kappen der Seile hätte zum Sturz der in den Matten liegenden Aktivisten aus lebensgefährdender Höhe geführt.

Infolge der blockierten Zufahrten bildete sich an der Hauptzufahrt (besetzt vom gesondert verfolgten pp. und einem Unbekannten) ein Stau aus den Pkws der Kieswerkmitarbeiter und mindestens 20 Lkws. Der Fahrer des ersten Fahrzeugs fühlte sich psychisch an der Weiterfahrt gehindert; die Weiterfahrt wäre ihm zwar möglich gewesen, hätte aber wahrscheinlich das gespannte Seil gekappt und dadurch zum Absturz der Hängematte und der darin befindlichen Person geführt. Die von der Angeklagten besetzte Zufahrt versuchte nur ein Pkw zu passieren, der „letztlich“ am Fahrbahnrand unter der am gespannten Seil angebrachten Hängematte hindurch weiterfahren konnte. Der Betrieb der Kieswerke war über Stunden hinweg gestört. Die Angeklagte und die weiteren Aktivisten wurden von Polizeikräften mittels Drehleitern aus den Hängematten geholt. Die pp. GmbH & Co.KG macht zivilrechtlich Schadensersatz in Höhe von ca. 30.000 Euro geltend. Ein weiterer Posten blockierte die Zufahrt des mehrere Kilometer entfernten Kieswerks pp., wo sich aus Angst, das gespannte Seil zu kappen, ein Lkw-Fahrer an der Weiterfahrt gehindert sah.

Das Landgericht hat die Angeklagte auch von diesem Vorwurf freigesprochen. Eine Nötigung mit Gewalt hat es verneint, da an der Sperre der Angeklagten kein Fahrzeug an der Durchfahrt gehindert gewesen sei und die Angeklagte eine möglicherweise entstehende physische Blockade nicht in ihr Vorstellungsbild aufgenommen habe; sie habe angesichts ihrer Entfernung von 500 bzw. 700 Metern zu den anderen Sperren die dortigen Geschehnisse nicht sehen oder beeinflussen können. Die freie Gegenspur hätten die Fahrer nicht zum Ausscheren genutzt, da sie annahmen, am Eingang ebenso wie der dortige erste Lkw an der Weiterfahrt gehindert zu sein.“

Das OLG sieht das beides anders und hat aufgehoben. Es reichen, da doe Fragen ja inzwischen schon häufiger entschieden worden sind, die Leitsätze der Entscheidung. Sie lauten:

In pp.

  1. Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der durch das Blockieren einer Straße gegenüber den ersten Kraftfahrern ausgeübte Zwang sich unmittelbar in physische Hindernisse umsetzt, indem diese Personen und ihre Fahrzeuge bewusst als Werkzeug zur tatsächlichen Behinderung der Nachfolgenden benutzt werden. Anlass, von dieser verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung abzuweichen, besteht nicht.
  2. Entspricht das Blockieren mehrerer Straßen einem gemeinsam gefassten Tatplan, muss sich jeder in die Aktion eingebundene Mittäter die durch das Handeln seiner Tatgenossen plangemäß errichteten Straßensperren und dadurch hervorgerufene Folgen zurechnen lassen.
  3. Die Beurteilung der Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB erfordert eine an den Einzelfallumständen orientierte Abwägung. Im Hinblick auf den Wortlaut und den von § 240 StGB bezweckten Schutz der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung kann die Grenze zur Verwerflichkeit ohne Weiteres auch ohne eine Gefährdung Dritter überschritten sein. Eine Rechtfertigung von Straßenblockaden aus Art. 8 Abs. 1 GG, nach § 34 StGB sowie unter dem Aspekt des sog. zivilen Ungehorsams ist ausgeschlossen.
  4. Das Flachdach einer Mehrzweckhalle, zu dem kein allgemeiner oder regulärer Zugang eröffnet ist und dessen Betreten ohne mitgebrachte Aufstiegshilfe unmöglich ist, stellt ein befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB dar.

Klima: Klimakleber-Straßenblockaden sind Nötigung, oder: Verwerflichkeitsklausel

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Und heute dann Entscheidungen zu Themen, die uns in der letzten Zeit bewegt haben, die derzeit aber nicht so im Fokus stehen, dass man einen ganzen Tag damit füllen kann. Daher gitb es auch keine Zählung 🙂 .

