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StPO III: Der Nebenkläger stirbt während des Verfahrens, oder: Rechtsmittelbefugnis der Erben?

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Und zum Schluss des Tages dann noch etwas auf dem Rechtsmittelbereich, und zwar etwas zur Rechtsmittelbefugnis der Erben des verstorbenen Nebenklägers.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Ihm war vorgeworfen worden, als Autofahrer die Vorfahrt des mit einem Fahrrad fahrenden späteren Nebenklägers missachtet und diesem hierdurch schwere Verletzungen zugefügt zu haben, die zu einer gänzlichen Lähmung führten. Gegen das freisprechende Urteil hat der durch seinen Rechtsanwalt vertretene Nebenkläger Berufung eingelegt. Noch bevor es zur Berufungshauptverhandlung gekommen ist, ist der Nebenkläger am 24.06.2023 verstorben. Der Rechtsanwalt hat dies dem Berufungsgericht mitgeteilt und zugleich – schriftlich – beantragt, den Angeklagten nunmehr wegen „Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen“. Hiernach hat der Rechtsanwalt die Vertretung des Sohnes des verstorbenen Nebenklägers angezeigt und erklärt, dass „dieser die Nebenklage nach dem Tod des Nebenklägers fortführt“. Weiter hat er beantragt, diesen „als Nebenkläger zuzulassen in dem Sinne, dass dieser die Position des verstorbenen Nebenklägers übernimmt und die Berufung mit den in der Berufungsschrift gestellten Anträgen fortführt“.

Das LG hat festgestellt, dass die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers seine Wirkung verloren habe. Durch denselben Beschluss sind dem verstorbenen Nebenkläger die Kosten der Berufung mit der Folge auferlegt worden, dass sie aus dessen Nachlass zu erstatten seien. Der Rechtsanwalt hat „sofortige Beschwerde“ gegen den gesamten Beschluss eingelegt. Das Rechtsmittel stellt sich nach Auffassung des KG als sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die Kostenentscheidung sowie als Beschwerde des Sohnes gegen die Versagung der Zulassung als Nebenkläger dar.

Beide Rechtsmittel blieben beim KG ohne Erfolg. Das führt im KG, Beschl. v. 22.01.2024 – 3 Ws 66-67/23 – aus:

„1. Die Beschwerde des Y gegen die Versagung der Zulassung als Nebenkläger ist unbegründet, weil das Strafprozessrecht eine Fortführung der Nebenklage durch An-gehörige nicht vorsieht (a) und eine eigene Anschlusserklärung nach dem Versterben des Nebenklägers nicht mehr möglich war (b).

a) Ein „Eintreten“ in die Nebenklage oder eine Fortführung durch Angehörige des verstorbenen Nebenklägers ist durch die StPO nicht vorgesehen (vgl. BGH NStZ 2009, 174; Allgayer in Karlsruher Kommentar, StPO 9. Aufl., § 402 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 402 Rn. 4). Eine solche Sukzession normiert zwar § 383 Abs. 2 StPO für die Privatklage. Für die Nebenklage fehlt eine entsprechende Regelung indes. Mit dem Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 hat der Gesetzgeber die Verweisung in § 397 Abs. 1 a. F. StPO auf Vorschriften der Privatklage vielmehr bewusst beseitigt, so dass eine analoge Anwendung nicht mehr in Betracht kommt (vgl. Valerius in Münchener Kommentar, StPO, § 402 Rn. 8). Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn der Tod des Nebenklägers, was hier keinesfalls fernliegt, durch die zu seinem Anschluss berechtigende Straftat herbeigeführt worden ist (vgl. Valerius in Münchener Kommentar, a.a.O.).

b) Auch konnte sich der Beschwerdeführer Y nach dem Tod des Nebenklägers nicht mehr aus eigenem Recht wirksam der erhobenen öffentlichen Anklage anschließen.

Zwar steht diese Befugnis im Grundsatz auch dem Kind eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten zu (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sich der öffentlichen Klage bereits der Verstorbene, noch zu Lebzeiten, als Neben-kläger angeschlossen hatte. Denn nach § 402 StPO verliert die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers ihre Wirkung. Da die Nebenklage mit dem Versterben beendet ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 402 Rn. 6) und die vom Nebenkläger eingelegte Berufung als zurückgenommen gilt (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; Allgayer in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 402 Rn. 5), wird das zunächst angefochtene Urteil in der juristischen Sekunde des Versterbens rechtskräftig.