Ich beginne mit einer Entscheidung zu den Klimaaktivisten, und zwar mit dem OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.02.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23 – zur Beurteilung der Verwerflichkeit von Straßenblockaden.

Das OLG ist von folgendem Schverhalt ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an jeweils nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Blockiert wurden am 7.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kronenbrücke einschließlich der Abfahrt zur Kronenstraße, am 11.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung sowie am 15.2.2022 ab ca. 8:14 Uhr die Fahrbahn des Autobahnzubringers A 5 Freiburg Nord an der Einmündung zur L 187/B 294. Der Angeklagte setzte sich jeweils mit weiteren Beteiligten auf die Straße. Bei den Blockaden am 7.2.2022 und am 15.2.2022 klebten sich drei bzw. zwei weitere Beteiligte mit Sekundenkleber am Asphalt der Fahrbahn so versetzt fest, dass jeweils die Möglichkeit zur Bildung einer Rettungsgasse bestand. Polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn kam der Angeklagte jeweils nicht nach, weshalb er jeweils ohne Gegenwehr von der Polizei von der Fahrbahn getragen wurde, bei der Aktion am 7.2.2022 um 9:43 Uhr. Die polizeiliche Räumung der Fahrbahn war am 11.2.2022 um 8:57 Uhr und am 15.2.2022 um 9:15 Uhr beendet.

Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen:

? 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 – 45 Minuten.

? 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen.

? 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10:08 Uhr wieder.

Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die „Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme. Ein „Deeskalationsteam“ versuchte dazu mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte entsprechende Flyer.

Das AG hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) als verwirklicht angesehen, jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB verneint. Dagen die Revision der Staatsanwaltschaft , die Erfolg hatte.

Ich stelle hier, das die Fragen ja nicht neu sind, nur den Leitsatz der Entscheidung ein. Rest dann bitte selbst lesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter ist bei der Prüfung der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) eine Beurteilung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlicher Umstände und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen, ohne dass das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen bewertet werden darf.
    2. Um die so vorgenommene Bewertung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der im Einzelfall wesentlichen Umstände im Urteil festgestellt sein.

 

Klima I: Straßenblockade durch Klimaaktivisten I, oder: Bei mehr als 30 Minuten Wartezeit Nötigung

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Und dann heute zum Wochenstart zwei Entscheidungen aus dem Bereich der „Klimablockaden“.

Ich beginne mit dem LG Freiburg. Urt. v. 08.12.2023 – 64/23 17 NBs 450 Js 23772/22. Das AG Freiburg hat die Angeklagte wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Berufung an das LG, das zur Tat folgende Feststellungen getroffen hat:

Am 07.02.2022 gegen 08:20 Uhr blockierte die Angeklagte mit etwa 13 weiteren Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die pp. auf Höhe der pp. sowie die Abfahrtspur zur pp.straße in pp. Dazu betraten sie, während die Fahrzeuge bei einer Grünphase der Fußgängerampel auf den fünf Spuren einschließlich des Abbiegeastes in die pp.straße warteten, den jeweiligen Fußgängerüberweg, setzten sich auf die Fahrbahn und gaben den Weg auch nach dem Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Grün für den Verkehr auf der pp. nicht frei.

Aufgrund der Sitzblockade wurden die fünf Spuren der pp. blockiert (drei Mittelspuren, jeweils eine kurze Links- und Rechtsabbiegerspur, letztere zweigt vor der Verkehrsinsel mit Lichtzeichenanlage rechts ab). Zwischen der zweiten und dritten Mittelspur von rechts bildete sich bei den letzten fünf Fahrzeugen nur ansatzweise, ansonsten aber eine befahrbare Rettungsgasse, durch die ein Polizei-PKW gegen 8:40 Uhr auf der pp. bis etwa 20 m vor die Blockade fahren konnte. Jedenfalls die Fahrzeuge auf den Abbiegespuren und auf der ersten Mittelspur waren ab der zweiten Reihe durch die voraus- und nebenstehenden Fahrzeuge physische an einer relevanten örtlichen Veränderung gehindert. Die Staulänge betrug mindestens 2,66 km. Um 9:18 Uhr konnte eine Spur für den Verkehr wieder geöffnet werden. Ab 10:10 Uhr wurde die gesamte Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr freigegeben.