Angesichts der durch das Versterben des Nebenklägers eingetretenen Rechtskraft des Freispruchs konnte auch der Beschwerdeführer Y nicht mehr den Anschluss nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO erklären. Im Zeitpunkt der Anschlusserklärung gab es die durch § 395 Abs. 1 StPO vorausgesetzte öffentliche Klage nicht mehr.

2. Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die vom Landgericht für das Berufungsverfahren getroffene Kostengrundentscheidung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

a) Dass der Nebenkläger verstorben ist, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Zwar ist umstritten, ob die zu Lebzeiten erteilte Vertretungsvollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fortwirkt und den Vertreter jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen ermächtigt (bejahend Hanseatisches OLG, NJW 1971, 2183; 1983, 464; OLG Hamm NJW 1978, 177; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Celle NJW 2002, 3720; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., Vor § 137 Rn. 7; Kühl, NJW 1978, 977, 980 [allesamt den Verteidiger betreffend]; a. A. Hanseatisches OLG wistra 2004, 39). Der Senat geht jedoch mit der wohl herrschenden Meinung von einem solchen Fortbestehen aus. Nach § 168 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nämlich nach dem zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis, hier also nach dem zwischen dem Nebenkläger und seinem Vertreter bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Auf diesen ist § 672 BGB anzuwenden, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftrag-gebers erlischt. Dieses Ergebnis ist hier auch sachgerecht, weil nach dem Tod des Nebenklägers noch über die Verfahrenskosten und die Tragung der notwendigen Auslagen zu entscheiden war. Die durch diese Konstellation erzeugte Interessenlage legt es nahe, dass der Vertreter die Interessen des Verstorbenen (und damit „indirekt“ die der Erben) auch weiterhin vertritt (vgl. Kühl, NJW 1978, 977).

b) Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers ist jedoch nicht begründet. Denn nach § 402 StPO hat die Anschlusserklärung des Nebenklägers durch dessen Tod ihre Wirkung verloren. Damit ist die Nebenklage beendet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 402 Rn. 6), und das ausschließlich vom Nebenkläger ein-gelegte Rechtsmittel, die Berufung, gilt als zurückgenommen (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; Allgayer in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 402 Rn. 5).

Die Kosten eines zurückgenommenen Rechtsmittels treffen nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich denjenigen, der es eingelegt hat. Nach § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO gilt dies auch ausdrücklich für die Nebenklage. Damit hat das Landgericht dem verstorbenen Nebenkläger zutreffend die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Freigesprochenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt. Gleichfalls zutreffend hat das Landgericht formuliert, dass dies zur Folge hat, dass die auferlegten Kosten „aus dem Nachlass zu erstatten sind“ (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; Thüringisches OLG MDR 1995, 1071; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 402 Rn. 6).

3. Die Beschwerdeführer haben gemäß § 473 Abs. 1 StPO die Kosten ihrer erfolglosen Rechtsmittel zu tragen, der verstorbene Nebenkläger nach § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO zugleich die notwendigen Auslagen des Freigesprochenen. In Bezug auf den verstorbenen Nebenkläger ergeht die Kostenentscheidung mit der Maßgabe, dass die Kosten aus dem Nachlass zu erstatten sind.“

Pflichti III: Beschwerde gegen „Pflichti-Bestellung“?, oder: Auch der „Pflichti“ brauchte eine Vollmacht

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Und dann habe ich noch zwei Entscheidungen von der „Pflichtverteidigerresterampe“ 🙂 .

Zunächst kommt hier der BGH, Beschl. v. 15.08.2023 – StB 28/23. Der Ermittlungsrichter des BGH hat dem Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 1 StPO Rechtsanwalt A. und einen weiteren Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dagegen wendet sich der Beschuldigte, dessen Rechtsmittel verfristet war. Im Übrigen führt der BGH aus:

„Ungeachtet dessen ist das Rechtsmittel auch mangels Beschwer unzulässig. Denn durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers als solche ist ein Beschuldigter im Regelfall nicht beschwert; er kann diese daher grundsätzlich nicht anfechten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 1998 – 2 BvR 291/98, NJW 1998, 2205; BGH, Beschlüsse vom 15. November 2022 – StB 51/22, NStZ 2023, 115 Rn. 4 mwN; vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 2). Das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistete Recht auf Selbstverteidigung wird durch eine Pflichtverteidigerbestellung in den Fällen der notwendigen Verteidigung nicht berührt (vgl. EGMR, Urteil vom 25. September 1992 – 13611/88, EuGRZ 1992, 542 Rn. 29 ff.; BGH, Beschlüsse vom 15. November 2022 – StB 51/22, NStZ 2023, 115 Rn. 4 mwN; vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 2). Eine etwaige spätere Belastung des Beschuldigten mit den Kosten des Pflichtverteidigers nach einer rechtskräftigen Verurteilung begründet im Erkenntnisverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 2; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 1986 – 1 Ws 155/86, MDR 1986, 604, 605; Thüringer OLG, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 1 Ws 173/12, NStZ-RR 2012, 317).

Eine Beschwer durch eine Pflichtverteidigerbestellung kommt zwar ausnahmsweise in Betracht, wenn der bestellte Verteidiger wegen mangelnder Eignung oder Interessengegensatzes unfähig erscheint, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen, oder der Beschuldigte in seinem Recht auf Bezeichnung des zu bestellenden Verteidigers und dessen Beiordnung aus § 142 Abs. 5 Satz 1 und 3 StPO betroffen ist (BGH, Beschlüsse vom 15. November 2022 – StB 51/22, NStZ 2023, 115 Rn. 5 mwN; vom 3. Mai 2023 – StB 21/23, juris Rn. 3; OLG Celle, Beschluss vom 17. September 1987 – 3 Ws 239/87, NStZ 1988, 39; OLG Köln, Beschluss vom 15. Juli 2005 – 2 Ws 283/05 u.a., juris Rn. 6). Derartiges hat indes weder der Beschuldigte geltend gemacht, noch gibt es hierfür Anhaltspunkte. Der Beschuldigte hatte den bestellten Pflichtverteidiger zuvor nicht nur selbst bevollmächtigt, sondern auch seine Zustimmung zur beabsichtigten Beiordnung erteilt. Ferner hat er im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, er wünsche die weitere Verteidigung durch beide bestellten Pflichtverteidiger.“

Und dann habe ich noch den AG Regensburg, Beschl. v. 18.08.2023 – 30 Cs 126 Js 27714/19 (2). Auch nichts Neues, sondern nur ein Reminder daran, dass auch der Pflichtverteidiger ggf. eine (Vertretungs)Vollmacht braucht:

Ist der Pflichtverteidiger ohne Vollmacht nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO im Hauptverhandlungstermin anwesend, ist eine von ihm dennoch erklärte Rücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl unwirksam.

StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Der BGH antwortet dem OLG Düsseldorf

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Heute stelle ich dann drei StPO-Entscheidungen vor, die alle etwas mit Vollmacht und/oder Vertretung zu tun habe.

Zunächst: Ich erinnere an den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2021 ? 2 RVs 60/21.

Ja, das war die Divergenzvorlage an den BGH zu den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung (s. hier: StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Das OLG Düsseldorf „traut“ sich).

Das OLG wollte vom BGG wissen:

„Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?“

Nun hat es der BGH geschafft. Er hat mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2023 – 3 StR 386/21 – geantwortet:

Eine Erklärung, mit welcher der Angeklagte dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Fall der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt hat, genügt den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht.

Ok, nun wissen wir es . Ich frage mich bei solchen Geschichten immer, warum man dafür den BGH braucht. Nun klar, das OLG kann nicht anders, das muss fragen. Aber: Es ist doch bzw. sollte doch für einen Verteidiger kein Problem sein, seine Vollmacht an unterschiedliche Rechtsprechung anzupassen. Das mache ich. Und gut ist es. Schon ggf. im Interesse des Mandanten.

 

StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Das OLG Düsseldorf „traut“ sich

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Heute stelle ich drei StPO-Entscheidungen von OLG vor. Einen StPO-Tag hatte ich länger nicht mehr.