Die Angeklagte demonstrierte mit den übrigen Beteiligten der Blockade unter dem Motto „Essen retten Leben retten“. Damit wollte sie auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen, die auch erhebliche Auswirkungen auf den CO? Ausstoß hat. Zu Beginn der Blockade nahm die Angeklagte entsprechend Kontakt zu den Insassen der blockierten Fahrzeuge auf und machten auf das Ziel der Aktion aufmerksam. Diese Kontaktaufnahme war bis gegen 8:50 Uhr abgeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt gaben einzelne Beteiligte an der Blockade noch Interviews, die dann kurze Zeit später endeten. Die im Vorfeld informierten Medien waren vor Ort und berichteten in der Folge über die Blockade.

Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Die Rettungsleitstelle wurde jedoch kurze Zeit vor der Blockade informiert. Ein Versammlungsleiter gab sich während der Blockade nicht zu erkennen. Den Demonstranten wurde von der Polizei durch Lautsprecherdurchsage eine alternative Versammlungsfläche zugewiesen, die jedoch nicht in Anspruch genommen und die Blockade fortgeführt wurde. Nach drei Durchsagen (um 9:08 Uhr, 9:09 Uhr und 9:12 Uhr) wurde die Versammlung von der Polizei ausdrücklich aufgelöst.

Die Demonstranten wurde sodann von der Polizei nach erfolgloser Androhung unmittelbaren Zwangs nach und nach von der Straße entfernt. Die (nicht angeklebte) Angeklagte stand im Verlauf der Aktion auf und verließ die Straße, kehrte aber später zurück und setzte sich erneut auf die Fahrbahn. Da sich drei Beteiligte der Blockade mit einer Hand an der Fahrbahn festgeklebt hatten und zunächst von einem Notarzt abgelöst werden mussten, verzögerte sich die Räumung der Kreuzung nicht unerheblich. Die Angeklagte wurde schließlich gegen 09:50 Uhr von Polizeibeamten von der Fahrbahn getragen. Den sodann ausgesprochenen Platzverweis befolgte sie.

Die Angeklagte hatte mit den weiteren Teilnehmern der Blockade den Ablauf der Aktion im Vorfeld besprochen und im Wesentlichen so antizipiert, wie sie dann auch stattgefunden hat. Der Angeklagten war insbesondere klar, dass es zu einer Blockade der Kraftfahrzeuge über einen längeren Zeitraum kommt und hat dies zur Erreichung ihres Zieles, dem Erzeugen öffentlicher Aufmerksamkeit und dem Werben für wirksame politische Maßnahmen gegen die sich verschärfende Klimakrise, zumindest billigend in Kauf genommen.“

Dem LG hatte die Berufung der Angeklagten nur wegen des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Das hat eine Geldstrafe nur vorbehalten (§ 59 StGB).

Das LG geht aber, ebenso wie das AG von einer rechtswidrigen Nötigung (§ 240 StGB) aus. Wegen des Umfangs der rechtlichen Ausführungen des LG stelle ich hier keine Auszüge aus dem Urteil ein, sondern verweise auf den Volltext. Das Urteil verhält sich insbesondere zur Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung und zum Prüfungsmaßstab bei Blockadeaktionen.

Das Urteil hat folgende (amtliche) Leitsätze:

    1. Soweit eine Rettungsgasse gebildet wurde und von Kraftfahrzeugen faktisch hätte genutzt werden können, liegt schon keine physische Zwangswirkung vor, so dass eine Nötigung mittels Gewalt ausscheidet. Dass die Nutzung der Rettungsgasse ordnungswidrig wäre, spielt auf der Ebene des Gewaltbegriffs keine Rolle.
    2. Ausgangspunkt der Abwägung im Hinblick auf Art. 8  GG ist zunächst das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung. Die Gerichte haben nur zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.
    3. Die Blockade einer Straße zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit ist nicht per se rechtswidrig. Zwar sind die Fälle, in denen durch eine gezielte Behinderung des Straßenverkehrs die Öffentlichkeit auf das Anliegen der Versammlung aufmerksam gemacht werden soll und die Blockade nur als Kundgabemittel eingesetzt wird, problematisch. In diesen Fällen ist aber mit einer zeitlichen Beschränkung der Versammlung grundsätzlich ein Ausgleich der Interessen möglich, da eine kurzfristige Behinderung des Straßenverkehrs von Autofahrern immer zumutbarerweise hingenommen werden kann. Einem vernünftigen und besonnenen Staatsbürger, der die Grundrechtsausübung seiner Mitbürger und ihre Beteiligung am politischen Diskurs als Beitrag zu einer lebendigen Demokratie schätzt, ist eine Wartezeit von etwa 30 min – je nach Einzelfall – zumutbar. Dies umso mehr, als die Fortbewegungsfreiheit mit Kraftfahrzeugen aufgrund der allgemein bekannten Behinderung durch Staubildung nur selten frei gewährleistet ist.
    4. Eine Versammlung muss ein Mindestmaß an Teilhabechancen am Prozess demokratischer Willensbildung eröffnen. Damit geht in der Regel ein Mindestmaß an Störungen einher. So wäre etwa das Ansinnen einer störungsfreien Demonstration durch weitgehend unbewohnte Stadtteile rechtswidrig.
    5. Auch darf eine Strafandrohung kein übermäßiges Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirken, insbesondere bei – hier nicht einschlägigen – Eil- und Spontanversammlungen.
    6. Ein weiterer Gesichtspunkt ist außerdem die Anzahl der das Versammlungsrecht wahrnehmenden Grundrechtsträger. Eine Demonstration mit mehreren Hundert oder Tausend Teilnehmenden hat ein höheres Gewicht und rechtfertigt stärkere Einschränkungen anderer als eine Demonstration weniger Teilnehmenden, die ganz erhebliche Auswirkungen auf Dritte hat.
    7. Wichtige Abwägungselemente sind außerdem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, wobei das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Aktion zu bestimmen ist.
    8. Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands liegen nicht vor, weil es jedenfalls an der Angemessenheit der Tat für die Abwehr der Gefahren durch den Klimawandel fehlt.
    9. Hier: Bei einer zweistündigen Blockade einer im Kreuzungsbereich fünfspurigen Straße mit nur teilweise und nur für zwei Spuren funktionierender Rettungsgasse, einer Staulänge von ca. 2,6 km, einer Gruppe von 15 Demonstrierenden und einer Blockade ohne konkreten Sachbezug, ist für die Insassen der Kraftfahrzeuge eine Wartezeit von maximal 30 min zumutbar, so dass im konkreten Fall eine strafbare Nötigung vorliegt.

Und dann noch ein Hinweis: Beim OLG Karlsruhe findet am 20.02.2024 eine Revisionshauptverhandlung gegen einfreisprechendes Urteil des AG Freiburg in einem „Klimakleber“-Fall statt. Wegen der Einzelheiten der amtsgerichtlichen Entscheidung hier. Und bevor jetzt Mußmaßungen kommen, die sich darauf gründen, dass das OLG eine Hauptverhandlung macht. Das OLG hat bei einer zu Lasten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft gar keine andere Möglichkeit. Blick in § 349 StPO und so….

Klima I: Rechtswidrige Straßenblockade durch Kleber, oder: Wenn man mehr als 3 Stunden festklebt

Und dann auf in die 51. KW, an deren Ende wir dann Weihnachten „feiern“ können. Es ist also eine ganz normale Woche, die ich heute mit noch einmal mit zwei „Klima-Entscheidungen“ beginne. Die Fragen haben in 2023 an Bedeutung zugenommen, ich habe ja zu Entscheidungen in der Frage auch einige Male berichtet. Bei den Entscheidungen gibt es zu der Thematik auf meiner Homepage eine eigene Rubrik, dort stehen inzwischen 19 Beschlüsse/Urteile, die sich mit der Problematik – meist „Straßenkleberfälle“ befassen. Heute kommen dann noch zwei dazu.