Ich beginne mit dem recht aktuellen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2021 – 2 RVs 60/21. Zu dem passt nun wirklich mal: Das OLG traut sich. Ja, es traut sich zu einer Divergenzvorlage an an den BGH. Das mögen die OLG ja sonst nicht so gern und sie legen ja nicht selten wortreich dar, warum man nicht vorlegen muss. Anders aber hier.

Anlass zu der Vorlage ist die Frage nach den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung. Das OLG fragt:

Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?

Anlass für die Frage ist ein Berufungsverfahren, in dem die Berufung des nicht erschienenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist. Der Verteidiger hat eine von dem Angeklagten unterzeichnete Strafprozessvollmacht vorgelegt, die eingangs dahin lautet, dass dem Verteidiger „Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung, auch im Falle meiner Abwesenheit, in allen Instanzen erteilt“ wird. Dem LG hat die Vollmacht mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht genügt und hat die Berufung verworfen.

Dagegen nun die Revision, der das OLG stattgeben möchte. Aber:

„Daran sieht sich der Senat durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. November 2016 (5 RVs 82/16 bei juris = BeckRS 2016, 111318) gehindert. Gegenstand dieser Entscheidung war eine inhaltsgleiche Vertretungsvollmacht mit folgendem Formulartext:

„Die Vollmacht erstreckt sich auf meine Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren – ebenfalls für den Fall meiner Abwesenheit in einer Verhandlung – …“

Das Oberlandesgericht Hamm hat diese Vertretungsvollmacht für unzureichend erachtet und verlangt, dass die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auch die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung erfassen müsse. Nur dann könne von einer zulässigen Vertretung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO überhaupt ausgegangen werden. Aus diesem Grund wurde die dortige Revision verworfen.

Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die Möglichkeit der Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist in Strafsachen in folgenden Konstellationen vorgesehen: im Berufungsverfahren (§ 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO), im Strafbefehlsverfahren (§ 411 Abs. 2 StPO), nach Maßgabe des § 234 StPO, im Privatklageverfahren (§ 387 Abs. 1 StPO), im Einziehungsverfahren (§ 428 Abs. 1 Satz 1 StPO) und im Revisionsverfahren (§ 350 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine – wie hier – ohne Einschränkung für alle Instanzen erteilte Vertretungsvollmacht deckt die Vertretung des abwesenden Angeklagten ohne Weiteres in allen strafprozessual zulässigen Vertretungsfällen ab. Der Gesetzgeber hat die Vertretungsvollmacht in den vorgenannten Vorschriften gleich behandelt. Es bedarf im Falle der Berufungshauptverhandlung keiner ausdrücklichen Hervorhebung (vgl. OLG Oldenburg BeckRS 2016, 124738 = StV 2018, 148).

Dass die Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung weitrechende Folgen für diesen haben kann, weil der Verteidiger dann berechtigt ist, ihn im Willen und in der Erklärung zu vertreten, stellt keine Besonderheit der Berufungshauptverhandlung dar. Dies gilt auch für die Erwägung, dass es sich um die letzte Tatsacheninstanz handelt. So kann ein nach § 234 StPO zulässiger Vertretungsfall auch in der Hauptverhandlung vor einer großen Strafkammer des Landgerichts (nur eine Tatsacheninstanz) eintreten (vgl. Spitzer NJW 2021, 327, 328).

Zudem war schon vor der Änderung des § 329 StPO anerkannt, dass die im Strafbefehlsverfahren normierte Vertretungsbefugnis (§ 411 Abs. 2 StPO) auch für die Berufungshauptverhandlung gilt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 329 Rdn. 14 m.w.N.). Es erscheint nicht folgerichtig, nunmehr – jedenfalls in gerichtlichen Strafverfahren nach Anklage – für die Vertretung in der Berufungshaupthandlung eine ausdrücklich hierauf bezogene Vollmacht zu verlangen. Ob das gerichtliche Strafverfahren mit einem Strafbefehl oder einer Anklage begonnen hat, stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dar, zumal die durch einen Strafbefehl festgesetzten Rechtsfolgen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe (mit Aussetzung zur Bewährung) reichen können.

Ohne dass es entscheidend darauf ankommt, weisen der dem Senat vorliegende Fall und der von dem Oberlandesgericht Hamm entschiedene Fall über den Inhalt der Vertretungsvollmacht hinaus eine weitere Parallele auf. Denn in beiden Strafsachen war die Vertretungsvollmacht erst in dem Berufungsverfahren erteilt worden. Vorliegend ist die Vertretungsvollmacht vom 3. Juli 2020 zusammen mit der Berufungsschrift vom 3. Juli 2020 eingereicht worden. Aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm geht hervor, dass das erstinstanzliche Urteil vom 3. November 2015 stammt, während die Vertretungsvollmacht vom 3. Februar 2016 datiert.

Bei dieser Sachlage war eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – nichts anderes stand jeweils bei Erteilung der „in allen Instanzen“ geltenden Vertretungsvollmacht an – erst recht entbehrlich. Aber auch ohne eine solche Besonderheit in der zeitlichen Abfolge ist eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, „in allen Instanzen“ erteilt worden ist, nach Auffassung des Senats für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreichend.

Durch drei weitere Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (vgl. KG Berlin BeckRS 2018, 5556; OLG Hamm BeckRS 2019, 5617; OLG Celle BeckRS 2021, 626) sieht sich der Senat wegen anders gelagerter Sachverhalte nicht an der beabsichtigten Entscheidung unter Bejahung der Vorlegungsfrage gehindert.

Denn diese Entscheidungen betreffen jeweils Vertretungsvollmachten, in denen die Vertretungsfälle nach § 411 Abs. 2 StPO und §§ 233 Abs. 1, 234 StPO ausdrücklich angeführt werden, während die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung (§ 329 Abs. 1 u. 2 StPO) nicht erwähnt wird. Insoweit bedarf es im Einzelfall der Auslegung, ob es sich um eine abschließende Aufzählung oder lediglich um Beispiele für die Vertretung „in allen Instanzen“ handelt. Dass die Gründe der vorgenannten Entscheidungen tendenziell nicht mit der von dem Senat beabsichtigte Entscheidung in Einklang stehen, stellt noch keinen Vorlegungsgrund dar.“

Mal sehen, wie lange der BGH braucht. Bis dahin wird man m.E. über ggf. anhängige Revisionen, in denen die Frage eine Rolle spielt, nicht entscheiden können. Und auch mit Berufungsverwerfungen wird man „vorsichtig“ sein müssen.

Auf die Entscheidung des BGH werden wir aber mit den Neuauflagen der beiden Handbücher „Ermittlungsverfahren“ und „Hauptverhandlung“ in der 9. oder 10. Auflage nicht warten können 🙂 . Die gehen wie geplant im Oktober bzw. Dezember 2021 an den Start. Zum <<Werbemodus an>> geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

Vollmacht II: Dauerbrenner Vertretungsvollmacht, oder: Wie muss die formuliert sein?

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Die zweite Vollmachtsentscheidung kommt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 18.01.2021 – 2 Ss 119/20 – noch einmal zur Vertretungsvollmacht Stellung genommen. Auch ein Dauerbrenner, der vor allem Bedeutung bei der Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO Bedeutung hat.

Der Angeklagte hatte gegen die Verurteilung durch das AG Berufung eingelegt. Diese Berufung hat das LG nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Verteidiger, der als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, hatte beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und ein weiteres ärztliches Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit und Vollzugsfähigkeit einzuholen. Der Angeklagte befinde sich seit dem Vortag der Verhandlung im Krankenhaus. Weiter hatte der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung eine von dem Angeklagten unterschriebene Vollmacht, die auf den 6.10.2018 datierte, vorgelegt. In dieser hieß es zu Ziffer 6: „Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 374 StPO, 73, 43 OWiG) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO und mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach § 233 Abs. 1, 234 StPO und Stellung von Straf- und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen.“  Die Vollmacht hat dem OLG nicht gereicht:

„Die Verfahrensrüge erweist sich jedoch als unbegründet.

Die dem Verteidiger am 06.10.2018 erteilte Vollmacht berechtigt den Verteidiger nicht zur Vertretung des abwesenden Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Das Landgericht hat damit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte nicht in zulässiger Weise vertreten worden ist.