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Hier kommt zunächst das AG Flensburg, Urt. v. 06.07.2023 – 430 Cs 107 Js 4027/23. Das AG hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Verurteilung hat es folgende Feststellungen zur Tat zugrunde gelegt:

Der Angeklagte beteiligte sich am 02.02.2023 an einer nicht konkret im Vorfeld angekündigten Straßenblockade-Aktion des Aktionsbündnisses „L. G.“ in F. Hierzu setzte er sich mit zwei weiteren Personen um 15:38 Uhr auf den Zebrastreifen an der Straße S. in F auf die zweispurige Fahrbahn. Zwei weitere Personen setzen sich auf die daneben verlaufende Busfahrspur. Der Angeklagte setzte sich dabei auf rechte äußere Seite der Fahrbahn aus Richtung der F Innenstadt. Er und die weiteren Teilnehmer der Blockade hatten die Absicht, den Kraftfahrzeugverkehr stadteinwärts und stadtauswärts an der Weiterfahrt zu hindern. Dabei klebten er und die zwei weiteren Personen auf der Fahrbahn jeweils eine ihrer Hände mit Sekundenkleber auf der Straße fest, um die erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade zu erschweren. Infolge dessen kam es zunächst bis um 16:01 Uhr zu einem vollständigen Erliegen des Fahrzeugverkehrs. Die Fahrzeuge stauten sich jedenfalls stadtauswärts bis zur Einmündung der N Straße und stadteinwärts bis zur Einmündung der N. Zahlreiche Fahrzeuginsassen mussten im Stau verharren und waren infolgedessen an einem weiteren Fortkommen gehindert. Ab 16:01 Uhr konnte der Verkehr teilweise einseitig über die durch die Polizei geräumte Busspur geführt werden. Gleichwohl kam es weiterhin zu einem erheblichen Rückstau der Fahrzeuge bis zur Kreuzung am D. H. und im Bereich der F. N. Der Angeklagte konnte erst nach 3 Stunden und 41 Minuten durch Spezialkräfte mit einem Lösemittel von der Fahrbahn entfernt werden. Die anwesenden Polizeibeamten hatten dabei mehrfach die Versammlung hörbar aufgelöst und der Versammlung einen anderen Ort – auf dem Gehweg – zugewiesen.“

Wegen der Einzelheiten der rechtlichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext, das hat man so oder ähnlich schon gelesen hat. Hier dann nur die Leitsätze, und zwar:

    1. Eine Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße ist, gemessen an den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls, eine strafbare Nötigung gem. § 240 StGB.
    2. Gegen die Verwerflichkeit der Tat nach § 240 II StGB spricht nicht, dass die Betroffenen als Kraftfahrzeugnutzende den Ausstoß von CO? verursachen und dadurch mit dem Anliegen des Klimaschutzes in Verbindung stehen.
    3. Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB kommt aufgrund des Vorrangs staatlicher Abhilfemaßnahmen nicht in Betracht.

 

Klima II: Erkennungsdienstliche Behandlung zulässig?, oder: Verwerflichkeit und Wiederholungsgefahr

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Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

Und im zweiten „Klima-Posting“ dann mal etwas Verfahrensrechtliches, und zwar geht es um die eine Klimaaktivisten betreffende erkennungsdienstliche Behandlung. Zu deren Zulässigkeit hat das VG Trier, Urt. v. 07.08.2023 – 8 K 1253/23.TR – Stellung genommen.

Gegen die Klägerin sind in der Vergangenheit wegen der Teilnahme an Versammlungen mehrfach Ermittlungsverfahren geführt worden. Gegen sie wird dann nach einer Blockadeaktion im Juni 2021 wegen des Verdachts der Nötigung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Im Zuge dieser Ermittlungen ist die erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin angeordnet worden (§ 81b Abs. 1 2. Alt StPO) angeordnet und es sind Finger- und Handflächenabdrücke und Lichtbilder gemacht worden. Außerdem hat man äußere körperliche Merkmale genommen sowie Messungen durchgeführt.

Dagegen richtet sich die Klage, die beim VG keinen Erfolg hatte. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf die umfangreiche Begründung des VG-Urteils. Hier stelle ich nur die Ausführungen des VG zur Verwerflichkeit und zur Wiederholungsgefahr ein:

„……

Vor diesem Hintergrund besteht jedenfalls ein hinreichender Tatverdacht wegen der der Klägerin vorgeworfenen Nötigung, was auch durch die Anklageerhebung selbst bestätigt wird (vgl. § 170 Abs. 1 StPO). Das Verhalten der Klägerin ist auch als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 Strafgesetzbuch – StGB – anzusehen. Denn bereits eine gewaltsame, gezielte Blockade von Verkehrsteilnehmern mit dem Zweck mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, kann genügen, um ein Verhalten im Rahmen der Zweck-Mittel-Relation als verwerflich einzustufen – der Inhalt des politischen Ziels, wie etwa der in Art. 20a GG verankerte Klimaschutz, spielt dabei grundsätzlich keine Rolle (vgl. LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 2023 – [518] 237 Js 518/22 Ns [31/22] –, juris). Im hier vorliegenden Fall kommt erschwerend hinzu, dass das Verhalten der Klägerin jedenfalls deshalb in besonderem Maße als verwerflich zu bewerten ist, weil sie wissentlich ein im Einsatz befindliches Rettungsfahrzeug an der Weiterfahrt gehindert und damit bewusst die Gefährdung von Gesundheit und Leben unbeteiligter Dritter in Kauf genommen hat, um ihre eigenen (politischen) Interessen durchzusetzen.

Das Verhalten der Klägerin ist auch nicht durch die in Art. 8 Abs. 1 GG verankerte Versammlungsfreiheit gedeckt. Denn diese schützt zwar die Teilhabe an der Willensbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Die mit der Ausübung des Versammlungsrechts unvermeidbaren nötigenden Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind demnach nur dann durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, juris, Rn. 44, 54). Dies war hier jedoch – wie dargestellt – offenkundig nicht der Fall.

Auch handelt es sich bei der Anlasstat nicht um eine einmalige Jugendverfehlung, die als Ausdruck jugendlichen Leichtsinns oder jugendlicher Unreife gewertet werden kann. Straßenblockaden zum Zwecke der Durchsetzung politischer Ziele sind im Allgemeinen nicht typischerweise nur auf Jugendliche beschränkt. Vielmehr werden sie generationsübergreifend von Menschen verschiedener Altersklassen begangen. Unbeschadet dessen hätte – selbst wenn man der Klägerin infolge eines jugendlichen Reiferückstand ein fehlendes Bewusstsein für die Folgen des eigenen Handelns unterstellte – jedenfalls nach Ansprache und Bewusstwerdens eines medizinischen Notfalls ein Umdenken stattfinden müssen, was hier jedoch unterblieb. Vielmehr hat sie sich bewusst dazu entschieden, die Blockadeaktion in Kenntnis dieser Tatsache ohne Rücksicht auf die Gesundheit und das Leben unbeteiligter Personen fortzusetzen.

Dass es sich hier auch nicht um bloß einmaliges Fehlverhalten handelt, wird im Übrigen auch durch die weiteren in der Vergangenheit gegen sie geführten Ermittlungsverfahren und die damit zutage getretene Persönlichkeitsstruktur der Klägerin bestätigt. Die Klägerin ist in Zusammenhang mit der Teilnahme an Versammlungen seit 2019 immer wieder in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufgefallen, wobei jeweils Delikte wie etwa Nötigung (§ 240 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (§ 21 Versammlungsgesetz – VersammlG –, § 25 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersammlG, § 26 VersammlG) im Raum standen. Auch wenn die Klägerin in Bezug auf das Verfahren *** freigesprochen und die übrigen Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, zeigen diese eindrücklich, dass sich die Klägerin bereits in der Vergangenheit stets an der Grenze zur Strafbarkeit bewegte, die sie jedenfalls mit dem ihr im Anlassermittlungsverfahren zur Last gelegten Verhalten überschritt. Damit hat sie ihre Vorgehensweise in Bezug auf die von ihr verfolgten politischen Anliegen über die Jahre verfestigt und in den gewählten Mitteln zunehmend dergestalt radikalisiert, dass sie zu strafbewehrtem Verhalten übergegangen ist.

Die Prognose des Beklagten hinsichtlich der Wiederholungsgefahr erweist sich auch als sachgerecht und vertretbar. Trotz des zunehmenden zeitlichen Abstands – die Anlasstat liegt mittlerweile mehr als zwei Jahre zurück – bestehen im konkreten Fall der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin genügende Anhaltspunkte für die Annahme, sie werde künftig wieder Verdächtige noch aufzuklärender strafbarer Handlungen werden. Insbesondere die aus den Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften Trier und D*** *** und *** gewonnenen Erkenntnisse und die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin lassen auf eine drohende Wiederholung schließen.

……“