Eine allgemeine Verteidigervollmacht reicht für die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus, erforderlich ist vielmehr nach allgemeiner Ansicht eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten verbindlich Erklärung abgeben und wirksam für ihn Erklärungen annehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (vergleiche BGHSt 9, 356; KG Berlin, Beschluss vom 01.03.2018, Az: 121 Ss 15/18, Rn. 3, zitiert nach juris, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 234 Rn. 5 m. w. Nw.). Aus der Pflichtverteidigerbestellung als solcher ergibt sich dabei keine besondere Vertretungsmacht des Verteidigers (vgl. OLG Celle, NStZ 2013, 615 m. w. Nw.). Auch der Pflichtverteidiger benötigt als Beistand des Angeklagten eine ausdrückliche Vertretungsvollmacht. Diese ist gegebenenfalls neu zu erteilen, soweit das Wahlmandat durch die Beiordnung als Pflichtverteidiger erloschen ist (vlg. OLG Celle, a. a. O.).

Hier wurde die Vollmacht erst am 06.10.2018 erteilt und damit nach der erfolgten Bestellung des Verteidigers als Pflichtverteidiger.

Streitig ist allerdings, ob eine Vollmacht, die allgemein „zur Verteidigung und Vertretung“ erteilt wird, für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreicht (bejahend: OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2016, Az: 1 Ss 178/16, Rn. 14, zitiert nach juris m. w. Nw.), Insoweit wird angeführt, durch die Forderung einer expliziten Ermächtigung zur Vertretung des Angeklagten „in dessen Abwesenheit“ würde der in dem Erfordernis einer gesonderten Bevollmächtigung zu Grunde liegende Schutzgedanke überspannt (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.) Dies trägt allerdings der Bedeutung der Übertragung der Vertretungsrechte durch den Angeklagten an den Verteidiger nicht Rechnung. Denn mit der Erteilung einer Vertretungsvollmacht für den Fall einer Abwesenheitsverhandlung überträgt der Angeklagte wichtige Verfahrensrechte wie Anwesenheit und rechtliches Gehör vollständig auf seinen Verteidiger und muss sich an dessen inhaltlichen Erklärung festhalten lassen, als wenn es seine eigenen wären (vgl. KG Berlin, a. a. O.). Diese Konsequenzen wiegen bezogen auf die Berufungshauptverhandlung besonders schwer, da sie den Abschluss der letzten Tatsacheninstanz bildet. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Folgen ist es nach Auffassung des Senats erforderlich, dass sich die Vollmacht ausdrücklich auch auf die Abwesenheitsverhandlung in der Berufungshauptverhandlung bezieht (vergleiche KG Berlin, a. a. O., OLG Hamm, a. a. O.; OLG Saarbrücken a. a. O., KK-Paul, StPO, 8. A., § 329 Rn. 6) Dies gilt umso mehr, seitdem durch Inkrafttreten der Neuregelung des § 329 StPO am 25.7.2015 weitreichende Rechte zur Vertretung in Abwesenheit des Angeklagten geschaffen wurden. Dies führt dazu, dass eine Abwesenheitsverhandlung auch in Fällen erfolgen kann, in denen erstinstanzlich eine Vertretung des Angeklagten ausgeschlossen ist, insbesondere ist das Berufungsgericht nur an den Strafrahmen des § 24 Abs. 2 GVG und nicht an den des
§ 233 StPO gebunden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. A., StPO, § 329 Rn. 37 m. w. Nw.).

Die dem Verteidiger des Angeklagten am 06.10.2018 erteilte Vertretungsvollmacht reicht vor diesem Hintergrund zur Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus.

Die vorgelegte Vollmacht bezieht sich in Ziffer 6 schon im Wortlaut nur auf das Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 411 Abs. 2 StPO) sowie auf die Vorschriften der
§§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Dem Wortlaut nach handelt es sich dabei auch um eine abschließende Aufzählung, in der § 329 StPO nicht genannt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass lediglich eine bespielhafte Aufzählung der Möglichkeiten der Vertretung in Abwesenheit erfolgen sollte. Auch der Verweis in Ziffer 6 der Vollmacht auf die Vorschrift des § 234 StPO führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Vorschrift des § 234 StPO knüpft inhaltlich an die Vorschriften der § 231 ff. StPO an, die in Berufungsverfahren nur Anwendung finden, soweit
§ 329 StPO nicht anwendbar ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt,63. A., StPO, § 332 Rn. 1).  Für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung enthält
§ 329 Abs. 1 und 2 StPO jedoch spezielle Regelungen (vgl. KG Berlin a. a. O.).“